Unabhängig davon, ob ein Jahresabschluss nach HGB oder IFRS aufgestellt wird, ist in Deutschland ein steuerrechtlicher Abschluss zu erstellen – es sind somit sowohl eine Handels- als auch eine Steuerbilanz anzufertigen. Die sich hierin widerspiegelnden unterschiedlichen Regelungen sind der Ursprung für latente Steuern.
Die Steuerabgrenzung ergibt sich im HGB aus § 274 HGB „latente Steuern“. Die nach IFRS zentral anzuwendende Regelung bildet der International Accounting Standard IAS 12 „income tax“ (Ertragsteuern); er wird ergänzt durch zahlreiche Ansatz- und Bewertungsvorschriften der anderen Einzelstandards, die - je nachdem, ob sie im Vergleich zur Steuergesetzgebung zu permanenten oder temporären Unterschieden führen – zu Steuerlatenzen führen können.
Die Differenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz lassen sich in 3 Arten unterteilen:
1. zeitlich unbegrenzte Differenzen (permanent differences)
2. zeitlich begrenzte Differenzen (timing differences) und
3. quasi-zeitlich unbegrenzte Differenzen (quasi permanent differences)
Das Timing-Konzept beachtet Abweichungen zwischen StB und HB nur dann, wenn diese sowohl bei ihrer Entstehung als auch bei ihrer Umkehr bzw. Auflösung erfolgswirksam sind.
Das Temporary-Konzept beachtet Abweichungen zwischen StB und HB bereits dann, wenn Ansatz- oder Bewertungsunterschiede der beiden Rechnungslegungswerke bei ihrer Umkehr oder Aufhebung erfolgswirksam werden[5].
Entstehen in einer Abrechnungsperiode Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanzergebnis, die sich in den folgenden Perioden nicht wieder ausgleichen, werden diese als zeitlich unbefristete Differenzen bezeichnet.
Aus dem Timing-Konzept heraus entstehen solche Unterschiede durch Geschäftsvorfälle, die nur in einem der beiden Rechnungslegungswerke erfolgswirksam behandelt werden. Im Temporary-Konzept entstehen solche Unterschiede durch außerbilanziellen Hinzurechnungen und Kürzungen.
Beispiele:
Steuerfreie Erträge wie Investitionszulagen,
Aufwendungen, die steuerrechtlich nicht anerkannt werden, wie nicht abzugsfähige Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 EStG, wie bspw. Strafen,
steuerlich nicht abziehbare Aufwendungen nach § 10 KStG,
verdeckte Gewinnausschüttungen nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG.
Aufwendungen und Erträge, die in gleicher Höhe sowohl im handelsrechtlichen als auch im steuerrechtlichen Abschluss erfasst werden, jedoch in unterschiedlichen Abrechnungsperioden und sich folglich in Folgeperioden wieder vollständig ausgleichen, fallen unter die Bezeichnung zeitlich begrenzte Differenzen (timing differences) [6].
Neben den zeitlich begrenzten und zeitlich unbegrenzten Unterschieden gibt es noch Differenzen, die sich keiner dieser beiden Gruppen zuordnen lassen. Hierunter werden solche Differenzen subsumiert, die sich erst in ferner Zukunft – im Extremfall erst bei Unternehmensliquidation – nivellieren.
Ihr Ansatz widerspricht vom Grundsatz her dem Going-Concern-Prinzip, da sich die hieraus ergebenden Differenzen erst mit der Liquidation des entsprechenden Vermögenswertes bzw. des ganzen Unternehmens umkehren würden. Dennoch werden diese seit dem BilMoG im Temporary-Konzept wie zeitlich begrenzte Differenzen behandelt (mehr dazu in Abschnitt 2.3).
Beispiele:[7]
Unterschiedliche handelsrechtliche und steuerrechtliche Bewertung von nicht abnutzbaren Vermögensgegenständen des Anlagevermögens, wie bspw. bei Grundstücken, oder
handelsrechtliche Abschreibungen auf Beteiligungen.
Da die quasi-zeitlichen unbegrenzten Differenzen zu zeitlich begrenzten Differenzen werden können, ist jährlich zu überprüfen, ob
aufgrund von Veränderungen der gesetzlichen Regelungen,
eintretender veränderter unternehmerischer Verhältnisse oder
einer geplanten Disposition
in absehbarer Zeit diese Unterschiede nicht doch ausgeglichen werden.
Wenngleich für zukünftige Jahresabschlüsse das Temporary-Konzept angewandt wird, ist für Jahresabschlüsse bis 31.12.2009 noch das Timing-Konzept anzuwenden[8].
Das HGB a.F. normiert zwar keine Abgrenzungsmethode, jedoch basierte nach h.M. die Steuerabgrenzung nach § 274 a.F. auf dem - an der GuV-orientierten - Timing-Konzept[9]. GUV-orientiert heißt dieses Konzept, weil die Ansatz- und Bewertungsunterschiede zwischen HB und StB dann abgegrenzt werden müssen, wenn sich diese
sowohl bei ihrer Entstehung,
als auch bei der weiteren Entwicklung - und demzufolge der möglichen Auflösung oder Umkehrung
in der Gewinn- und Verlustrechnung niederschlagen[10].
Diese Konzeption unterscheidet die unter 2.1.1 bis 2.1.3 genannten Arten von Differenzen. Das Timing-Konzept der latenten Steuerabgrenzung bezieht sich ausschließlich auf die zeitlich begrenzten Differenzen (timing differences). Der Gewinn in der Steuerbilanz wird infolge der zeitlichen Begrenzung der Differenz bspw. zunächst niedriger und später entsprechend höher als in der Handelsbilanz.
Aus Sicht der HB entsteht daher ein zunächst zu niedriger – und in Folgejahren ein zu hoher Steueraufwand. Diese Differenz wird durch Ansatz eines passiven latenten Steuerpostens ausgeglichen, der sich bei der späteren Umkehrung wieder ausgleicht. Durch einen Verzicht auf die Bildung einer Steuerlatenz wäre der Steueraufwand zunächst zu hoch und später zu niedrig ausgewiesen. Damit stünde der Steueraufwand in keiner vernünftigen Relation zum Handelsbilanzgewinn[11].
Im Timing-Konzept muss bei quasi-zeitlich unbegrenzten Differenzen überprüft werden, ob eventuell aufgrund veränderter Verhältnisse oder der unternehmerischen Disposition aus diesen mittlerweile begrenzte Differenzen geworden sind. Die Beurteilung geschieht anhand der am Bilanzstichtag erkennbaren Entwicklungen.[12]
Die GuV-orientierte Sichtweise des Timing-Konzeptes versucht durch die Abgrenzung latenter Steuern einen Steueraufwand auszuweisen, mit dem das handelsrechtlich ermittelte Ergebnis korrespondiert. Somit ist der Zweck des Timing-Konzeptes ein periodengerechter Erfolgsausweis[13].
Abbildung 1: [14] Timing-Konzept
Durch das BilMoG wurde der § 274 HGB neu gefasst und – wie zuvor im IAS 12 - das bilanzorientierte Temporary-Konzept vorgeschrieben. Nach dem Gesetzestext müssen Differenzen „…zwischen den handelsrechtlichen Wertansätzen von Vermögensgegenständen, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten und ihren steuerlichen Wertansätzen …“[15], welche sich in zukünftigen Perioden umkehren und somit zu einer Steuerbe- oder -entlastung führen, abgegrenzt werden. Aus dem Text ergibt sich die Bilanzorientierung: für die Notwendigkeit einer Abgrenzung genügt eine Abweichung zwischen Handels- und Steuerbilanz, welche bei ihrer Umkehr einen Steuereffekt zur Folge hat. Es ist unerheblich, wann sich die Bewertungsunterschiede ausgleichen, wichtig ist nur, dass sie sich ausgleichen.
Nach § 273 HGB ist es nunmehr nicht erforderlich, dass zwischen dem handelsrechtlichen Ergebnis und dem zu versteuernden Einkommen Diskrepanzen bestehen. Es geht...