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Lesereise Mallorca. Miró und der Mann mit der Mandarinenkiste

Miró und der Mann mit der Mandarinenkiste

AutorHelge Sobik
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711751126
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Als Kind', hat Joan Miró einmal gesagt, 'habe ich den Himmel Mallorcas bewundert. Und in der Nacht hat mich hier die Spur einer Sternschnuppe, das Leuchten eines Glühwürmchens, das Blau des Meeres verzaubert.' Als alter Mann hat er diese Stimmung mit wenigen Zeichen und Farbtönen in seinem Atelier in Cala Major auf Leinwand gebannt - und saß zwischendurch mit dem Mann mit der Mandarinenkiste zusammen. Miró ist 1983 gestorben - aber sein Mandarinenbote lebt und hütet heute einen Schatz. Es sind vor allem die Begegnungen mit Einheimischen, ihr Alltag, der Blick weit hinter die Kulissen der mallorquinischen Ferienwelt, die Helge Sobik faszinieren. Für dieses Buch suchte er nach dem Mann, der die Sonne im äußersten Osten Mallorcas jeden Morgen als Erster aufgehen und nach dem, der sie im Westen als Letzter untergehen sieht. Er traf beide - den Fischer Joan Fuster und den pensionierten Leuchtturmwärter Bernat Reus, der auch als Rentner nicht von diesem Blick loskommt: ein Bilderbogen in Worten, der das Leben auf Mallorca in all seinen Facetten ausmalt - und sich beim Lesen anfühlt, als ob man schon immer dazugehörte.

Helge Sobik, 1967 in Lübeck geboren, schreibt Reportagen aus aller Welt und publiziert in zahlreichen Medien. Im Picus Verlag erschienen seine Reportage Persischer Golf sowie die Lesereisen Kanada, Kanadas Norden, Kanadas Westen, Finnland, Mallorca, Côte d'Azur, Dubai, Portugal und, gemeinsam mit Fabian von Poser, Abu Dhabi. Helge Sobik war 'Reisejournalist des Jahres' 2019 und hat es 2020 auf Platz zwei des Rankings geschafft.

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Leseprobe

Joan Miró und der Mann mit der Mandarinenkiste


Spuren und Erinnerungen: Im Atelier des katalanischen Künstlers, der von 1956 bis 1983 auf Mallorca lebte


Auf den Arbeitstischen liegen noch immer halb ausgequetschte Farbtuben scheinbar wahllos herum. In angelaufenen Gläsern stehen Pinsel, als wäre er nur eben mal hinausgegangen, um gleich zurückzukehren. Selbst die Stühlchen mit ihren geflochtenen Sitzflächen und die kleinen Hocker, auf denen er saß, um jeden Fortschritt eines Gemäldes in Ruhe zu betrachten – alles steht zwischen den unfertigen und entsprechend noch unsignierten Werken im Atelier in den Hügeln von Cala Major am Stadtrand von Palma, als wäre Joan Miró gerade erst aufgestanden, um ein wenig unter den Pinien auf seinem zwölftausend Quadratmeter großen Grundstück zu spazieren.

Dabei ist er schon am Weihnachtstag 1983 gegangen und bald dreißig Jahre lang nicht zurückgekehrt. Mirós Atelier konserviert den Augenblick seiner letzten Arbeitsstunde, den Moment seines Todes. Es ist mitsamt der Einrichtung, vielen Details und den unfertigen Bildern so erhalten geblieben, wie der Künstler es hinterlassen hat. Nicht mal die Farbkleckse und -ränder auf dem Fußboden hat eine übereifrige Reinmachekraft der Nachwelt vorenthalten und womöglich weggewischt.

Im Flurbereich ist heute ein dünnes Seil gespannt, das die vielen Besucher zurückhält. Nur von dort aus dürfen sie in den Raum schauen, wo der Meister wirkte. Fast alle tun es mit Andacht. Sie flüstern oder schweigen, und nur ab und zu klickt der Auslöser eines Fotoapparats. Und so strahlt der große, helle Saal heute die Würde einer Kirche aus, ohne aber die Kälte eines Mausoleums zu haben.

Für Miró war das seine Höhle, sein Reich, sein Rückzugswinkel. Der Ort, wo sich seine Schaffenskraft entlud. Er wollte dabei unbeobachtet sein, ließ anders als beim Zeichnen oder Gravieren nicht mal seine Frau Pilar Juncosa herein, wenn er am Malen war. Selbst im Alter pflegte er eiserne Disziplin, begann den Arbeitstag frühmorgens um fünf und schritt dafür die Treppe vom Wohnhaus Son Abrines weiter oben am Hang hinab, über den Hof und weiter auf die Empore des Ateliers, von dort an ein paar Arbeitstischen vorbei eine Ebene tiefer in den Saal, in dem er fortan seinen Leinwänden mit dem Pinsel Leben einhauchte.

Oft hat er dort gesessen, auf die halb fertigen Werke geschaut, Änderungen erwogen, über nächste Schritte nachgedacht, ehe er neuerlich zum Pinsel griff und einen weiteren Strich zog, eine Farbe auftrug, ein Bild ein kleines Stück weiter voranbrachte: »Es sprudelte nicht aus ihm heraus, auch wenn es am Ende so aussehen mag«, beschreibt Magdalena Aguiló Victory, bis vor Kurzem Direktorin der Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca: »Er musste sich jedes Bild erarbeiten.« Den Eindruck von Leichtigkeit zu erwecken, ist immer eine besonders schwierige Aufgabe.

Tatsächlich war es oft ein langwieriger Prozess, und immer arbeitete er an vielen Gemälden gleichzeitig. Sie umgaben ihn im Atelier, und wenn der für niemand anderen erkennbare Moment für eines davon gekommen war, nahm er es sich vor und malte daran weiter, ehe er sich wieder hinsetzte, mit Blicken in jenem Bild versank und nachdachte: »Ich arbeite wie ein Gärtner«, hat er einmal gesagt. »Ich bin wie ein Insekt, wie eine Biene und bestäube die unterschiedlichen Pflanzen im Garten nach und nach, wenn es für jede einzelne davon so weit ist.«

Manchmal nehmen die Aufseher heute das Absperrseil zwischen Flur und Ateliersaal zur Seite, wenn Freunde zu Besuch kommen, die mitten ins Allerheiligste dürfen – Leute, die Miró nahe waren und es ihm am Ort seines Wirkens auch bald dreißig Jahre nach seinem Tod noch ab und zu sein möchten. Pere Serra ist so jemand. Er ist gern im Atelier – gerne dort, wo er mit Miró auf den einfachen Hockern fast auf dem Fußboden zusammengesessen hat. Pere Serra ist der Mann mit der Mandarinenkiste. Wie er das wurde, wie sich die Freundschaft zwischen ihm und dem längst weltberühmten Maler mit fünfunddreißig Jahren Altersunterschied entwickelte, ist eine lange Geschichte.

Serra ist inzwischen selber alt geworden, seit er seine Mandarinenkisten vor der Haustür von Son Abrines in Cala Major abgestellt, seit er regelmäßig Orangen und Zitronen gebracht hat. Es ist Zeit vergangen, seit 1957 eine Freundschaft begann, die sechsundzwanzig Jahre lang halten und immer enger werden sollte. Don Pere Serra ist heute dreiundachtzig, geht mit sorgsam gesetzten kleinen Schritten, nimmt nicht mehr drei Treppenstufen auf einmal wie damals, als er Mandarinenbote war. Inzwischen sitzt er leicht gebückt mit nach vorne geneigtem Kopf in seinem breiten Bürostuhl – und sieht gleichwohl jünger aus. Sein Haar ist noch immer nicht vollständig ergraut. In Strähnen ist es pechschwarz wie einst, wie auf den Fotos von damals, die ihn gemeinsam mit seinem engen väterlichen Freund zeigen. Pere Serra ist braun gebrannt, hat erstaunlich wenig Falten im Gesicht, dazu hellwache Augen. Der Mann, der da heute hinter seinem großem Schreibtisch im ersten Stock des Palau de Prensa, des Pressehauses, in der Innenstadt von Palma sitzt und von damals erzählt, von der Stimmung im Atelier, als diese Freundschaft ihren Anfang nahm, ist der Hüter eines großen Schatzes: seiner Erinnerungen.

Wenn es um Joan Miró geht, den er bewundert und geschätzt hat, dem er in jenem Atelier sogar als einer von ganz wenigen bei der Arbeit zusehen durfte und mit dem gemeinsam er so viel Zeit verbracht hat, dann hat er jedes Detail präsent, nichts verdrängt, nichts vergessen, erinnert sich genau an Mirós Händedruck, als hätte er ihn erst vor einer Stunde zuletzt gespürt. »Klar« sei der gewesen, »eher kurz, nicht sehr fest, schon gar nicht weich. Ehrlich und aufmerksam.«

Als junger Journalist wollte dieser Pere Serra versuchen, ein Interview mit jenem Miró zu führen. Der war seinerzeit gerade nach Mallorca gezogen und hatte sich dort gemeinsam mit seiner von der Insel stammenden Ehefrau Pilar und Tochter Maria Dolors in den Hügeln oberhalb von Cala Major niedergelassen – damals weit draußen auf dem Lande, wo ein Eselskarren Wasser, Milch und ensaïmadas, die mallorquinischen Teigschnecken, den Hang hinauf brachte. Heute ist daraus ein hässlicher Vorort mit ungepflegten Wolkenkratzern geworden. Betonspargel mit verdreckten Balkonverblendungen und nach frischer Farbe schreienden Fassaden flankieren das Grundstück. Das konnte damals niemand ahnen, als Miró sein Idyll im Grünen erwarb.

Als Künstler hatte er es längst zu Weltruhm gebracht und Geld hatte bei der Ortswahl nicht wirklich eine Rolle gespielt. Seine Werke mit den verspielt wirkenden Farbklecksen, mit dicken schwarzen Linien und stilisierten Figuren erzielten in Galerien rund um den Globus bereits Spitzenpreise, und selbst das renommierte Museum of Modern Art in New York, damals noch mehr als heutzutage so etwas wie der Welttempel der zeitgenössischen Kunst, hatte dem katalanischen Künstler, geboren in Barcelona, bereits 1941 eine große Retrospektive gewidmet: höchste und zugleich seltene Ehre für einen lebenden Künstler.

Im ersten Stock von Son Boter, dem Herrenhaus auf seinem Grundstück, hatte Miró bald ein Rückzugs- und Nachdenkzimmer eingerichtet – ein vergleichsweise kleiner, dunkler Raum mit roter Tapete und Holzvertäfelung, während alle anderen Räume strahlend weiß getüncht waren. Abgeteilt war eine kaum zwei Quadratmeter große nackte Kammer mit nichts als einem Stuhl. Dort saß er, um zu grübeln und hinter die großen Dinge zu steigen. Neben dem Eingang zu dieser Kammer hängt ein Schwarz-Weiß-Foto Picassos, ein Stück weiter weg sind gerahmte Porträts von Joan Mirós Eltern befestigt.

Eigene Spuren hat er in diesem Raum, der offenbar den leiblichen wie geistigen Vorfahren gewidmet war, nirgends hinterlassen, während die Wände der öffentlich nicht zugänglichen Nebenzimmer ebenso wie die des zur Besichtigung geöffneten Erdgeschosses mit flüchtigen Zeichnungen übersät sind, mit Linien, Bögen, Grundformen. Miró hat sie als Skizzenblock verwendet, hat Entwürfe für Skulpturen an diesen Wänden hinterlassen. Hier in Son Boter, diesem Landhaus aus dem 18. Jahrhundert, fühlte er sich geerdet. »Das hier ist die Wahrheit«, hat er einmal gesagt und dabei mit der Hand über die Wand des Gebäudes gestrichen: Alle Traditionen flossen hier für ihn zusammen, alles Grundsätzliche, dazu die Einfachheit der Formen. Hier fühlte er sich seinen Wurzeln nahe.

Weitgehend unbeachtet war er, der so lange in Paris gelebt und gearbeitet hat, nur in seiner Heimat geblieben. Spanien litt damals unter der Franco-Diktatur, und Kunstsinn war nicht gefragt. So hatte auch auf Mallorca kaum jemand mitbekommen, wer dieser anderswo gefeierte Miró war – und noch weniger, dass er sich 1955 jenes große Grundstück mit dem alten Landhaus Son Boter als Ateliergebäude auf der Heimatinsel seiner Frau gekauft hatte und nebenan ein paar Meter tiefer am Hang ein Wohnhaus bezog und ein großes Atelierhaus vom bekannten Architekten Josep Luis Sert errichten ließ. Serra aber schaute über den Tellerrand und hatte davon in der New York Times gelesen.

Er wusste, dass dieser im Ausland so viel beachtete Künstler enorm pressescheu war, öffentlichkeitswirksame Auftritte ganz und gar nicht liebte und nichts mehr schätzte, als möglichst viel Ruhe für seine Arbeit zu haben. Als Reporter Serra dennoch am Tor klingelte, erschien ein kleiner und leicht gebeugter Mann in grauem Arbeitskittel, mit freundlichem, etwas rundlichem Gesicht, der sich alles anhörte, was der Überraschungsbesucher vortrug: dass er für die Lokalzeitung arbeite, gerne ein Interview mit Señor Miró führen und sich auch persönlich stark...

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