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E-Book

Krankheiten peripherer Nerven

AutorReinhard Kiefer
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl365 Seiten
ISBN9783170266506
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis43,99 EUR
Dieses klinisch orientierte Buch bietet eine praxisnahe Darstellung der Diagnostik und Therapie peripherer Nervenkrankheiten und deren neurobiologischer Grundlagen. Es richtet sich an neurologische Fachärzte, angehende Neurologen und interessierte Kolleginnen und Kollegen anderer Fachdisziplinen. Der allgemeine Teil beschreibt die klinischen und technischen Möglichkeiten, sich einem Patienten mit einer peripheren Nervenerkrankung zu nähern. Die verschiedenen Erkrankungen werden im zweiten Teil u. a. im Hinblick auf ihre klinische Bedeutung, die neurobiologischen Grundlagen, die klinischen Merkmale und die Therapie ausführlich beschrieben. Es folgen Kapitel über fokale Nervenläsionen, die symptomatische Therapie und Besonderheiten im Kindesalter. Wichtige Informationen werden zusätzlich in Tabellen und Übersichten zusammengefasst, um dem Leser einen schnellen Zugriff zu ermöglichen. Schließlich enthält das Buch noch illustrative Falldarstellungen spezieller oder auch ganz typischer Krankheitsverläufe aus der täglichen Praxis.

Prof. Dr. Reinhard Kiefer ist Chefarzt der Neurologischen Klinik am Diakoniekrankenhaus Rotenburg (Wümme). Prof. Dr. med. Rudolf Korinthenberg ist Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelkrankheiten der Universitätskinderklinik Freiburg.

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Leseprobe

A Diagnostik peripherer Nervenerkrankungen


1 Der Patient mit neuropathischen Beschwerden


Die Diagnose und Therapie peripherer Nervenerkrankungen wird von vielen Ärzten1 als schwierig und manchmal unbefriedigend empfunden. Diese Sorge mag man verstehen. Allerdings folgt der Umgang mit peripheren Nervenerkrankungen den gleichen Prinzipien, die auch anderweitig bei neurologischen Krankheiten angewandt werden, und Herausforderungen und therapeutische Erfolge unterscheiden sich kaum von den anderen Untergebieten der Neurologie. Allerdings gibt es durchaus einige Besonderheiten. Die wichtigste Eigenheit ist wahrscheinlich, dass auf den ersten Blick alle Neuropathien »gleich« sind, und genau das macht die Dinge auf den zweiten Blick etwas kompliziert.

Warum ist das so: Periphere Nerven verfügen über eine vergleichsweise einfache Struktur. Die Anzahl der Fasertypen ist begrenzt, und die einzelnen Fasertypen und zugehörige Neurone haben klar definierte Funktionen. Die Anzahl nicht neuronaler Zelltypen im peripheren Nerven ist ebenfalls begrenzt: Neben den myelinisierenden und nicht myelinisierenden Schwannzellen gibt es Fibroblasten, Mastzellen, residente Makrophagen, ganz vereinzelte T-Zellen und natürlich Gefäße im peripheren Nerven. Wenn man die komplexe Architektonik des zentralen Nervensystems bedenkt, sollte es nicht schwer sein, periphere Neuropathien zu diagnostizieren und zuzuordnen.

Die Herausforderung für den Arzt entsteht jedoch gerade durch diese Einfachheit der Struktur peripherer Nerven, die nur sehr begrenzte Reaktionsmöglichkeiten des peripheren Nervensystems auf pathologische Reize und Systemkrankheiten ermöglicht. Die Konsequenz ist, dass eine Vielzahl von Krankheitsursachen immer wieder ähnliche Beschwerden und Befunde hervorbringt. Die klinische Erscheinung peripherer Nervenerkrankungen ist daher vergleichsweise monomorph ungeachtet einer Vielzahl von Krankheitsursachen. So können Störungen unterschiedlichster Art eine symmetrische längenabhängige Polyneuropathie verursachen, und auch für fokale Neuropathien gibt es die unterschiedlichsten Ursachen. Dennoch ist es möglich, durch sorgfältige Befragung und Untersuchung betroffener Patienten Unterschiede zu erkennen, die diagnostisch wegweisend sein können.

Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass die Lokalisation einer Erkrankung ins periphere Nervensystem nicht immer offensichtlich ist. Hinterstrangerkrankungen, eine Motoneuronkrankheit, eine Plexopathie oder ein enger lumbaler Spinalkanal sind Beispiele für Krankheiten, die mit Neuropathien verwechselt werden können. Auch eine Myopathie kann mit einer motorischen Neuropathie verwechselt werden.

Die dritte Herausforderung liegt darin zu erkennen, ob alle oder nur einzelne Nerven von dem Krankheitsprozess betroffen sind. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Differenzialdiagnose einer Mononeuropathie oder einer Mononeuropathia multiplex sich grundsätzlich unterscheidet von der Differenzialdiagnose einer generalisierten, in der Regel längenabhängigen Polyneuropathie. Ursache längenabhängiger Polyneuropathien sind Schädigungsmechanismen, die den Nerven als ganzes Organ betreffen, wie etwa viele toxische Einwirkungen, manche innere Erkrankungen und viele genetische Störungen. Das Konzept der Mononeuropathia multiplex impliziert fokale Schädigungsmechanismen wie etwa eine fokale Ischämie durch eine Vaskulitis oder multifokale Entmarkungen im Rahmen einer Immunneuropathie oder einer erblichen Drucklähmung. Eine Schwierigkeit kann entstehen, wenn Schädigungen benachbarter Nerven zu konfluierenden neurologischen Defiziten führen und dann ein regionales oder sogar ein symmetrisches neurologisches Ausfallsmuster verursachen. Die ursprünglich fokale Natur der Erkrankung kann dann nur noch anamnestisch, durch besonders sorgfältige Untersuchung oder durch eine unterschiedliche Schwere der Schädigung in der neurophysiologischen Untersuchung erfasst werden.

Die vierte Herausforderung liegt in der Vielzahl der Ursachen einer Neuropathie. Die Listen möglicher Differenzialdiagnosen sind lang und unübersichtlich. Deren unfokussierte vollständige Abarbeitung würde aufwändige und oftmals teure Diagnostik erfordern. Auch die Liste der möglichen diagnostischen Maßnahmen ist lang und unübersichtlich.

Eine besondere, fünfte Herausforderung bieten Patienten mit einer Neuropathie der kleinen Nervenfasern (Small-Fiber-Neuropathie). Die Betroffenen klagen über Missempfindungen und Schmerzen, und dennoch können alle objektiven klinischen und routinemäßig erhobenen neurophysiologischen Parameter völlig normal sein. Nicht selten werden die Symptome dann als psychogen interpretiert.

Schließlich, sechstens, kann manches Mal die Therapie einer Polyneuropathie schwierig sein. Dies ist jedoch nicht anders als bei anderen neurologischen und nicht neurologischen Krankheiten. Bei immunvermittelten Störungen steht jedoch das Arsenal der Immunsuppressiva und Immunmodulatoren zur Verfügung, und es gibt verschiedene symptomatische Therapieverfahren, unter anderen rehabilitative Verfahren und die Therapie neuropathischer Schmerzen. Neuroprotektive Medikamente stehen in der Behandlung peripherer Nerven derzeit so wenig zur Verfügung wie bei anderen neurologischen Krankheiten.

Die Komplexität peripherer Nervenerkrankungen lässt sich am besten durch eine sorgfältige klinische Analyse und ein systematisches Vorgehen bewältigen. Der erfolgreichste Diagnostiker peripherer Nervenerkrankungen ist dabei immer derjenige, der einer Sequenz differenzialdiagnostischer Überlegungen folgt, die immer mit einer klinischen Klassifikation der Beschwerden und Befunde des Patienten beginnt. Man erreicht dieses mit ausschließlich klinischen Mitteln und hat keine direkten Kosten außer der aufgebrachten Zeit. Die folgenden Kapitel möchten ihren Lesern drei Dinge erleichtern:

  • Sie beschreiben einen systematischen Zugangsweg für den Diagnostiker mit klinischen Kriterien für die differenzialdiagnostische Eingrenzung und den begründeten Einsatz der relevanten Zusatzdiagnostik.
  • Sie beschreiben klare therapeutische Konzepte dort, wo ursachenbezogene Therapien derzeit möglich sind.
  • Sie beschreiben symptomatische Therapieansätze, wenn vorübergehende Beschwerden noch anhalten oder wenn eine vollständige Heilung nicht möglich ist.

Nicht vergessen werden darf, dass manchmal trotz intensiver Bemühungen die Ursache einer Polyneuropathie nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht geklärt werden kann. Der Anteil solcher Fälle schwankt je nach Art und Spezialisierungsgrad einer Sprechstunde und liegt wohl bei etwa einem Viertel bis einem Drittel aller Kranken mit Polyneuropathie. Man sollte diese Zahlen sich und den Patienten vor Augen halten, um eine realistische Behandlungsperspektive zu ermöglichen und Frustration bei allen Beteiligten abzuwenden. Den meisten Patienten ist klar, dass auch die moderne Medizin nur helfen und nicht alles heilen kann, sodass ein offensiver Umgang mit diesen Begrenzungen den Umgang mit der Krankheit erleichtern kann. Es ist nicht richtig, dass nach sorgfältiger Diagnostik »der Arzt nichts weiß«. Richtig ist vielmehr, dass er ganz genau weiß, welche Störungen alle nicht vorliegen, und dass eine Klärung nach derzeitigem Kenntnisstand mit angemessenen Mitteln nicht möglich ist. Diese Einschätzung mit dem Patienten zu teilen, kann sehr hilfreich sein.

2 Schlüsselinformationen aus Anamnese und Befund


Anamnese und klinische Untersuchung bieten die entscheidende Information überhaupt in der Evaluation von Patienten mit peripheren Nervenerkrankungen. Der Patient selbst grenzt durch seine Aussagen die Differenzialdiagnose bereits wesentlich ein, wenn der Arzt die Informationen einzuordnen vermag. Ein erfolgreiches Anamnesegespräch setzt daher voraus, dass der Arzt die wesentlichen Organisationsprinzipien des peripheren Nervensystems vor Augen hat und die wichtigsten Differenzialdiagnosen kennt, um Zuordnungen treffen zu können. Auf diese Weise entwickeln sich im Laufe des Anamnesegesprächs fortlaufend Hypothesen zur anatomischen Zuordnung und Ätiologie, die durch gezieltes Nachfragen und eine fokussierte Untersuchung bestätigt oder verworfen werden. Am Ende der Anamnese und Untersuchung steht dann in der Regel eine bereits recht gut eingegrenzte Differenzialdiagnose oder zumindest eine syndromale Beschreibung der Störung, die dann durch weitere diagnostische Schritte präzisiert wird.

Anamnese


Die Anamnese wird zunächst nicht anders erhoben als bei anderen Krankheitsbildern. Allerdings gibt es Aspekte, die bei Patienten mit Erkrankungen peripherer Nerven von besonderem Interesse sind (Tab. 2.1).

Aktuelle Vorgeschichte

Patienten mit akuten oder subakuten Beschwerden können den Beginn der Erkrankung meistens ungefähr benennen. Der Beginn sehr chronischer Beschwerden wird oft nicht mehr erinnert. Dies gilt insbesondere für hereditäre Neuropathien, die im Prinzip ja lebenslang bestehen. Es ist dann hilfreich, bestimmte Fähigkeiten zu bestimmten Lebenszeiten zu erfragen, unter Umständen bis zurück zur Kindheit. »Wie waren Ihre Noten im Sportunterricht?« »Konnten Sie als Kind gut rennen?« »War zur Zeit Ihrer Hochzeit noch alles normal?« »Seit wann benutzen Sie einen Stock, einen Rollstuhl, nutzen die Hände beim Treppensteigen?«, und so weiter. Oft lässt sich so klären, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrscheinlich noch alles normal war oder ob bereits bestimmte Auffälligkeiten bestanden.

Wichtig ist auch die Benennung...

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