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Liebe Deine Nächste

Von Beziehungspfusch und anderen Baustellen

AutorHolger Senzel
VerlagSüdwest
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641082789
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Holger Senzel ist Journalist beim WDR. 2011 hat er den Bucherfolg 'Arschtritt - Mein Weg aus der Depression zurück ins Leben' geschrieben. Schon hier berührte er in erfrischend-offener Weise das Thema Beziehungen beziehungsweise deren Scheitern. Nach einem endlosen Beziehungswirrwarr hat Senzel nun sein Glück gefunden und legt für die Leser seine Beziehungsirrtümer, Versäumnisse, Ausreden und Täuschungsmanöver offen - erfrischend-unterhaltsam, selbstironisch und nachdenklich zugleich.

Holger Senzel, Jahrgang 1959, hat als Radioreporter die Kriegs- und Krisengebiete der Welt bereist. Berichtete fünf Jahre lang als Korrespondent aus London. Privat lief es lange weniger gut: Gescheiterte Beziehungen, Depression, Therapie, Zusammenbruch, psychosomatische Klinik. Heute ist er überzeugt, dass man sein Herz nicht öffnen kann durch Graben in der eigenen Seele, sondern durch offene Augen und Interesse an Anderen. Senzel ist verheiratet und lebt in Hamburg.

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Leseprobe

Im Büro eines älteren Kollegen hängt ein Jugendbild seiner Frau. Das 40 Jahre alte Schwarz-Weiß-Foto eines wunderschönen Mädchens. Als er mir bei einem bierseligen Kneipenabend das Herz ausschüttete über seine schon ewig unglückliche Ehe, fragte ich ihn nach diesem alten Foto. Und er sagte: »Damit ich verstehe, warum ich sie damals geheiratet habe!« Das ist bitter, was? »Aus einem schönen Schüsselchen kann man sich nicht satt essen«, sagte meine Oma. Was keine Absage an Schönheit ist – die aber für sich allein halt nicht genügt. Es gibt wahrscheinlich wenig Deprimierenderes als eine alternde Ballkönigin, deren einziges Kapital in Bitterkeit dahinschmilzt. Aber das männliche Eroberungsverhalten orientiert sich mitunter nicht nur an Partnerschaft und Liebe – sondern an Trophäen im Wer-hat-den-Längsten-Spiel. Und so mancher macht sich verdammt klein, um mal den Alpha-Rüden zu spielen.

 

Drei Tage hielt uns der Sturm im Hafen fest. Vier Jungs auf einer Segeltour vor mehr als zwanzig Jahren. Es gab ein Kino in dem Ostseekaff, dessen Namen ich längst vergessen habe, und das zeigte die ganze Woche über einen einzigen Film. An den Titel erinnere ich mich ebenso wenig wie an Handlung und Darsteller; irgendein amerikanischer Actionstreifen, in dem zwei Typen die Welt retten und die ganze Zeit lockere Sprüche klopfen. Einer hat sich mir bis heute eingeprägt: »Der Sieger fickt die Ballkönigin!« Das ganze Männerleben mit allem Streben und allen Kämpfen drastisch und prägnant auf den Punkt gebracht: Der tollste Hecht im Teich führt das schönste Weibchen heim. »Homecoming Queen« heißt die Ballkönigin im Amerikanischen. Die Schulhofschönheit, die allen Jungs den Kopf verdreht. Mich erwischte es das erste Mal auf der Grundschule – ganz unschuldig noch.

 

Sie trug weizenblonde Zöpfe und eine Zahnspange. Ich war fest entschlossen, sie eines Tages zu heiraten. Betty wusste allerdings nichts von meiner innigen Liebe, die auch den Wechsel aufs Gymnasium überdauerte. Sie gehörte zur tonangebenden Clique unserer Klasse, zusammen mit meinem Namensvetter, über den die Mädels der Klasse dichteten: »Holger dieser Fußballfan – always can!« Ich dagegen war ein unsportlicher, verschlossener Junge, der Seefahrer-Romane las, Schiffsmodelle bastelte und sich in wilde Abenteuer träumte. Oft spielte darin auch Betty mit. Wider alle Vernunft hoffte ich, sie würde irgendwann ihre Gefühle für mich entdecken.

Bei einer der ersten Partys fasste ich mir ein Herz und forderte sie zum Tanzen auf. Ich hätte es nicht gewagt, wenn es nicht drei Tage zuvor diese innigen Minuten auf dem Schulhof gegeben hätte, in denen ich Betty von meinen Schiffsmodellen erzählte. Und sie hatte sogar zugehört! Womöglich wartete sie ja auf ein Signal von mir.

Die Fete stieg im Hobbykeller irgendwelcher Eltern. Mein weißes T-Shirt leuchtete im violetten UV-Licht – Schwarzlicht, das war damals der letzte Schrei. Eine frühe Lichtorgel blinkte in Ampelfarben zu Santanas Samba Pa Ti. Engtanz-Musik! Mit klopfendem Herzen stand ich vor der Matratze, auf der Betty zusammen mit ein paar Mädels lümmelte und gleichmütig den Raum überblickte. Ich schrie ihr zu, ob wir tanzen wollten, aber mein Schwarm reagierte nicht mal.

Stattdessen sprang ihre Freundin Dagmar auf, postierte sich breitbeinig vor mir und rief laut: »Nein!« – Großes Gelächter! Wenig später erfuhr ich, dass es auch über mich einen Reim gab: »Senzel dieser Trauerkloß – nur bei Schiffen ist er groß!«

 

Als ich 17 war, beschäftigte Steffi meine Fantasie. Dass ich für sie geschwärmt hätte, wäre zu viel gesagt, denn inzwischen kannte ich meinen Platz in der Paarungshierarchie. Und zum Fan habe ich mich nie geeignet, nie begriffen, was Menschen davon haben, stundenlang bei Kälte und Regen auszuharren, um irgendeinem Star zuzukreischen. Die meisten Jungs in Steffis Hofstaat hatten meiner Ansicht nach nicht die geringste Chance auf ein Date, ließen sich aber mit Hingabe von ihr schikanieren. Entweder haben sie sich was vorgemacht – oder sie waren einfach Fans.

 

Dass sie dann ausgerechnet mit Karl ging, hat mich überrascht. Hat uns eigentlich alle irgendwie überrascht. Steffi war – um es in der Sprache jener Zeit auszudrücken – eine echte Granate. Und Karl ein ernsthafter Intellektueller. Er hatte mächtig was auf dem Kasten, und selbst die Lehrer fürchteten seinen Spott. Karl hatte durchaus seine Bewunderinnen, eine Menge kluge Mädels, die mit ihm auf Demos gingen und über Politik diskutierten : Kein Mädchen aus meiner Klasse mochte Steffi. Sie sagten, Steffi sei eine Schande für ihr Geschlecht. Weil sie immer noch auf Weibchen mache. Und ausgerechnet Karl fuhr auf die ab! Auf der Männerseite waren die ganzen Supersportler und Chefarztsöhne, die bei Steffi abgeblitzt waren und es auch nicht verstehen konnten. Karl sah nicht schlecht aus, er sah irgendwie gar nicht aus. Sie waren so ein bisschen wie Arthur Miller und Marylin Monroe. In einer anderen Preisklasse natürlich. Bad Wildungen eben.

 

Ich wusste es als einer der Ersten. Auf der Brunnenallee blühten die Stiefmütterchen in den Rabatten, und die Familie Sagui war aus Italien zurückgekehrt und hatte ihren Eissalon wieder geöffnet. Viele Kurgäste waren unterwegs. Steffi ragte schon von Weitem aus dem Gewühl heraus, die Männer drehten sich nach ihr um. Ich war in diesem Augenblick verdammt neidisch auf Karl! Er blieb stehen, um mich zu begrüßen. Wir hatten nie viel miteinander zu tun, ich war zu faul für Demos und Diskussionsabende. Aber ich verstand gut, dass er seine Eroberung vorführen wollte. Er strahlte. Ganz mit sich und der Welt im Reinen. Steffi ignorierte mich demonstrativ, zerrte an seinem Arm. Karl zuckte hilflos die Schultern, ich glaubte – oder wollte es glauben –, dass er ihr Verhalten auch blöd fand. »Wir müssen dann mal …«, sagte Karl unsicher, und ich fragte mich, was sie »mal mussten« und was sie wohl mit Karl gemacht hat …

 

Drei Wochen später sah ich Steffi bei dieser Party. Allein. Satisfaction dröhnte aus den Lautsprechern, wildes Gehotte im Stadtjugendring. Steffi tanzte nicht. Steffi stand da an den Türrahmen gelehnt und rauchte. Regungslos. Ab und an versuchte ein Typ, mit ihr ins Gespräch zu kommen, perlte ab und trollte sich wieder.

Ich gab mir Mühe, sie zu ignorieren – ich trug ihr das herablassende Auftreten auf der Brunnenallee noch immer nach. Aber natürlich habe ich sie beobachtet. Alle taten das. Ob sich Steffi wohl von Karl getrennt hatte? Ob sie einen Neuen hatte? Aber sie war allein hier. Und offensichtlich langweilte sie sich.

Sie schien einen Entschluss gefasst zu haben, schlenderte in meine Richtung. Lächelte. Aber es war sonst niemand da, weder hinter noch neben mir. »Hi, Holger«, sagte sie. Sie kannte tatsächlich meinen Namen! Holger  – nicht Senzel. Legte mir die Hand auf den Arm. Wir quatschten ein bisschen. Über Schule und Partys, Zukunftspläne … Und dann fragte sie mich, ob ich sie nach Hause fahren könnte mit meinem Moped, sie fände es öde hier …

 

Und ich sagte: »Nein, Steffi, tut mir leid, ich möchte noch bleiben!« Vermutlich war ich das einzige männliche Wesen in ganz Bad Wildungen, das nicht sprang, wenn Steffi »Hopp!« sagte. Ich war dermaßen stolz darauf, dass ich auch nach so vielen Jahren noch genau weiß, wie es sich damals angefühlt hat. Aber da mach’ ich mir was vor, das war nicht wirklich stark – sondern bloß realistisch. Wenn ich auch nur die allerkleinste Chance gesehen hätte, dass sie nicht nur einen Chauffeur suchte, sondern gemeint haben könnte, dass wir bei ihr zu Hause zusammen noch was trinken – ich wäre natürlich mit Freuden gesprungen!

 

Es ist seltsam, welche Momente sich ins Gedächtnis einbrennen. Manchmal so banale Begebenheiten – verglichen mit den großen Veränderungen im Leben. Die jahre- oder jahrzehntelang unbeachtet im Keller deiner Erinnerungen liegen. Und urplötzlich wieder auftauchen, nicht nur Bilder im Kopf heraufbeschwören – sondern den kompletten Moment mit all seinen Gefühlen. Viele, viele Jahre später auf dieser Vernissage. Ich hasse allein schon das Wort, aber der Künstler ist ein Bekannter meiner Freundin. Sie verteilt »Hallöchens« und Küsschen im Raum. Strahlt. Ihr Lächeln kann Steine erweichen. Sie sieht umwerfend aus. Ich schau die anderen Männer an. Suche begehrliche Blicke, verstohlenes Stieren. Glotzt ihr nur! Sabbert bloß! Es ist meine Ballkönigin!

 

Wahrscheinlich hat sich Karl genauso gefühlt mit seiner Steffi, damals auf der Brunnenallee in Bad Wildungen. Als ich mich gefragt habe, was sie wohl mit Karl gemacht hat. Und dass mir die Geschichte ausgerechnet jetzt einfällt, liegt womöglich daran, dass ich mich das auch gerade frage. Was meine Freundin aus mir gemacht hat.

 

Sie ist die Frau, die mich Gott dafür danken lässt, ein Mann zu sein. Das habe ich ihr in einer schwachen Stunde zugeflüstert. Sie stellt mich vor als den Mann an ihrer Seite. Ich bin glücklich und stolz. Irgendein Typ – einer ihrer Freunde – haut mir kumpelhaft auf die Schulter. Von wegen »Goldfisch geangelt« und diese Sprüche. Soll offensichtlich witzig sein. Was findet sie denn ausgerechnet an dem? Ich höre es förmlich, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Weil ich mich das ja selbst auch häufig frage.

 

Ein Saxofon untermalt die Gespräche mit sanftem Jazz, heiteres Gelächter umgibt meine Freundin. Ich stehe hölzern daneben: ein Anhängsel. Kippe ungeschickt Sekt über ein Kleid. Bin peinlich...

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