Die Literatur liefert keine einheitliche Beschreibung des Begriffs Kundenbindung.[9] Es lassen sich jedoch unterschiedliche Ansatzpunkte in der Literatur feststellen, aus denen verschiedene Definitionen abgeleitet werden.
In einer sehr weit gefassten Definition heißt es, dass unter Kundenbindung der Aufbau und die Erhaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen Anbietern und Abnehmern durch geplante Transaktionen der Anbieter bzw. Abnehmer zu verstehen ist.[10] In dieser weit gefassten Definition lassen sich drei Sichtweisen der Kundenbindung erkennen, aus denen in der Literatur unterschiedliche Definitionen hergeleitet werden.[11] Je nach Blickwinkel werden Definitionen aus der Perspektive der Anbieter, der Nachfrager und der Geschäftsbeziehungen hergeleitet.[12]
Nach Auffassung von Bruhn und Homburg umfasst der Begriff der Kundenbindung „(...) sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, sowohl die Verhaltensabsichten als auch das tatsächliche Verhalten eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden für die Zukunft zu stabilisieren bzw. auszuweiten."[13] Der Aufbau der Beziehung mit Hilfe von gezielten Marketingmaßnahmen soll dabei zu „(...) einem wiederholten Erwerb von Leistungen (...)"[14] bewegen und einen Wechsel zu Mitbewerbern verhindern.[15] Kundenbindung wird als Prozess betrachtet, welcher aktiv gestaltet werden kann.[16] Diese Definition der Kundenbindung erfolgt aus Anbietersicht, da sie die Maßnahmen eines unternehmens die darauf abzielen, die Kundenbeziehung zu festigen, in den Fokus der Betrachtung stellt. Sie wird auch als praxisorientierte Definition bezeichnet,[17] welche sich durch einen instrumentellen Charakter auszeichnet,[18] da sie alle anbieterseitigen Aktivitäten berücksichtigt.[19] Alle Maßnahmen zur Erreichung der Kundenbindung können durch die unternehmen selbst analysiert, geplant, durchgeführt und kontrolliert werden.
Eine kundenbezogene Definition des Begriffs Kundenbindung findet sich bei Faßnacht und Homburg wieder. Hiernach ist Kundenbindung als Konstrukt zweier Verhaltensdimensionen zu verstehen. Diese Dimensionen sind beschrieben als "Bisheriges Verhalten' und "Verhaltensabsichten'. Charakterisiert wird die Dimension "Bisheriges Verhalten' durch die Faktoren Wiederverkauf und Weiterempfehlung, die Dimension "Verhaltensabsicht' durch die Faktoren Wiederkaufsabsicht, Zusatzkaufabsicht und Weiterempfehlungsabsicht. Die beiden Dimensionen ermöglichen somit eine Rückschau auf das bisherige Verhalten und eine Vorschau auf zukünftige Verhaltensabsichten.[20] Die Geschäftsbeziehungen werden durch die Einstellungen der Kunden beeinflusst.[21] Daher wird Kundenbindung auch als psychisches Konstrukt nach Verpflichtung und Verbundenheit von Kunden zu Unternehmen bezeichnet. Die Bindung ist ein Prozess, der durch eine Vielzahl von Variablen beeinflusst wird. Zu diesen Variablen zählen u. a. Zufriedenheit, Motivation, und Emotionen.[22] Kundenbindung ist ein komplexes inneres Gebilde aus gedanklichen Prozessen, Gefühlen und Wertvorstellungen. Die kundenbezogene Ausrichtung der Definition zeigt demnach die Bereitschaft zu Folgetransaktionen eines Kunden mit einem Anbieter. In ihr stehen das bisherige Verhalten und das zukünftig zu erwartende Verhalten im Vordergrund.[23] Die Abbildung I stellt den Sachverhalt der kundenbezogenen Sichtweise graphisch dar.
Abbildung I: Konzeptualisierung des Konstrukts Kundenbindung
Quelle: Homburg, C./Faßnacht, M. (2001), S. 451, unveränderte Übernahme.
Orientiert sich die Erklärung des Begriffs Kundenbindung stärker an der Geschäftsbeziehung, lässt sich Kundenbindung über das tatsächliche Kaufverhalten definieren. Im Brennpunkt der Betrachtung stehen die Geschäftsbeziehungen zwischen den Kunden und den Anbietern. Geschäftsbeziehungen sind mehrere Transaktionen (z. B. Käufe), welche bewusst durch den Kunden und den Verkäufer/Anbieter durchgeführt werden. Beide Parteien suchen eine nicht zufällige und langfristige Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung.[24] Der Grad der Kundenbindung kann leicht ermittelt werden, da die bereits durchgeführten Transaktionen und Geschäfte als Anzeiger herangezogen werden können.[25] Zu den durchgeführten Transaktionen zählen u. a. die tatsächlich durchgeführten Weiterempfehlungen, die Anzahl der Kundenkontakte und die Anzahl abgeschlossener Verträge.[26] Zusammenfassend werden diese Transaktionen als overtes (offenkundiges) Verhalten beschrieben.[27] Die geschäftsbeziehungsorientierte Sichtweise ist eine statische Perspektive, dieKundenbindung nicht als Prozess, sondern als Zustand betrachtet.[28] Sie lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Beweggründe der Kundenbindung oder auf das zukünftige Verhalten der Kunden zu. Es ist eine vergangenheitsorientierte Sichtweise ohne Zukunftsbezug. Für langfristige Geschäftsbeziehungen liefert sie keinerlei Aussagen. In der Literatur wird sie häufig mit der kundenbezogenen Sichtweise - wie bei Homburg und Faßnacht - verknüpft.[29]
Eine weitere kundenbezogene Definition speziell für die Kundenbindung bei Banken findet sich bei Richter-Mundani wieder. Kundenbindung gilt als übergeordnetes Konstrukt der Elemente Bankloyalität, Kundenilloyalität und Kundenindifferenz. Die Bindung des Kunden ist das Ergebnis aus unterschiedlichen Wechselbarrieren. Im Vordergrund steht die Frage, warum ein Kunde in der Rückschau ein Kunde war. Anders als bei Homburg und Faßnacht wird hier bewusst auf die Erfassung zukünftiger Handlungsabsichten verzichtet, da diese nicht operationalisiert und erfasst werden können. Richter-Mundani definiert Bankloyalität als freiwillige Aufrechterhaltung der Bankverbindung und Kundenilloyalität als erzwungene und unfreiwillige Aufrechterhaltung der Kundenbindung.[30] Den Aufbau der Kundenbindung nach Richter-Mundani stellt die Abbildung II dar:
Abbildung II: Bankkundenbindung nach Richter-Mundani
Quelle: Richter-Mundani, S. (1999), S. 11, unveränderte Übernahme.
Die Abbildung II macht deutlich, dass es hauptsächlich um die zentrale Frage der Ursachen der Kundenbindung geht. Positive Erfahrungen der Kunden mit einer Bank (als Ursache) führen zu der Bereitschaft, auch zukünftig und dauerhaft Leistungen von ein und derselben Bank nachzufragen.[31] Richter-Mundani geht davon aus, dass auch de facto und de jure gebundene Kunden bereits zu den potenziellen Wechslern gehören können, falls diese positiven Erfahrungen nicht vorliegen. Diese Kunden werden die Geschäftsbeziehung aufgeben, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Zentrale Aufgabe ist es, Verfahren zu entwickeln, um die potenziellen Wechsler zu identifizieren.[32] Das Konzept von Richter-Mundani weicht insofern von dem Konzept nach Homburg und Faßnacht ab, da es nicht das Verhalten der Kunden in den Vordergrund stellt, sondern die jeweilige Einstellung der Kunden. Die Aufteilung der Kundenbindung in Bankloyalität und Kundenilloyalität wird branchenunabhängig als „(...) [innerer] Bindungszustand der Verbundenheit und Gebundenheit (.,.)"[33]bezeichnet. Verbundenheit besteht, wenn die Bindung auf freiwilliger Natur basiert. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Kunde den Anbieter wertschätzt, mit der angebotenen Leistung zufrieden ist und somit als loyaler Kunde bezeichnet werden kann.[34] Ein Wechsel innerhalb der Verbundenheit ist jederzeit möglich, wird jedoch durch den hohen Zufriedenheitsfaktor und persönlicher Präferenzen ausbleiben.[35] Ist die Bindung auf unfreiwilliger Basis aufgebaut, liegt Gebundenheit vor.[36] Die Bindung beruht hierbei auf hohen Wechselkosten und nicht auf Loyalität.[37] Die kundenbezogenen Definition ist somit eine „(...) einstellungsbasierte Kundenbindung[38]
Die verschiedenen Perspektiven der Kundenbindungsdefinitionen sind im folgenden Schaubild zusammenfassend dargestellt:
Abbildung III: Systematisierung der Kundenbindungsdefinitionen
Quelle: eigene Darstellung (2010), in Anlehnung an Garnefeld, I. (2008), S. 42.
Ungeachtet aller unterschiedlicher Sichtweisen hat Kundenbindung immer das Ziel „(...) volatile Kunden in treue Stammkunden zu überführen."[39] Ein einheitlicher Zeitraum (innerhalb dessen sich Transaktionen wiederholen müssen) zur Charakterisierung der Kundenbindung kann nicht angegeben werden. Dieser hängt von mehreren Faktoren ab und ist abhängig von der Art der Leistungserbringung.[40]
Im weiteren Verlauf dieser Thesis wird Kundenbindung gemäß der Definition von Homburg und Bruhn aus Sicht der Anbieter verstanden. Dabei werden die Erkenntnisse der kundenbezogenen Sichtweisen (gemäß Richter-Mundani und Garnefeld) ebenfalls berücksichtigt. Die Ausrichtung auf die anbieterbezogene Definition ist notwendig, da in dieser Arbeit (Thesis) die Instrumente der Kundenbindung dargestellt werden, die aktiv den Prozess der Kundenbindung gestalten. Die Instrumente sollen so eingesetzt werden, dass sich kundenseitig positive innere Einstellungen gegenüber der...