Die IK wird als überfachliche Kompetenz verstanden, da sie nicht direkt oder konkret als Inhalt einer Ausbildung oder in Berufen gefordert wird, sie ist also keine eigenständige Handlungskompetenz (vgl. Erll & Gymnich, 2013, S.7; Bolten, 2007, S.86). Der Deutsche Kulturrat (2007) stellt fest, dass Interkulturelle Kompetenz als Ziel der Allgemeinbildung gesehen werden muss und betrachtet es als wesentlich, „von einer Defizit- zu einer Potentialperspektive zu kommen“ (S.1). Es bedarf einer Art Nachhilfe, da die IK nicht zum Standard gesellschaftlicher Sozialisation beziehungsweise Enkulturation gehört (vgl. Vidal, 2003, S.214). Thomas (2005a) konstatiert, dass ein gewisses Maß an Interkultureller Handlungskompetenz in Unternehmen mittlerweile auch schon erwartet wird (vgl. S.7). Für ihn zeichnet sich IK folgendermaßen aus:
„Interkulturelle Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, die kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung, des Urteilens, des Empfindens und des Handelns bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen“ (Thomas, 2003, S.143f).
Er führt weiter aus, dass „eine von Verständnis und gegenseitiger Wertschätzung getragene Kommunikation und Kooperation“ (ebd.) möglich wird durch die Verschränkung von Kontextbedingungen und Persönlichkeitsmerkmalen.
Auch aufgrund des Umfangs wird in dieser Arbeit Thomas´ Definitionsansatz aber nicht weiter ausgeführt, da er nach Allolio-Näcke, Kalscheuer und Shimada (2003) die „real existierende (intra)kulturelle Vielfalt“ (S.152) einfach ausblendet, sein lerntheoretisches Konzept sich nur auf monokulturell(e) Aufgewachsene beziehungsweise Sozialisation bezieht (vgl. Herzog, 2003, S.180; Liang, 2003, S.188) und schon sein „Kulturbegriff einen stereotypen Charakter hat“ (Herzog, 2003, S.179).
Bolten (2007) sieht die Interkulturelle Kompetenz als Prozess (vgl. S.6): eine „Fähigkeit, individuelle, soziale, fachliche und strategische Teilkompetenzen in ihrer bestmöglichen Verknüpfung auf interkulturelle Handlungskontexte beziehen zu können“ (S.87). Dabei nimmt er Bezug auf die Bereiche der beruflichen
Bildung, der deutschsprachigen Psychologie und Soziologie (vgl. Bolten, 2002, o.A.) und stellt sie als Strukturmodell dar.
Abb. 2: Interkulturelle Kompetenz als Bezugsdimension zu Komponenten der gesamten Handlungskompetenz nach Bolten (2002)
Quelle: eigene Darstellung
Straub, Nothnagel & Weidemann (2010) äußern, dass es sich bei der IK prinzi-piell um ein sehr komplexes theoretisches Konstrukt handele, das nicht eindeutig oder leicht zu definieren sei (vgl. S.16). Es setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, „die jeweils ziemlich komplexe [...] Merkmale, Eigenschaften, Wissensbestände oder Fähigkeiten und Fertigkeiten – einer Person bezeichnen“ (S.17) und deren Handeln leiten können. Winter (2003) unterstreicht ebenfalls die Komplexität des Konzepts und äußert die Erschwernis, IK überhaupt operationalisieren oder messbar machen zu können (vgl. S.218; vgl. dazu auch Wehrhöfer, 2006, S.30f). Hinzu kommt, dass es „kaum ein Instrument zur Diagnose“ (Hesse, 2008, S.47) gibt. Scheitza (2009) stellt zwar die Entwicklung einiger diagnostischer Instrumente der IK vor, äußert aber auch, dass sich keine wissenschaftliche Basis finden lässt und stellt zusätzlich in Frage, dass sich wirklich ein Entwicklungs-verlauf widerspiegeln lässt (vgl. S.105ff).
Unterschiedliche Fachrichtungen haben eine ganze Anzahl von Modellen zur
Beschreibung und Entwicklung Interkultureller Kompetenz hervorgebracht, die zum besseren Verständnis die wesentlichen Aspekte ordnen, systematisch erläutern und weiter ergänzen (vgl. Straub et al., 2010, S.18). Gleichwohl, darauf weisen Straub et al. (2010) hin, bleiben viele Fragen offen; es gibt kein perfektes
Modell (vgl. S.22). Auch machen sie deutlich,
„dass niemand das perfektionistische Ideal des interkulturell kompetenten Menschen erreicht haben muss, um bereichernde Begegnungen und befriedigende Beziehungen mit Menschen dieser oder jener kulturellen Herkunft erleben zu können“ (ebd.).
Wohl geht Straub (2010) aber so weit, dass die IK nicht als unverbindlicher Wert angesehen werden soll, sondern „gegenwärtig ein gängiger Imperativ“ (S.33) sei, mit einer verbindlichen Norm, „die das Handeln und die durch Lernen beförderte Entwicklung von so vielen Menschen wie möglich bestimmen sollte“ (ebd.).
Barmeyer (2010) schließlich definiert die interkulturelle Kompetenz als „Fähigkeit einer Person, Werte, Wissen, Denkweisen, Kommunikationsregeln und Verhaltensmuster“ (S.86) von Kulturen zu verstehen und zu reflektieren. Durch eine transparente Kommunikation kommt es zu einer kultursensiblen, konstruktiven und wirkungsvollen Interaktion. Das Bewusstsein um unterschiedliche Sichtweisen und Standpunkte kann durch einen Perspektivwechsel zu einer „komplementären Synthese“ (ebd.) integriert werden. Ferner unterscheidet er eine allgemein-kulturelle IK, die eine Verbesserung der Kommunikation beliebiger Kulturen anstrebt, von einer kulturspezifischen, bei der es gezielt um das Wissen sowie
Werte und Normen einer bestimmten Zielkultur geht. Er betont, dass aber kein Fachwissen und keine noch so gute Sprachkenntnis das Defizit einer IK kompensieren, so wie auch eine IK weder eine Fachkompetenz noch Sprachkenntnisse ersetzen kann (ebd.; vgl. dazu auch Sugitani, 2003, S.211). So ist es bedeutend, genauere Eigenschaften der IK für diese Arbeit zu definieren.
Erll et al. (2013) definieren drei Teilkompetenzen der IK, „die [...] – im Erwerb wie auch in der Anwendung in konkreten Interaktionen – in enger Wechselwirkung miteinander stehen und die auch in sich wieder komplex sind“ (S.11). Diese
dynamisch wirkenden Teilkompetenzen gliedern sie auf in kognitive, affektive und pragmatisch-kommunikative Kompetenz (vgl. ebd.).
Abb. 3: Teilkompetenzen der IK (nach Erll et al., 2013)
Quelle: eigene Darstellung
Hier steht die emotionale Einstellung gegenüber der Eigen- und Fremdkultur (Empathie, Self-Awareness, Cultural Awareness) beziehungsweise kulturelle Sensibilität im Vordergrund (vgl. Barmeyer, 2010, S.86f). Das Interesse und die Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen sind erforderlich, um eine effektive und erfolgreiche Kommunikation zu gewährleisten. Empathie unterstützt hierbei den nötigen Perspektivwechsel, das heißt die Sichtweise des Anderen als gleichberechtigt anzusehen und „mit in die eigenen Überlegungen und das eigene Kommunikationsverhalten einzubeziehen“ (Nünning & Zierold, 2008, S.102). Sie betrifft alle Dimensionen des Erlebens und ist sozial erworben (vgl. Kumbruck & Derboven, 2009, S.30). Wichtig ist auch, sich mit Widersprüchen und kulturbedingten Wert- und Normsystemen auseinanderzusetzen, um zweideutige un-sichere Situationen bewältigen zu können, bezeichnet als Ambiguitätstoleranz (vgl. Erll et al., 2013, S.12f).
Bolten (2006) listet einige Charakteristika zu dieser handlungsorientierten Dimension auf, verweist aber darauf, dass sie nur einer Orientierung dienen können und sie nicht unbedingt nur für ein rein spezifisch interkulturelles Handeln gelten (o.A.; vgl. dazu auch Barmeyer, 2010, S.87):
Frustrationstoleranz
Fähigkeit zur Stressbewältigung und Komplexitätsreduktion
Selbstvertrauen
Flexibilität
Rollendistanz
Vorurteilsfreiheit, Offenheit, Toleranz
Geringer Ethnozentrismus (die eigene Kultur ist sonst Maßstab schlechthin)
Interkulturelle Lernbereitschaft (ebd., o.A.).
Bolten (2006) konstatiert, dass im Vergleich zu früheren Konzepten bei dieser Dimension „eine einseitige Gewichtung fremdkulturellen Wissens abgelöst worden (ist; Anm. des Autors) durch ein gleichwertiges Verhältnis des Wissens um eigen-, fremd- und interkulturelle Prozesse“ (ebd., o.A.). Hier geht es sowohl um grundlegendes kulturallgemeines als auch kulturspezifisches Wissen, ergänzt durch Kenntnisse über Kommunikationsstile oder kulturelle Praktiken (Barmeyer, 2010, S.87f). Erll et al. (2013) betonen die hier nötige Selbstreflexivität (ebd., S.12; siehe dazu Kapitel 6.2.5).
Erll et al. (2013) ordnen dieser Kompetenz schwerpunktmäßig Kennnisse über Kommunikation, „kommunikative geeignete Muster“ (S.14) und Sprache zu. Bolten (2006) führt neben der Kommunikationsfähigkeit auch die -bereitschaft und
den -willen sowie die soziale Kompetenz, Vertrauen und eine Beziehung aufzubauen, an (ebd., o.A.). Metakommunikation, flexibles...