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E-Book

Leonardo da Vinci

AutorDaniel Küpper
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644004252
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Leonardo da Vinci hat mehr Forscher beschäftigt als jeder andere Künstler. Dabei erscheint heute seine «Universalität ohne Vollendung» als Versuch, die Grenzen des Wissens seiner Zeit radikal zu erweitern. Auch deshalb sind seine künstlerischen nicht von seinen wissenschaftlichen und diese nicht von seinen technischen Schöpfungen zu trennen.

Daniel Kupper, 1956-2011, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Medienwissenschaften; Promotion 1988. Autor der Monographien über Anselm Feuerbach (1993, rm 50499), Michelangelo (2004, rm 50657), Leonardo da Vinci (2007, rm 50689) und Paul Klee (2011, rm 50690). Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zur Kunst des 19. Und 20. Jahrhunderts.

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Leseprobe

Leonardo da Vinci: ein Phantombild


Leonardo da Vinci ist nicht nur einer der bekanntesten Menschen der europäischen Geschichte, sondern auch einer der berühmtesten Künstler der Welt. Umso größer ist der Wunsch vieler Menschen, Biographen und Wissenschaftler, die Persönlichkeit dieses großen Meisters zu erforschen und seine geistige Botschaft zu entschlüsseln. Kein anderer Künstler jedoch ist immer noch von so vielen Geheimnissen umgeben. Seine Gestalt und sein Charakter haben so viel Phantomatisches, seine Werke bergen noch so viele Rätsel, dass es nicht wundert, wenn sein Name in der fiktiven Welt des Romans im Zusammenhang mit Geheimbünden, verschlüsselten Botschaften und einem «Da Vinci Code» (Dan Brown) in Zusammenhang gebracht wird. Der Sog dieses Genies ist so stark, dass sich Fiktion und Wirklichkeit so sehr vermengen können, dass zum Roman, der es in aller Regel so nicht nötig hätte, sekundäre Sachliteratur entsteht, die sich mit dem Knacken des Codes befasst.

Das Bild, das wir vom Aussehen und Charakter Raffaels oder Michelangelos heute besitzen, ist dagegen viel markanter und schärfer.

Das ist kein Zufall, denn Leonardo hat das Spiel mit Rätseln und die «Schönheit des Verrätselten» geliebt und der Nachwelt vielleicht sogar ganz bewusst seine wahre Gestalt verschleiert hinterlassen. Bis heute ist die Frage seines tatsächlichen Aussehens noch nicht geklärt, und es ist eine eigene Literatur darüber entstanden. Er sei davon überzeugt, so Serge Bramly in seiner 1988 erstmals erschienenen Leonardo-Biographie, dass man bestimmte Menschen nicht begreifen kann, wenn man nicht wisse, wie sie aussehen, mit welchen äußeren Vorzügen und Nachteilen die Natur sie bedacht hat und wie sie damit umgehen. Unsere Vorstellung von den Vorzügen, mit denen die Natur den Mann aus Vinci, wie ihn Bramly vorzugsweise nennt, ausgestattet hat, wurde durch ein einziges Bildnis geprägt. Es ist das berühmte Turiner Selbstporträt, das uns den Philosophen, den ‹uomo universale›, in hohem Alter zeigt, einen «Greis jenseits von Raum und Zeit, der ein so tiefes Wissen besitzt, daß es nicht mehr mitteilbar ist und kein Maß mehr kennt». Das Bildnis entfaltete im Laufe des 20. Jahrhunderts eine mythische Ausstrahlung, die die «Ikonographie des Künstlers direkt oder indirekt bestimmt» hat und Zweifel an seiner Authentizität undenkbar erscheinen ließ. Dennoch ist in den vergangenen Jahren diese Zeichnung vor allem aufgrund chronologischer Widersprüche als Philosophen-«Maske» dekuvriert worden; mehr noch: Sogar die Eigenhändigkeit wurde trotz der für Leonardo typischen linkshändigen Schraffur (von links oben nach rechts unten) in Frage gestellt und der Name des Fälschers Giuseppe Bossi ins Spiel gebracht. Niemand kann also heute mit absoluter Gewissheit behaupten, er wisse, wie Leonardo da Vinci jemals aussah. Dies wirft unbequeme Fragen auf und verweist so manche schöne Beschreibung ins Reich der Kolportage und Autorenphantasie. Schon Ernst Gombrich hat die Problematik thematisiert und die Literatur referiert, in der die Frage gestellt wurde, wie Leonardo «wirklich aussah». Er kam zu dem Schluss, dass diese Frage vielleicht nie gelöst würde.

Da Leonardo in seinen Zeichnungen fast durchweg den Typus des Feldherrenkopfs oder Nussknackergesichts in den verschiedensten Zusammenhängen variierte und man auch heute noch vielfach annimmt, er könnte diesen Gesichtern seine eigenen Züge verliehen haben, tauchen immer wieder neue Vorschläge für Selbstbildnisse auf, denen allen – bewusst oder unbewusst – gemeinsam ist, dass sie vom Turiner Selbstbildnis her- oder abgeleitet werden. Oder wie Gombrich argumentierte: «Es sollte möglich sein, fast alle männlichen Köpfe Leonardos auf einem Lichtschirm aufzureihen und die allmählichen Übergänge von einem Typus zum nächsten zu beobachten. Das Turiner Selbstporträt würde dabei irgendwo in der Mitte zu stehen kommen.» Dabei ist zu beachten, dass die Feststellung, Leonardo habe jenen Typus variiert, den er für seinen eigenen gehalten habe, nur eine These darstellt. Solange also die Authentizität des Turiner Kopfes nicht bewiesen ist, beruhen alle Selbstbildnis-Vorschläge auf einem Zirkelschluss. Denn ebenso gut könnten all die immer wieder auftauchenden Variationen einschließlich des Turiner Bildnisses ihren Ursprung in der Werkstatt Verrocchios haben, nämlich im genannten Feldherrentypus, den dieser in seinem Reiterstandbild des «Colleoni» in Venedig schuf und der in Leonardos Werk paradigmatische Wirkung gehabt haben kann. Es könnte sich um die Ausprägung und Aneignung eines zeichnerischen Moduls handeln, das der Ökonomie des Arbeitens diente. Aus dem Gedächtnis hätte er so einen Typus immer wieder variieren und ihm, je nach Darstellungszweck, unterschiedlichen Haarschopf und Gesichtsausdruck verleihen, ihn als Glatzköpfigen für Proportionsstudien, aber auch als langhaarigen Greis, der in einen Wasserstrudel schaut, darstellen können. Sogar die pathognomischen Studien und exzentrischen Überzeichnungen wären aus einem solchen Typus abzuleiten. Und er hätte ihn nachvollziehbar altern lassen können.

In der künstlerischen Entwicklung Leonardos spielt die Aneignung eines aus dem Gedächtnis abrufbaren figuralen Repertoires durch unablässige Übung eine wesentliche Rolle. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma wäre die Entdeckung eines Bildnisses des Meisters, das nicht von ihm selbst stammt und das dann zum physiognomischen Vergleich herangezogen werden könnte. Carlo Pedretti hält ein solches Bildnis im Fall von Bramantes Doppelporträt «Heraklit und Demokrit» (siehe Seite 3) der Casa Panigarola in Mailand für möglich. Sehen wir also auf dem mittlerweile abgenommenen, heute in der Pinacoteca di Brera aufbewahrten Fresko Leonardo als Heraklit? Hier sind die auffälligsten physiognomischen Merkmale des Gesichts das vorstehende Kinn, schmale Ober-, breite Unterlippe und eine außergewöhnlich stark ausgeprägte Kiefermuskulatur. Besonders dieses Merkmal ist auffällig bei dem jungen Mann am rechten Bildrand der Anbetung der Könige, der in der Forschung verschiedentlich als Selbstbildnis des jungen Leonardo angesehen wird. Aber auch diese Überlegungen sind im Augenblick Vermutungen, die sich nur schwer beweisen lassen werden. Es gibt noch ein weiteres angebliches «Bildnis», und zwar in Raffaels «Schule von Athen» in der Gestalt des Platon. Dort aber wäre Leonardo, wenn wir der Chronologie folgen, gerade einmal 50 Jahre alt, während das Fresko einen Greis zeigt. Umgekehrt könnte auch Leonardo «seine Züge denen von Raffaels Platon angeglichen haben».

Von all den hier genannten Möglichkeiten einmal abgesehen, erscheint es vollkommen ausgeschlossen, die Verschmelzung des Namens «Leonardo da Vinci» mit dem angeblichen Turiner «Selbstbildnis» rückgängig zu machen; so sehr hat es sich geradezu in das Bewusstsein der Menschheit eingeschrieben, dass sie vielleicht lieber die durch das Bild erzeugte Illusion als die Wirklichkeit eines schemenhaften Phantoms in Kauf zu nehmen bereit ist.

Wie steht es nun um das Werk selbst? Was die berühmtesten Gemälde betrifft, so ist besonders Mona Lisa zu einem kaum noch zu steigernden Kultbild geworden, das aber, um eine Formulierung von André Chastel zu benutzen, hinter diesem Kult vom fast ‹völligen Verschwinden› bedroht ist. Wer vermag sie denn wirklich noch unverbrauchten Blicks zu betrachten, ohne sich nicht an ihre Ent- und Verfremdungen der Kunstgeschichte, ihren Verbrauch in Werbung und sonstiger Öffentlichkeit bis hin zum Ulk und zur Verballhornung zu erinnern? Man hat immer vom Rätsel ihres Lächelns gesprochen und es auch besungen, sich gefragt: «Warum lächelt Mona Lisa?», wie der schöne Titel des Buches von Paul Barolsky lautet, der sich mit den «schönen Lügen der Literatur» und den durch Giorgio Vasari verbreiteten Künstlerlegenden befasst. Auch mit der Mona Lisa lädt uns Leonardo offensichtlich zu einem Bilderrätsel ein, zu einem intellektuellen Spiel mit der menschlichen Wahrnehmung.

Auch andere Werke umgibt heute noch die Aura des Rätselhaften. Ist der Vitruvianische Mensch oder auch Vitruvmann wirklich nur eine Proportionsstudie? Warum hat Leonardo nicht zwei getrennte «Vitruvmänner» gezeichnet, sondern stattdessen einen Körper mit Rumpf und Kopf, aber doppelten Gliedmaßen? Warum fehlt in der zweiten Fassung der Felsgrottenmadonna die zeigende Hand des Engels Uriel? Und was hat das Lächeln des Johannes – eines der letzten Werke Leonardos – zu bedeuten?

Obwohl es heute insgesamt nur rund 15 unumstritten Leonardo zugeschriebene Gemälde gibt – früher waren es noch weit weniger und viele Datierungen werden in der Forschung noch umfangreich diskutiert –, sind bis heute viele Fragen ungeklärt und noch nicht alle Bedeutungsmöglichkeiten ausgeschöpft, nicht zuletzt weil Leonardo diese Vieldeutigkeit beabsichtigte. Besonders deutlich wird dies bei seinen Abweichungen von der traditionellen christlichen Ikonographie, die teilweise häretische Züge tragen. Damit war er der erste Künstler der Renaissance, der sich aus dem Handwerk löste und sich die Freiheit nahm, Aufträge nach seinen und nicht nur nach den Bedingungen des Auftraggebers auszuführen. Möglicherweise war dieser Freiheitsdrang einer von mehreren Gründen dafür, dass Leonardo im Gegensatz zu seinen Konkurrenten nie zur Ausführung eines monumentaleren Kirchenauftrags gelangte. Man...

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