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Legitimer Protest

Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels

AutorArmelle Laborie, Eyal Sivan
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783853718629
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Der israelische Filmemacher Eyal Sivan und Armelle Laborie berichten in ihrem Buch über den erfolgreichen Boykott israelischer Forschungs- und Kultureinrichtungen. Dem Vorwurf des 'Antisemitismus' halten sie entgegen, dass sich der Protest gegen Israel als universaler Widerstand gegen Rassismus versteht.

Eyal Sivan, geboren 1964 in Haifa, ist ein israelischer Filme­macher und Regisseur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen: 'Route 181', 'Fragmente einer Reise in Palästina/Israel' (in Zusammenarbeit mit Michel Kleifi, 2003); 'Aus Liebe zum Volk' (in Zusammenarbeit mit Audrey Maurion, 2004) und 'Common State, Potential Conversation' (2012). Armelle Laborie ist langjährige Produzentin von Dokumentarfilmen und arbeitet in einer Kommunikationsagentur.

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Leseprobe

I. Der akademische und kulturelle Boykott: eine bedeutende strategische Bedrohung


Die Rhetorik der Bedrohung


Am 28. Mai 2015 erklärt der israelische Präsident Reuven Rivlin in Anwesenheit von Vertretern aller höheren Bildungseinrichtungen zum Thema der BDS-Kampagne (BDS steht für Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen): »Ich dachte nicht, dass die israelischen Universitäten ernsthaft bedroht wären. Doch das Klima weltweit hat sich geändert und es ist daher unmöglich, dieses Problem nicht als eine strategische Bedrohung ersten Grades anzusehen.« Diese verblüffende Feststellung ist umso beachtenswerter, als die israelische Regierung seit 2004, als die PalästinenserInnen erstmals zum akademischen und kulturellen Boykott Israels aufriefen, versuchte, ihm möglichst wenig Aufmerksamkeit zu verleihen. Nach dem israelischen Angriff auf Gaza im Sommer 2014 schlossen sich immer mehr Kräfte dem über die erfolgreiche BDS-Kampagne im Wirtschaftsbereich10 hinausgehenden akademischen und kulturellen Boykott an und er erhielt öffentliche Unterstützung. Daraufhin änderte die israelische Regierung ihre Haltung gegenüber BDS.

In einer Rede beteuerte der israelische Präsident: »Universitäten sind Festungen des Liberalismus und des kritischen Denkens […]. Zweifellos ist der akademische und kulturelle Boykott Teil eines Zerstörungswillens.« Eine erstgradige strategische Bedrohung ist diese Form des Boykotts tatsächlich deshalb, weil die akademischen und kulturellen Institutionen weniger eine Festung sind als vielmehr ein Schaufenster, in dem Israel ein demokratisches, liberales und kritisches Bild von sich selbst zeichnet. Der Aufruf zum akademischen und kulturellen Boykott ist ein in dieses Schaufenster geworfener Pflasterstein. Er greift die westlich-liberale Fassade an und ritzt damit an den Emblemen der israelischen Normalität, stellt die Realität bloß und ist dadurch eine erstgradige Bedrohung. Anfang 2015 versicherte der ehemalige General Amos Yadlin11, Direktor des Instituts für nationale Sicherheitsstudien (INSS) der Universität Tel Aviv, in seinen strategischen Prognosen, dass Israel Ziel militärischer Bedrohungen sei, »[…] die eine Herausforderung darstellen, aber das Land nicht existenziell bedrohen.« Präzisierend ergänzte er: »Es gibt keine existenzielle Bedrohung auf militärischem Gebiet, aber es gibt BDS.«12 Bedrohungen bilden seit jeher einen Bestandteil des politischen Wortschatzes Israels. Die potenzielle Bedrohung, die weltweit auf Juden/Jüdinnen laste, ist die Daseinsberechtigung des Staates Israel; genauso rechtfertigt die existenzielle Bedrohung, die auf den Juden/Jüdinnen in Israel laste, die Politik und die Handlungen des Staates. Diese Opferhaltung setzt europäische Staatschefs unausgesprochen unter Druck: Sie werden an ihre moralische Verpflichtung erinnert, den Staat zu verteidigen, in dem die Nachgeborenen jener großen Katastrophe leben, für die sie die Schuld trügen. In Israel hat die ständige Erwähnung einer Bedrohung, ob real oder eingebildet, potenziell oder existenziell, die Wirkung eines unentwegten Fahnenappells: Sie verpflichtet zur nationalen Einheit und mobilisiert die israelische jüdische Gesellschaft, aber auch die »Freunde Israels« und die zionistischen Organisationen weltweit. Sie macht es möglich, die Spaltungen und Divergenzen, Diskussionen und Anfechtungen im Innern zu relativieren und die Reihen um eine lebenswichtige Pflicht zu schließen. Die Bedrohung rechtfertigt den seit der Staatsgründung von Jahr zu Jahr durch das israelische Parlament verlängerten provisorischen Ausnahmezustand, dank dem die Regierungen jeweils die von ihnen angewandten Praktiken von Diskriminierung, Segregation und Kolonisierung legitimieren konnten.

Reuven Rivlins Kriegserklärung an BDS und insbesondere an den akademischen und kulturellen Boykott schlossen sich selbst RegierungsgegnerInnen pauschal an. Einige Tage nach der Erklärung des Präsidenten widmete Yedioth Aharonot, die größte Tageszeitung des Landes, BDS eine Sonderausgabe mit dem Titel: »Stop the Boycott«; sie organisierte auch in Jerusalem eine internationale Konferenz, um diesen Kampf zu koordinieren.13 Isaac Herzog, Generalsekretär der Arbeitspartei, überbot sich mit der Erklärung, der Boykottaufruf »kommt dem gefährlichen antisemitischen Terror einer neuen Art gleich, die wir mit all unseren Mitteln und Kräften bekämpfen werden«.14

Ein anderer Gegner der Regierung Netanjahu, Yair Lapid, Vorsitzender der zentristischen Partei Yesh Atid15, erklärte einige Tage nach der Erklärung des Präsidenten vor der UNO: »Wir müssen von der Verteidigung zum Angriff übergehen und der Welt erklären, dass die Leute hinter dem Boykott dieselben sind, die ganze Bevölkerungen unterdrücken und im Niger und Syrien Kinder töten.«16 Um zu folgern: »Wir sind vielleicht nicht einverstanden mit der Regierungspolitik. Doch angesichts eines äußeren Feindes müssen wir geeint auftreten.«17 Ram Ben-Barak, Generaldirektor des Ministeriums für Nachrichtendienste und Anwärter auf den Posten des Mossad-Direktors18, betonte seinerseits, dass »der Staat Israel deshalb Schwierigkeiten hat, diesen Kampf zu führen, weil die PalästinenserInnen bezahlte AktivistInnen anstellen, um an jeder Universität in der Welt Propaganda gegen Israel zu betreiben«.19 Einige Tage nach dem Beinahe-Ausschluss des israelischen Fußballverbands aus der FIFA und dem Beschluss des britischen Studierendenverbands National Union of Students (NUS) mit seinen 7 Millionen Mitgliedern, BDS zu unterstützen,20 berief das israelische Parlament eine Dringlichkeitssitzung ein, um sich mit dieser neuen strategischen Bedrohung auseinanderzusetzen. Mit Ausnahme der Vereinigten Liste21 kamen alle politischen Parteien Israels darin überein, gegen das vorzugehen, was sie als Kampagne zur Delegitimierung Israels bezeichnen.22

Ayelet Shaked, Justizministerin und Mitglied der extrem rechten national-religiösen Partei Jüdisches Heim, gab am Rednerpult der Knesset den Ton an: »Das Ziel dieser Kampagne ist nicht, eine spezifische israelische Politik zu beeinflussen, sondern den Namen Israels in den Schmutz zu ziehen, den vitalen Interessen Israels und seiner Verteidigungsfähigkeit zu schaden […]. Sie zielt darauf ab, Israel als Quelle allen Übels in der Welt zu beschreiben, genauso wie dies in der Vergangenheit der Antisemitismus getan hat, dem die Juden ausgesetzt waren.«23 BDS und insbesondere der akademische und kulturelle Boykott wurden damit als diffuserer und gewaltfreier, aber nicht minder gefährlicher Feind auf eine Stufe mit der »iranischen Bedrohung« gestellt.

Die Entwicklung der Bedrohung


Der kulturelle Boykott findet in dem Maß Verbreitung, wie die Siedlungspolitik und die Militäroperationen, die Bombardierungen, Landkonfiszierungen, Massenverhaftungen und die rassistischen Gesetze, die eine israelische Regierung nach der anderen erlässt, voranschreiten. Die politische Führung Israels leugnet dagegen weiterhin beharrlich jeden Zusammenhang zwischen ihrer Politik und dem Erfolg von BDS und ist, wie Benjamin Netanjahu sagt, überzeugt davon, das Land sei Opfer einer »gegen den Staat Israel lancierten internationalen Kampagne, die den Namen des Staates in den Schmutz ziehen möchte«.24

Seit Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 wächst die Unterstützung für den akademischen und kulturellen Boykott sukzessiv im gleichen Rhythmus und in der gleichen Intensität, wie die israelischen Militärangriffe zunehmen. Eine erste Welle gibt es im Frühling 2002, als die israelischen Streitkräfte (Tsahal)25 im Westjordanland die Militäroperation »Defensive Shield« durchführen, gefolgt von einer weiteren im Sommer 2006, als die israelische Armee den Libanon angreift26, dann im Januar 2009 im Zug der Operation »Cast Lead«27 im Gazastreifen, im Mai 2010 nach der Stürmung der Mavi Marmara28 und schließlich 2012 und 2014 mit den Militäroffensiven »Pillar of Defense«29 und »Protective Edge«30 im Gazastreifen. Jede dieser Militäroffensiven übertrifft die vorangegangene an Heftigkeit und löst einen neuen Zustrom an Unterstützung für die BDS-Kampagne aus.

Der erste internationale Aufruf zum Boykott von israelischen Hochschuleinrichtungen geht auf den April 2002 zurück. Der britische Guardian veröffentlichte einen offenen Brief, unterzeichnet von über 120 AkademikerInnen, Kulturschaffenden und SchriftstellerInnen, die die europäischen akademischen Einrichtungen aufforderten, ihre Zusammenarbeit mit israelischen Unis und Forschungsinstituten einzustellen.31 Dieser Brief wurde bald von 700 AkademikerInnen (darunter zehn Israelis) unterstützt und in zwanzig Ländern aufgegriffen.32 Daraufhin folgen weltweit mehrere Initiativen zugunsten des akademischen und kulturellen Boykotts, die eine Gruppe palästinensischer ForscherInnen und DozentInnen im besetzten Westjordanland dazu bewegte, mit Unterstützung von rund sechzig Verbänden, Gewerkschaften, Hochschul- und Kultureinrichtungen der palästinensischen Zivilgesellschaft den ersten internationalen Aufruf zum akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI)33 zu veröffentlichen.

Im Jahr 2005 lancieren aus Anlass des ersten Jahrestags des...

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