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Krankheitsbild Angst. Zur Entstehung und Behandlung von Angststörungen

Zur Entstehung und Behandlung von Angststörungen

AutorBernhard R Lubberger, Felix Möller, Katja Küchemann, Stefanie Scheck, Stephan Polowinski
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl175 Seiten
ISBN9783656451778
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Jeder kennt das Gefühl der Angst. Aber was, wenn die Angst zur Krankheit wird? Viele Menschen leiden im Laufe ihres Lebens unter einer behandlungsbedürftigen Angststörung. Mittlerweile gibt es allerdings sinnvolle Therapieansätze, die Betroffenen helfen. In diesem Band werden die unterschiedlichen Formen der Angststörung vorgestellt, Behandlungsmethoden diskutiert und anhand von Beispielen erläutert. Aus dem Inhalt: Formen der Angststörungen, Panikstörungen, Entstehung von Angststörungen, Klassifikation und Diagnostik, Therapiemöglichkeiten, Psychoanalytische Therapie, Verhaltenstherapie, Konditionierung, Modelllernen, Blut-Verletzungs-Katastrophen-Phobie, Hundephobie.

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Leseprobe

Klassifikation und Diagnostik


Wie bereits erwähnt sind für die objektive Diagnostik von Angststörungen verschiedene Indikatoren notwendig. Hierzu zählen Veränderungen im Bereich der Verstandsfunktion, also Symptome, die sich auf der kognitiven Ebene abzeichnen, Veränderungen auf der physiologischen Ebene und Veränderungen der Motorik.

Durch Veränderungen auf diesen Ebenen wird in einer akuten Gefahrensituation das Überleben gewährleistet. Ein pathologisches Ausmaß nimmt Angst dann ein, wenn Angst in einer Situation empfunden wird, aus der keine reale Bedrohung hervorgeht, eine ausgeprägte Erwartungsangst vorliegt, wenn Angstreaktionen unverhältnismäßig lange andauern und wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Einschränkungen und Vermeidungsverhalten zu verzeichnen ist.

In den modernen und heute am weitesten verbreiteten Diagnose-Systemen ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheits-Organisation von 1991) und DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual der Amerikanischen Psychiater- Vereinigung von 1994) sind für die verschiedenen Angststörungen umfangreiche Kriterienkataloge aufgeführt.

 

Phobien


Unter einer Phobie versteht man eine unbegründete, situations- oder objektbezogene Angst. Menschen, die unter einer extremen Angst vor Höhen, Spinnen oder geschlossenen Räumen leiden, und zugestehen, dass von diesen Situationen keine reale Gefahr ausgeht und ihr Vermeidungsverhalten ihre Lebensqualität entscheidend einschränkt, leiden mit großer Wahrscheinlichkeit an einer Phobie.

Der Begriff „Phobie“ leitet sich von dem griechischen Gott Phobos ab, der seinen Feinden das Fürchten lehrte und in der griechischen Mythologie als der Inbegriff für Flucht und Urängste galt.[32]

 

Spezifische Phobien

Spezifische Phobien sind Ängste, die mit einer bestimmten Situation oder einem Gegenstand zu tun haben. Dies können unter anderem Tiere, vor allem Hunde, medizinische Geräte oder auch geschlossene Räume sein.

Nur drei Prozent aller Phobiker leiden unter einer spezifischen Phobie. Frauen sind hier häufiger betroffen als Männer.[33] Die Betroffenen vermeiden im Alltag die angstauslösende Situation und kommen meist mit dieser Form gut zurecht. Erst wenn sich ein Lebenswandel einstellt und die Patienten die Situation nicht mehr vermeiden können, suchen sie therapeutische Hilfe auf.

 

Soziale Phobie

Ein klassisches Merkmal der sozialen Phobie ist die Angst, von anderen Menschen als negativ bewertet zu werden. Betroffene Menschen vermeiden Situationen, in denen sie im Mittelpunkt stehen und vor einer Gruppe reden müssen. In einer solchen Situation äußert sich die Angst in körperlichen Symptomen, wie Herzrasen, Schweißhände, Schwindel oder Harndrang. Im DSM-IV wird diese Phobie als eine hartnäckige und anhaltende Angst vor Situationen beschrieben, in der die betroffene Person einer möglichen kritischen Beurteilung durch andere ausgesetzt ist und Angst vor negativen Beurteilungen hat.

Diese Form der Phobie beginnt meist im Jugendalter. In dieser Zeit gewinnen soziale Interaktion und Beziehungen zu anderen Mitmenschen immer mehr an Bedeutung. Ursächlich kann der Erziehungsstil der Eltern sein. Patienten, die unter einer Sozialphobie leiden, wurden im Kindes- und Jugendalter von ihren Eltern meist sehr überbehütet und von sozialen Ereignissen fern gehalten. Die Möglichkeit, im Jugendalter die soziale Interaktion zu trainieren und Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, wurde den Patienten also verwehrt.

 

Agoraphobie

Der Begriff leitet sich aus dem griechischen „Agorá“, zu Deutsch „Platz“, ab. Die betroffenen Patienten meiden volle, enge Plätze und große Menschenmengen. Genau genommen haben betroffene Personen Angst, aus genau diesen Situationen nicht schnell flüchten zu können, wenn sie eine Panikattacke (siehe 5.2) erleiden. Die Agoraphobie ist im Grunde genommen also die Angst, eine Panikattacke zu bekommen. Nach DSM-IV wird diese Form als Agoraphobie mit Panikstörung beschrieben. Bei der Form ohne Panikstörung handelt es sich um Ängste vor plötzlich auftretenden Symptomen wie Blasenschwäche oder Schwindel.

Die Angst vor einer möglichen Angstattacke ist kennzeichnend für die Agoraphobie. Freud schrieb 1885 dazu: „Im Falle einer Agoraphobie … finden wir häufig die Erinnerung an eine Angstattacke; und was der Patient in Wirklichkeit fürchtet, ist das Auftreten einer solchen Attacke unter den speziellen Verhältnissen, in denen er glaubt, ihr nicht entkommen zu können.“[34] Lerntheoretisch ist die Agoraphobie also folgendermaßen zu erklären. Tritt eine Panikattacke beispielsweise beim Fahren in der U-Bahn auf, so wird aus dem neutralen Reiz des U-Bahn Fahrens durch die Panikattacke ein konditionierter Reiz. Die Panikattacke wird mit der Situation in der U-Bahn verknüpft. Diese Situation stellt in Zukunft also ständig eine Situation dar, in der der Patient erwartet, eine Panikattacke zu erleiden. Das Fahren mit der U-Bahn wird der Patient in Zukunft also tunlichst vermeiden. Dieses Verhalten wird aber dadurch negativ verstärkt, da durch das Meiden einer angstauslösenden Situation auch die Panikattacken ausbleiben. Unangenehme Situationen werden von der Person also in Zukunft vermieden.

 

Panikstörungen


Charakteristisch für Panikstörungen sind plötzlich auftretende und wiederkehrende Panikattacken. Während einer Panikattacke äußern sich bei den Betroffenen Symptome wie Herzrasen, Schwitzen, Erstickungsgefühle, Schwindel, Angst die Kontrolle zu verlieren oder zu sterben, Hitzewallungen oder Kälteschauer. Diese im DSM-IV aufgeführten Symptome sind nur einige Beispiele. Während einer Panikattacke haben Betroffene das Gefühl, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, sie können unter Todesangst leiden oder sie haben Angst davor, verrückt zu werden.

Das plötzliche und intensive Erleben der verschiedenen Ängste in einer solchen Situation der Panikattacke kann einen Betroffenen dazu verleiten, schnell aus dieser Situation fliehen zu wollen. Die Flucht kann eine Panikattacke beenden und die körperlichen Symptome lassen nach. Das hat zur Folge, dass Menschen, die in einer bestimmten Situation eine Panikattacke erleiden, diese in Zukunft meiden, aus Angst, erneut eine Panikattacke zu erleiden. Durch dieses Vermeidungsverhalten engt sich der Lebensraum immer mehr ein. Wie auch bei der Agoraphobie ist die Erwartungsangst (oder auch die „Angst vor der Angst“) ein wesentlicher Bestandteil der Panikstörung und ein Teufelskreislauf, aus dem Betroffene nur schwer ohne Hilfe ausbrechen können.[35]

Auslöser für eine Paniktattacke kann die Fehldeutung physischer Veränderungen durch die Betroffenen sein. Nimmt ein Patient beispielsweise während des Einkaufens eine Veränderung der Atmung wahr (was unterschiedliche Gründe wie Hitze, Erregung, Nikotin oder Koffein haben kann) und assoziiert diese Veränderung als eine bevorstehende Gefahr, reagiert er mit Angst. Durch diese Angst werden weitere physische und kognitive Veränderungen ausgelöst, die auf eine mögliche Flucht vorbereiten sollen. Dieser Prozess, oder auch „Teufelskreislauf“, von Wahrnehmung der Veränderung, Assoziation mit Gefahr und Angstreaktion kann sich bis zu einer Panikattacke aufschaukeln.

Generalisierte Angststörung


Diagnostische Merkmale nach dem DSM-IV für eine generalisierte Angststörung sind ausgeprägte und außergewöhnliche Ängste und Sorgen in Bezug auf Tätigkeiten oder Ereignisse, die mindestens über sechs Monate andauern. Diese Sorgen und Ängste können die Lebensbereiche der beruflichen Verpflichtungen, Finanzen, Gesundheit, oder auch die eigenen Kinder umfassen. Dabei zeigen sich Symptome wie Ruhelosigkeit, Ermüdung, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafprobleme oder leichte Reizbarkeit.

Die Ursachen der generalisierten Angststörung lassen sich nach dem kognitiven Modell von Barlow[36] in der konsistenten Entwicklung einer ängstlichen Erwartung erklären. Diese entsteht durch eine erhöhte Erregung, die Befürchtung des Betroffenen, dass er zukünftige Ereignisse nicht kontrollieren kann und dem Lernprozess, physische und kognitive Veränderungen mit dem „sich Sorgen machen“ zu assoziieren.

 

Zwangsstörung


Bei der Zwangsstörung stehen Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen im Mittelpunkt. Nach DSM-IV sind Zwangsgedanken hartnäckige Ideen, Impulse oder Vorstellungen, die jedenfalls anfänglich als aufdringlich und als sinnlos erlebt werden. Der Betroffene versucht, diese Gedanken zu unterdrücken oder mit einem anderen Gedanken oder einer Handlung zu neutralisieren. Zwangshandlungen kennzeichnen sich durch wiederholte, zielgerichtete Verhaltensweisen, die ausgeführt werden als Antwort auf einen Zwangsgedanken. Häufige Zwangshandlungen sind Sauberkeits- und Ordnungszwänge, Vermeidung von bestimmten Gegenständen (z.B. Gegenstände, die braun sind), Kontrollzwänge oder Ausführen bestimmter Handlungen (z.B. extrem langsam essen).

Von der Zwangsstörung sind rund ein bis zwei Prozent der Bevölkerung betroffen. Die häufigste Form der Zwangsgedanken sind zwanghafte Zweifel. 75% der Patienten leiden unter Gedanken, eine Aufgabe nicht angemessen erledigt zu haben.[37] Darunter fällt beispielsweise, ob die Tür richtig abgeschlossen ist, ob der Ofen in der...

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