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E-Book

Kursbuch 194

anders alternativ

VerlagKursbuch Kulturstiftung gGmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783961960057
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine Alternative dazu, diese Beschreibungsinformation zum neuen Kursbuch 194 bereitzustellen, wäre, es bleiben zu lassen. Tatsächlich? Ist die schiere Negation eine Alternative - oder einfach eben das banale Gegenteil? Das Kursbuch 194 'anders alternativ' hat keine Antworten, traut sich aber, eben jene Zwischenräume zu befragen, Mainstream-Lebensentwürfe und deren Subkulturen auszuleuchten, den Blick zu wagen auf den Sinn und den Unsinn eines Andersseins in Kultur, Politik, Gesellschaft und Ökonomie. Der umstrittene Münchner Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal im Interview. Mit Beiträgen unter anderem von Jan-Werner Müller, Stephan Rammler, Jagoda Marinic, Sven Reichardt, Astrid Seville, Karl Bruckmaier, Ernst Mohr, Jeff Beer.

Seit 2012 erscheint das Kursbuch unter der Herausgeberschaft von Armin Nassehi und Peter Felixberger. ARMIN NASSEHI (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem 'Mit dem Taxi durch die Gesellschaft', in der kursbuch.edition erschien 'Gab es 1968? Eine Spurensuche'. PETER FELIXBERGER (*1960) ist Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers. Als Buch- und Medienentwickler ist er immer dort zur Stelle, wo ein Argument ans helle Licht der Aufklärung will. Seine Bücher erschienen bei Hanser, Campus, Passagen und Murmann. Dort auch sein letztes: 'Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?'. Das Kursbuch wurde 1965 von Hans Magnus Enzensberger zusammen mit Karl Markus Michel gegründet. Als einer der wichtigsten kritischen Begleiter der bundesdeutschen Öffentlichkeit setzte die Kulturzeitschrift Themen, die sonst nicht auf der öffentlichen Agenda standen. Demgegenüber gilt es heute, im vorhandenen Themendickicht neue Schneisen zu schlagen und überraschende und ungewohnte Verbindungen herzustellen. Unter der Herausgeberschaft von Peter Felixberger und Armin Nassehi bietet das Kursbuch solche neuen unerwarteten Perspektiven an. Nicht die großen Unterschiede werden diskutiert, sondern das, was einen Unterschied macht.

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Leseprobe

Jan-Werner Müller
… und ihr wollt den Himmel stürmen?
Über Parteien, neue Bewegungen – und Parteien in Bewegung

Bekanntlich leben wir in politisch bewegten Zeiten. Ganz konkret heißt dies unter anderem: Zeiten, in denen neuartige Bewegungen eine Revitalisierung der Demokratie versprechen. Man braucht sich nur einmal flüchtig in der europäischen politischen Landschaft umzuschauen, und der Blick trifft auf Neugründungen, die sich plakativ von traditionellen Parteien abgrenzen: Podemos in Spanien, die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) in Italien, die Liste Sebastian Kurz in Österreich, En Marche in Frankreich – das sind nur die bisher bei Wahlen erfolgreichsten Bewegungen. Mancher sieht in ihnen Vorboten einer postrepräsentativen Demokratie, in welcher mit kontinuierlicher Bürgerbeteiligung an der Politik endlich ernst gemacht wird (oder in welcher zumindest noble Amateure aus der Zivilgesellschaft die egoistischen Berufspolitiker ersetzen). Kritiker hingegen rechnen sie ohne zu zögern einer populistischen, für die liberale Demokratie gefährlichen Welle zu. Beide Seiten liegen falsch. Es ist kein Zufall, dass die sich selbst als Bewegung vermarktenden Neugründungen de facto zu Parteien geworden sind; von einer Überwindung des Prinzips der Repräsentation oder der Vorstellung von Politik als Vollzeitberuf kann keine Rede sein. Es ist aber auch falsch, die wirklichen Newcomer wie Podemos und M5S einfach als Protestler ohne langfristige Perspektiven abzutun. Ihre, wie man sie nennen könnte, neuen Polit-Technologien sind wirklich innovativ (was nicht immer gleich heißt, demokratischer). Und nicht zuletzt haben sie die Repräsentationsverhältnisse wirklich zum Tanzen gebracht; unsere Demokratien wären ärmer ohne sie.

Parteien sind nicht erst seit wenigen Jahren ganz, ganz unpopulär. Was in den 1990er-Jahren unter dem Begriff »Politikverdrossenheit« firmierte, war vor allem Verdruss an den etablierten Parteien. Überall in Europa nahmen die Mitgliederzahlen rapide ab; zudem identifizierten sich immer weniger Bürger dauerhaft mit einer Partei, bei Wahlen wurden sie dementsprechend sprunghafter. Sozialwissenschaftler bestätigten, was der Stammtisch im Zweifelsfalle schon immer vermutet hatte: Es hatten sich »Kartellparteien« herausgebildet, die nicht nur in vieler Hinsicht miteinander, sondern vor allem auch mit dem Staat selber fusioniert hatten. Wenn doch einmal Herausforderer wie die Grünen auftraten – Störenfriede, die sich partout nicht außen vor halten ließen –, wurden sie schließlich ins Kartell aufgenommen. Kurzum, seriöse Stimmen sagten, was dann später auch Populisten immer behaupten würden: Es gibt eine politische Klasse mit ganz eigenen Interessen, die sich hinter der Kulisse divergierender Parteiprogramme formiert.

Bei solch erstarrten Verhältnissen verspricht das Wort »Bewegung«, na ja, erst einmal, Bewegung in die Sache zu bringen. Wobei so gut wie keine einzige Organisation, die sich heute als eine Art spontaner Massenbewegung verkauft, wirklich direkt aus einem Kollektiv sich zivilgesellschaftlich engagierender Bürger entstanden ist. Man denke beispielsweise an Podemos. Nach dem Platzen der Immobilienblase in Spanien waren in der Tat eine ganze Reihe von wichtigen Selbsthilfeorganisationen wie Plataforma de Afectados por la Hipoteca oder Plataforma por una Vivienda Digna entstanden. Im Mai 2011 versammelten sich Tausende auf der Puerta del Sol in Madrid, um gegen traditionelle Parteien (und Banken) zu protestieren. Ihre immer wiederholte Anklage: »Sie repräsentieren uns nicht.« Ihre Forderung: »Wirkliche Demokratie.«

Es dauerte aber noch fast drei Jahre, bevor eine Reihe junger Aktivisten – von Beruf her größtenteils Politikwissenschaftler – Podemos ins Leben riefen. Podemos war also keine direkte Folgeerscheinung des Auftretens der indignados. Podemos-Parteitheoretiker haben selber darauf hingewiesen, dass sich die Energien der Proteste von 2011 auch in ganz andere Richtungen hätten wenden können (frühere Versuche, die Demonstrationen in parteipolitische Kanäle zu führen, wie beispielsweise von Partido X, blieben erfolglos). Einer der wichtigsten Vordenker von Podemos, Íñigo Errejón, äußerte sich 2015 gar eher abschätzig über die Vorstellung einer permanenten Mobilisierung der Bürger. Irgendwann, so Errejón, müsse jeder wieder nach Hause gehen; einen »konstanten Heroismus« von Aktivisten gebe es nicht (und wenn, würde er nicht reichen, um wirklich an die Macht zu gelangen und irreversible Tatsachen zu schaffen).

Die eigentliche Lektion von »15-M« für die Podemos-Gründer war denn auch weniger, dass aufgebrachte Leute mal auf die Straße gingen – sondern, dass traditionelle linke politische Sprachen bei den Spaniern nicht mehr Anklang fänden. Sie entschieden sich bewusst für eine »transversale« Strategie, welche die traditionelle Trennung zwischen links und rechts überschreiten und einen neuen politischen Gegensatz zwischen Volk und »Kaste« (oder, noch simpler, zwischen den vielen und den wenigen, oder, am simpelsten, zwischen abajo und arriba) konstruieren sollte. Inspiriert von postmarxistischen Denkern wie Ernesto Laclau und Chantal Mouffe – sowie erfolgreichen populistischen Politikern in Lateinamerika wie Evo Morales – sollte Spanien bewusst in ein »Volk« und ein »Anti-Volk« aus korrupten Politikern und Bankern gespalten werden. Errejón erklärte, die Begriffsbildung sei hier nicht deskriptiv, sondern performativ: Die neue, von langweiliger linker Ideologie reine Sprache sollte einen vereinigten »national-populären Willen« wie in Bolivien, Ecuador und Venezuela hervorbringen. So war denn die politische Arbeit der Podemos-Gründer auch zuallererst Arbeit an der Sprache: »Wir sind Handwerker, die mit Wörtern arbeiten«, so Errejón einmal.

Das populistische Reinheitsgebot ging so weit, dass man im Zweifelsfalle immer das Gegenteil dessen machen wollte, was die Linke gerade tun würde. Und diese Regel erstreckte sich auf das, was basisdemokratisch orientierten beautiful losers auf der Linken so alles in den Sinn kommen könnte, wenn sie eine neue Partei gründeten. Zwar gibt es bei Podemos Mitgliederabstimmungen, »Zirkel«, »Bürgerversammlungen« und noch allerlei mehr, was nach kontinuierlicher Partizipation und Kontrolle von unten klingt. Aber die meisten Beobachter – und Kritiker innerhalb der Partei – sind sich einig, dass Podemos eigentlich straff von oben gelenkt wird. Pablo Iglesias Turrión, der fotogene Politikprofessor mit Pferdeschwanz und Ziegenbart, bemerkte denn auch einmal, auf Marx und Hölderlin anspielend, dass man den Himmel nicht mit Konsens stürmen könne. Prompt folgten Vorwürfe von »hiperliderazgo« und »Online-Leninismus« gegenüber Iglesias.

Das eigentlich Interessante an Podemos ist denn auch weniger die ohnehin nur lose Verbindung zu einer genuinen Massenbewegung, die ein paar Jahre vorher auf den Plätzen kampiert hatte – sondern die Ursprünge der Partei in einem traditionellen Massenmedium. Iglesias wurde einem breiteren Publikum mit seinen Polit-Talkshows im Privatfernsehen bekannt; er selbst bemerkte, das Fernsehen sei heute für die Politik so wichtig wie einst das Schießpulver für den Krieg. Zwar, so ergänzte Errejón einmal, sei das Fernsehen als grundlegendes Terrain der ideologischen Auseinandersetzung ursprünglich vom politischen Gegner konstruiert worden, man könne dieses Terrain aber zum eigenen Vorteil verändern. Iglesias wiederum garniert seine von Gramsci sowie Linkspopulisten wie Mouffe inspirierte Analyse immer wieder mit popkulturellen Referenzen wie »Game of Thrones«. Salopp, aber nicht falsch gesagt: Massenbewegung ist nicht viel, kulturelle Hegemonie im ganzen Land heißt das Ziel.

2016, nachdem es einmal mehr nicht gelungen war, die Sozialisten bei Parlamentswahlen zu überholen, erklärte ein Podemos-Gründer, Juan Carlos Monedero (ein weiterer Politikprofessor), die »populistische Hypothese« sei widerlegt worden. Aber man muss Podemos nicht an den Ansprüchen der Professoren messen. Podemos’ eigentliches Verdienst liegt weniger darin, ein ganz neues Volk konstruiert oder einzelnen Engagierten präzedenzlose Partizipationsmöglichkeiten eröffnet, als vielmehr Spanien als Ganzem ein wichtiges (und letztlich sehr erfolgreiches) Repräsentationsangebot gemacht zu haben. Der Slogan »Sie repräsentieren uns nicht« hatte ja in einer Demokratie mit einem Parteienduopol aus Sozialdemokraten und Konservativen (wobei sich beide Seiten als zunehmend korrupt erwiesen hatten) sehr wohl seine Berechtigung. Podemos ebenso wie die liberale Neugründung Ciuadadanos ermöglichten es, den de facto zentralen Konflikt in der spanischen Politik – krude gesagt: Austerität gegen Anti-Austerität – endlich plausibel im Parteiensystem abzubilden. Vor allem Podemos gelang es, junge, gut ausgebildete Bürger, welche eigentlich mit dem System schon abgeschlossen hatten, wieder an die Urnen zu bringen.

Auf lange Sicht betrachtet geschah hier etwas ganz Außergewöhnliches. Junge Menschen, deren Lebenschancen durch die Eurokrise drastisch (und wohl auch permanent) reduziert worden waren, gingen erst auf die Straßen und dann wählen – und als ihre Partei nicht gewonnen hatte, gingen sie wieder nach Hause (hoffentlich mit dem Gedanken: Wir können es – podemos, yes, we can! … – und wir werden es wieder probieren). Man braucht sich nur an die 1970er-Jahre zu erinnern, um zu sehen, dass junge, von einem System radikal enttäuschte Menschen auch schon einmal auf andere Gedanken gekommen sind, als neue Parteien zu gründen.

Zweifelsohne würden die Podemos-Denker dieses Porträt als Verharmlosung,...

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