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E-Book

Leben mit dem Asperger-Syndrom

Von Kindheit bis Erwachsensein - alles was weiterhilft

AutorTony Attwood
VerlagTrias
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783432109800
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Gratulation Sie haben Asperger! So stellt Tony Attwood, einer der weltweit bekanntesten Asperger-Experten, seinen Patienten üblicherweise die Diagnose. Denn Asperger ist einfach eine andere Art, die Welt zu denken, zu fühlen und mit ihr zu kommunizieren. Dieses Buch begleitet Sie durch alle Klippen und Untiefen. Einzigartig in seiner Fülle erläutert es jede Facette von der Diagnosestellung bis zu sprachlichen und kognitiven Besonderheiten. Sprechen Sie 'Aspergisch'? Menschen mit Asperger-Syndrom jonglieren virtuos mit Fakten oder Zahlen - im menschlichen Miteinander sind sie aber oft hilflos überfordert. Auch wenn das Innenleben eines 'Aspies' ihm selbst und seinen Mitmenschen auf den ersten Blick seltsam und unverständlich erscheint, mit bewährten Hilfen gelingt die Verständigung. In diesem Buch finden Sie bewährte Strategien, die die soziale und emotionale Kompetenz fördern. Viele Betroffene erzählen humorvoll und ermutigend, wie sie ihren Weg gefunden haben.

Tony Attwood (geboren 1952) ist seit über 30 Jahren praktizierender klinischer Psychologe. Er hat sich auf die Behandlung des Asperger-Syndroms spezialisiert und mit mehr als 2000 Menschen aller Altersklassen gearbeitet. Als führender Experte zum Thema Asperger-Syndrom leitet er weltweit Workshops und Kurse für Eltern, Fachkräfte und betroffene Menschen und hat mehrere sehr erfolgreiche Bücher verfasst. Sein Buch "Asperger-Syndrom" wurde in 28 Sprachen übersetzt. Im TRIAS Verlag sind von Tony Attwood außerdem "Ein Leben und mit dem Asperger-Syndrom" und "Ich mag dich!" erschienen. Tony Attwood lebt mit seiner Frau Sarah in Brisbane, Australien. Sie haben drei erwachsene Kinder.

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Leseprobe

Wie zeigt sich die Andersartigkeit?


»Nicht alles, was aus der Reihe fällt, was also «abnorm» ist, muss deshalb auch schon «minderwertig» sein. «

Hans Asperger

Es klingelte an der Tür als Zeichen dafür, dass ein weiterer Gast zu Alicias Geburtstagsparty eingetroffen war. Ihre Mutter öffnete die Tür und sah hinunter auf Jack, der als letzter Gast kam. Es war der neunte Geburtstag ihrer Tochter und auf der Einladungsliste standen zehn Mädchen und ein Junge. Alicias Mutter war überrascht, dass ein Junge mit aufgenommen wurde, galten doch Jungen bei den Mädchen im Alter ihrer Tochter als doof und nicht wert, zur Geburtstagsparty eines Mädchens eingeladen zu werden. Alicia aber meinte, dass Jack anders sei. Seine Familie war vor kurzem nach Birmingham gezogen und Jack war erst seit ein paar Wochen in ihrer Klasse. Obwohl er versucht hatte, Freundschaften zu knüpfen, war ihm das bislang nicht gelungen.

Alicia schloss Jack gleich in ihr Herz


Die anderen Jungen hänselten ihn und ließen ihn an keinem ihrer Spiele teilnehmen. Letzte Woche saß er neben Alicia, als sie ihr Pausenbrot aß, und während sie ihm zuhörte, dachte sie, dass er ein netter und einsamer Junge sei, der von dem ganzen Lärm und der Hektik auf dem Schulhof etwas überfordert war. Er sah süß aus, eine Art jüngerer Harry Potter, und er wusste eine Menge über sehr viele Dinge. Sie schloss ihn gleich in ihr Herz, und ungeachtet der verblüfften Blicke ihrer Freundinnen, als sie ihnen sagte, dass sie diesen Jungen zu ihrer Party einladen wollte, hielt sie an ihrer Absicht fest, dass er kommen sollte.

»Mögen Sie Batterien?«


Und da war er nun, ein zurückgezogener Junge, der eine Geburtstagskarte und ein Geschenk hervorholte und sofort an Alicias Mutter weitergab. Sie bemerkte, dass er Alicias Namen auf dem Umschlag geschrieben hatte, allerdings war die Handschrift für einen Achtjährigen eigenartig unleserlich. »Du bist sicher Jack«, sagte sie und er antwortete nur mit ausdruckslosem Gesicht: »Ja.« Sie lächelte ihn an und wollte ihm vorschlagen, doch in den Garten zu Alicia und ihren Freundinnen zu gehen, als er sagte: »Alicias Geburtstagsgeschenk ist eine dieser Puppen, von denen meine Mutti sagt, dass sie jedes Mädchen gern hat; die hat sie ausgesucht, obwohl ich ihr eigentlich am liebsten ein paar Batterien geschenkt hätte. Mögen Sie Batterien? Ich schon, ich habe einhundertsiebenundneunzig Batterien. Batterien sind wirklich nützlich. Was für Batterien haben Sie denn in Ihrer Fernbedienung?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Ich habe eine besondere Batterie aus Russland. Mein Papa ist Ingenieur, der hat an einer Ölpipeline in Russland mitgebaut und mir sechs AAA-Batterien mitgebracht mit russischer Schrift drauf. Das sind meine Lieblingsbatterien. Wenn ich ins Bett gehe, schau ich mein Kästchen mit meinen Batterien an und sortiere sie alphabetisch, bevor ich einschlafe. Meine Mutti sagt ja, ich solle lieber meinen Teddy im Arm halten, aber ich mag die Batterien lieber. Wie viele Batterien haben Sie?«

Jack sprach sehr eloquent


Sie antwortete: »Tja, das weiß ich nicht, wir müssen so einige davon haben...« und wusste nicht so recht, was sie als Nächstes sagen sollte. Ihre Tochter war ein freundliches und fürsorgliches Mädchen und sie begriff, warum sie diesen merkwürdigen kleinen Jungen als einen ihrer Freunde »adoptiert« hatte. Jack fuhr mit seinem Monolog über Batterien fort und erklärte, wie sie hergestellt werden und was man mit ihnen machte, wenn sie leer waren. Auch Alicias Mutter fühlte sich bald wie eine leere Batterie, nachdem sie einem Vortrag zugehört hatte, der ungefähr zehn Minuten dauerte. Obwohl sie ihm subtil signalisierte, dass sie woanders hingehen müsse und sie ihm schließlich sagte: »Ich muss jetzt gehen und das Essen für die Party vorbereiten«, sprach er weiter und folgte ihr in die Küche. Sie bemerkte, dass er, während er sprach, sie kaum ansah und dass sein Wortschatz für einen achtjährigen Jungen sehr ungewöhnlich war. Es war mehr, als würde sie einem Erwachsenen als einem Kind zuhören und er sprach recht eloquent, auch wenn er anderen offenbar nicht zuhören wollte.

Die Mädchen stellten ihm ein Bein


Schließlich sagte sie: »Jack, du musst in den Garten gehen und Alicia hallo sagen und jetzt aus der Küche gehen.« Dabei machte sie mit ihrem Gesichtsausdruck klar, dass es für sie keine Alternative gab. Er starrte einige Sekunden auf ihr Gesicht, als würde er ihren Gesichtsausdruck mühsam entziffern und entfernte sich dann. Sie sah aus dem Küchenfenster nach draußen und beobachtete, wie er über die Wiese auf Alicia zulief. Während er dabei durch eine Gruppe aus vier Mädchen lief, bemerkte sie, wie eine von ihnen ihm ein Bein stellte. Er fiel ungeschickt auf den Boden, alle Mädchen lachten. Doch Alicia sah, was passiert war und ging zu ihm, um ihm auf die Beine zu helfen.

Diese fiktive Szene ist typisch für eine Begegnung mit einem Kind mit Asperger-Syndrom.

  • Das Fehlen von sozialem Verständnis,
  • die begrenzte Fähigkeit, ein wechselseitiges Gespräch zu führen und
  • ein intensives Interesse für ein bestimmtes Thema

sind die Hauptmerkmale dieses Syndroms.

  • Am einfachsten versteht man das Asperger-Syndrom, wenn man es als die Beschreibung einer Person betrachtet, die die Welt anders als andere wahrnimmt und begreift.

Dr. Asperger beschrieb das Syndrom


Obwohl Ärzte erst seit kurzem diese Unterschiede beschreiben, so war doch das ungewöhnliche Fähigkeitsprofil, das wir heute als Asperger-Syndrom definieren, wahrscheinlich ein wichtiges und wertvolles Merkmal unserer Spezies im Verlauf ihrer gesamten Evolution. Erst im 20. Jahrhundert haben wir einen Namen gefunden, um solche Menschen zu beschreiben. Heute benutzen wir den diagnostischen Begriff Asperger-Syndrom, der auf die ungewöhnlich gut beobachtete Beschreibung von Dr. Hans Asperger zurückzuführen ist, einem Wiener Kinderarzt, dem 1944 auffiel, dass einige der Kinder, die in seine Klinik eingeliefert wurden, ähnliche Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen zeigten. Mitte der 1940er-Jahre wurde das psychologische Studium der Kindheit in Europa und in Amerika zu einem anerkannten und wachsenden Bereich der Wissenschaft, in dem es bedeutsame Fortschritte bei den Beschreibungen, theoretischen Modellen und Testwerkzeugen gab. Dennoch konnte Asperger keine Beschreibung und Erklärung für die kleine Gruppe einander ähnlicher und ungewöhnlicher Kinder, die ihn faszinierten, finden. Er schlug den Begriff »Autistische Psychopathen im Kindesalter« vor, wobei der Begriff »Psychopath« heute stark abwertend klingt und daher als Fachbegriff kaum noch üblich ist, damals aber allgemein eine Persönlichkeitsstörung bezeichnete, ohne notwendigerweise abwertend gemeint zu sein.

Typische Schwierigkeiten und besondere Fähigkeiten


Asperger war von Kindern mit einer autistischen Persönlichkeit offenbar fasziniert und beschrieb ihre Schwierigkeiten und Fähigkeiten mit einer bemerkenswerten Genauigkeit.[1]

  • Er beobachtete, dass die soziale Reife und das soziale Verständnis dieser Kinder verzögert waren und dass es in jeder Entwicklungsphase einige ungewöhnliche soziale Verhaltensweisen gab.
  • Den Kindern fiel es schwer, Freundschaften zu schließen und sie wurden oft von anderen Kindern gehänselt.
  • Es gab Beeinträchtigungen bei der verbalen und der nonverbalen Kommunikation, besonders bei den Aspekten der Sprache, die mit wechselseitiger Konversation zu tun haben.
  • Der Sprachgebrauch dieser Kinder war pedantisch und einige Kinder wiesen eine ungewöhnliche Prosodie (Sprachmelodie) auf, die die Tonlage, die Betonung und den Rhythmus der Sprache beeinflusste.
  • Die Grammatik und der Wortschatz waren wohl relativ fortgeschritten, aber der Gesprächsablauf war nicht altersgemäß.
  • Asperger beobachtete und beschrieb auch auffällige Beeinträchtigungen bei der Äußerung und der Kontrolle von Emotionen und die Tendenz, Gefühle zu intellektualisieren.
  • Die Empathie war nicht so reif, wie man aufgrund der intellektuellen Fähigkeiten des Kindes erwarten würde.
  • Die Kinder wiesen außerdem eine ichbezogene Beschäftigung mit einem bestimmten Thema oder Interesse auf, um das ihre Gedanken ständig kreisten.
  • Einigen der Kinder fiel es schwer, in der Klasse aufmerksam zu bleiben und sie hatten spezifische Lernprobleme.
  • Asperger bemerkte, dass sie mehr Unterstützung durch ihre Mütter bei Selbsthilfe- und Organisationsfähigkeiten benötigten, als man erwarten würde.
  • Er beschrieb eine auffällige Ungeschicklichkeit beim Gehen und bei der motorischen Koordination. Einige Kinder reagierten besonders empfindlich auf bestimmte Geräusche, Gerüche, Oberflächen und Berührungsreize.

Asperger vermutete eine erbliche Veranlagung


Asperger war der Ansicht, dass die Merkmale des Syndroms bei manchen Kindern bereits mit zwei bis drei Jahren erkannt werden konnten, auch wenn sie bei anderen Kindern erst einige Jahre später auffällig wurden. Auch einige der Eltern, besonders die Väter, wiesen vergleichbare Persönlichkeitsmerkmale auf. Asperger vermutete erbliche oder neurologische Ursachen statt psychologischer oder Umweltfaktoren.

  • Asperger hat die autistische Persönlichkeitsstörung als einen Teil des natürlichen Kontinuums menschlicher Fähigkeiten gesehen, mit fließenden Grenzen zur Normalität.[2]

Asperger betrachtete die Störung als...

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