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Lasst sie fliegen

Wie Malalas Vater seiner Tochter ein selbstbestimmtes Leben ermöglichte

AutorZiauddin Yousafzai
Verlaghanserblau
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783446263208
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Eine klare Botschaft, die die Herzen öffnet - vom Vater der Friedensnobelpreisträgerin Malala. Jungen sind besser als Mädchen: So wird Ziauddin Yousafzai erzogen. Doch was in Pakistan selbstverständlich scheint, will er nicht hinnehmen. Seiner Tochter Malala sollen alle Türen offen stehen. Gegen den Willen der Taliban geht sie zur Schule. Auf eine Schule, die Ziauddin gegründet hat, damit seine Tochter lernen kann. Als ein lebensbedrohliches Attentat auf Malala verübt wird, erhebt sich die ganze Welt, um sie zu unterstützen. Was bedingungslose Liebe erreichen kann und vom Mut, Mädchen stark zu machen: Ziauddin Yousafzai erzählt seine Geschichte als Vater eines Rebel Girls.

Ziauddin Yousafzai wurde in Pakistan geboren. Er setzt sich als UN-Berater für Internationale Bildung und Bildungsattaché des Pakistanischen Konsulats in Birmingham für Menschenrechte und Bildungsgleichheit ein. 2013 gründete er mit seiner Tochter die Malala-Stiftung, die Mädchen auf der ganzen Welt eine Schulbildung ermöglichen soll.

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VORWORT


von Malala Yousafzai


Ich schreibe dieses Vorwort in Dank an meinen Vater.

Mein Vater ist ein zutiefst liebender, mitfühlender und bescheidener Mensch. Er hat mich gelehrt, was Liebe ist, und zwar nicht nur mit Worten, sondern vor allem durch sein liebevolles und gütiges Handeln. Ich habe nie gesehen, dass er sich jemandem gegenüber abfällig oder ungerecht verhalten hätte. Für ihn war jeder Mensch gleich, egal ob Muslim oder Christ, hell- oder dunkelhäutig, arm oder reich, Mann oder Frau. Als Schulleiter, Aktivist und sozial engagierter Mensch war er immer warmherzig, respektvoll und hilfsbereit. Jeder liebte ihn. Er wurde zu meinem Idol.

Wir hatten nicht viel Geld, aber wir waren reich an Werten. Aba vertritt die Ansicht, dass Wohlstand weder Bedingung noch Garantie für ein glückliches Leben ist. Wir fühlten uns nie arm, obwohl ich mich sehr gut an Zeiten erinnern kann, in denen wir nicht genug Geld für Essen hatten. Wenn mein Vater mit seiner Schule doch mal etwas verdiente, gab er oft alles an einem Tag aus. Er kaufte Obst für die Familie, und für den Rest des Geldes besorgte meine Mutter alltägliche Dinge wie Möbel, Besteck, Kleidung und anderen Hausrat. Mein Vater fand Einkaufen langweilig — so langweilig, dass er oft nörgelte, wenn meine Mutter seiner Meinung nach mal wieder viel zu lange brauchte. Doch sie schimpfte ihn dann jedes Mal und sagte so etwas wie: »Wenn du diesen Anzug trägst, wirst du mir noch dankbar sein.«

Nichts freute ihn mehr, als wenn meine Brüder, meine Mutter und ich gesund und zufrieden waren. In seinen Augen hatten wir das, was im Leben am meisten zählt: Bildung, gegenseitigen Respekt und bedingungslose Liebe. Darin bestand unser Reichtum, das war unser Glück. Mehr brauchten wir nicht.

Seine Liebe zu mir war wie ein Schild. Er schirmte mich von allem Schlechten und Bösen ab, wodurch ich zu einem fröhlichen, selbstbewussten Kind heranwachsen konnte, obwohl wir in einer Gesellschaft lebten, die mir als Mädchen nicht gerade die besten Zukunftsaussichten bot. In unserem Zuhause wurden Frauen und Mädchen geachtet und wertgeschätzt, auch wenn sich diese Wertschätzung in der Welt außerhalb unserer vier Wände nicht widerspiegelte. Mein Vater schenkte mir einen Schutzschirm. Er verteidigte mich in einer Welt, die sich weigerte, mich als ebenbürtig anzuerkennen. Von Anfang an stellte er sich gegen alles, was meine Zukunft hätte bedrohen können. Ich hatte ein Recht auf Gleichbehandlung, und er sorgte dafür, dass man mir dieses Recht im Alltag eingestand.

Die Kultur gegenseitigen Respekts bei uns zu Hause, insbesondere des Respekts gegenüber Frauen, gründete sich auf Abas Überzeugung, dass man sein Leben voll auskosten und alle Chancen, die es einem bietet, ergreifen muss. Von ihm lernte ich, dass es wichtig ist, immer sein Bestes zu geben und ein guter Mensch zu sein, und dass man allen Leuten ungeachtet ihrer Herkunft mit Freundlichkeit und Respekt zu begegnen hat.

Mein Vater und ich waren von Beginn an Freunde und sind es heute noch. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn oft tut sich, wenn Töchter älter werden, zwischen ihnen und ihren Vätern eine Kluft auf. Früher habe ich Aba praktisch alles anvertraut, mehr noch als meiner Mutter. Ich klagte ihm sogar mein Leid, wenn ich Regelschmerzen hatte, oder bat ihn, mir Binden zu kaufen. Vor meiner Mutter hatte ich manchmal ein bisschen Angst, weil sie sehr streng sein konnte. Und wenn ich mich mit meinen Brüdern zankte — was praktisch jeden Tag vorkam —, dann schlug sich mein Vater immer auf meine Seite.

Im Grunde unterschied mich nichts von meinen pakistanischen Mitschülerinnen, von meinen Freundinnen aus der Nachbarschaft oder den vielen anderen Mädchen im Swat-Tal. Allerdings genoss ich den unschätzbaren Vorteil einer liebevollen, wertschätzenden Erziehung. Und damit meine ich nicht, dass mein Vater mir jeden Tag lange Vorträge gehalten oder kluge Ratschläge erteilt hätte. Er beeinflusste mich durch sein Verhalten, seinen Einsatz für gesellschaftlichen Wandel, seine Aufrichtigkeit, seine Offenheit, seine Visionen und überhaupt seine ganze Art. Zum Beispiel lobte er mich sehr oft. »Du lernst so fleißig, Jani«, sagte er andauernd. »Du drückst dich so gewählt aus.« Jani bedeutet »Liebste« oder »Seelengefährtin« und ist sein Kosename für mich. Er versäumte es nie, meine Bemühungen anzuerkennen und mir Mut zu machen, egal ob es um meine Schularbeiten, um Kunstprojekte oder Rhetorikwettbewerbe ging. Mein Vater war immer stolz auf mich. Er glaubte mehr an mich als ich selbst. Er gab mir das Vertrauen, alles schaffen zu können, wenn ich nur wollte.

Mein Vater kann sehr gut zuhören. Das ist eine Eigenschaft, die ich an ihm liebe. Die einzige Ausnahme ist, wenn er gerade vor seinem iPad sitzt und twittert. Dann muss man mindestens zehnmal »Aba!« rufen, bis er überhaupt reagiert. Er sagt zwar jedes Mal »Ja, Jani?«, doch in Wahrheit ist er mit den Gedanken ganz woanders. Aber wenn er zuhört, dann lauscht er aufmerksam jedem Wort und ist ganz zugewandt, vor allem bei Kindern. Auch von mir hat er sich immer bereitwillig alles erzählen lassen: meine kleinen Geschichten, meine Sorgen und Nöte und all meine Pläne. Durch meinen Vater ist mir bewusst geworden, dass meine Stimme Gewicht hat. Das hat mich darin bestärkt, sie zu erheben, und hat mir Selbstvertrauen verliehen. Ich wusste, wie man eine gute Geschichte erzählt. Ich scheute mich nicht, meine Meinung zu sagen. Und als die Taliban kamen, hatte ich das Gefühl, die Macht meiner Stimme nutzen zu können, um für Bildung und für meine Rechte einzustehen.

Als ich älter wurde, erkannte ich, wie ungewöhnlich meine Eltern waren, denn die anderen Mädchen aus meiner Umgebung durften ab einem gewissen Alter nicht mehr zur Schule gehen oder sich an Orten aufhalten, die auch von Männern und Jungen besucht wurden. So viele Frauen und Mädchen werden zu Opfern einer Gesellschaft, in der Männer darüber bestimmen, wie Frauen zu leben und was sie zu tun haben. Ich kannte wundervolle, begabte junge Mädchen, die gezwungen wurden, ihre Ausbildung abzubrechen und damit ihre ganze Zukunft aufzugeben. Diese Mädchen hatten nie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.

Ich selbst zählte nicht zu diesen Mädchen. Ich hielt Reden, wo sonst nur Jungs Reden hielten, auch wenn ich allenthalben die Männer sagen hörte: »Mädchen und Jungs gehören getrennt!« Einige meiner Klassenkameradinnen und Freundinnen durften nicht an solchen gemischten Debattierwettbewerben teilnehmen, weil ihre Väter oder Brüder es ihnen verboten. Mein Vater tat alles, um das zu ändern.

Ich erinnere mich noch, wie er oft mit seinen Freunden oder den Ältesten bei uns zu Hause im Gästezimmer saß. Die Männer unterhielten sich, ich brachte ihnen den Tee und setzte mich dann zu ihnen. Mein Vater sagte nie: »Malala, du weißt genau, dass wir hier eine politische Diskussion unter Erwachsenen führen.« Er erlaubte mir immer, dabeizubleiben und zuzuhören. Mehr noch: Er ermunterte mich sogar, vor den Männern meine eigene Meinung zu äußern.

Das ist deshalb so bedeutsam, weil ein Mädchen, das in einem Klima der Ungleichheit aufwächst, permanent gegen die Angst ankämpfen muss, dass die Träume, die es für sein Leben hegt, vielleicht nie in Erfüllung gehen werden. Für Millionen von Mädchen ist die Schule ein Ort, an dem sie sich sicherer fühlen können als in ihrem eigenen Zuhause. Zu Hause sagt man ihnen bloß, dass sie kochen und putzen und sich auf die Ehe vorbereiten sollen. Selbst für meine Eltern war die Schule eine Art Zuflucht, ein Schutzraum vor den Einschränkungen, die die Gesellschaft uns auferlegte. Während ich in der Schule war, bestand meine Welt nur aus meinen wunderbaren Lehrern und Lehrerinnen und unserem großartigen Schulleiter, und im Klassenraum war ich umgeben von Freundinnen, mit denen ich mich über das Lernen und über unsere Lebensträume austauschen konnte.

Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, wie viel es mir bedeutete, die Schule zu besuchen, die mein Vater gegründet hatte. Wenn ich lernte, konnte ich beinahe spüren, wie mein Gehirn dabei immer größer und größer wurde. Ich wusste, es waren die unzähligen neuen Informationen, die meinen Geist wachsen ließen, all die verschiedenen Dinge, die ich lernte, die meinen Kopf ausfüllten und meinen Horizont weiteten.

Mein Vater hat sich von damals zu heute kaum verändert. Er ist immer noch ein Idealist. Er ist nicht nur Lehrer, sondern auch Poet. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er in einer romantisierten Welt lebt, in einer Welt voller Liebe für seine Freunde, seine Familie und überhaupt alle Menschen. Ich selbst mache...

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