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E-Book

Lavendelmädchen

Der Kampf um mein Leben nach dem Missbrauch

AutorDiana Volkmann
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783959102209
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diana Volkmann wächst bei ihrer Großmutter im Harz auf. Der Nachbar nimmt das kleine Mädchen unter seine Fittiche - es kommt über viele Jahre zu Missbrauch. Als sie ihre Großmutter informiert, wiegelt diese ab. Sie schaut weg, wie viele andere auch. Erst als ein Arzt bei Diana Verletzungen diagnostiziert, findet der Missbrauch ein Ende. Diana Volkmann ist seit Jahren in Therapie, sie lebt in einer stabilen Beziehung und hat ihren Weg gefunden. Dies ist ihre Geschichte.

Diana Volkmann, Jahrgang 1989, ist im Harz aufgewachsen und dort über viele Jahre hinweg massiv sexuell missbraucht worden. Nach einem Suizidversuch kann sie in ihrem Beruf als Friseurin nicht mehr arbeiten. Derzeit macht sie ein zweijähriges Rehaprogramm und wohnt mit ihrem Lebensgefährten in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. 

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Leseprobe

Prolog


Es ist ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch. Der Himmel strahlt in sattem Blau, die Luft fühlt sich an wie Seide, und die ganze herrliche Harz-Landschaft erscheint mir heute wie das Paradies. In voller Pracht stehende Bäume säumen die Straße. Auf den Feldern reift goldgelber Weizen. Idylle pur, die sich in meinem kleinen Heimatort fortsetzt.

Die Dorfstraße hat, so lange ich denken kann, ein Kopfsteinpflaster. Die Häuschen sind bunt gestrichen. In den Vorgärten blühen prächtige Rosen, und dichte Chrysanthemen-Büsche flankieren die frisch gefegten Hauseingänge. Auch auf dem Bürgersteig liegt kein Blatt, kein Stück Papier, nichts. Aus einem Fenster klingt von fern leise Schlagermusik – der einzige Hinweis darauf, dass hier überhaupt jemand lebt. Es ist Sonntagnachmittag fünfzehn Uhr und der malerische Ort menschenleer.

Wir sind zu Gabys Geburtstag eingeladen, der Langzeitfreundin meines Onkels. Wir, das sind David und ich. David ist seit sechs Jahren mein Lebenspartner. Er arbeitet als IT-Fachmann in einer Klinik in Halberstadt und ist mein Traummann. Nicht nur äußerlich attraktiv: groß, schlank, mit dunklen Haaren und einem fein geschnittenen Gesicht, sondern auch charakterlich ein Hauptgewinn: ehrlich, fürsorglich, verantwortungsbewusst und humorvoll. Ich liebe ihn, von ganzem Herzen.

Gaby lebt mit Onkel Frank, dem Bruder meines Vaters, direkt im Dorfkern. Ihr kleiner hellgrüner Bungalow steht etwas versteckt auf einem Gartengrundstück hinter dem Haupthaus, einem ebenfalls gelben Gebäude mit schneeweißen Fenstern und Türen. Hier wohnte früher meine Oma. Seitdem sie im Altenheim lebt, ist das Haus vermietet. Ich kenne die neuen Mieter nicht. Viele Jahre schon bin ich nicht mehr hier gewesen.

Eigentlich wollte ich auch nie wieder zurückkehren. Aber ich mag Gaby. Sie hat viel für mich getan, und als ich gestern ihren Anruf mit der Einladung erhielt, war ich gerührt und habe spontan zugesagt.

Gaby wird fünfzig Jahre alt und hat zu einer der typischen Kaffee-und-Kuchen-Feiern eingeladen. Es wird garantiert Obsttorte geben, dazu Waffeln mit Schlagsahne und heißen Kirschen. Das ist Familientradition. Ich freue mich, Gaby zu sehen. Sie ist eine hübsche Frau und sieht viel jünger aus, als sie ist. Gaby ist mädchenhaft schlank, trägt gern Jeans und Pulli, ihre schwarzen Haare hat sie zu einem flotten Bob schneiden lassen. Zumindest war das vor einem Jahr so, als ich sie zufällig traf. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.

David war erst nicht so begeistert von meiner Idee, diesen herrlichen Sommertag ausgerechnet auf einer Geburtstagsfeier meiner Familie zu verbringen. Aber dann habe ich ihn überredet und gemeint, dass wir ja nicht allzu lange bleiben würden.

»Und was ist mit dem Haus?«, hat er besorgt gefragt.

Doch ich habe seine Bedenken sofort weggewischt.

»Das macht mir nichts aus. Wichtig ist, dass Oma nicht kommt. Gaby hat sie bewusst nicht eingeladen.«

David blieb skeptisch.

»Gaby hat es mir versichert«, beruhige ich ihn. »Sie weiß doch, dass ich ihr auf keinen Fall begegnen will!«

Jetzt sind wir gleich da.

»An der nächsten Kreuzung links«, dirigiere ich David durch das Geflecht der engen Dorfstraßen. In Schlangenlinien steuern wir durch die engen Häuserzeilen, vorbei an der alten Heißmangel, dem ehemaligen Friseursalon, dem Gasthof Ritter, in dem es früher immer das leckerste Eis gab, und natürlich dem Konsum, der heute Edeka heißt und mal das Herz des Dorfes war, in dem man Neuigkeiten immer aus erster Hand erfahren konnte. Die Frauen trafen sich an der Wursttheke bei Ingrid, die Männer am Tresen bei Ritters. Ich bin mir heute sicher, dass ich sehr oft Thema des Klatsches war …

»Soll ich hier einparken?« David sieht mich fragend von der Seite an.

Ich nicke. »Ja, hier, am Zaun. Dahinter wohnen übrigens die Beckers, die hatten früher eine kleine Pferdezucht. Ich weiß nicht, ob sie heute immer noch Tiere halten.«

»Sieht nicht so aus«, meint David mit einem Blick auf das lang gestreckte rot geklinkerte Backsteingebäude. »Die Ställe scheinen leer zu sein. Aber das Haupthaus wirkt bewohnt, alles ist blitzsauber und gepflegt. Da wächst ja kein Halm auf dem Hof«, spöttelt er grinsend.

Ich recke meinen Hals, um besser über den Zaun sehen zu können. »Meinst du? Ich weiß nicht, irgendwie sieht das alles unbewohnt aus. Ob sie auch schon tot sind?«

Die Beckers sind, so lange ich zurückdenken kann, Omas Nachbarn gewesen. Eine große Familie mit vier Kindern. Was wohl aus ihnen geworden ist? Ich habe alle aus den Augen verloren.

David schüttelt den Kopf. »Nee, sieh doch mal, die Nebentür steht offen. Ich denke, die Leute sind hinter dem Haus im Garten und genießen die Sonne. Bei dem Wetter treibt es doch jeden ins Freie.«

Ich sehe David lachend an. »Ja, ja ich weiß, du wärst heute viel lieber spazieren gegangen. Das hast du nun wirklich oft genug angemerkt. Ich habe es kapiert!«

David muss schmunzeln.

»Hast ja recht!«, meint er. »Ich füge mich ab jetzt in mein Schicksal. Also komm, Schatz, wir lassen uns jetzt mal lieber die Waffeln deiner Tante schmecken, und ich bin lieb, versprochen.«

David parkt das Auto nahezu perfekt auf dem kleinen Seitenstreifen, sodass wir die Ausfahrt nicht zuparken und auch nicht das perfekt gepflegte Außenbeet touchieren.

»Kannst du so weit laufen, Schatz«, will David jetzt fürsorglich wissen und steht schon am Kofferraum, um meine Krücken zu holen.

Er ist immer so aufmerksam. Auch das liebe ich an ihm. »Ich verwöhne eine Frau gern«, sagt er häufig.

Ich nehme beherzt die knallroten Krücken, die er mir sogar so hinhält, dass ich beim Aussteigen sofort an die Griffe komme.

Bis zu Gabys Haus sind es nur wenige Schritte.

Auf der rechten Seite, gleich im Anschluss an das Grundstück der Beckers, steht ein Einfamilienhaus mit einem überdachten Eingang und einer großen Sonnenterrasse. Es gehörte mal den Saalmeiers, Heinz und Frieda Saalmeier. Heinz ist 2008 und Frieda 2010 verstorben. Beide waren über achtzig Jahre alt. Ihr Haus ist verkauft. An wen weiß ich nicht. Ich habe nie gefragt. Es interessiert mich auch nicht. Aber es scheinen jüngere Leute zu sein, vermutlich mit Kindern. Denn im Garten liegen zwei kleine Biene-Maja-Fahrräder.

Das Grundstück ist im Gegensatz zu all den anderen supersauberen Gärten fast schon ein bisschen verwildert. Der Holzzaun hat kleine Macken, sogar die Farbe ist an manchen Stellen abgesplittert, und die bunten Sommerblumen wachsen unsortiert durcheinander.

Wenn das Heinz wüsste, schießt es mir durch den Kopf. Der Garten war sein Ein und Alles, er arbeitete immer stundenlang darin. Am wichtigsten waren ihm seine glutroten Rosen. Die hat er in meiner Erinnerung jeden Tag geschnitten, gegossen, gedüngt.

Genauso wie den Lavendel. Es gab ein ganzes Beet davon, damit Frieda genug zum Dekorieren hatte. In der ganzen Wohnung standen dicke Sträuße Lavendel, oft sogar in den passend lilafarbenen Vasen. Aber Frieda liebte nicht nur ihr Aussehen. Sie mochte auch, wenn die ganze Wohnung nach Lavendel roch.

»Geht’s noch?« David merkt, dass ich stehen geblieben bin, und hakt mich jetzt kurz unter. Er ist groß und kräftig und kann mich mit seinen starken Armen führen und halten wie ein Kind. Ich vertraue diesen Armen und diesem Mann. Sie geben mir so viel Schutz.

Aber im Moment komme ich allein zurecht. Ich brauche keine Hilfe.

»Ja klar«, sage ich. »Es sind ja nur noch wenige Meter!«

»Sieh mal, der Lavendel. Der blüht ja wie in der Provence«, höre ich David sagen. »Wir haben jetzt schon den Orient und Afrika bereist. Das nächste Mal geht’s in die Provence. Ich möchte zu gern mal die riesigen Lavendelfelder sehen. Wie das wohl riecht, wenn auf so großer Fläche alle blühen. Das muss unglaublich schön sein …«

Der schwere Körper nimmt mir die Luft. Ich kann nicht mehr atmen. »Bitte, gehe zur Seite, bitte«, jammere ich. Ich spüre die knorrige Hand auf meinen Schenkeln, fühle den heißen, nassen Atem an meinem Hals. »Das magst du doch, ich weiß es. Sag, dass du mich lieb hast, jetzt!«

»Diana, Liebling, was ist los?« David steht vor mir, fasst mich mit beiden Händen an den Schultern und sieht mir fest in die Augen. »Liebling? Hallo? Sag doch etwas. Du bist ja ganz weiß. Ist dir nicht gut?«

»Es tut auch nicht weh. Ich glaube, du bildest dir das sowieso alles nur ein. Du musst dich entspannen und nur daran denken, dass wir uns lieb haben«

»Diana, Schatz, es geht dir nicht gut. Das sehe ich doch! Komm, ich bringe dich zu deiner Tante ins Haus.«

David nimmt mir eine Krücke ab und stützt mich nun.

»Komm, noch ein paar Meter. Dann gibt es erst einmal einen warmen Kaffee. Der bringt dich wieder in Schwung. Du zitterst ja. Was hast du denn? Du hast doch gesagt, dass es dir nichts ausmacht, das Haus wiederzusehen. Du wolltest doch hierherkommen.«

Ich erwidere nichts. Aber ich weiß ab diesem Augenblick, dass mein Besuch hier ein Riesenfehler ist.

Lavendel! Der ekelige Geruch steckt plötzlich in meiner Nase und geht nicht mehr weg, die ganze Straße riecht auf einmal danach. Er geht von diesem mittlerweile zugewucherten Beet auf Heinz’ ehemaligem Grundstück aus. Die dunkellilafarbenen Blüten wachsen trotzig vermischt mit Unkraut und Rosen durch den Gartenzaun hindurch und sind fast mit Händen zu greifen. Heinz war immer so um Ordnung im Garten besorgt, und jetzt wächst hier alles durcheinander.

»Lass...

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