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Leben dürfen - Leben müssen

Argumente gegen die Sterbehilfe

AutorHeinrich Bedford-Strohm
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641102395
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Wer sich dagegen ausspricht, das Leben eines todkranken, leidenden Menschen zu beenden, hat einen schweren Stand. Die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe und zur Beihilfe zur Selbsttötung ist hoch. Politiker plädieren dafür und es werden Anträge für eine Freigabe erarbeitet. In dieser Situation sind ethisch starke Argumente gegen solche Handlungen, die zum Tode eines Menschen führen, gefragt. Der Sozialethiker, EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, erläutert die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe aus christlicher Sicht auch unter Berücksichtigung allen menschlichen Leids am Lebensende. Er bietet damit eine klare Orientierung in dieser schwierigen Frage.

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, geb. 1960, seit 2011 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Seit dem 11. November 2014 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD). Er ist gefragter Berater in sozialethischen Angelegenheiten. Bedford-Strohm ist verheiratet mit der Psychotherapeutin Deborah Bedford-Strohm und Vater dreier Söhne.

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Leseprobe

Wir alle werden sterben

Sterben ist ein Thema, das uns alle berührt. Dieses Thema lässt niemanden kalt. Wir alle werden eines Tages sterben. Und wir gehen ganz unterschiedlich damit um. Die einen versuchen das Thema zu meiden, wo immer es geht. Die anderen beschäftigen sich schon jetzt intensiv damit, um vorbereitet zu sein, wenn es so weit ist. Die meisten von uns bewegen sich irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Mit dem Sterben setzen wir uns auseinander, weil wir in unserer aktuellen Lebenssituation um die Wichtigkeit dieses Themas wissen. Vielleicht aber auch, weil wir direkt damit konfrontiert sind.

Die Erfahrungen mit dem Sterben sind ganz unterschiedlich. Wo das Sterben am Ende einer langen Vorbereitungszeit steht, wo der Sterbende und die, die ihm besonders lieb sind, intensiv voneinander Abschied nehmen konnten, da kann das Sterben zum Teil eines gelingenden Lebens werden. Wo das Sterben plötzlich kommt und Menschen lange vor der Zeit aus dem Leben gerissen werden, da kann das Sterben bitter sein und Wunden hinterlassen, die nicht heilen wollen.

Wir haben den Umgang mit dem Tod verlernt. In den modernen säkularer werdenden Gesellschaften wird der Tod zunehmend verdrängt, ja zuweilen aus dem Alltag geradezu verbannt. Der Umgang mit dem Tod wird an die ›Spezialisten‹ delegiert. Wenn ich während meiner Zeit als Gemeindepfarrer nach Todesfällen ins Sterbehaus kam, war das Bestattungsunternehmen häufig schon da gewesen und der Leichnam bereits weggebracht worden. Eine Aussegnung war nicht mehr möglich.

Margot Käßmann berichtet in ihrem Buch über das Sterben von der Konferenz der Senderbeauftragten der ARD, bei der die Intendantin des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) versuchte, den versammelten Fernsehleuten das Thema Sterben für die ARD-Themenwoche schmackhaft zu machen: »Da gab es viel Widerstand und Skepsis: Ist so ein thematischer Schwerpunkt nicht ein Quotenkiller? So etwas wirkt doch total negativ auf die Stimmung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Und dann auch noch im November!« Und dann fügt sie hinzu: »Am Ende stand eine der erfolgreichsten ARD-Themenwochen überhaupt.«1

Gleichzeitig werden wir medial überschüttet mit Todeserfahrungen aus zweiter Hand. In Schweden ergab eine Untersuchung bei Kindern im Alter von 6 bis 10 Jahren, dass 40 Prozent von ihnen, geprägt durch Medienkonsum, glauben, Menschen stürben nur aufgrund von Mord und Totschlag. Die Primärerfahrung fehlt. Erwachsene versuchen ihre Kinder vor dem Tod abzuschirmen, weil sie selbst nicht damit umgehen können. Bei meiner Kinderuni-Vorlesung im Jahr 2004 an der Universität Bamberg zum Thema »Ist Sterben wirklich so schlimm?« meldeten sich von den ca. 150 Kindern auf die Frage, wer schon einmal eine echte Leiche gesehen habe, nur zwei Kinder. Das eine hatte im Museum eine Moorleiche gesehen, das andere war ein Aussiedlerkind und hatte, noch in Kasachstan, seinen toten Opa gesehen.

Mit dem Tod umzugehen, die Gegenwart einer Leiche auszuhalten, die Endgültigkeit des Todes auszuhalten, ist schwer. Noch viel schwerer jedoch ist es, mit dem Sterben umzugehen. Was sage ich, wenn ich am Sterbebett eines Menschen stehe? Vielleicht des Vaters, der Mutter, vielleicht auch des Ehepartners? Wage ich, über den bevorstehenden endgültigen Abschied zu sprechen? Bin ich mutig genug, den Sterbenden nach seinen eigenen Empfindungen dabei zu fragen? Wie gehe ich mit dem Sterbewunsch um, den der oder die andere dabei vielleicht äußert? Und was mache ich, wenn ich gar mit der Bitte konfrontiert bin, das Sterben des anderen zu beschleunigen oder sogar aktiv herbeizuführen?

»Darf ich meinem Mann eine Sterbetablette geben, wenn ich die Gelegenheit dazu habe?« – so fragte mich eine Frau, die mir zusammen mit ihrem im Rollstuhl sitzenden Mann in einem Pflegeheim begegnete. Ihr dementer Mann schaute mich dabei eindringlich an. Seit Wochen hatte er kein einziges Wort mehr gesagt. Nur einmal. Und dieses Wort, das er seiner Frau sagte, war eine Frage: »Warum?« Ihre Stimme war tränenerstickt, als sie es mir erzählte. Und die Frage nach der Sterbetablette bekam sie kaum über die Lippen.

Solche Geschichten sind es, die wir im Herzen haben müssen, wenn wir über das Thema Sterbehilfe nachdenken. Sicher, es gibt auch kalte Zyniker, die für aktive Sterbehilfe eintreten, weil sie ein Leben, das vordergründig niemandem mehr Nutzen bringt, für überflüssig halten. Dass wir mit großer Leidenschaft solche Einstellungen zum Leben bekämpfen, ist gut. Aber was immer wir als Ergebnis unseres Nachdenkens am Ende vertreten, muss auch Bestand haben angesichts der konkreten Leidensgeschichten von Menschen, die sterben wollen, und denen, die sie dabei begleiten.

Es ist wichtig, die Frage nach dem Umgang mit dem Sterben und unserer eigenen aktiven Rolle als Sterbende irgendwann und als solche, die Sterbende begleiten, gründlich zu reflektieren. Es ist hilfreich, wenn wir die verschiedenen Möglichkeiten zur rechtlichen Regelung genau betrachten. Es ist gut, wenn wir dabei die religiösen und ethischen Traditionen mit einbeziehen, die unser Handeln bewusst oder unbewusst wesentlich mitbestimmen. Es ist ebenfalls angemessen, wenn wir dabei grundsätzliche Überlegungen anstellen. Aber alle diese Schritte, die auch den Gedankengang dieses Buches bestimmen sollen, sind auf das Gespräch mit den konkreten Erfahrungen der Menschen angewiesen, die mit dem Sterben konfrontiert sind und dabei auch bittere Situationen durchzustehen haben.

So ist dieses Buch auch eine ausführliche Antwort auf die Frage der Frau im Pflegeheim und auf die schwere Situation, die sie gemeinsam mit ihrem Mann durchzustehen hat. Was Menschen in solchen Situationen erleben, soll ins Gespräch gebracht werden mit den Grundorientierungen des Lebens und den Werten und Einstellungen, die uns als Gesellschaft sowohl leiten als auch immer wieder kritisch infrage stellen.

Aus guten Gründen gehört das aktive Töten zu den großen Tabus unserer Gesellschaften. Einen anderen Menschen absichtlich zu töten, wird hart bestraft. Nur Unzurechnungsfähigkeit oder ein Handeln in unlösbaren Dilemmasituationen kann davon entlasten. Die Selbsttötung ist diesem Tabu gleichermaßen unterworfen, auch wenn sie keine strafrechtliche Relevanz mehr hat.

Wie unterschiedlich wir heute mit diesem Tabu umgehen, wird nur selten Gegenstand öffentlicher Diskussionen. In der Regel wird über die Umstände von Selbsttötungen der Mantel des Schweigens gebreitet: aus Hilflosigkeit, aus Angst vor moralischer Ächtung oder aus Respekt vor der Privatsphäre der Betroffenen.

Eine der wenigen Ausnahmen war der Tod von Hannelore Kohl, der Gattin des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl.

Wir haben den Umgang mit dem Tod verlernt. Die Sterbe­hilfedebatte kann uns helfen, ein neues Verhältnis zu Tod und Sterben zu gewinnen.

›Selbstmord‹ oder ›Freitod‹?

Am 5. Juli 2001 tötete sich Hannelore Kohl in ihrem Haus in Ludwigshafen mit einer Überdosis Tabletten selbst. An einer seltenen Lichtallergie leidend, hatte sie mit starken Schmerzen zu kämpfen und konnte in den letzten Monaten ihres Lebens das tagsüber abgedunkelte Haus nur bei Dunkelheit verlassen.

In der Medienreaktion auf ihren Tod wurde das ganze Spektrum der Wahrnehmungen eines solchen Falles in unserer Gesellschaft öffentlich deutlich. War die Selbsttötung von Hannelore Kohl ein ›Freitod‹ oder war es ein ›Selbstmord‹? Schon in diesen beiden Begriffen schwingt die ganze Interpretationsbreite mit, die in der Wahrnehmung dieses öffentlichen Todes zu beobachten ist.

In der einen Interpretation, für die zumeist der Begriff ›Freitod‹ stand, war die Selbsttötung von Hannelore Kohl ein Akt letzter Freiheit. Sie hatte ganz offensichtlich diesen Tod geplant, ihn im Detail vorbereitet, zahlreiche Abschiedsbriefe geschrieben und sogar noch einfühlsam eine Nachricht an die Person formuliert, die sie auffinden würde. Das alles war für manche Indiz dafür, dass es sich um einen ›Akt der Befreiung‹ (n-tv), ja, einen ›emanzipatorischen Akt‹ (STERN) handelte. Zuletzt, aller Lebensmöglichkeiten beraubt und ohne Aussicht auf Besserung ihrer Lage, hatte sie sich – so diese Interpretation – in einem letzten Akt der Freiheit entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Zuweilen mischten sich fast schon hero­ische Töne in die Darstellung dieses Entschlusses. Und bestimmte markante und daher viel zitierte Worte aus ihrem Munde wurden im Lichte der Ereignisse neu gelesen: »Das Letzte, was man sich erlauben darf, ist aufgeben.« Aufgeben als erlaubter letzter Akt freier Entscheidung – so wurden diese Worte nun interpretiert.

Ganz andere Töne wurden nur vorsichtig geäußert. Franz-Josef Wagner schrieb in der täglichen Kolumne der Bild-Zeitung mit dem Titel Hannelore Kohl – First Lady für immer:

Ich denke unaufhörlich daran, und es beschäftigt mich ganz und gar, wie diese Frau ihren vergifteten Haferbrei zu sich nehmen konnte. Sie wusste doch, dass sie mit jedem Löffel ihre Söhne und ihren Mann zum Weinen bringt. Sie war doch Sanitäterin, und deshalb hadere ich mit ihr.

Fragmentarisch stehen diese Zeilen zwischen allem anderen – als Ausdruck der Hilflosigkeit im Umgang mit der Ambivalenz der Gefühle: dem moralischen Unbehagen, das im Begriff des ›Selbstmordes‹ zum Ausdruck kommt, auf der einen Seite und dem Impuls, nicht zu richten über die Verstorbene, auf der anderen Seite.

Weder die moralische...

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