Als der Kölner Dom in einer zweiten Bauetappe gegen Ende des 18. Jahrhunderts fertiggestellt wurde, soll der Landesfürst auf dem Bauplatz zu Besuch gewesen sein und dabei den Steinmetzen zugeschaut haben. Er fragte einen Ersten von ihnen, was er tue. Seine Antwort: „Ich meissle.“ – Ebenso sprach er einen Zweiten an, der bemerkte: „Ich bearbeite einen Stein.“ – Als er schliesslich einen Dritten fragte, machte dieser die tiefsinnige Aussage: „Ich baue am Dom von Köln.“
Quelle: Text von Dr. Hansruedi Steiner, Unternehmensberater und –Entwickler und Psychologe
Meine Grundhaltung sowie meine Werte und Normen basieren auf dem humanistischen Menschenbild, an welches sich der personzentrierte Ansatz nach Carl Rogers anlehnt. Die humanistische Sichtweise respektiert die Verschiedenartigkeit und die damit einhergehenden unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten eines jeden Menschen. Davon ausgehend lässt sich sagen, dass grundsätzlich jeder Mensch bestrebt ist zu wachsen und sich selbst zu aktualisieren und die Fähigkeiten zur Veränderung und Problemlösung in sich trägt.
Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch Spezialist für sein eigenes Leben ist – manchmal braucht er nur ein klein wenig Unterstützung von aussen, um den Zugang zu diesem inneren Wissen wiederzufinden. An dieser Aussage orientiere ich mich auch immer wieder innerhalb meiner Tätigkeit als Sozialpädagogin. Es ist mir ein Anliegen, die Menschen zu begleiten und in der Findung ihres Zugangs zu ihrem Wissen, zu schlummernden Ressourcen zu unterstützen. Dies heisst für mich gleichzeitig auch, dass ich mich mit meinen eigenen Lösungsvorschlägen immer wieder zurücknehmen muss und darauf vertrauen, dass auch ein anders gewählter Weg für die jeweiligen Personen richtig sein kann. Dies setzt meinerseits viel Vertrauen voraus – Vertrauen in das innere Wissen, wie auch Vertrauen zu meinem Gegenüber.
Das humanistische Menschenbild vertritt im Weiteren ressourcenorientiertes Arbeiten und Verstehen, in welchem nicht das Problem, sondern die Fähigkeit in den Vordergrund gestellt wird. Diese grundlegende Haltung vermittelt den Klientinnen und Klienten die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, wodurch sich diese zu sozialen, selbstbestimmten und unabhängigen Wesen entwickeln können. Wichtig ist mir, an diesem Punkt zu erwähnen, dass die Unabhängigkeit eines jeden Menschen in einer bestimmten Art und Weise eingeschränkt ist. Wir alle sind – mehr oder weniger - abhängig von sozialen Systemen, Beziehungen, kulturellen Werten und Normen oder von Finanzen und so weiter. So ist es mir in meiner Rolle als Sozialpädagogin ein wichtiges Anliegen, nicht die absolute Unabhängigkeit der Klientel anzustreben, sondern mit den Menschen zusammen einen Weg zu finden, innerhalb der gesetzten Strukturen und Abhängigkeiten eine gesellschaftlich vertretbare und akzeptierte Lösung zu suchen.
Ebenfalls halte ich mich bei der Arbeit, wie aber auch privat, an das anthroposophische Menschenbild. Dieses lehrt, den Menschen in seiner Dreigliedrigkeit von Geist – Seele – Körper wahrzunehmen. Die Anthroposophie geht davon aus, dass jeder Mensch in seinem Innersten Wesenskern einmalig und gesund ist. Durch den Einbezug der Seele und des geistigen Wesens des Menschen wird mir eine gesamtheitliche Sicht zuteil, welche sich in verschiedenster Form auf meinen Umgang mit den Menschen, aber auch auf die Herangehensweise an verschiedenste Situationen oder Probleme auswirken. So zum Beispiel setzt die naturbezogene anthroposophische Sichtweise grossen Wert auf Ernährung, Naturmedizin, Farbenlehre, etc., durch welche der Mensch in seinem Ganzen betrachtet und „therapiert“ wird. Kurz gesagt: Nicht das Problem wird bekämpft, sondern die Ursache für das Problem wird untersucht und langfristig (präventiv) behandelt.
Ich habe mich für die Verwendung des Begriffes „originelle Verhaltensweisen“ entschieden, da dieser für mich weniger defizitär klingt als die gängigen Begriffe „Verhaltensstörung oder –Auffälligkeit“. Dasselbe gilt für die „kognitive Entwicklungsbeeinträchtigung“ im Gegensatz zur „geistigen Behinderung“.
Überzeugt davon, dass hauptsächlich die Werte und Normen der Gesellschaft inklusive deren einzelnen Mitgliedern die Menschen zu „Beeinträchtigten“ machen, stellt sich eine kognitive Entwicklungsbeeinträchtigung für mich in der erschwerten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar. Ich persönlich bemühe mich, betroffene Personen nicht als „beeinträchtigt“, sondern als individuelle Persönlichkeiten, welche „anders“ sind als ich, zu sehen – denn „anders“ heisst nicht gleich schlecht! Was ist schon „normal“?
Es ist mir wichtig zu erwähnen, dass bislang wohl noch keine allgemeingültige Definition für den Begriff des „Normalen“ zu finden ist. Ist „normal“ auch „gesund“?
Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und originellen Verhaltensweisen fallen ihren „normalen“ Mitmenschen auf durch gewisse Merkmale und Andersartigkeiten im Aussehen oder in ihrem Verhalten. Durch diese Auffälligkeiten werden sie, so denke ich, oft kritischer beäugt von ihrer Umwelt, wodurch das von der Norm abweichendes Verhalten schneller auffällt. Ich möchte an dieser Stelle einen eigenen Gedanken und ein Beispiel speziell auch in Bezug auf Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung einbringen, welcher sich schon oftmals bei mir aufgedrängt hat:
An einem Konzert mit irischer Volksmusik, welche eigentlich zum Tanzen animiert, stehen lange Stuhlreihen. Eine halbe Stunde nach Konzertbeginn kann ich in einer der hinteren Reihen kaum mehr still sitzen und würde mich am liebsten bewegen, was ich allerdings nicht tue – es gehört sich schliesslich nicht. Was würden die Anderen von mir denken? Die unruhige Stimmung im Saal lässt mich erahnen, dass ich nicht die einzige mit Bewegungsdrang bin. Einige Minuten später springt in der vordersten Reihe eine junge Frau mit Down-Syndrom auf, jauchzt laut und fängt voller Freude auf dem kleinen Platz vor ihrem Stuhl an zu tanzen. Ich bewundere diese Frau – sie tut, wonach ihr der Sinn gerade ist, ohne sich darum zu kümmern, was die gesellschaftlichen Normen und Werte der anderen Konzertbesucher sagen. Doch obwohl jetzt jemand den Anfang dazu gemacht hat, stehen weder ich noch andere Konzertbesucher auf und tun es der jungen Frau gleich. Ich frage mich einerseits, ob dies damit zu tun hat, dass man dieser Frau die Beeinträchtigung ansieht und ihr Verhalten deshalb als noch „auffälliger“ bewertet, und andererseits überlege ich, ob wir „Normalen“ durch unsere oftmals viel zu verbissenen Wertvorstellungen und Regeln vielleicht tatsächlich sogar weniger gesund leben als Menschen mit einer kognitiven Entwicklungsbeeinträchtigung - weil wir uns durch diese enormen Strukturen, Erwartungshaltungen und Regeln viel zu sehr einschränken und uns dadurch davon abhalten lassen, unser Leben zu leben…
Im sozialpädagogischen Kontext verstehe ich eine Krise als eine schwierige Situation, in welcher die betroffene Person vorübergehend kein Gleichgewicht zwischen ihrer inneren, seelischen Welt und der äusseren Welt (Umwelt) aufrechterhalten oder herstellen kann. Das Fehlen oder Versagen geeigneter Bewältigungsstrategien in Verknüpfung mit der individuellen Persönlichkeit und Problemlage der oder des Betroffenen löst eine Art „innerer Notstand“, eine momentane Hilflosigkeit aus. Es kann zu verschiedenen situations- abhängigen Krisenformen führen (beispielsweise depressives oder aggressives Verhalten, Rückzug, soziale Konflikte mit eventueller anschliessender Eskalation, körperliche Schwäche, etc.).
Für meine sozialpädagogische Arbeit erachte ich es als sehr wichtig, bei einer Krise einer Klientin/eines Klienten stets zu versuchen, deren/dessen Sichtweise einzunehmen. Wie nimmt sie/er die aktuelle Situation wahr? Welche sozialen Ressourcen stehen zur Verfügung? Wurden diese genutzt? In welchem Zusammenhang steht die kognitive Entwicklung der Klientin/des Klienten in Bezug auf (eventuell begrenzte) Möglichkeiten zur Stressbewältigung?
Wie Theunissen in seinem Buch schreibt, sollten wir uns immer vergegenwärtigen, dass eine Krise stets in einem „sozialen Feld“ eingebettet ist. (vgl. Theunissen, 2006, S.208)
Dies ist gerade für meine Arbeit mit einer verhaltensoriginellen und kognitiv beeinträchtigten Klientel von grosser Bedeutung, da nebst den individuellen Faktoren ebenfalls die Institutionalisierung mit ihren einhergehenden Strukturen und Normen teils erheblich als Krisenfaktoren verantwortlich gemacht werden kann.
Diese Haltung lässt sich mit der Systemtheorie verknüpfen, welche auf eine Störung im grösseren sozialen System (bspw. Wohngruppe) oder Kontext hinweisen...