Sie sind hier
E-Book

Lebensstil und Bibliotheksnutzung

Eine vergleichende Lebensstilanalyse von Bibliotheksnutzern aus Leipzig und Stuttgart

AutorHenrik Amme
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl83 Seiten
ISBN9783668050792
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Bibliothekswissenschaften, Information Science, Note: 1,7, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (Medien), Sprache: Deutsch, Abstract: Die soziologische Lebensstilforschung liefert durch Sozialstrukturanalysen gesellschaftlicher Gruppen vielfältige und weitreichende Erkenntnisse über heutige Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Zielgruppen und Milieus. In Deutschland nutzen laut einer infas-Studie aus dem Jahre 2004 gegenwärtig knapp 30 % der Bürgerinnen und Bürger Öffentliche Bibliotheken. Trotz oder gerade wegen der immensen Größe und Heterogenität dieser gesellschaftlichen Gruppe ist wenig über ihre Beschaffenheit bekannt. Martin Szlatki eröffnet mit seiner Forschungsarbeit 'Lebensstilanalyse und Nutzungsverhalten in der Bibliothek' (2008) über den Einfluss des Lebensstils auf die Nutzung der Stadtbücherei Stuttgart differenziertere Einsichten zum Lebensstil von Bibliotheksnutzerinnen und -nutzern als herkömmliche Bibliotheksstatistiken und verkleinert dadurch die Forschungslücke in diesem Bereich. Zur Analyse der Lebensstile der Nutzerinnen und Nutzer bediente er sich eines von Gunnar Otte entwickelten quantitativen Lebensstilanalysemodells auf Basis eines standardisierten Fragebogens. Eben jenes Analyseinstrument kam auch bei der repräsentativen Befragung von knapp über 1000 Nutzerinnen und Nutzern der Stadtbibliothek Leipzig zum Einsatz, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Wodurch und inwieweit sich die Lebensstile von Bibliotheksnutzern aus Ost- und Westdeutschland voneinander unterscheiden, steht als Frage im Zentrum dieser Arbeit. Ausgehend von Ottes Hypothese nach wie vor bestehender regionaler Disparitäten, ist in Leipzig von einer schwächeren Besetzung gehobener bzw. ressourcenstarker Lebensstiltypen auszugehen. Durch systembedingte Sozialisationsunterschiede ist in Leipzig zudem eine geringere Verbreitung des (an postmateriellen Werten orientierten) reflexiven Lebensstils und gleichzeitig eine höhere des (an materiellen Werten orientierten) Lebensstils der Unterhaltungssuchenden zu erwarten. Ziel dieser Arbeit ist die empirische Überprüfung dieser Hypothesen. Zugleich dient die vergleichende Analyse auch dazu, mehr über die Nutzerinnen und Nutzern deutscher Öffentlicher Bibliotheken zu erfahren und damit ein klareres Bild von ihnen zu bekommen. Ferner wird auch versucht, den bislang wenig ausgeschöpften Diskurs der bibliothekarischen Lebensstilforschung anzuregen und zu bereichern.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Vergleichende Lebensstilanalyse zwischen den Stadtbibliotheken in Leipzig und Stuttgart


 

1.6. Forschungshypothesen


 

Mit einem Blick auf die beiden beschriebenen Lebensstildimensionen (Ausstattungsniveau und Modernität/biografische Perspektive), kommen erwartungsgemäß die dominanten Nutzer-gruppen aus dem teilmodernen (Aufstiegsorientierte, Liberal Gehobene) und die am wenigsten Vertretenen aus dem traditionellen (Konservativ Gehobene, Traditionelle Arbeiter) Segment. Bildung als grundlegende Ressource für den Gang in die Bibliothek lässt darüber hinaus auf eine schwächere Vertretung des untersten Ausstattungsniveaus (Traditionelle Arbeiter, Heimzentrierte, Unterhaltungssuchende) schließen.[54] Als Nährboden der vergleichenden Analyse dienen die ausführlich begründeten Hypothesen Juliane Linkes, welche im Folgenden aufgeführt und anschließend geprüft werden.

 

„H.1: Die Verteilung der Lebensstiltypen an der Stadtbibliothek Leipzig wird sich von der in Stuttgart unterscheiden.“[55]

 

Da zwischen Stuttgart und Leipzig nicht zuletzt auch aufgrund der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands nach wie vor recht markante sozialstrukturelle Unterschiede und sozialisationsbedingte Mentalitätsabweichungen auszumachen sind und diese sich auch in der Ausgestaltung des Lebens manifestieren, ist sowohl allgemein als auch bezogen auf die Bibliotheksnutzung eine unterschiedliche Lebensstilverteilung zu erwarten.[56] Ungleiche regional wie geschichtlich bedingte Lebensbedingungen führen zu unterschiedlichen Werthaltungen und Überzeugungen, so die Annahme. Dies wird sich auch in der Lebensstilverteilung niederschlagen.

 

Beide Städte haben mehr als 500.000 Einwohner und weisen eine ähnliche Altersstruktur auf:

 

„Die Anteile der 18- bis 25-Jährigen sind nahezu gleich verteilt. Es folgen die 45- bis unter 65-Jährigen mit etwa einem Viertel und die 18- bis unter 25-Jährigen mit rund neun Prozent. Unterschiede ergeben sich bei Kindern und Menschen ab 65 Jahren. In Leipzig gibt es knapp vier Prozent mehr 65+-Jährige und dafür weniger Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren als in Stuttgart.“[57]

 

Auch im Bildungsbereich gibt es keine nennenswerten Unterschiede. Die gesamtdeutsche Wiedervereinigung brachte zunächst keine Angleichung, sondern eine Sprengung sozialer Milieus mit sich. Die Kluft zwischen Armen und Reichen sowie Traditionalisten und Modernisten wuchs. Bis 2000 erfasste deshalb das Sinus-Institut für Ost und West eigenständige Modelle sozialer Milieus. Seit 2001 existiert ein gesamtdeutsches Modell.[58]

 

Darüber hinaus ist in Westdeutschland im Sinne der Theorie des Postmaterialismus von Ronald Inglehart mit einer stärkeren Verankerung und Verbreitung postmaterialistischer Werte (wie z.B. Selbstentfaltung, Partizipation, Lebensqualität oder Emanzipation) zu rechnen als in Ostdeutschland, wo demgegenüber aller Voraussicht nach materialistische Werte (wie z.B. Leistung, Sicherheit, Prestige, sozialer Aufstieg) einen höheren Stellenwert haben.[59] Laut der Mangelhypothese im Kontext des Postmaterialismus streben vor allem jene nach materiellem Konsum, die im Laufe ihrer Sozialisation oder fortwährend an materiellem Mangel leiden.[60] Während in Ostdeutschland die Mehrheit Bedingungen vorfanden, um lediglich nach grundlegenden materiellen Bedürfnissen zu streben, stellte die Befriedigung von materiellen Grundbedürfnissen in Westdeutschland eine viel größere Selbstverständlichkeit dar. Folglich konnte bei in Westdeutschland sozialisierten Menschen das Streben nach postmateriellen Werten in den Vordergrund rücken. Bis zum politischen Systemwechsel Ende der 1980er-Jahre produzierte das politische System in Ostdeutschland eher materialistische Werthalt-ungen, in Westdeutschland hingegen eher postmaterialistische. Gesellschaftlich verankerte sowie sozialisationsbedingte Wertvorstellungen wandeln sich nur schleichend über nachkommende Generationen hinweg. Deshalb ist anzunehmen, dass nach wie vor (wenn auch mit abnehmender Tendenz) in Westdeutschland der (postmaterialistisch orientierte) Lebensstiltyp der Reflexiven stärker und der (materialistisch orientierte) Typ der Unterhaltungssuchenden schwächer besetzt sein wird als in Ostdeutschland. Umgekehrt sind in Ostdeutschland dementsprechend mehr Unterhaltungssuchende und weniger Reflexive zu erwarten.

 

„H.2: Trotz aller Unterschiede werden sich die Verteilungen der Lebensstiltypen an den Stadtbibliotheken Stuttgart und Leipzig ähneln.”[61]

 

Als Teil ein und desselben politischen Systems gleichen sich die Lebensstile zwischen Ost und West seit der Wiedervereinigung tendenziell immer weiter an. Aber nicht nur schleichende Angleichungsprozesse lassen auf eine ähnliche Verteilung schließen, sondern auch die Tatsache, dass es sich in beiden Städten um eine (wenn auch heterogen zusammengesetzte, aber dennoch spezifisch umrissene) Bevölkerungsgruppe handelt: Allesamt sind Bibliotheksnutzer.

 

Der Großteil der befragten Personen in Stuttgart (ca. 82 %) verteilt sich auf vier der neun Lebensstiltypen, die alle im Bereich eines mittleren oder gehobenen Ausstattungsniveaus und einer teil- oder modernen Orientierung liegen. Personen mit niedrigem Ausstattungsniveau verhalten sich im Allgemeinen distanziert zu (gedruckten) Medien und werden voraussichtlich auch in Leipzig nicht zu den typischen Bibliotheksnutzern zählen. Auf der anderen Seite beruht der sowohl in Stuttgart als höchstwahrscheinlich auch in Leipzig geringe Anteil an Konservativ Gehobenen, die (ausgerüstet mit einem hohen Ausstattungsniveau) prinzipiell ein sehr enges Verhältnis zum Lesen und zu kulturellen Veranstaltungen pflegen, vermutlich nicht auf einer Distanz zum Buch, sondern vielmehr auf einer Vorliebe zum Bücherkauf bzw. -besitz.[62]

 

Die kritisch anzumerkende Widersprüchlichkeit der ersten beiden Hypothesen von Linke kann in der Analyse aller Voraussicht nach nur punktweise, keinesfalls jedoch durchgängig aufgelöst werden.

 

“H.3: Die Typen der Aufstiegsorientierten und Hedonisten werden prozentual den größten Anteil ausmachen.”[63]

 

Aufstiegsorientierte gehören zur so genannten “Mitte der Gesellschaft” mit mittlerem Ausstattungsniveau und teilmodernen Einstellungen, wohingegen Hedonisten zwar demselben Ausstattungsniveau zuzurechnen, aber moderner und biografisch offener sind.

 

Lebensstiltypen mit gehobenem Ausstattungsniveau sind in Ostdeutschland stark unterrepräsentiert, während Typen mit einem niedrigen Ausstattungsniveau überrepräsentiert sind, wie aus einer Studie von Gunnar Otte und Nina Baur hervorgeht.[64] In Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern verzeichnen sie einen qualitativen Anstieg in Richtung einer höheren Ausstattung sowie einer moderneren Lebensauffassung.[65] Das vielfältige Angebot in einer modernen Großstadt wie Leipzig wird die polarisierende Verteilung zwischen niedrigem und hohem Ausstattungsniveau voraussichtlich abschwächen. In Hinblick auf die Dimension Modernität/biografische Perspektive werden, aufgrund der allgemein stärkeren Nutzung von Bibliotheken durch jüngere, modern orientiertere Personen (wie auch in Stuttgart) kaum traditionale, sondern vermehrt teilmoderne und moderne Lebensstiltypen zu erwarten sein. Hinzu kommt in Leipzig noch die weitverbreitete Distanz zu religiösen Prinzipien, was auch für eine stärkere Besetzung moderner Lebensstile spricht. Aus diesen Gründen ist anzunehmen, dass einerseits das mittlere Ausstattungsniveau und auf der anderen Seite moderne Orientierungen in Leipzig am stärksten besetzt sein werden. Die zwei modernen und eher großstädtischen Lebensstiltypen des mittleren Ausstattungsniveaus (Aufstiegsorientierte, Hedonisten) werden die Verteilung dominieren. Die Konventionalisten als übriger Typ der mittleren Ausstattung werden mit ihren eher ländlichen oder kleinstädtischen Verhaltensmustern (ebenso wie in Stuttgart) auch in Leipzig wohl nur sehr schwach besetzt sein.[66]

 

 “H.4: Am wenigsten werden die Lebensstiltypen Konservativ Gehobene und Traditionelle Arbeiter vertreten sein.”[67]

 

Traditional orientierte Lebensstiltypen sind im Großstadtraum nur sehr schwach vertreten. Zudem haben sie in der Regel eine geschlossene biografische Perspektive. Hinzukommend gehören beide nicht dem voraussichtlich dominanten mittleren Ausstattungsniveau an. Konservativ Gehobene sind durch ein gehobenes Ausstattungsniveau, Traditionelle Arbeiter demgegenüber durch ein niedriges charakterisiert. Als Grund für die niedrige Verteilung kann, neben bereits erwähnten Erklärungsansätzen, auch das Fernbleiben älterer Menschen von Bibliotheken, welche oft Träger dieser Lebensstiltypen sind, genannt werden.

 

Die “niedrige Ausprägung sämtlicher ökonomischer und kultureller Komponenten des Ausstattungsniveaus” in Ostdeutschland dient als eine Erklärung für den noch geringeren Anteil an Konservativ Gehobenen in Leipzig gegenüber Stuttgart.[68]...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Medien - Kommunikation - soziale Medien

Tatort Tagesschau

E-Book Tatort Tagesschau
Eine Institution wird 50. Format: PDF

»Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau« – seit 50 Jahren beginnt so der TV-Feierabend. Souverän beherrscht die Tagesschau die deutsche Fernsehlandschaft. Je nach Nachrichtenlage…

Datenformate im Medienbereich

E-Book Datenformate im Medienbereich
Format: PDF

Das Buch greift einen sehr aktuellen Themenkomplex auf, denn der Datenaustausch findet zunehmend in komprimierter Form über Netzwerke statt. Es beschreibt Standards für die Datenreduktion und den…

Datenformate im Medienbereich

E-Book Datenformate im Medienbereich
Format: PDF

Das Buch greift einen sehr aktuellen Themenkomplex auf, denn der Datenaustausch findet zunehmend in komprimierter Form über Netzwerke statt. Es beschreibt Standards für die Datenreduktion und den…

Datenformate im Medienbereich

E-Book Datenformate im Medienbereich
Format: PDF

Das Buch greift einen sehr aktuellen Themenkomplex auf, denn der Datenaustausch findet zunehmend in komprimierter Form über Netzwerke statt. Es beschreibt Standards für die Datenreduktion und den…

Virtuelle Welten

reale Gewalt Format: PDF

Die Frage, wie Gewalt und Medien zusammenhängen, lässt sich nicht mit einem Satz oder nur aus einer Perspektive beantworten. Deshalb haben 16 Telepolis-Autoren in 20 Essays ihre Meinung, die…

Virtuelle Welten

reale Gewalt Format: PDF

Die Frage, wie Gewalt und Medien zusammenhängen, lässt sich nicht mit einem Satz oder nur aus einer Perspektive beantworten. Deshalb haben 16 Telepolis-Autoren in 20 Essays ihre Meinung, die…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

Demeter-Gartenrundbrief

Demeter-Gartenrundbrief

Einzige Gartenzeitung mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zum biologisch-dynamischen Anbau im Hausgarten (Demeter-Anbau). Mit regelmäßigem Arbeitskalender, Aussaat-/Pflanzzeiten, Neuigkeiten ...

dental:spiegel

dental:spiegel

dental:spiegel - Das Magazin für das erfolgreiche Praxisteam. Der dental:spiegel gehört zu den Top 5 der reichweitenstärksten Fachzeitschriften für Zahnärzte in Deutschland (laut LA-DENT 2011 ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...