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Kulturen (er-)leben: Handlungsorientierte Ansätze aus der interkulturellen Jugendarbeit

AutorStephan Stumpner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl67 Seiten
ISBN9783656335573
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Pädagogik - Schulwesen, Bildungs- u. Schulpolitik, Note: 1,0, Freie Universität Berlin, Veranstaltung: Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie, Sprache: Deutsch, Abstract: Gibt man den Themenblock 'Entwicklung interkultureller Kompetenz' in die Internet-Suchmaschine Google ein, so erscheinen ca. 554000 gefundene Seiten. Dieses Ergebnis spiegelt die mannigfachen Ansätze und Zugangsweisen zum praxisorientierten Trainingskonzept interkulturellen Lernens wider. Nicht nur im Internet, sondern auch in unzähligen Mappen und Büchern finden engagierte Pädagogen und Pädagoginnen eine Vielzahl von Übungen zur Förderung interkultureller Kompetenzen und Kommunikation. Interkulturelle Kompetenz firmiert immer mehr als übergeordnete Bezeichnung, bei der auch technologisch-instrumentelle Sichtweisen zum Ausdruck kommen. Dabei werden Mängel im Handlungsvermögen festgestellt, um sie danach mithilfe von geeigneten Methoden wieder zu beheben. Die Macht des Wissens und die rezeptartige Verschrei-bung von Übungen dienen dabei der Entwicklung interkultureller Kompetenzen. Überall, wo das 'Fremde' auftaucht, sind spezielle Handlungsfähigkeiten gefordert. Interkulturelle Kompetenz ist jedoch nicht nur im Umgang mit 'Fremden' erforderlich, da sie auch kulturübergreifende Bedeutung besitzt. Wichtig erscheinen mir daher zentrale Fähigkeiten wie zum Beispiel Selbstreflexion, damit interkulturelle Kompetenz nicht durch ein verkürztes und einseitiges Kulturverständnis zur 'Kulturalisierungsfalle' (Kalpaka 2006, S.387) wird. Auch die Beschränkung interkultureller Bildungsangebote auf die Mehrheitsgesellschaft (Mecheril 2008, S.16-19) zeigt uns einen Handlungsbedarf in der interkulturellen Praxis auf. Qualitätskriterien zur Einschätzung interkultureller Bildungsangebote sind nur selten zu finden, dennoch bedienen sich die meisten Angebote der gleichen Methoden - nämlich der handlungsorientierten Methoden. Doch eignen sich diese handlungsorientierten Methoden überhaupt, um Selbstreflexivität zu entwickeln? Wer sind die Adressaten dieses Bildungsangebotes, nur die der Mehrheitsgesellschaft? Welches Menschenbild wird mit Handlungsorientierung vertreten? Wie geht dieses Lernarrangement mit der Unmöglichkeit der Technologisierung pädagogischen Handelns um? Ähnliche Fragen stellt sich auch Mecheril (2008) in seinem Aufsatz zur 'Kompetenztlosigkeitskompetenz', in dem er Kritik an praxisorientierten Konzepten zum Aufbau interkultureller Kompetenzen ausspricht. Auch Auernheimer (2008, S.118-119) spricht von einer Notwendigkeit zur Präzisierung der Praxis, wobei er zur Untersuchung vorhandener Arbeitsbereiche und Lernformate aufruft.

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Leseprobe

3. Handlungsorientierte Ansätze in schulischen Kontexten

 

Ähnlich wie beim Trainingskonzept des interkulturellen Lernens verhält es sich mit dem Ansatz des handlungsorientierten Lernens. Der handlungsorientierte Ansatz wurde nicht in seiner Entstehungsgeschichte von theoretisch versierten Wissenschaftlern entwickelt und dann in den Schulen implementiert, sondern entstand in den letzten 30 Jahren „an der ‚Basis’, als Impuls von unten, eher im Ausprobieren denn als Anwendung theoretischer Vorgaben“ (Gudjons 2008, S.7). Daher ist es nachvollziehbar, wenn der Begriff „handlungsorientiertes Lernen“ zunächst als eine Art Sammelname für unterschiedliche methodische Praktiken verwendet wurde und wird. Das folgende Kapitel dient dazu, bestehende „Unschärfen“ an den Rändern des Methodenkomplexes auszumachen, um sie anschließend zu konkretisieren. Die dabei erhaltenen Erkenntnisse werden mit denen des interkulturellen Lernens in Punkt 5 in Verbindung gebracht.

 

3.1. Einführung in handlungsorientierte Methoden –

Menschenbild und theoretische Begründung

 

Zunächst einmal bedarf es einer Definition von Handlungsorientierung (Zuffellato und Kreszmeier 2007, S.60):

 

„Learning bydoing, learning on thejob, und andere Slogans beschreiben den Ansatz der Handlungsorientierung, wie ihn auch die Erlebnispädagogik als ganzheitliche Lern- und Lehrmethodik kennt. Pädagogisch wertvolle Erlebnisse sprechen Kopf, Herz und Hand an, wirken auf den Ebenen der Seele, der Psyche und des Körpers. Handlung führt dabei zur Konkretisierung und fördert die Eingebundenheit der Teilnehmenden in den Lernprozess. In der Handlung bekommen Menschen die Möglichkeit, ganz verschiedene Ressourcen und (Lern-) Fähigkeiten zu entdecken, zu zeigen und zu nutzen, alternative Wege zu gehen und Möglichkeiten auszuprobieren, um so den Handlungsspielraum Schritt für Schritt zu vergrößern.“

 

Diese angeführte Definition von Handlungsorientierung impliziert die Annahme, dass z.B. Informationsaufnahme, Begriffsbildung, Einsichts- und Einstellungsentwicklung im Zusammenhang mit Handlungserfahrungen dem Lernen angemessener seien. Um herauszufinden, welche Theoriegrundlage diese Annahme hat, interessiert nicht nur, was man unter Handeln eigentlich versteht, sondern auch die Begründung des holistischen Grundansatzes der Handlungsorientierung, wodurch die vielen unterschiedlichen Perspektiven, Forschungszweige, Ansätze und Theorien aufgezeigt werden (Gudjons 2008, S.49-40).Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Begriffe wie beispielsweise „Erlebnispädagogik“, „handlungsorientiertes Lernen“, „Outdoor-Aktivitäten“ und „Erfahrungslernen“ oft als Synonyme verwendet werden, was einer genaueren Durchleuchtung der Begriffe bedarf. Die „Anwender“ solcher Lernarrangements sind somit gefordert, ihre eigenen Ansätze bezüglich Menschenbild und Interventionstechniken genau zu reflektieren.

 

Laut Gudjons (2008, S.40) zeigt sich in der Analyse des Begründungsniveaus handlungsorientierter Methoden auf unterschiedlichen Ebenen ein Theoriedefizit. Hilfreich erscheint mir daher die folgende Unterscheidung möglicher Ebenen von Begründungstheorien nach Gudjons (2008, S.40-42):

 

1. Erste Ebene: Handlungsorientierte Metatheorien

 

Die Theorien auf dieser Ebene reichen von erkenntnistheoretischen über philosophische bis zu anthropologischen Konzepten. Untersucht man die praxisorientierten Konzepte auf Bezüge zu dieser Theorieebene, so stellt sich heraus, dass in den Grundannahmen über den Menschen und die Gesellschaft von einem (lern-) aktiven und vernunftfähigen Individuum ausgegangen werden kann, welches sich auch kritisch mit sich selbst und der Gesellschaft auseinandersetzt. Dadurch lassen sich auch Verbindungen zur wissenschaftstheoretischen Grundposition der „Kritischen Theorie der Gesellschaft“ und damit auch zum „Dialektischen Materialismus“ herstellen (Gudjons 2008, S.40).

 

Sowohl die westlichen Kognitions- und Handlungstheorien als auch die materialistische Tätigkeitstheorie gelten als Hintergrundtheorien von handlungsorientiertem Lehren und Lernen, die sich jedoch durch ihre Entwicklungen in ihren Grundannahmen nicht mehr wesentlich unterscheiden (Gudjons 2008, S.40). Wird also menschliches Tun als „Handlung“ verstanden, „dann wird auf der Basis eines dialektischen Person-Umwelt-Modells nicht mehr nur das ‚Verhalten’ (als eher re-aktiv, passiv, sich anpassend) des Menschen erklärt, sondern die gesamte Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt, sein aufgrund von Zielvorstellungen geordnetes und reguliertes Tun, seine kognitiven Leistungen, letztlich also menschliche Subjektivität kommen in den Blick“ (Gudjons 2008, S.40). Hierbei zeigen sich die umfassenden Perspektiven der Handlungsorientierung, wodurch es kein einheitliches Theoriekonzept gibt, das eine geschlossene Grundlage für handlungsorientiertes Lehren und Lernen bilden kann (Gudjons 2008, S.40).

 

2. Zweite Ebene: Handlungsorientierte Theorien des Denkens, Lernens und der Entwicklung

 

Auch wenn es auf der Ebene der Metatheorien keine einzig gültige Theorie gibt, so liefern aus der Arbeitspsychologie stammende moderne Handlungstheorien (z.B. Nitsch 1986), die Entwicklungspsychologie (z.B. Piaget), die kognitiv orientierte Handlungstheorie, Arbeiten zur Wissensaneignung und Wissenskonstruktion, zur neurophysiologischen Gehirnforschung, zum Konstruktivismus oder zur Motivationspsychologie eine Fülle von Argumenten für eine evidente Begründung handlungsorientierten Lehrens und Lernens (Gudjons 2008, S.41).

 

Die „Initiative Outdoor-Aktivitäten“[19] (2008a, S.30) der Universität Wien spricht in diesem Zusammenhang von einer Bereicherung für die Einsatzmöglichkeiten von handlungsorientierten Ansätzen, die durch die Ganzheitlichkeit dieses Ansatzes zum Ausdruck gebracht wird. So nennt die „Initiative Outdoor-Aktivitäten“ exemplarisch auch folgende theoretische „Wurzeln“ des handlungsorientierten Konzeptes: Reformpädagogik (z.B. Hahn 1958), sozialisationstheoretische Ansätze (z.B. Hurrelmann 1983, Bourdieu 1987), psychologische und psychotherapeutische Theorien (z.B. Bandura 1969), handlungstheoretische Grundannahmen und systemisch-konstruktivistische Grundannahmen (z.B. Maturana 1982) (Initiative Outdoor-Aktivitäten 2008a, S.29-31).

 

Bei diesen angeführten „Wurzeln“ und Begründungen handelt es sich jedoch nicht um eine konsistente Theorie, was sich besonders auf der folgenden Theorieebene zeigt.

 

3. Dritte Ebene: Schulpädagogisch-didaktische Theorien

 

Hierbei ist eine aktuelle Diskussion um „Sinn und Funktion der Schule“ (Gudjons 2008, S.41) anzuführen, die zeigt, dass die zentrale Aufgabe der Schule kontrovers diskutiert wird. Hierbei wird einerseits die Schule als eine Lebensweltorientierung (Schule als Erfahrungsraum) gesehen, andererseits als eine systematische Unterrichtsorientierung (Schule als methodisch organisierte Kulturvermittlung), was den Stellenwert der Handlungsorientierung fraglich macht (Gudjons 2008, S.41). Durch die Analyse der veränderten Bedingungen der Sozialisation und der damit verbundenen wandelnden Kulturaneignung von Jugendlichen, was sich auch in der österreichischen Schule der kulturellen und sozialen Vielfalt zeigt (siehe Punkt 2.1), werden Argumente für eine Veränderung der Unterrichtskultur evident. Aktiv-aneignende, kooperative, selbstbestimmte und zielorientierte Formen des Lernens sind daher notwendiger geworden, um den wachsenden Ansprüchen an die Schule gerecht werden zu können. Darin scheint in der didaktischen Diskussion auch Einigkeit zu bestehen, „aber die weit verbreitete Literatur zum handlungsorientierten Unterricht hat gleichwohl eher noch den Charakter einer auf Programmformeln gerichteten unterrichtspraktischen Animation, – ohne bildungstheoretisch oder curricular stringente und konsistente Theorie“ (Gudjons 2008, S.41). Dieser Umstand erinnert mich ein wenig an den Handlungsbedarf der interkulturellen Praxis (den ich in Punkt 2 näher ausgeführt habe), die sich dem Vorwurf der rezeptartigen Verschreibung von Übungen stellen muss.

 

Die Suche nach weiteren Begründungsargumenten für handlungsorientiertes Lehren und Lernen ist also notwendig, weshalb sie auch in gebotener Kürze in folgenden Punkten fortgesetzt wird.

 

3.2. Handlungstheoretische Grundlagen

 

Für den Konstruktivisten Maturana (1998, S.324) sind Handlungen nicht nur „ die äußeren Operationen unserer Körper“, sondern alles, „was wir in irgendeinem operationalen Bereich tun, alles, was wir in unserem Diskurs hervorbringen, so abstrakt es auch seinen mag.“

 

Im anthropologischen Sinne „handelt“, wer nicht nur reagiert, sondern von sich aus etwas tut oder unterlässt (Initiative Outdoor-Aktivitäten 2008a, S.2). Handeln ist eine Wesenheit des Menschen, die uns die Fähigkeit zur Selbstreflexion und natürlich die Sprache ermöglicht hat (Eckensberger 2003, S.335).

 

Dadurch erklärt sich, dass Handeln ein ziele- und wertebasiertes Verhalten ist, dass der Reflexion zugänglich ist. Das ermöglicht Fragen wie:

 

Warum mache ich etwas?

 

Wie mache ich etwas?

 

Wozu mache ich das?

...
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