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Lehren und Lernen im Sportunterricht am Beispiel des Gymnastik/Tanz-Unterrichts bei Schülerinnen und Schülern mit Körperbehinderung

AutorVictoria Bettzüge
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl91 Seiten
ISBN9783656016953
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Didaktik - Sport, Sportpädagogik, Note: 2,0, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Veranstaltung: Sport / Körperbehindertenpädagogik, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Bedürfnis, sich nach Musik zu bewegen, besteht in allen Epochen und Kulturen. Im Tanz versucht der Mensch das auszudrücken, was ihn in seiner Umwelt bewegt. Tanz ist ein Ausdrucksmittel für Gefühle, welches dem menschlichen Bedürfnis nach Darstellung, Kommunikation und Relation nachkommt (vgl. QUINCKHARDT 1984, S.89). Langjährige Erfahrungen im Bereich Tanz sowie dem Studium Lehramt an Grundschulen im Fach Sport, insbesondere im Bereich Gymnastik/Tanz, führten mich zu der Erkenntnis, dass tänzerische Bewegungen für Schüler unabdingbar sind. Der Lehrbereich Gymnastik/Tanz ist im Sportunterricht eine große Bedeutung zuzuschreiben. Mit Hilfe motivationsfördernder Momente im Gymnastik/Tanz-Unterricht sollen die Schüler intensive und spielerische Momente des eigenen Körpers erfahren. Diese Momente werden vor allem durch das Medium Musik geschaffen. Musik kann eine stark stimulierende Wirkung auf die Tanzbewegung und die Tanzgestaltung ausüben. Musik und Bewegung treten in eine enge Wechselbeziehung. Die Schüler können im Tanz ihrer Bewegungsfreude Ausdruck verleihen. Durch Körper- und Materialerfahrungen erlangen sie Anregungen im sensomotorischen Bereich. Des Weiteren kann der Gymnastik/Tanz-Unterricht zahlreiche Möglichkeiten der Partner- und Gruppendynamik anbieten, wodurch kommunikatives Handeln und soziales Lernen entwickelt werden können. Meiner Meinung nach fällt die tänzerische Bewegung oftmals durch das Raster der Sportlehrer. Viele Lehrer haben keine oder eine ungenügende tänzerische Ausbildung während ihres Studiums, wodurch Gymnastik/Tanz im Schulunterricht kaum eine Berücksichtigung findet. Aufgrund meiner Erfahrungen wird Gymnastik/Tanz wird oftmals mit 'Ballett', 'Sport für Mädchen' oder 'Turnen mit Musik' assoziiert. Doch hinter dem Begriff verbirgt sich viel mehr. Das tänzerische und kreative Potential, welches bei den Schülern vorhanden ist, und die Lust auf Tanzen werden oftmals nicht ausgeschöpft. Dadurch werden pädagogische Wirkungsmechanismen lediglich oberflächlich tangiert. 'Das bisschen tanzen' nach Musik wird zu häufig ohne zielgerichtete Anwendungen durchgeführt. Diese Arbeit stellt einen Versuch dar, die pädagogischen Vorteile des Gymnastik/Tanz-Unterrichts herauszustellen. Was ist Gymnastik/Tanz? Was kennzeichnet diesen Lehrbereich? Welche Bedeutung hat dieser Bereich für Schüler mit Körperbehinderung? Welche pädagogischen Nutzungsmöglichkeiten hat Gymnastik/Tanz für die Schülerschaft?

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Leseprobe

2 Bewegung und Motorik


 

2.1 Begriffsklärung


 

Um die Grundlagen des Gymnastik/Tanz-Unterrichts für Schüler mit Körperbehinderung zu verdeutlichen, ist eine Auseinandersetzung mit den Begriffen Bewegung und Motorik sowie mit deren Bedeutung, deren Entwicklung und der dabei ablaufenden Lernprozesse unbedingt erforderlich.

 

Es ist wichtig, die Bedeutung der Bewegung im Leben zu erkennen, um Probleme und Zusammenhänge bei motorischen Behinderungen zu erkennen (vgl. LEYENDECKER 2005, S.11).

 

Der Begriff `Bewegung´ steht als Oberbegriff für verschiedene Arten von Bewegungen, wie z.B. Fortbewegung, körperliche Aktivitäten, soziale Bewegung, politische Bewegung oder Motorik.

 

Menschliche Bewegungen sind menschliche Tätigkeiten, „die in Ortsveränderungen des menschlichen Körpers bzw. seiner Teile und der Wechselwirkung mechanischer Kräfte zwischen Organismus und Umwelt zum Ausdruck kommt“ (MEINEL/SCHNABEL 1998, S. 33).

 

Motorik bezeichnet „die Gesamtheit der Vorgänge und Funktionen des Organismus und die psychische Regulation (Psychomotorik), die die menschliche Bewegung hervorbringen“ (ebd., S. 33).

 

Zur Motorik zählt neben den willkürlichen, aktiven Bewegungen auch die Motilität. Mit Motilität werden unwillkürliche, d.h. reflektorische und vegetative Muskelbewegungen bezeichnet (vgl. LEYENDECKER 2005, S. 13).

 

Die Neuromotorik zählt zu den Dimensionen der Motorik. Der Bewegungsapparat, d.h. das Skelett mit Gelenken, Bändern und Skelettmuskulatur, ermöglicht menschliche Bewegungen, welche durch das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) sowie dessen Leitbahnen (Motoneuronen) gesteuert und durch Sinnesempfindungen (Sensoneuronen) zurückgemeldet werden (vgl. LEYENDECKER 2005, S. 13f.).

 

Die Sensomotorik ist ebenso eine Dimension der Motorik, welche den wichtigen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Bewegung kennzeichnet. In der Entwicklung des Menschen ist die Koordination von Wahrnehmung und Bewegung eine fundamentale Aufgabe. Die Informationsaufnahme (sensorische Afferenz), die zentrale Verarbeitung und die motorischen (Re-)aktion (Efferenz) sowie die Wahrnehmung der motorischen (Re-)aktion selbst bilden den sensomotorischen Prozess. Wahrnehmung und Bewegung bilden eine Einheit, das bedeutet, dass die Wahrnehmung unter Bewegung verändert und Bewegung die Wahrnehmung ermöglicht (vgl. ebd., S. 14).

 

Eine weitere Dimension der Motorik ist die Soziomotorik. Bewegung stellt ein Mittel der sozialen Kommunikation und der gesellschaftlichen Bewertung dar. Das Wahrnehmen der eigenen Körpersprache und fremder körpersprachlicher Zeichen führt zu zwischenmenschlichen Interaktionen (vgl. ebd., S. 16).

 

Die letzte Dimension der Motorik ist die Psychomotorik. Mit Bewegungen und Körperhaltungen können Gefühle, Gedanken, Stimmungen und Vorstellungen ausgedrückt werden. Die Prozesse Kognition und Emotion stehen in einer engen Beziehung zur Bewegung (vgl. ebd., S. 15).

 

LEYENDECKER (2005) zufolge spielt der Bereich der Psychomotorik eine große Rolle im Sportunterricht, weshalb dieser nun näher beleuchtet wird (vgl. ebd., S.15).

 

Der Begriff Psychomotorik meint zunächst „den Zusammenhang zwischen dem Geistig-Seelischen (psycho) und der Willkür-Bewegung (motorisch)“ (HACHMEISTER 2006, S. 11).

 

Eine ähnliche Definition lässt sich bei ZIMMER/CIRCURS (1993) finden: „Der Begriff „Psychomotorik“ kennzeichnet die funktionelle Einheit psychischer und motorischer Vorgänge, die enge Verknüpfung des Körperlich-Motorischen mit dem Geistig-Seelischen“ (ebd., S.33).

 

In der Psychomotorik steht die Förderung der menschlichen Entwicklung durch Bewegung im Mittelpunkt. Entwicklungsprozesse sollen unterstützt und angebahnt werden (vgl. ZIMMER/CIRCURS 1993, S.33).

 

Durch Bewegungsspiele und Bewegungsaufgaben wird zunächst der Kontakt zum Kind hergestellt. Anschließend bilden vielseitige Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen die Grundlage für eine harmonische Persönlichkeitsentwicklung. Neben der Stärkung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens sollen auch die motorischen Voraussetzungen für die Aneignung sportartspezifischer Bewegungstechniken geschaffen werden (vgl. ebd., S.34f.).

 

Psychomotorische Erfahrungen setzen grundlegende Lernprozesse in Gang, „durch die nicht nur die motorische, sondern auch die kognitive und soziale Handlungsfähigkeit erweitert wird“ (ebd., S.35).

 

Im Zentrum steht das Kind mit seinem Körper und mit seinen Auffälligkeiten. Es soll seine Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten auf die Anforderungen der Umwelt erweitern um somit autonomer über seinen Körper zu verfügen (vgl. HACHMEISTER 2006, S.106).

 

Dem Kind sollen Hilfen geboten werden, „seinen Körper und dessen motorische Möglichkeiten besser kennen zu lernen, den Körper mit seinen Einschränkungen zu akzeptieren, sich mit ihm zu identifizieren und mit ihm autonomer zu werden“ (ebd., S.107).

 

Ermöglicht man dem Kind, „seinem inneren Drang und seiner Entwicklungsdynamik zu folgen, kann es Strategien entwickeln, mit seiner Behinderung umzugehen, und sich mehr in seinem Körper zu Hause zu fühlen“ (ebd., S.108).

 

Die deutsche Psychomotorik unterteilt in die Bereiche Körper-, Material- und Sozialerfahrung. Diese werden in den Abschnitten 6.2, 6.3 und 6.4 dieser Arbeit näher untersucht. Im Vordergrund steht das Ziel, dass das Kind gewinnbringende Erfahrung durch selbstgewählte Aktivitäten machen kann (vgl. HACHMEISTER 2006, S.117).

 

Im Gymnastik/Tanz-Unterricht können all die Dimensionen der Motorik bedient werden. Die Schüler führen Bewegungsaufgaben aus oder ahmen Bewegungen nach. Sie nehmen unterschiedliche Reize auf, akustisch, visuell oder taktil, und setzen diese in Bewegungen um. Die Bewegungsaufgaben werden einzeln, mit einem Partner oder gemeinsam in der Gruppe gelöst. Sie sind motorisch aktiv und setzen sich mit ihren Gefühlen und Gedanken auseinander, so dass dabei u.a. ein harmonisches Selbstbild entstehen kann.

 

2.2 Die motorische Entwicklung im frühen Schulkindalter


 

Wie schon in der Einleitung erwähnt, bezieht sich diese Arbeit auf den Primarbereich. Daher erfolgt nun eine gezielte Betrachtung der motorischen Entwicklung im frühen Schulkindalter.

 

Die motorische Entwicklung verändert sich ein Leben lang. Sie ist über die Lebensspanne hin zu betrachten. Sie wird daher auch in der Literatur als ein `Reifungsprozess´ bezeichnet. SINGER/BÖS (1994) definieren die motorische Entwicklung wie folgt: „Motorische Entwicklung bezieht sich auf lebensaltersbezogene Veränderungen der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die Haltung und Bewegung zu Grunde liegen“ (ebd., S.21). Sie „beruht auf der Wechselwirkung von ererbten Anlagen und Umwelteinflüssen“ (RUSCH/WEINECK 2007, S.263) und ist mit der Veränderung der körperlichen Leistungsfähigkeit verbunden. Die Vorgänge der Entwicklung werden in Entwicklungsstufen, bestimmt durch das Lebensalter, eingeteilt (vgl. ebd., S.263).

 

Nach RUSCH/WEINECK (2007) vollzieht sich die Phase der motorischen Entwicklung des frühen Schulkindalters zwischen dem sechsten und neunten/zehnten Lebensjahr (vgl. RUSCH/WEINECK 2007, S.264). MEINEL/SCHNABEL (1998) teilen die Phase des Kindesalters in die drei Phasen frühes Kindesalter von drei bis sechs/sieben Jahren, mittleres Kindesalter von sieben bis neun/zehn Jahren und spätes Kindesalter von zehn/elf Jahren bis elf/zwölf Jahren bei den Mädchen und bis zwölf/dreizehn bei den Jungen ein (vgl. ebd., S.261ff.). WINTER (1987) charakterisiert diese Phasen als Phase des schnellen Fortschritts in der motorischen Lernfähigkeit sowie als Phasen der besten motorischen Lernfähigkeit in der Kindheit (vgl. ebd., S.333).

 

Die motorische Ontogenese, die Reifungsprozessen unterliegt und durch Erbanlagen mitbestimmt wird, ist zusätzlich abhängig von Umwelt- und Sozialisationsbedingungen. Das soziale Milieu, die familiäre Situation, die Schul- und Berufsausbildung, die Wohngegend des Menschen wirken sich auf die motorische Entwicklung aus (vgl. MEINEL/SCHNABEL 1998, S.239f.).

 

Der Drang der Kinder nach Erkundung und Erprobung ist im Sportunterricht durch spielerische Bewegungsabläufe zu stillen (vgl. RUSCH/WEINECK 2007, S.264). Die Konzentration auf eine Bewegungsaufgabe, dass zielgerichtete und situationsgerechte Bewusstsein und die wachsende Lernbereitschaft stellen eine gute Grundlage für den Erwerb von sportlichen und motorischen Fähigkeiten dar (vgl. WINTER 1987, S.333).

 

Die Sportwissenschaft spricht davon, dass in der Zeit zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr der Höhepunkt der motorischen Entwicklung erreicht wird. Man bezeichnet diesen Zeitraum auch als...

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