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E-Book

Lesereise London

Lizenz zur Weltstadt

AutorMartin Müller
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711752864
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
When a man is tired of London, he is tired of life! Dass man Londons nie überdrüssig werden kann, stellte schon Samuel Johnson, Gelehrter und Hüter der englischen Sprache, fest. Stets neugierig die rasante Entwicklung verfolgend, streift Martin Müller durch die Stadt. Von seiner Couch in Cricklewood zieht er los und erzählt von Abenteuern, die ihn zu den Ikonen Londons, aber auch zu weniger prominenten Zielen führen. So trotzt er mit dem Kajak den Gezeiten der Themse und badet in atemberaubender Natur in Hampstead. Was auf den Ruhm von Olympia folgt, interessiert ihn genauso wie die Perspektive von Schülern im Rollstuhl. Wie ein Londoner verfällt er den Reizen des nahen Seebads Brighton und den berauschenden Proms-Konzerten.

Martin Müller begann seine journalistische Karriere bei Tageszeitungen im Ruhrgebiet. Als Autor und Fotograf hat er längere Zeit in Pakistan, Neuseeland, Schottland und Dänemark gelebt und Reisebücher sowie zahlreiche Magazingeschichten über seine Ziele veröffentlicht. Seit 25 Jahren zieht es ihn regelmäßig in ein viktorianisches Cottage in London.

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Leseprobe

Promenade am Fluss


An der South Bank das Panorama aufsaugen


Der erste Blick auf die Metropole sollte sorgsam gewählt werden. Zumal es hier um eine echte Weltstadt geht, den Inbegriff von Welt in einer Stadt, das Sammelbecken globaler Eroberungen aus Jahrhunderten, den Magneten für all jene Nationalitäten, die das große Britannien mal besitzergreifend gestreift hat. Sogar den Nullmeridian hat man 1884 hier verortet. Wenn London also das Zentrum der Erde ist, muss die erste Kontaktaufnahme gut getimt sein.

Gemeint ist nicht der Moment, in dem wir einem der Flughäfen entrinnen. Oder die ersten akklimatisierenden Schritte, mit denen wir später unser Hotel umstreunen, womöglich auf der Flucht vor einem Sortiment von Teebeuteln. Es geht vielmehr um die Position, von der aus wir in den Blick nehmen, was vor unserem geistigen Auge ja längst gefügt ist, komponiert aus einer gefühlten Collage aus Vokabelunterrichtserinnerungen und dem Englisch der Queen, Gitarrenriffs und Songtiteln, Hut- und Rockmoden, Zitaten von Oscar Wilde (»The man who can dominate a London dinner-table can dominate the world«) und Samuel Johnson (»When a man is tired of London, he is tired of life; for there is in London all that life can afford«), der singsangenden U-Bahn-Ansage »Mind the gap« und dem sonoren Big Bang von Big Ben, der Voice of London.

Dieser Sehnsuchts-Skyline nähern wir uns auf Schienen, aus dem Untergrund, fast unterwürfig. An der Underground-Station Westminster lassen wir uns aus dem Zug schieben, reihen uns auf den schier endlosen Rolltreppen brav rechts ein, damit links vorbeigehuscht werden kann, schweben langsam aufwärts, rempeln gegen Mitfahrer, die sich jedes Mal für unsere eigene Unbeholfenheit bei uns entschuldigen – das tun nur die Londoner, die, die nichts sagen, sind Touristen –, erreichen endlich die Eingangsplattform, checken mehr oder weniger zügig mit unserem Ticket aus – nicht ohne Rempler – und verharren unschlüssig vor der Wahl der Ausgänge, natürlich als Prellbock. Niemand hat unser Herzklopfen auf der Rechnung, die U-Bahn-Station rumort wie ein unterirdischer Gebirgsbach, in dem wir einen Stau verursachen, nur weil wir uns sammeln wollen, bevor es die letzten Treppenstufen hinauf ans Tageslicht geht.

War der Ausgang gut gewählt, drängt sich nun der prächtige westminstersche Uhrturm, der Big Ben, unmittelbar ins Bild. Unverschämtes Glück haben wir, wenn auch noch sein Uhrwerk schlägt. Wiewohl es etwas schräg klingt, weil kurz nach der Installierung die mächtigste Glocke einen Sprung erlitt. Geistesgegenwärtig schlüpfen wir aus dem Menschenstrom, den Kopf immer steil im Nacken. Welch ein vollkommener, klassischer Augenblick. Für einen Moment ist alles so, wie es sein soll. Diese architektonische Apotheose hat sogar menschliches Maß.

Wem die Stunde weniger günstig schlägt, der hat jenen Ausgang erwischt, von dem aus sich das Riesenrad London Eye in den Blick drängt, eine Art gigantischer, rotierender RummelplatzNasenring, der auf der gegenüberliegenden Seite der Themse massenhaft Leute durch die Manege des London-Panoramas zieht. So besetzen zwei in jeder Hinsicht unterschiedliche Ikonen den besten Platz an der Themse, eine Standuhr und ein Laufrad. Die beiden haben einander nichts zu sagen.

Die Stelle ist zu sehr Nadelöhr, um das Panorama Westminsters zu bewundern. Es gibt schlichtweg keinen Raum, das famose Parlamentsgebäude mit Muße zu betrachten. Anstelle eines Platzes fließt breit die Themse. Die von drei Türmen überragte Fassade des Parlaments – einer davon ist der Big Ben – schaut nach Westen und schmiegt sich zweihundertsechsundsechzig Meter an den Fluss. Der Fluchtweg aus der zusammengedrängten, vielsprachigen, unentwegt sich selbst und alles um sie herum fotografierenden Menge führt vom Underground-Ausgang direkt auf die Westminster Bridge, weg vom Parlament. Beim Blick zurück keimt der Wunsch, mal solo in einem Bötchen vor der Schaufassade zu flanieren.

Der erste Stadtspaziergang folgt dem kurvigen Lauf der Themse, denn ohne den Strom gäbe es die Stadt nicht. Auch die unverzichtbaren Eckpunkte sind am Fluss verankert, der Parlamentspalast und das Ensemble aus Tower und Tower Bridge. Noch vor zwei Jahrzehnten wäre niemand auf die Idee gekommen, diese vier Kilometer auf der Südseite des Themsebogens als einen attraktiven Spaziergang anzusehen. Geschweige denn als eine der großen Stadtpromenaden Europas. Das war bevor London sich anschickte, die mit wuchtigen Betonbauten und wenig Verweilplätzen versehene South Bank aufzuhübschen. Das innerstädtische Südufer steuerte nur an, wer den Hochsicherheitstrakt von Royal Festival Hall, Queen Elizabeth Hall, Hayward Gallery, National Film Theatre und Royal National Theatre zum Ziel hatte. Der Knastkomplex der Schönen Künste drängt sich in der Themsekurve bei den beiden Brücken Hungerford und Waterloo, zwei von zehn Brücken auf unserem Spaziergang.

Seit die South Bank jedoch wachgeküsst wurde, gibt’s kein Halten mehr. Rasant wie in einem Computerspiel wird am Panorama gewerkelt. Mancher Einfall ist zart und simpel, wie die beiden Fußgängerstränge der Hungerford Bridge, hinüber zum großen Uferbahnhof Charing Cross. Plötzlich können wir über dem Fluss flanieren, verharren und dem regen Bootsverkehr zuschauen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für eine Metropole am Strom, aber darauf mussten Londoner Fußgänger zwei Millennia warten. Die Themse war eigentlich nur Verkehrsstrang, ein working river, Hafen für rund um den Globus entwendete Güter – kein Ort für müßige Betrachtung durch Fußgänger. Charles Dickens, ein akribisch beobachtender Stadtstreuner, verglich die geschäftige Szenerie entlang der Themse vor hundertfünfzig Jahren noch mit einem Dschungel. Vor einem Vierteljahrhundert hätte er aber nur noch eine öde, gerodete Lichtung vorgefunden, Geschichten waren längst Mangelware.

Nun wird es mit jedem Schritt nach Osten besser. Zwei Brücken weiter hat sich die Blackfriars Bridge, ebenfalls eine Eisenbahnquerung, durch eine Investition von fünfhundertfünfzig Millionen Pfund zur überdachten Aussichtsplattform gemausert. Wer mit dem Zug von Gatwick Airport anreist und hier auf Anschluss wartet, steht plötzlich mitten über der Themse. Als Bahnhof ist es zwar kein übermäßig schicker Designwurf, wenn man ihn mit viktorianischen Palästen wie etwa der St. Pancras Station vergleicht. Dennoch scheint es so, als hätte sich London wieder in den eigenen Anblick verliebt.

Die Wiederentdeckung der Eitelkeit funktioniert und fasziniert. Plötzlich sind da überall Menschen, die die South Bank entlangschlendern. Die Südseite ist in. Straßenkünstler buhlen um Aufmerksamkeit. Paare sitzen eng umschlungen auf der endlosen Brüstung. Strandwanderer – ja, die städtische Themse entblößt bei Ebbe Strandstücke – suchen am Ufersaum nach Fundstückchen aus zweitausend Jahren; man hat sogar ein Wort für sie geprägt: Mudlarker, die im Schlick herumtollen (Buddeln mit Geräten ist verboten!). An der ehemaligen Gabriel’s Wharf finden wir sogar eine Art Dorfplatz, den die Anwohner der Stadtverwaltung als funktionierende Nachbarschaft abrangen. Die Hausfassaden über Restaurants und Boutiquen sind als Trompe-l’œil aufgemalt und setzen die gemütlichste Szene der South Bank ins Trugbild.

Mit der nächsten Brücke nach Blackfriars gen Osten wird das Panorama endgültig famos, hier hat sich London eine stählerne Hängematte gegönnt. Eine postmoderne folly, jene typisch englische Bauwerk-Narretei – denn wie soll man eine nur dem vergnüglichen Themse-Übergang dienende Fußgängerbrücke sonst nennen? Sir Norman Foster, der heimische Stararchitekt, entwarf im Verein mit dem Bildhauer Anthony Caro und den Top-Ingenieuren von Arup eine schlanke, elegante Achse, die den direkten Übergang zwischen der Tate Gallery of Modern Art und der St. Paul’s Cathedral erlaubt. Die weltgrößte moderne Kunstgalerie steckt im riesigen industriellen Ziegelbau-Gewand eines ehemaligen Kraftwerks, zur Jahrtausendwende behutsam umgestaltet von den Schweizer Architekten-Gurus Herzog & de Meuron. Der Blick über die Brücke gewährt die schönste Ansicht der Kathedrale. Die 1666 von Sir Christopher Wren gebaute St. Paul’s ist eine kolossale barocke Kuppelkirche. Trotz der sehr unterschiedlichen Architekturstile kommunizieren diese beiden Ikonen miteinander, dank der ersten lupenreinen Fußgängerbrücke, die seit den Römern in London gebaut wurde.

Der Weg über die grazile Hängebrücke ist schwingungsfrei. Bei der Eröffnung im Juni 2000 war das noch anders – sie schwankte seitlich, als würden römische Truppen rhythmisch marschieren, ein Fehltritt der Konstrukteure, was der Millennium Bridge den Spitznamen wobbly – Wackelbrücke – einbrachte. Und eine zweijährige Sperrung zur Nachbesserung mit...

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