In Literatur und Praxis wird heute eine Ausrichtung des unternehmerischen Handelns an wertvollen, also langlebigen und rentablen Kundenbeziehungen gefordert. Dementsprechend müssen die bereits vorhandenen Konzepte zur kundenorientierten Unternehmensführung um eine - sogenannte - Wertkomponente ergänzt werden,[34] was im folgenden skizziert werden soll.
Der Wertbegriff von Kundenbeziehungen[35] soll in der vorliegenden Arbeit aus Anbieterperspektive als der ökonomische Wert betrachtet werden, den ein Anbieter dem Objekt Kundenbeziehung zur Erreichung seiner monetären und nicht-monetären Ziele beimisst,[36] im folgenden als „Kundenwert“ bzw. „Ertragswert der Kundenbeziehung“ bezeichnet[37]. Dieses Begriffsverständnis impliziert demzufolge auch, dass eine Operationalisierung des Kundenwerts von den jeweiligen Unternehmenszielen abhängig ist,[38] und demnach unternehmensspezifisch erfolgen muss. Dieser Wert kann ebenso die kummulierten Wertbeiträge des gesamten Kundenstammes darstellen, den sogenannten „Kundenstammwert“ bzw. „Customer Equity“[39], der in jüngerer Zeit in Literatur und Praxis als zentraler Vermögenswert von Unternehmen („asset“) diskutiert wird.
Der Wert von Kundenbeziehungen basiert zudem auf dem Kundenwert aus Kundenperspektive - in der anglo-amerikanischen Literatur als „customer value“[40] vorzufinden - als dem Wert einer Anbieterleistung für den Kunden. Der „customer value“ wird in der vorliegenden Arbeit nicht näher erörtert, ist allerdings Vorraussetzung bzw. Werthebel für die Entstehung von Kundenwert aus Anbietersicht.[41] An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass der Begriff Kunde hier sowohl alle tatsächlichen Kunden eines Anbieters, als auch alle potenziellen Abnehmer umfasst. Der Customer Equity resultiert demnach aus einer Beurteilung der Qualität aktueller und potenzieller Kunden und dient als Steuerungsgröße für Art und Umfang der in die Kundenbeziehung geleisteten Investitionen.[42] Der Customer Equity operationalisiert somit den Shareholder Value Ansatz, da die Kundenbeziehungen i.d.R. die Quelle des unternehmerischen Erfolges darstellen.[43]
Der Wertbeitrag von Kundenbeziehungen wird gemessen an ihrem ökonomischen Wert über die gesamte Lebensdauer der Geschäftsbeziehung. Damit kann der ökonomische Wert eines Kunden bzw. die Kundenprofitabilität als Saldo aus den kundenbezogenen Nettoerlösen und den vom Kunden verursachten Kosten definiert werden.[44] Der Wertbeitrag kann demnach von zwei Seiten her - unternehmensextern von Kundenseite sowie unternehmensintern - entstehen. Der externe Wertbeitrag entsteht auf der Absatzseite (z.B. Umsatz), der unternehmensinterne beruht auf der Leistungserstellung (inkl. der vor- und nachgelagerten Funktionen wie z.B. Beschaffung, Logistik etc.) über kundenbezogene Kostenelemente bzw. über Kostenreduzierungen.[45] Dabei werden auch kundenlebenszyklusbezogene Kosten berücksichtigt, die u.a. bei der Kundenakquisition und –pflege anfallen.[46] Der Ertragswert der Kundenbeziehung beinhaltet demnach auch den Ressourceneinsatz des Unternehmens über den gesamten Kundenlebenszyklus.[47] Da sich die ökonomische Bedeutung eines Kunden für den Anbieter jedoch nicht auf den Ertrag, der aus der Kundenbeziehung heute oder in Zukunft generiert werden kann, beschränkt, sondern sich wesentlich komplexer gestaltet, werden in der Literatur neben quantitativen – wie umsatz- oder deckungsbeitragsbezogenen - Größen auch qualitative, außer- oder sogenannte vor-ökonomische Faktoren als Messkriterien für den Ertragswert der Kundenbeziehung herangezogen. So kann z.B die Kundenzufriedenheit und –loyalität als Messgröße für die Wertigkeit und Stabilität der Beziehung herangezogen werden.[48] Gemäß der investitionstheoretischen Sichtweise „ergibt sich der Kundenwert einerseits aus der Höhe und der Anzahl der mit dem Kunden getätigten Transaktionen und andererseits durch die jeweilige Dauer der Kundenbeziehung“[49]. Diese Betrachtungsweise vernachlässigt jedoch die nicht direkt aus dem traditionellen Rechnungswesen ableitbaren Kundenkriterien, was der Forderung nach einer möglichst realitätsgenauen Abbildung des Kundenwerts entspricht.
Der Wertbegriff soll hier in Anlehnung an die traditionelle Betriebswirtschaftslehre eng gefasst werden, sich also lediglich auf quantitative, monetäre Wertgrößen beziehen. Deshalb wird im folgenden dem Begriff des Kundenwerts die Definition von Cornelsen zugrundegelegt: „Der Kundenwert ist ein kundenindividueller Wert, der die ökonomische Gesamtbedeutung eines aktuellen oder potenziellen Kunden, d.h. dessen direkten und indirekten Beitrag zur Zielerreichung der Anbieterunternehmung, ausdrückt.“[50] Qualitative Wertfacetten werden als ökonomische Vorsteuergrößen aufgefasst, die über ein zu modellierendes Kausalmodell in monetäre Größen übergeführt werden,[51] wodurch letztendlich eine Ökonomisierung und Quantifizierung einer Vielzahl „weicher“ Faktoren möglich wird (vgl. Abbildung 2).
Abb. 2: Kriterien zur Kundenwertmessung
Dieser Aspekt der Monetarisierung von qualitativen Größen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und wird daher nur ansatzweise weiterverfolgt. Folglich ist der Wert eines Kunden keine objektive Größe, sondern abhängig von der Beziehung zwischen Anbieter und Kunden und stellt somit eine Größe dar, die nur unternehmensspezifisch analysiert werden kann. Anders ausgedrückt hat der gleiche Kunde für verschiedene Anbieter einen unterschiedlichen Wert. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass nicht der Kunde an sich, sondern die Art der Geschäftsbeziehung zum Kunden das zentrale Untersuchungsobjekt darstellt, denn nur der Interaktionsprozess mit dem Kunden ist letztendlich wertbegründend.[52] Diese Erkenntnis wird nachvollziehbar, wenn die Haupteinflussgrößen des Kundenwerts (Werttreiber) analysiert werden. Grundsätzlich wird der Kundenwert durch verschiedene Faktoren bestimmt. Basierend auf Erfahrungen aus der Praxis kann wahrscheinlich den nachfolgend beschriebenen Bestimmungsfaktoren noch eine Reihe mehr oder minder große Zahl kundenwert-relevanter Größen hinzugefügt werden.
Da die situativen Bedingungen einzelner Unternehmen stark variieren und der Fokus der vorliegenden Arbeit auf quantitative, monetären Wertgrößen liegt, ist eine wirklich erschöpfende Aufzählung der Bestimmungsfaktoren hier weder möglich noch sinnvoll. Obgleich dieser Einschränkung ist anzumerken, dass der Anbieter in der überwiegenden Zahl der Fälle mehr als nur ein Kriterium zur Ermittlung des Kundenwerts heranzieht. Die simultane Verwendung mehrerer Kriterien ist also eine notwendige Bedingung, um zu einer realitätsgetreuen, entscheidungsrelevanten Abbildung des Kundenwerts zu gelangen.
Die Integration von eher qualitativ orientierten Wertgrößen in ganzheitliche Kundenwertmodelle kann eine isolierte Betrachtung einzelner Bestimmungsfaktoren überwinden helfen und der Forderung nach einer möglichst realitätsnahen Einschätzung des Ertragswerts der Kundenbeziehung gerecht werden, wobei sich hier die Entwicklung von unternehmensspezifischen Kundenwertmodellen empfiehlt. Die weiteren Ausführungen dieser Arbeit basieren im wesentlichen auf der branchenübergreifenden Eignung zur Ermittlung des Ertragswerts der Kunden-beziehung.
In Anbetracht auftretender Sättigungstendenzen zahlreicher Märkte wird die Entwicklung bisher unberücksichtigter Absatzmärkte und die Gewinnung neuer Kunden zunehmend schwieriger und somit auch teurer.[53] Untersuchungen sprechen von fünf- bis achtfach höheren Kosten für die Akquisition eines neuen Kunden gegenüber den Kosten, die zur Bindung eines bestehenden Kunden notwendig sind.[54] Damit verschiebt sich der Fokus der marktorientierten Unternehmensführung von der Kundengewinnung zur Kundenbindung.[55]
Damit ist intuitiv nachvollziehbar, dass Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung...