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E-Book

Lebenserinnerungen

Vollständige Ausgabe

AutorRudolf Eucken
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl137 Seiten
ISBN9783849612160
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Eucken lehrt, unter dem Einfluss besonders von Plato und Fichte, einen objektiven Idealismus als Weltanschauung, der aber nicht intellektualistisch ist, sondern auf selbständige, aktive Gestaltung des Lebens gerichtet ist (Aktivismus). Es ist ihm überall um eine Erhöhung des Lebens zu tun, um Gewinnung eines festen Standpunktes, von dem aus das Leben Sinn und Wert erhält, indem es als in einem universalen Geistesleben verankert erscheint, zu dein es sich aktiv im Kampfe gegen alles bloß Naturhafte und Hemmende zu erheben hat. Dies ist seine Autobiographie.

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Leseprobe

Basel (1871–1874)


 


Die Übersiedlung nach Basel war keineswegs leicht. Einmal mußten wir manches aufgeben, was uns eine liebe Gewohnheit war, und uns von manchen werten Freunden trennen. Dann hatten wir große Mühe, eine leidliche Wohnung in Basel zu finden, wir haben eine zusagende erst nach einem halben Jahr gefunden. Auch hatten wir viele Sorge wegen unserer Möbel. Der sie enthaltende Wagen traf sehr verspätet in Basel ein, und wir mußten Tag für Tag uns darum bemühen. Aber schließlich wurde alles glücklich überwunden, und wir haben uns bald wohl in Basel gefühlt. Die Universität war damals recht klein (150 bis 160 Studenten), aber sie hatte eine große Zahl hervorragender Persönlichkeiten. So z. B. den Ratsherrn Vischer selbst, der als Erforscher des klassischen Altertums einen großen Ruf besaß und verschiedenen europäischen Akademien als Mitglied angehörte. Sodann Jakob Burckhardt, der damals auf der Höhe seines Wirkens stand, den tiefgründigen und geistvollen Steffensen, weiter die Theologen Hagenbach, Schultz und von der Goltz, den Juristen A. Heußler, die Naturforscher Rütimeyer und Schwendener, den Mediziner His, den Nationalökonomen Julius Neumann, endlich Nietzsche. Ich habe gleich bei meiner Berufung vom Ratsherrn Vischer Näheres über Nietzsches Berufung nach Basel gehört. Vischer kam nach Leipzig zu Ritschl, um einen jungen Philologen für die Universität zu gewinnen. Dieser nannte zunächst verschiedene andere Namen, endlich aber meinte er: wir haben einen jungen Philologen, der entschieden bedeutender ist als alle anderen, aber er ist noch nicht einmal Doktor. Vischer meinte: das schadet nichts, wenn der Mann wirklich so bedeutend ist. Dieses versicherte Ritschl mit voller Entschiedenheit. So wurde die Berufung ausgeführt. Vischer aber erklärte mir damals, man wäre in Basel sehr froh darüber, diesen hervorragenden Mann an der Universität zu wissen. In enger Verbindung zu den akademischen Kreisen stand auch der badische Staatsrat Gelzer, dem man einen bedeutenden politischen Einfluß zuschrieb, und der wegen seiner charaktervollen und universalen Persönlichkeit allgemein geschätzt wurde.

 

Ich begann bald meine Vorlesungen. Die Zahl meiner Zuhörer war natürlich anfangs klein. Mein erstes Kolleg behandelte die Geschichte und das System der Pädagogik, wobei ich den gewöhnlichen Fehler beging, viel zu viel Stoff zu bringen. Ich habe auch sofort aristotelische Übungen eingerichtet und hier die Ethik mit sehr tüchtigen Studenten getrieben. Im folgenden Semester hatte ich schon 40 Zuhörer, auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in Basel gestalteten sich sehr zusagend. Wir gewannen einerseits mit den deutschen Kollegen, andererseits mit den einheimischen Familien mannigfache freundschaftliche Beziehungen. Damals herrschte in Basel eine hochgebildete Aristokratie, welche sich mit dem deutschen Wesen eng verwandt fühlte. Durch eine ganze Reihe von Jahrhunderten waren daraus bedeutende Persönlichkeiten hervorgegangen; das Religiöse gab einen festen Grundton, aber es war keineswegs eng und aufdringlich. Zugleich herrschte in diesen Kreisen viel Sinn für die Kunst, sowohl für die bildende, als für die Musik. Dazu kam eine unbeschränkte Opferwilligkeit für öffentliche Zwecke, bei der sich die gemeinsamen Angelegenheiten ausgezeichnet befanden. So galt Basel mit Recht als ein hervorragendes Kulturzentrum selbständiger Art. Dabei herrschte im persönlichen Verkehr ein recht freundlicher und ansprechender Ton. Wiederholt ist mir damals versichert worden, man fühle sich mit den eigentlichen Norddeutschen und namentlich mit den Küstenbewohnern besonders verwandt, verwandter als mit den redegewandten Mitteldeutschen und namentlich mit den selbstbewußten Berlinern. Daß auch meine Mutter diese ganze Lage freudig begrüßte und auch für sich selbst vielfach Anregung schöpfte, das bedarf keiner Erwähnung. Sehr bedauerlich und schmerzlich aber war mir in dieser Zeit der unerwartete Tod Trendelenburgs. Er hatte schon 1870 einen leichten Schlaganfall gehabt, den alle Freunde auf seine maßlose Überbürdung mit Geschäften schoben. Aber man hoffte, die sorgfältige und treue Pflege der Seinigen würde die Hemmung voll überwinden. Er erbat und erhielt einen längeren Urlaub, um sich in der großen und stillen Natur der Alpen auszuruhen, und es schien, als ob er seine akademische Tätigkeit bei genügender Vorsicht wieder würde aufnehmen können. Ich habe in jener Zeit öfter mit ihm korrespondiert und ihn über laufende wissenschaftliche Vorgänge orientiert; er hatte damals einen verdrießlichen wissenschaftlichen Streit mit Kuno Fischer, der sich zunächst auf die Behandlung Kants bezog, der aber überhaupt die wissenschaftliche Art der beiden Denker als recht verschieden zeigte. Trendelenburg fand die philosophische Art Fischers als sehr geistvoll, aber als zu subjektiv, über sein Rednervermögen äußerte er sich stets mit höchster Anerkennung. Es hat aber dieser wissenschaftliche Streit auf den Gesundheitszustand Trendelenburgs nicht eingewirkt, wie gelegentlich behauptet wurde; dazu ging ihm die Sache nicht tief genug. Anfang 1872 hörte ich dann durch einen Berliner Bekannten von einer großen Verschlimmerung seines Befindens, und bald empfing ich die Todesnachricht. Ich verlor in Trendelenburg nicht nur einen mir sehr sympathischen Forscher, sondern einen väterlichen Freund, der stets darauf bedacht war, mich auch in meiner eigenen Art zu bestärken, der in keiner Weise die Huldigung eines Schulhauptes verlangte. Ich hatte an ihm auch in den akademischen Kreisen einen festen Halt. In den Schriften der Preußischen Akademie hat Lenz ein eingehendes Bild von Trendelenburg entworfen, das leider die wissenschaftliche Bedeutung und die edle Persönlichkeit des Mannes nicht genügend würdigt; die einzelnen Züge mögen zutreffen, es fehlt aber dem Gesamtbild die innere Einheit und Wärme. Ich selbst habe mich wiederholt über Trendelenburg und seine wissenschaftliche Stellung literarisch ausgesprochen.

 

Abgesehen von diesem schmerzlichen Verlust, schien ich in Basel auf der Höhe des Lebens zu stehen. Meine wissenschaftliche Laufbahn hatte sich außerordentlich günstig gestaltet, alles griff ineinander, zusagende, ja bedeutende Stellungen waren einander rasch gefolgt, ich war den Mühen und Gefahren eines Privatdozenten entgangen und in eine schöne Tätigkeit versetzt, die allen meinen Wünschen entsprach und alle meine Kräfte anspannte. Scherzweise habe ich damals wohl geäußert, ich würde in meinen Leistungen pränumerando bezahlt, ich hätte die Pflicht, eine solche zuvorkommende Behandlung erst durch die Tat zu beweisen. Trendelenburg aber gratulierte mir in einem herzlichen Briefe: "Mögen Sie Muße behalten! Muße in Ihren Jahren, welcher Reichtum an möglichen Keimen!" So war mir alles über Erwarten gelungen. Auch in der Lebensumgebung hatte sich alles nach Wunsch gestaltet. Wir hatten eine sehr zusagende Wohnung gemietet, deren großer Garten unmittelbar an den Rhein grenzte, meine Mutter hatte besondere Freude daran; ich aber hatte täglich meinen Weg nach der Universität über die alte Rheinbrücke zurückzulegen, die einen herrlichen Blick auf das hochragende Münster gewährt. Aber eben jetzt, wo alles aufs beste zu stehen schien, drohte eine Gefahr, die zunächst nicht als eine schwere erschien, sich aber bald als eine solche herausstellte, eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben meiner Mutter. Meine Mutter war zart, aber elastisch und von großer Willensstärke, so hatte sie die Mühen des doppelten Umzuges gut überstanden. Wir haben damals noch verschiedene kleine Ausflüge gemacht, namentlich noch vor dem Winter einen großartigen Alpenblick auf der Frohburg genossen, wo alle großen Gipfel aus dem sonstigen tiefen Nebel klar und hell hervorragten. Ferner haben wir mit der uns befreundeten Familie des Philosophen Sengler in Freiburg noch am 10. Mai 1872 einen Ausslug nach dem im frischen Grün prangenden Höllental gemacht. Wir hofften durch einen Aufenthalt auf dem Stoos eine völlige Kräftigung zu erreichen. Aber schon einige Tage nach jenem Ausflug verschlimmerte sich das Befinden meiner Mutter sehr. Sie fühlte sich sehr matt und schwach, ohne jedoch über besondere Schmerzen zu klagen. Aber offenbar hat sie sich schon damals mit dem Gedanken eines baldigen Todes stark beschäftigt. Eines Morgens trat sie in beinahe feierlicher, aber freudiger Stimmung in das gemeinsame Frühstückszimmer und erzählte mir, sie hätte im Traume nun endlich ein vollauf deutliches Bild ihres jüngeren Sohnes gehabt, was ihr sonst nie gelungen war. Sie hat aber weiter nicht geklagt und hat noch erlebt, daß mein erstes Buch über die aristotelische Methode mir samt dem Honorar von dem Weidmannschen Verlag übersandt wurde. Dann aber ging es sehr schnell abwärts, und am 31. Mai ist sie ohne schweren Todeskampf verschieden. Der behandelnde Professor Miescher hat mir dann berichtet, dieser baldige Tod sei als ein großes Glück zu betrachten, es habe sich schon ein Krebsleiden entwickelt, wovon sie nicht die mindeste Ahnung hatte.

 

Was der Verlust meiner Mutter für mich bedeutete, das entzieht sich Worten. Aber bei allem Schmerz mußte ich dankbar anerkennen, daß meiner Mutter ein innerlich reiches und edles Leben beschieden war. Ihre Jugend war ruhig und heiter, in der Ehe fand sie ein zusagendes Leben, aber zehn Jahre hindurch waren dieser Ehe Kinder versagt. Dann gab die freudig begrüßte Geburt ihrer beiden Kinder ihrem Leben einen reicheren Inhalt. Aber kaum war das geschehen, so häuften sich Sorgen und Schmerzen, sie verlor rasch nacheinander den blühenden Sohn und den geliebten Mann und war allein auf ihre eigene Kraft angewiesen. Nun hat sie alle Mühe...

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