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E-Book

Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik

Band 7

VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl392 Seiten
ISBN9783706558556
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Die Fachdidaktik ist ein Kernbereich der LehrerInnenausbildung in allen Bereichen. Eine fundierte Ausbildung kann dabei nur auf einer fundierten wissenschaftlichen Grundlage erfolgen, weshalb der vorliegende Band eine Auswahl theoretischer und empirischer Originalarbeiten aus aktuellen Forschungsprojekten präsentiert, die 2015 auf der Internationalen Tagung der Fachsektion Didaktik der Biologie an der Universität Hamburg präsentiert wurden. Das Tagungsthema 'Bildung durch Biologieunterricht' wurde dabei in vielfacher Weise auf- und angenommen. Die hier versammelten Beiträge spannen einen weiten Bogen von bildungstheoretischen Überlegungen bis hin zu empirischen Untersuchungen im Rahmen fachdidaktischer Lehr- und Lernforschung. Sie beziehen sich auf die Vermittlung biologischer Themen und Fragestellungen in der Grundschule und in weiterführenden Schulen sowie auf die Lehramtsausbildung im Fach Biologie. Die Beiträge lassen sich thematisch den folgenden Schwerpunkten zuordnen: • Biologie und Bildung • Wissenschaftsverständnis (Nature of Science) • Verstehen von zentralen biologischen Zusammenhängen • Moralvorstellungen im Biologieunterricht • Experimentieren im Biologieunterricht und im Lehramtsstudium • Kompetenzmessung und Testaufgaben • Abbildungsmerkmale und Bildverstehen • Fächerverbindendes Arbeiten • Forschendes Lernen im Schülerlabor und in der Lehramtsausbildung

Ulrich Gebhard, Prof. Dr., Professor für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik der Biowissenschaften an der Universität Hamburg. Marcus Hammann, Prof. Dr., Professor für Biologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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Leseprobe

Biologie und Bildung


Ulrich Gebhard


Wozu Biologieunterricht? – Biologie und Bildung


Biologie ist eine faszinierende Wissenschaft und sie berührt viele zentrale Themen des modernen menschlichen Lebens. Nicht zu Unrecht wird bisweilen von der Jahrhundertwissenschaft Biologie gesprochen und die Rolle der Biologie zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Rolle der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts verglichen. Biologische Forschung beeinflusst und verändert ganz wesentlich unsere Welt- und Menschenbilder, von der Evolutionsbiologie über die Molekulargenetik und Neurobiologie bis zur Ökologie.

Bildung durch Biologieunterricht ist deshalb wichtig, weil die Biologie Teil menschlicher Kultur ist, zum Verständnis der Lebenswelt beiträgt und ein reflexiver Biologieunterricht gesellschaftliche Partizipation ermöglicht. Damit verbunden ist ein rational fundiertes Selbst- und Weltverständnis (vgl. Kattmann 2013, S. 25), wozu auch „Einsicht in die Grundphänomene des Lebendigen sowie die Stellung und Rolle des Menschen in der Natur“ (a. a. O.) gehört. Darin sind sich die meisten Biologiedidaktikerinnen und Biologiedidaktiker im Großen und Ganzen einig, wie ein Blick in die einschlägigen biologiedidaktischen Lehrbücher zeigt. Außerdem spiegelt sich diese Einsicht gleichermaßen in den Bildungsstandards wie in der internationalen Diskussion über Scientific Literacy. Auch in der MNU-Schrift von 2012 wird von einer diesbezüglichen „Grundbildung in den naturwissenschaftlichen Fächern“ gesprochen, ebenso in der Denkschrift der GDNÄ-Bildungskommission der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (2007): Allgemeinbildung durch Naturwissenschaften. Insofern ist die Frage „Wozu Biologieunterricht?“ in gewisser Weise schon beantwortet und hat damit – was nicht selbstverständlich ist – Eingang in die Bildungspläne genommen.

Indes: Diese völlig zutreffenden Begründungen und die vor diesem Hintergrund angestrebten Kompetenzen, die auch kaum – schon gar nicht kontrovers – diskutiert werden, fokussieren sehr auf die Ebene der biologischen Inhalte. Bei Bildungsprozessen geht es jedoch nicht nur oder in erster Linie um die Übernahme von (biologischen) Inhalten, sondern um eine Berührung, Konfrontation und Transformation des Subjekts (Combe/Gebhard 2012). Dass und in welcher Hinsicht die Biologie hierzu Anlass geben könnte, ist die zentrale bildungstheoretische Frage für unser Fach und das war auch das Thema der Hamburger Tagung zu Biologie und Bildung.

Der Gedanke, dass es bei Bildung weniger auf Inhalte ankommt, sondern eher auf übergreifende Aspekte, wird sehr pointiert von Klafki formuliert: „Das Wesentliche der Bildung ist nicht Aufnahme und Aneignung von Inhalten, sondern Formung, Entwicklung, Reifung von körperlichen, seelischen und geistigen Kräften“ (Klafki 1970, S. 33). Damit klingt die deutsche bildungstheoretische Tradition an: „Der wahre Zweck des Menschen (…) ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ (Humboldt 1903, S. 283).

Natürlich ist damit nicht gesagt, dass es auf inhaltsbezogene Bildung gar nicht ankommt. Und natürlich ist es eine wesentliche Aufgabe biologiedidaktischer ­Theoriebildung und -forschung, biologische Inhalte auf ihren Bildungsgehalt hin zu untersuchen, was beispielsweise in der sogenannten Strukturierungsdebatte der 70er Jahre (Isensee/Kattmann 1975) auch geschehen ist.

Allerdings ist es so, dass nur unter Beachtung der überfachlichen Aspekte von Bildung auch das Lernen von fachlichen Inhalten eine wirkliche Chance hat. Durch die Klafki’sche Zusammenführung von materialen und formalen Aspekten von Bildung zu „kategorialer Bildung“ als Inbegriff der Bezogenheit von Welt und Person wird deutlich, dass es für Bildung zwar Inhalte braucht, die aber nur bildungswirksam werden können, wenn sie subjektiv bedeutungsvoll werden.

Dem Bildungsbegriff haftet ein starkes Pathos an. Indem dieses Pathos auf die „großen Themen“ (wie Reflexivität, Persönlichkeit, Mündigkeit, Partizipation) zielt, ist der Bildungsbegriff gleichermaßen emanzipatorisch wie diffus (vgl. Ricken 2007). Vielleicht ist diese Diffusität ein Grund dafür, warum in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken im Allgemeinen und der Biologiedidaktik im Besonderen auf eine bildungstheoretische Fundierung, wie sie seit Humboldt die geisteswissenschaftliche Pädagogik ausmacht und wie sie von Klafki (1994) zu einer emanzipatorischen Erziehungswissenschaft gewendet wurde, weitgehend verzichtet wird. Zudem werden die Naturwissenschaften oft gar nicht richtig als bildungsrelevant angesehen. Zu einem gebildeten Menschen gehören aus dieser Sicht eher Zugänge zur Sprache, Geschichte, Literatur, überhaupt zu den Künsten. So werden in einem populären Bestseller über „Bildung“ (Schwanitz 1999) nur die geisteswissenschaftlichen Gebiete angesprochen. Diese fachkulturelle Verengung bzw. geradezu „Unbildung“ ist seit dem „Zwei-Kulturen-Streit“ (Snow 1959) ein Dauer­brenner in der bildungspolitischen wie auch bildungstheoretischen Diskussion.

Aus meiner Sicht müssen wir uns aus Sicht der Naturwissenschaftsdidaktik gegen diese „populäre Ansicht von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Naturwissenschaft und Bildung“ (Kutschmann 1999, S. 10) wehren und das kann vor allem durch zwei Argumentationsfiguren geschehen: Wir müssen angesichts des objektivierenden Anspruchs der Naturwissenschaften die Subjektperspektive stark machen und wir müssen die Naturwissenschaft als kulturelles Erzeugnis reformulieren, was beispielsweise im Nature of Science-Ansatz geschieht (Hößle u. a. 2004).

Es geht bei Bildung um die Entwicklung eines bedeutsamen Selbst- und Weltbildes in Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität. Bildung ist dabei sowohl der Prozess als auch das Ergebnis. Eine bildungstheoretisch fundierte Didaktik kann sowohl das Verstehen naturwissenschaftlicher Gegenstände befördern als auch den Erziehungsauftrag von Schule und emanzipatorische Bildungsprozesse im Blick behalten. Mit der Hereinnahme eines wohlverstandenen Bildungsbegriffs, der weder nur bildungsbürgerliche Verzierung ist noch auf die kanonisierten „Bildungsgüter“ der Biologie abzielt, wird sowohl ein gesellschaftlicher Bezug als auch eine glaubwürdige Orientierung am Subjekt gewährleistet. Es geht bei Bildung gewissermaßen um eine bestimmte Art, in der Welt zu sein, es geht um ein aufgeklärt-reflexives Verhältnis zur Welt und zu sich selbst und eine entsprechende Haltung. Eine bildungstheoretische Fundierung der Biologiedidaktik bzw. überhaupt der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken führt insofern zu einer Wiedergewinnung des Subjekts, ohne die fachliche Dimension und ohne den gesellschaftlichen Bezug von wichtigen biologischen Inhalten zu vernachlässigen.

In bildungstheoretischer Hinsicht kann man Lernprozesse als die erfolgreiche Aufnahme neuer Informationen interpretieren, während der Begriff Bildung zusätzlich auf die besagte Berührung und Transformation der Person zielt, wobei Lernen und Bildung aufs Engste zusammenhängen. Man wird durch Bildung nicht nur kompetent, sondern gewissermaßen ein anderer Mensch. „Wir haben uns angewöhnt“, so Helmut Peukert, „zwei Weisen des Lernens zu unterscheiden. Die eine Art ist eher ein additives Lernen, d. h. im Rahmen eines gegebenen Grundgerüsts von Orientierungen und Verhaltensweisen lernen wir immer mehr Einzelheiten, die aber diese Grundorientierungen und die Weisen unseres Verhaltens und unser Selbstverständnis nicht verändern, sondern eher bestätigen. Daneben gibt es auch Erfahrungen, die, wenn wir sie wirklich zulassen, unsere bisherigen Weisen des Umgangs mit der Wirklichkeit und unser Selbstverständnis sprengen, die unsere Verarbeitungskapazität überschreiten. Wollen wir solche Erfahrungen wirklich aufnehmen, so verlangt dies eine Transformation der grundlegenden Strukturen unseres Verhaltens und unseres Selbstverhältnisses“ (Peukert 2003, S. 10).

Thema der Bildungstheorie seit Humboldt ist die „Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regsten und freiesten Wechselwirkung“ (1903, S. 283). Bildung ist nicht im ständigen Kreisen um sich selbst zu haben, sondern hat einen äußeren Gegenstand zur Bedingung, an dem das Subjekt sich abarbeiten kann. Wichtig ist aber auch der Nachsatz: die Verknüpfung soll nämlich „zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung“ (a. a. O.) stattfinden. Hier ist das bis heute aktuelle Motiv der Freiheit und der Notwendigkeit der Selbstbildung bereits angelegt. Humboldt hat mit seiner Bildungsutopie viel angestoßen und viele Bildungsentwürfe nehmen zu Recht immer noch Bezug auf ihn. Was den Humboldtschen Ansatz jedoch ergänzungsbedürftig macht, ist zum einen der fehlende gesellschaftliche Bezug und zum anderen die Vorstellung, Bildung komme gleichsam von innen heraus als Entfaltung eines in sich ruhenden Subjekts.

Die Kategorie der Bildung war und ist insofern eingebunden in die Diskussion um Autonomie, Selbstbestimmung und die Möglichkeit der Selbst-Bildung (vgl. z. B. Meyer-Drawe 2005). Allerdings muss heute die Geschlossenheit des Identitätsbegriffs, in der eine Synthese der verschiedenen Lebensbereiche vorausgesetzt oder zumindest angestrebt wird, in Frage gestellt werden. Identität meint ja auf der Basis zahlreicher geglückter synthetischer Konfliktlösungen des sich bildenden Bewusstseins das Sich-Selbst-Gleich-Sein und Sich-Selbst-Gleich-Bleiben durch den Fluss der äußeren Veränderungen hindurch. Aber das einst im deutschen Idealismus so glanzvoll gefeierte bürgerliche Subjekt, das sich an einer Einheit von Charakter, Berufsentwurf und Lebensform ausrichtete,...

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