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E-Book

Lernen im bewegten Klassenzimmer

AutorReinhard Schönherr-Dhom
VerlagVerlag Freies Geistesleben
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl183 Seiten
ISBN9783772540493
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Der erfahrene Klassenlehrer Reinhard Schönherr-Dhom, der seit vielen Jahren an einer Waldorfschule erfolgreich mit dem innovativen Konzept des «bewegten Klassenzimmers» arbeitet, schildert die Grundzüge, Erfahrungen und praktischen Auswirkungen dieses Unterrichtsmodells. An einzelnen Beispielen wird das bewegte Klassenzimmer anschaulich erläutert. Ein sehr ausführlicher praktischer Teil gibt zahlreiche Anregungen zur Sinnesschulung und zu einem Lernen in Bewegung. Für Klassen- und Förderlehrer ist dieses Buch ein hilfreiches Arbeitsmittel. Es eignet sich aber auch für interessierte Eltern, die sich über das bewegte Klassenzimmer informieren möchten.

Reinhard Schönherr-Dhom,geboren 1952, studierte Erziehungswissenschaften, Soziologie und Theologie. Er war dreizehn Jahre in der evangelischen Jugend- und Erwachsenenbildung tätig, seit 1991 unterrichtet er als Klassenlehrer und Fachlehrer für Sport und Religion an der Freien Waldorfschule Westpfalz / Otterberg. 1999 führte er das bewegte Klassenzimmers in der Otterberger Unterstufe ein. Darüber hinaus ist er Dozent bei Seminaren der Lehrerfortbildung zu Spiel und Bewegung im Grundschulalter und zum bewegten Klassenzimmer.

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Leseprobe

Das bewegte Klassenzimmer am Beispiel der Otterberger Waldorfschule


Ein Vormittag im bewegten Klassenzimmer


Eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn ist der Klassenlehrer in seinem Raum. Die ersten Kinder kommen schon früh, weil die Eltern arbeiten müssen, einige auch, weil sie morgens nichts verpassen möchten. Der Lehrer begrüßt die Kinder an der Tür. Er hat zwei Bänkchen umgedreht, ein zwei Meter langer Balancierbalken ist entstanden, der die Kinder schon beim Betreten des Raumes zu einer ersten Gleichgewichtsschulung herausfordert. Freudig überqueren sie mit der Schultasche in der Hand den Balken. Nachdem der Schulranzen auf seinen Platz im Regal abgestellt ist, beginnen die Kinder, mit den Bänkchen und Kissen eine Bewegungslandschaft zu bauen. Eine «Burg» mit einer Auffahrrampe entsteht, ein Wassergraben mit schmaler Brücke, ein Fluss mit Steinen (Kissen). Fast alle Kinder, die nach und nach kommen, beteiligen sich an Aufbau und Spiel. Nur wenige setzen sich in eine Ecke, schauen zu, holen das Frühstück nach oder erzählen sich etwas. Immer wieder kommt der Lehrer in den Kreis der Konstrukteure, gibt kleine Anregungen oder Hilfestellungen beim Aufbau. Dabei hat er stets alles Geschehen im Blick, damit keinem Kind beim Bauen und Klettern etwas zustößt. Alle halten die gelernten Regeln für das Benutzen der Möbel ein:

Bänke müssen mit Teppichstoppern gesichert werden.

Das Betreten ist nur mit Gymnastikschläppchen oder barfuß gestattet.

Anstoßen und Antreiben anderer Kinder ist nicht erlaubt.

Jeder achtet auf den anderen und nimmt Rücksicht.

Den ganzen Klassenraum durchzieht eine «schaffige» Atmosphäre. In einer Ecke wird es recht laut. Ein Mädchen hält sich die Ohren zu. Der Lehrer hebt die Hand. Alle Kinder verharren einen Moment im Tun. «Ein bisschen leiser, bitte, damit sich niemand die Ohren zuhalten muss!» Die Kinder haben verstanden. Fleißig wird weiter gebaut.

Um 8.00 Uhr beginnt die reguläre Unterrichtszeit. Eine Klangschale gibt einen wohlklingenden Ton. Alle Kinder setzen sich still, wo sie gerade sind. Der Lehrer nimmt den gebauten Parcours, wie ihn die Kinder gestaltet haben, und stellt für alle Schüler einfache Bewegungsaufgaben. Unter eine umgedrehte Bank werden ein, zwei blaue Kissen gelegt. Jedes Kind überquert den «Fluss» über den Holm der Bank balancierend. Manche Kinder brauchen eine stützende Hand, andere gehen ganz souverän den Weg. Für diese wird der Rückweg erschwert durch ein Säckchen, das sie auf dem Kopf oder den Schultern transportieren. Durch die gemeinsamen Bewegungsaufgaben werden auch die unsicheren Kinder, die sich beim freien Spiel zurückhielten, zur gezielten Bewegungsschulung angeregt. Weitere Aufgaben folgen. Der Weg wird durch eine zweite Bank verlängert. Es wird dunkel und Nacht. Die Kinder legen den Weg mit geschlossenen Augen zurück. Nach zehn bis fünfzehn Minuten ertönt die Klangschale zum zweiten Mal. Alle Kinder helfen nun, rasch die Bänkchen und Kissen im Kreis anzuordnen. Das dauert nicht einmal zwei Minuten, und schon sitzen alle zum gemeinsamen Beginn im Kreis. Viele Kinder gehen rasch noch zur Schultasche, holen ihre «Schätze» heraus und legen sie auf einem Tuch ab.

In der Mitte des Klassenzimmers liegt ein Teppich, darauf steht ein kleiner Hocker, bedeckt mit einem Baumwolltuch, einer Kerze und einem Edelstein, daneben das Tuch mit den mitgebrachten Schätzen. So rennen die Kinder nicht unkontrolliert durch die Mitte. Dann beginnt der Morgenkreis. Der Lehrer erzählt eine kurze sinnige Geschichte von dem Eichenblatt, das vom Fliegen träumt. Dann kommen die Kinder dran. Der Erzählball, ein gefilztes Bällchen, wird weitergereicht – so lange, bis vier oder fünf Kinder von dem erzählt haben, was sie gerade beschäftigt, was sie gestern erlebt haben.

Danach werden die Schätze angeschaut, die die Kinder auf das Tuch abgelegt haben. Eine Vogelfeder liegt da, mehrere Hausaufgabenhefte, einige von den Kindern zu Hause gemalte Bilder, ein Kieselstein, ein Papierflieger. Die Kinder stellen kurz ihren mitgebrachten Schatz vor, auch die freiwilligen Hausaufgaben gehören dazu und regen so die anderen an, zu Hause das Gelernte zu üben oder in verwandelter Form zurückzubringen. Gestern wurde die Drei im Rechnen hervorgehoben und die Ziffer gelernt. Ein Kind hat ein ganzes Blatt voller bunter Dreier gemalt, ein anderes lauter Dinge dreimal – drei Blumen, drei Tiere, drei Steine –, ein drittes hat drei Flieger gefaltet.

Nachdem alle Schätze wahrgenommen wurden, werden sie wieder eingepackt. Nach einem Schlückchen aus der Trinkflasche beginnt der Lehrer mit dem Morgenlied «Guten Morgen, lieber Sonnenschein» die bewegte rhythmische Arbeit. Mit großen Bewegungen werden gesprochene Verse begleitet, fest gestampft, leise getrippelt. Von Spruch zu Spruch werden die Bewegungen kleiner und feiner und enden schließlich mit einem Fingerspiel. Alle Kinder setzen sich, nehmen ihr Fädchen aus der Hosentasche, und in wenigen Minuten wird ein neues Fadenspiel gelernt. Dann verschwinden die Fädchen wieder. Es ist inzwischen Viertel vor neun.

Die Arbeit mit den Zahlen beginnt. Alle stehen auf. Im Kreis laufen wir, Schritt für Schritt bis zwanzig und wieder zurück. Wir betonen den rechten Fuß, die Zwei, sprechen die ungerade Zahlen nur leise, so wird die Zweierreihe vorbereitet. Wer kann sie allein sprechen, mit seinem Freund laufen? Wir lernen, auf den anderen zu hören, innerlich mitzubewegen, was zwei Schüler äußerlich bewegen. Dann legen alle vierzehn Jungen ihr Kissen in die Mitte. Wir zählen nach. Zwei Kinder ordnen sie, immer zu zweit. Wie viel mal zwei ist vierzehn? Eine andere Anzahl Kissen wird genommen, ebenso geordnet, bis mehrere Aufgaben gerechnet wurden. Der Flötenton erklingt – das Zeichen für die Kinder, rasch aus dem Kreis die Schreibstube zu stellen. Jeder hebt mit seinem Nachbarn das Bänkchen, rückt es auf den neuen Platz und legt das Kissen dahinter. Jedes Kind weiß genau, wo die Bank zu stehen hat. Nun holen alle Kinder aus ihrer Schultasche das Rechenheft und die Stifte. Sie sitzen auf den Kissen, das Bänkchen wird zum Schreibtisch. Welche Aufgaben hatten wir zuerst, welche dann – die Kinder erinnern sich, die Aufgaben werden an die Tafel geschrieben und dann in die Hefte eingetragen. Und noch drei neue Aufgaben dazu, die die Kinder selbst ausrechnen. Außerdem noch zwei für jene, die schneller schreiben als die anderen. Fünf Minuten dauert das schriftliche Rechnen an diesem Vormittag.

Nach dem Hefteintrag ist kurze Pause für alle. Ein Schlückchen trinken, die Hungrigen müssen rasch einmal ins Brot beißen, Gang zur Toilette. Eine kleine Geschichte sammelt die Kinder wieder. Denn gleich erwarten wir Besuch. Es ist 9.30 Uhr, und der Englischlehrer kommt. Gern beginnt er den Unterricht frontal. So stellen die Kinder rasch die Bänkchen in drei Reihen, jeder kennt den Platz seiner Bank, heute zählt der Klassenlehrer nur bis 22, und alle Bänkchen stehen schon auf dem neuen Platz.

Mit einem «Good morning, class one» beginnt die bewegte Englischstunde. Alle Kinder stehen auf. Mit dem Lied «Spring is coming …» ahmen sie die Gesten des Lehrers nach. «From head to toe» … mit diesem Spruch geht es zur Körpergeografie auf Englisch. Dank der kleinen Bänkchen können sich die Kinder richtig bücken bis zu den Zehen.Tische und Stühle hindern nicht. Es gibt Platz genug. Dann wird wiederholt. Alle Kinder stehen dazu auf den Bänkchen. Anschließend werden die Präpositionen geübt. «Stand on, … in front of, go under …» unter die Bänkchen, vor die Bänke, auf den Bänken. «Jump off …» Die Freude steht den Kindern im Gesicht. Nun wird es schwieriger. Mit geschlossenen Augen geht es weiter: «Shut your eyes! – Put your hands on your head! – Wave your right hand! – Put your right hand on your left knee! – Put your left hand on your right elbow!»

Alle Kinder setzen sich. Ein Kind wird ausgewählt (gegebenfalls mit einem Auszählvers, z.B. «Little beggar comes to dinner …») und beginnt, bei dem Lied «Francis Fleet runs down the street …» den Hufeisenweg durch die Bankreihen zu laufen. Schließlich gilt es, auf ein Signal des Lehrers hin schnell stehenzubleiben – Impulssteuerung wird ganz nebenbei mitgeübt. Dann dürfen sich mehrere Kinder anschließen, zuletzt machen alle den Weg von Francis Fleet. Auf dieser Hufeisenform oder auch im Außenkreis lässt sich dann üben: «I am running, I am jumping, I am skipping, I am hopping, marching, walking on tiptoes» etc. Etwas ruhiger wird es wieder, wenn die Kinder sich auf den Bänken gegenübersitzen, sich die Hände geben und gemeinsam singen «Row, row, row the boat» und sich dazu rudernd bewegen. Wird eine Geschichte erzählt, vielleicht illustriert durch ein Bilderbuch, dürfen sich die Kinder ganz nah zum Lehrer auf den Boden setzen, lauschen und schauen. Rasch sind dreißig Minuten bewegter Sprachunterricht vergangen, und mit einem kleinen Gedicht, das die Kinder mit Gesten begleiten («The sun descending in the west...

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