Besucher von Fußballspielen bilden keine homogene Masse. Auch wenn medial oft ein einheitliches und klischeebeladenes Bild von Fußballfans gezeichnet wird, unterscheiden sich Stadiongänger untereinander nicht nur nach Geschlecht, Alter oder sozialem Status, sondern auch nach ihrer subkulturellen Zugehörigkeit, ihren Besuchsmotiven oder ihrem Standpunkt zu Gewalt. Dementsprechend gibt es Gruppen, die eher als andere von sanktionierenden Maßnahmen betroffen sind und Kriminalisierungen erfahren. Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die strukturelle Zusammensetzung des Fußballpublikums geben und dabie Gruppen herausfiltern, die für den Untersuchungsbereich der Arbeit von Bedeutung sind.
In den folgenden Unterkapiteln sollen institutionelle, wissenschaftliche und szeneübliche Einteilungen vorgestellt werden, welche Zuschauer im Stadion nach differierenden Merkmalen unterscheiden.
Die Polizei unterteilt Fußballfans je nach Neigung zu Gewalttaten in drei Kategorien, welche seit 1991[20] Bestand haben:
- Kategorie A: der friedliche Fan
- Kategorie B: der gewaltbereite oder gewaltgeneigte Fan
- Kategorie C: der gewaltsuchende Fan (Vgl. ZIS Jahresbericht Fußball 2006/07, 5f.)
Der Kategorie A-Fan ist ausschließlich am Sport interessiert, friedlich und reagiert aversiv gegenüber Gewalt. B-Fans dagegen werden hinsichtlich gewaltsamer Ausschreitungen differenzierter betrachtet. Sie suchen nicht ausdrücklich nach
Auseinandersetzungen, jedoch wenn diese stattfinden beteiligt sich oft eine Vielzahl von B-Fans daran. Die eigentliche Gewalt forcierenden Gruppen stellen Angehörige der Kategorie C. Diese sind im Rahmen von Fußballspielen primär an der Auseinandersetzung und Gewaltausübung interessiert und suchen diese auch regelmäßig (Vgl. Lösel / Bliesener 2006, 231.).
In der Saison 2006/2007 schätzen die Polizeibehörden in den Bundesligen 1 und 2 zusammengenommen 2308 C-Fans, sowie 6105 B-Fans, für die Regionalligen kamen jeweils noch 2445 (B) und 878 (C) als problematisch erachtete Fans hinzu (Vgl. ZIS Jahresbericht Fußball 2006/07, 7f.). Wenngleich diese Zahl zunächst recht groß klingt, ist die Gruppe Gewalt suchender oder explizit Gewalt geneigter Fans ein verschwindend geringer Teil im Stadionbild. Stadionverbote, Repression und andere Auflagen führen dazu, dass „Problemfans" systematisch von Fußballspielen ausgeschlossen werden und mittlerweile in den Stadien - zumindest der oberen Ligen - fast ausschließlich Zuschauer der Kategorie A zu finden sind. Dies kann allerdings von Verein zu Verein oder in Abhängigkeit der Spielbrisanz schwanken.
Institutionelle Maßnahmen zur Bekämpfung von Fußballgewalt sind vorwiegend auf Angehörige der Kategorien B und C ausgelegt. Dennoch kommen auch friedliche Fans ab und an mit Prävention und Repression im Rahmen von Fußballspielen in Kontakt. Es besteht daher zusätzlich die Gefahr einer Kriminalisierung von Gruppen, die im eigentlichen Sinne nicht dem Gewaltspektrum angehören.
Vor allem die Gruppe der B-Fans wird in der behördlichen Kategorienbildung nicht sehr trennscharf abgegrenzt und hinsichtlich ihrer Gewaltmotivationen nicht untergliedert.
In der sozialwissenschaftlichen Literatur hat sich eine Dreiteilung der Fußballfans in konsumorientierte, fußballzentrierte und erlebnisorientierte Zuschauer durchgesetzt. Zurückgehend auf eine Studie von Heitmeyer und Peter (1988, 32f.) wurden diese Typen, teils in leichter Abwandlung von zahlreichen Autoren übernommen.[21]
Der konsumorientierte, kritische, kundenähnliche Besucher möchte zunächst guten und fairen Sport geboten bekommen. Die Angehörigen rekrutieren sich laut Lösel und Bliesener (2001) größtenteils aus der Mittel- und Oberschicht (Vgl. Lösel / Bliesener 2001, 10.). Innerhalb des Stadions findet man diese Zuschauergruppe meist in VIP-Logen oder Sitzplätzen, aber auch in ruhigeren Stehplatzbereichen. Für sie ist der Besuch eines Fußballspiels eine Nachmittagsunterhaltung unter vielen, also zeitweilig auch austauschbar. Etwa 90% der Stadionbesucher sind diesem Typus zuzuordnen (Vgl. Ek 1996, 29.).
Nicht austauschbar hingegen ist das Erlebnis Stadion für die Gruppe der fußballzentrierten Fans. Sie sind von der Alterstruktur her jünger und oft in offiziellen oder inoffiziellen Fanclubs organisiert (Vgl. Aschenbeck 1998, 91.). Ihr vornehmlicher Standpunkt sind die Stehränge der Stadien. Das Hauptgeschehen für die fußballzentrierten Fans liegt beim Spiel oder in der Wechselwirkung zwischen Spiel und Unterstützung im Fanblock. Eine hohe Identifikation und Leidenschaft für den Verein zeichnet diese Gruppe ebenso aus, wie ein hohes Aktivierungspotenzial. Ob dieses Potenzial auch zu Gewalt und Ausschreitungen führen kann, hängt von bestimmten Faktoren ab. Tendenziell ist diese Gruppe zwar aufgrund von fanspezifischer Kleidung und Gebaren auffällig, hingegen als friedlich einzustufen. Kriminalisierungsprozesse betreffen sie, aufgrund ihrer Nähe zum Fan-Geschehen (z.B. auf Auswärtsfahrten), zwangsläufig.
Die dritte Gruppe innerhalb der Fußballzuschauer sind die erlebnisorientierten Fans. Ihr Verhältnis zum Spiel ist eher ambivalent, da sie ihre eigene Anwesenheit als Erlebnis steigerndes Potenzial ansehen (Vgl. Aschenbeck, 91f.). Das Stadion wird als Treffpunkt und Ort sozialen Geschehens, weniger als Spielstätte angesehen. Aus der Gruppe der erlebnisorientierten Fans rekrutieren sich Hooligans und andere, für die Polizei als problematisch geltende Fanklientel. Die meisten Maßnahmen gegen Fangewalt und Ausschreitungen beziehen sich auf diese Gruppe. Diese ist aber, wie auch die Gruppe der fußballzentrierten Fans, in sich noch heterogen und verlangt nach weiteren Differenzierungen, welche in der einschlägigen Literatur nicht getroffen werden.
Nahezu jeder größere Verein besitzt innerhalb seiner Fanszene verschiedene Szene-Gruppen, die sich anhand von Merkmalen auch vereinsübergreifend kategorisieren lassen.
Dabei geht es meist um Selbstzuschreibungen, was die Angehörigkeit zu einer Subkultur angeht (Ultras, Hooligans) oder um Fremdzuschreibungen durch andere Gruppen bzw. Szenekenner („Normalos", „Kutten", „Hooltras").
3.1.3.1 „Normalos"
Der Begriff des „Normalo-Fans" ist ursprünglich eine eher abwertend gemeinte Floskel aktiverer Fangruppen, welche weniger engagierte und leidenschaftliche Stadionbesucher bezeichnet. Im Großen und Ganzen sind „Normalos" eher zu den konsumorientierten Zuschauern zu zählen, machen also einen Großteil der Besucherklientel aller Altersgruppen aus und befinden sich zumeist in den Sitzplatzbereichen (Vgl. Weigelt 2004, 28f.). Sie verhalten sich im Stadion eher passiv, sind kaum auffällig gekleidet und vornehmlich an sportlich-eventisierten Belangen interessiert. Von „Normalos" gehen in der Regel keine Randale aus. Dagegen verurteilen sie Gewalt und Ausschreitungen im Fußball wegen der negativen Konsequenzen für die Vereine oder weil sie selbst Sicherheitsbedenken beim Stadionbesuch hegen. Sie besuchen unregelmäßig und stark erfolgs-/attraktivitätsgebunden das Stadion. Die Gruppe der „Normalo- Fans" stellt keine einheitliche oder gar organisierte Einheit dar, sondern ist eine reine Fremdzuschreibung.
3.1.3.2 „Kutten"
„Kuttenfan" ist ein etwas veralteter Begriff für diejenigen Zuschauer, welche oft auffällig mit Schals, Hüten, speziellen Jacken oder Westen gekleidet ins Stadion gehen und dort in erster Linie ihre Vereinstreue auffrischen. Ihre Motivation zum Fußballbesuch entspringt also der Fixierung auf ihre Stadt und ihre Mannschaft. „Kutten" haben häufig feste Stammplätze innerhalb des Fanblocks und sind oft in
Fanclubs organisiert. Zumeist werden sie als friedliche, fußballzentrierte Besucher angesehen, von denen aber in bestimmten Ausnahmesituationen auch Gewalthandlungen ausgehen können, beispielsweise unter Alkoholeinfluss oder im Zuge von Solidarisierungsaktionen gegen die Polizei. Dadurch, dass Kutten auch oft Auswärtsspiele ihrer Mannschaft besuchen kommen sie in Kontakt mit der Polizei und stehen zudem in deren Fokus.
3.1.3.3 Hooligans
Unter Hooligans werden vorwiegend junge Männer verstanden, die sich im Stadion oder im Umfeld von Sportveranstaltungen zusammenfinden um gewalttätige und randalierende Auseinandersetzungen mit anderen HooliganGruppen zu suchen (Vgl. Bliesener 2006, 289.). Dabei hat sich im Laufe der Jahrzehnte von England ausgehend auch auf dem europäischen Festland eine eigene Hooligan-Kultur etabliert, die vereinsübergreifend in Erscheinung tritt.
Einen besondere Aufmerksamkeit erlebte das Hooliganphänomen erstmals nach den Ausschreitungen im Brüsseler Heysel-Stadion 1985, woraufhin auch international...