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E-Book

Lehrbuch Arbeitspsychologie

AutorEkkehart Frieling, Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl711 Seiten
ISBN9783456750026
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis79,99 EUR
Das bewährte Standardwerk der Arbeitspsychologie erscheint in der 3. Auflage und wurde komplett überarbeitet und aktualisiert.

Die tägliche Arbeit bestimmt das Leben der Menschen in hohem Maße. Gleichzeitig wirken gesellschaftliche und technologische Entwicklungen wie die Globalisierung oder die rasante Entwicklung der Informationstechnologie massiv auf unsere Arbeitswelt ein. Die Arbeitspsychologie hat das Ziel, dieses komplexe Geflecht zu erforschen und gleichzeitig Konzepte zu entwickeln, mit deren Hilfe der Mensch innerhalb der Arbeitsorganisation psychisch wie physisch gesund und leistungsfähig bleibt.

Das Lehrbuch widmet sich eingehend dem gesamten Themenkomplex der Arbeitspsychologie. Es behandelt:
- theoretische Grundlagen
- Methoden, Verfahren, Instrumente
- individuelle Voraussetzungen und deren Förderung
- Bewertung und Gestaltung von Arbeitstätigkeiten
- Beispiele arbeitspsychologischen Handelns in Forschung und Praxis.

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Leseprobe

2 Zum Selbstverständnis der Arbeitspsychologie


2.1 Gegenstandsbestimmung und Definition


Betrachten wir zunächst die klassischen Beschreibungsmerkmale und Definitionen von Arbeitspsychologie im deutschsprachigen Raum (s. Infobox I-1). Arbeitspsychologie versteht sich als Querschnittsdisziplin der Allgemeinen Psychologie und Teilgebiet der Angewandten Psychologie. Als Querschnittsdisziplin übernimmt sie Erkenntnisse der psychologischen Grundlagenforschung und entwickelt Methoden, die für die Analyse, Bewertung und Gestaltung menschlicher Arbeit von Bedeutung sind. Als Teilgebiet der Angewandten Psychologie betreibt arbeitspsychologische Forschung gestaltungswirksame und praxisbezogene Intervention.

Infobox I-1

Definitionen von Arbeitspsychologie

«Die Arbeitspsychologie ist ein Teilgebiet der Angewandten Psychologie und befaßt sich forschend, lehrend und praxisbezogen mit psychologischen Problemen, die im Zusammenhang mit menschlicher Arbeit entstehen» (Hoyos, 1980, S. 57).

«Die Arbeits- und Organisationspsychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen bei der Arbeit in Abhängigkeit von Arbeitsbedingungen, Arbeitsaufgaben und den personalen Voraussetzungen des Menschen» (Kleinbeck, 1982, S. 207).

«Die Arbeitspsychologie ist eine (Querschnitts-)Disziplin der Psychologie, die jene psychologischen Erkenntnisse und Methoden umfaßt, welche für die Analyse, Bewertung und Bestgestaltung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses bedeutsam sind, üblicherweise wird ‹Arbeitspsychologie› als Oberbegriff verstanden, der die ingenieur- und organisationspsychologischen Gegenstände und Anlagen mit einschließt. Gegenstand der so verstandenen Arbeitspsychologie ist die psychische Regulation der Arbeitstätigkeiten von organisatorischen Einheiten, Gruppen und individuellen Persönlichkeiten im Zusammenhang ihrer Bedingungen und Auswirkungen» (Hacker, 2005, S. 21).

«Immerhin stimmt die Mehrzahl der deutschsprachigen Arbeitspsychologen wohl überein, daß die Aufgabe der Arbeitspsychologie in der Analyse und Bewertung von Arbeitstätigkeiten und Arbeitsstrukturen nach definierten Humankriterien sowie einer darauf aufbauenden Erarbeitung von Gestaltungsvorschlägen besteht» (Ulich, 1994, S. 16).

Wie man den Definitionen von Ulich (1994; 2005, S. 137 ff.) oder von Nerdinger, Blickle & Schaper (2011, S. 4) entnehmen kann, ist arbeitspsychologisches Handeln bestimmten Humankriterien verpflichtet. Arbeitstätigkeiten müssen – so die Konvention – ausführbar, schädigungslos, belastungsarm und persönlichkeitsförderlich sein. Arbeitstätigkeiten dürfen also die physische und psychische Gesundheit des Arbeitenden nicht schädigen und dessen Wohlbefinden nicht – allenfalls vorübergehend – beeinträchtigen; sie sollen den Mitarbeiterbedürfnissen und -qualifikationen angemessen sein, individuelle und kollektive Einflussnahme auf Arbeitsbedingungen und -inhalte ermöglichen sowie zur Förderung der Persönlichkeit im Sinne der Potenzial- und Kompetenzentwicklung beitragen.

Damit ist eine anspruchsvolle normative Setzung vorgegeben, deren Umsetzung ein ambitioniertes, verantwortungsvolles Handeln von Wissenschaftlern und Praktikern in diesem gesellschaftlich bedeutsamen Feld der Arbeitstätigkeit voraussetzt. Die geschichtliche Entwicklung zeigt (s. Teil I, Kap. 2.2), dass es der Arbeitspsychologie lange Zeit an solchen verpflichtenden Kriterien für die in Forschung und Praxis tätigen Psychologen (bzw. Arbeitswissenschaftler) mangelte, mit entsprechenden Konsequenzen für die Entwicklung und das Selbstverständnis dieser Disziplin.

Um einen vertieften Zugang zum Selbstverständnis der Arbeitspsychologie zu schaffen, thematisieren wir im Folgenden

  das zwischen Grundlagenforschung und Praxisbezug angesiedelte Erkenntnisinteresse,

  die Stellung innerhalb der Psychologie (intradisziplinär) und

  die Bedeutung der Nachbardisziplinen (interdisziplinär).

Abbildung I-2 verdeutlicht diese Zusammenhänge.

Erkenntnisinteresse und Nutzen der Arbeitspsychologie

Psychologie zu betreiben, um konkrete praktische Probleme in realen Arbeitssituationen zu lösen, ist ohne Grundlagenforschung ebenso wenig sinnvoll, wie anwendungsneutrales Grundlagenwissen auf aktuelle betriebliche Probleme zu übertragen. Das Erkenntnisinteresse der Arbeitspsychologie ist dreifach bestimmt: Es ist grundlagen-, anwendungs- und praxisbezogen. Zur Charakterisierung dieser Bereiche ziehen wir «idealtypische Merkmale» psychologischer Grundlagenforschung, Angewandter Psychologie und Praktischer Psychologie heran (vgl. etwa Hoyos, Frey & Stahlberg, 1988; Kleinbeck & Przygodda, 1993; v. Rosenstiel, 2007a; oder Nerdinger et al., 2011):

1.  Psychologische Grundlagenforschung formuliert allgemeingültige, raum-zeitlich unabhängige Gesetzesaussagen (bzw. Theorien) und überprüft daraus abgeleitete Hypothesen anhand systematisch angelegter Labor- und Felduntersuchungen. Psychologieintern ist das Problem, das es zu erklären und zu beobachten gilt, als ein Ausschnitt der Wirklichkeit (bzw. nachempfundener Wirklichkeit) vorgegeben.

2.  Angewandte Psychologie entwickelt Modelle zur Problemlösung unter Bezug auf eine oder mehrere Theorien und Disziplinen. Dadurch werden eine «neue Wirklichkeit» und Handlungsregeln entwickelt, deren Effektivität kontextspezifisch (in Feldstudien) zu überprüfen ist: Das vorgegebene Problem ist psychologieintern und durch den Einbezug situativer Variablen komplexer.

3.  Praktische Psychologie stellt die unmittelbare Analyse und Intervention an konkreten Einzelfällen dar. Gegenstand ist die optimale Umsetzung und spezifische Anwendung von Wissen und Techniken, um Gestaltungsbedürfnissen der Praxis zu genügen, zum Beispiel bei der Arbeitsstrukturierung oder bei der Verhaltensmodifikation.

Abbildung I-2: Zum Gegenstand und Selbstverständnis der Arbeitspsychologie

Diese Kategorisierung ist nicht unproblematisch, zumal eine «Nachrangigkeit» der angewandten Forschung und mangelndes Selbstbewusstsein gegenüber der Grundlagenforschung impliziert sein könnte; dass dem nicht so sein muss, verdeutlichen Westmeyer (1993) oder Frey (2007). Grundlagenwissenschaftliche Theorien sind weitgehend kontextunspezifisch, untersuchen die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Erlebens und Verhaltens in einem allgemeinen Sinne im Laborkontext und haben für angewandte Forschung vor allem eine heuristische Funktion. Westmeyer (1993) ermuntert auch für den Feldkontext zur Konstruktion geeigneter Theorieelemente, wie sie für die sogenannten angewandten Teildisziplinen der Psychologie charakteristisch sind. Sie «verdienen höchste Anerkennung» und sind «jenen in der Regel vorzuziehen, deren Anwendbarkeit auf Laborkontexte beschränkt bleibt» (Westmeyer, 1993, S. 60) – eine Position, die wir bereits bei Stern (1903/1904) ausführlich thematisiert finden (s. Teil I, Kap. 2.2.2; Infobox I-5). Theoriebildung bzw. deren Bestandteile gibt es somit auch in der Angewandten Psychologie. Eindeutig formuliert Frey das Postulat, dass keine Angewandte Psychologie ohne Rückgriff auf die Theorie betrieben werden kann: «Jegliche theoriefreie Intervention oder Interpretation von Daten ist mangelhaft» (Frey, 2007, S. 260). Notwendigerweise sind diese Theorien komplexer und zwingen Wissenschaftler, Theoriebestandteile aus verschiedenen Grundlagen- und Bezugswissenschaften miteinzubeziehen.

Als weiteres Spannungsfeld zwischen «reiner» Grundlagenforschung und Anwendung nennen Kleinbeck & Przygodda (1993) oder Kanning, v. Rosenstiel, Schuler et al. (2007) das der Gültigkeit von Forschungsmethoden und plädieren für eine Stärkung externer und ökologischer Validität, um nicht den Kontakt zu den eigentlichen Problemen der Arbeitswelt zu verlieren: «Ohne externe Validität gibt sie [die Angewandte Psychologie; d. Verf.] ihre Existenzberechtigung auf und bleibt entweder eine – mehr oder weniger – kluge Anwendung des gesunden Menschenverstandes, oder sie entwickelt sich zu einer Grundlagendisziplin mit Aussagen, die über eine hohe interne Validität verfügen, ohne jedoch praktisch anwendbar zu sein» (Kleinbeck & Przygodda, 1993, S. 86). Oftmals wird hohe interne Validität auf Kosten einer geringen oder gar fehlenden externen Validität erzielt, mit der bedauerlichen Konsequenz, dass solche Ergebnisse der Grundlagenforschung meist nicht als Grundlage für die Anwendung dienen können (vgl. z. B. Kanning et al., 2007). Anwendungsorientierte Forschung ist immer kontextbezogen! Daraus bezieht sie ihren Nutzen für die Gesellschaft, die Organisation, das Individuum. Natürlich sind solche Lösungswege anzustreben, die auch die interne Gültigkeit angemessen berücksichtigen und den jeweiligen fachwissenschaftlichen (Mindest-)Standards der Methodenentwicklung genügen – nicht zuletzt, um allzu forsche Generalisierungen und methodisch unseriöse Untersuchungsanlagen zu vermeiden; denn solcherlei Erkenntnisse wären auch für die anwendungsorientierte Forschung wertlos.

Auf der praxisbezogenen Ebene gilt es, das aus vorangegangenen Forschungen entwickelte «Handwerkszeug» (bspw. in Form von Mitarbeiterbefragungen und Online-Tools) und gewonnene Erkenntnisse über Wirkmechanismen psychologischer Konstrukte (z. B. «resistance to change» bei Reorganisationen aufgrund...

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