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E-Book

Liebe, lebenslänglich

Wie Eltern ihre Töchter und Söhne sehen - und umgekehrt

AutorUrsula von Arx
Verlagkein & aber
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783036992440
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Warum freut sich ein Vater nicht, wenn der Sohn in seine Fußstapfen treten möchte? Weshalb kommt die Tochter bis heute nicht an ihre Mutter ran? Wie konnte der Sohn wegen Mordes im Gefängnis landen? Die hier versammelten Geschichten erzählen von den Erfahrungen von Müttern und Vätern: wie schön die Momente der Erfüllung sein können, wie bitter die der Enttäuschung. Denn Eltern lieben, ohne eine Wahl zu haben. Und das ist für die Söhne und Töchter nicht anders. Beide Seiten kommen zu Wort und bewerten ihr Verhältnis oft komplett unterschiedlich. So verschiedenartig all diese Beziehungen auch sind, in einer Hinsicht gleichen sie sich: sie sind unausweichlich. Dieses Buch setzt nicht auf Ratschläge, sondern auf Anschauung. Es erzählt, wie vierzehn Väter, Mütter, Söhne und Töchter miteinander klarkommen.

Ursula von Arx, 1967 geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Psychologie. Sie arbeitete als Lehrerin und Journalistin und war Redakteurin beim NZZ-Folio und beim Magazin des Tages-Anzeigers. Bei Kein & Aber erschien 2010 »Ein gutes Leben. 20 Begegnungen mit dem Glück« und 2013 »Liebe, lebenslänglich. Wie Eltern ihre Söhne oder Töchter sehen - und umgekehrt«. Ursula von Arx ist dreifache Mutter und lebt in Brüssel.

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Leseprobe

DIRK NIEPOORTS
LANGER ATEM

Er zweifelte lange, denn er litt an mangelndem Selbstbewusstsein neben seinem erfolgreichen Vater. Und als Daniel Niepoort (21) sich endlich entschieden hatte, dass auch er Winzer werden wollte, sagte sein Vater nur: Ich werde dir nicht helfen. Für den Sohn war diese Reaktion unverständlich, für Dirk Niepoort (49) war sie ein Zeichen von Vertrauen.

Wenn Dirk Niepoort an einem Tisch mit vielen Leuten sitzt, mit Weinkritikern und Veranstaltern von Weinevents etwa, dann ist er der Leiseste und gleichzeitig das Zentrum. Er trägt bequeme Kleidung, gelockte, unordentliche Haare, manchmal ein feines Lächeln. Er hat nichts Bestimmendes in seinem Auftreten, er hat überhaupt kein Auftreten, vielmehr ist er das, was man wohl als natürliche Autorität bezeichnen würde.

Dass Dirk Niepoort kein Freund des Flüchtigen ist, mag bei ihm in der Familie liegen. Das Unternehmen Niepoort Vinhos, das er in der fünften Generation leitet, existiert seit 1842. Es bringt immer noch Flaschen auf den Markt, die man für vollen Genuss erst nach einem halben Jahrhundert öffnet. Selbstverständlich denkt Dirk Niepoort – der mit vollem Namen Eduard Dirk van der Niepoort heißt, Eduard nach seinem Großvater – über seine eigene Zeit hinaus. Seine Pläne, Ziele, Visionen seien weniger auf die nächsten vier Monate ausgerichtet als auf die nächsten vierzig Jahre, sagt er. Es arbeite in ihm ohne Unterlass, »meine Firma ist mein Leben und meine erste Liebe, mit allen Konsequenzen«.

Dirk Niepoort hat drei Kinder aus zwei Ehen, wobei vor allem die erste Ehe an seiner geringen häuslichen Anwesenheit gescheitert sei. Eine andere Konsequenz ist, dass er sich als verantwortungsvoller 49-jähriger Unternehmer mit seiner eigenen Nachfolge beschäftigen muss. Er tut das auch, und zwar auf seine Art, sehr locker also, weitsichtig, vorsichtig, mit einem langen Atem. Alles scheint bei ihm auf Nachhaltigkeit angelegt, seine Weinberge in Portugals Douro-Region, der biodynamische Garten vor seinem Wohnhaus in Porto mit den vielen Schmetterlingen, aber vor allem auch die Beziehung zu seinen Kindern, zu Daniel zum Beispiel, seinem Ältesten.

Tatsächlich wird dieser junge, freundliche Mann im Blue-Authentic-T-Shirt – Eduardo Daniel Knöpfel van der Niepoort, Knöpfel nach seiner Mutter – bald zu seinem Vater ziehen, er ist jetzt für zwei Tage hier, um die letzten administrativen Fragen zu klären. Aber eigentlich wird er zu einem sehr guten Freund ziehen. Denn so beschreibt er seinen Vater, als einen sehr guten Freund, der sehr viel von ihm wisse, jedenfalls im Vergleich zur Mutter.

Das ist insofern erstaunlich, als Daniel Niepoort mit ihr sehr viel mehr Zeit verbrachte als mit ihm. Doch örtliche Nähe kann emotionale Distanz schaffen, und örtliche Distanz emotionale Nähe. Als er drei war, zog seine Mutter mit ihm und seinem eben geborenen Bruder von Porto nach St. Gallen, von wo sie ursprünglich stammt, wo sein Vater Wirtschaft studierte und wo die beiden sich kennengelernt hatten. Seither, also seit der Scheidung seiner Eltern, sah er seinen Vater nur in den Ferien, meist in Portugal, oder wenn der Papi, wie er ihn nennt, geschäftlich in der Schweiz zu tun hatte. Ihre Beziehung sei hauptsächlich übers Telefon gelaufen: »Ich wusste, wenn ich ihn brauche, kann ich anrufen.«

Dass er nun, mit 21 Jahren, auch räumlich die Nähe zu seinem Vater sucht, erklärt Daniel Niepoort einerseits mit seinem angespannten Verhältnis zur Mutter, andererseits mit beruflichen Interessen, doch vor allem erklärt er es mit dem Alter: »Meine Mutter hat sehr gut für mich gesorgt, als ich ein Kind war, später orientiert man sich mehr am Vater.« Vielleicht sei es auch eine Frage des Geschlechts, fügt er an, vielleicht müsste er ergänzen »als Junge«, also: als Junge orientiere man sich mit zunehmendem Alter mehr am Vater. Jedenfalls finde er, dass der große Abwesende seiner Kindheit die wenige Zeit, die sie miteinander verbracht hätten, mehr als wettgemacht habe: »Mit Taten. Er hilft einem.«

Wobei Dirk Niepoort mit diesen Taten auf sich warten ließ: »Ich wollte nie jemandem beweisen, dass ich der beste Vater der Welt bin.« Die Beziehung zu Daniel in Ruhe wachsen zu lassen, daran glaubte er, und dass alles Forcierte kontraproduktiv sei. Es widerspreche seinem Charakter grundsätzlich, sich aufzudrängen. Und so habe er darauf vertraut, dass sich sein Kontakt zu Daniel intensivieren würde, sobald sein Sohn selber die Initiative ergreifen könne, sobald er zum Beispiel ein Handy besitze und ihn von sich aus anrufen könne. Und so sei es auch gewesen.

Seine Ex-Frauen konnten diese abwartende Haltung nicht immer nachvollziehen, es wurde ihm Egoismus und Gleichgültigkeit vorgeworfen. Dirk Niepoort erinnert sich an eine Szene, da lag er auf dem Sofa, die Zeitung in der Hand, daneben Daniel und seine Halbschwester Anna, zeichnend. Alle glücklich, alle bei sich und mit den anderen, Friede. Da sei seine Frau nach Hause gekommen und habe in vorwurfsvollem Ton zu ihm gesagt: »Wenn du ausnahmsweise mal hier bist, würdest du dich nicht besser mit den Kindern beschäftigen?« – »Aber warum hätte ich das tun sollen?«, fragt er. »Es wäre aufgesetzt gewesen. Es hätte weder mir Freude bereitet noch Daniel noch Anna, die ja ganz in ihrem Tun aufgingen. Warum hätte ich sie dabei stören sollen?«

Er habe mit seinen Kindern immer auf einen beiläufigen Umgang gesetzt, sagt er, darauf, dass man das tue, was einem natürlich erscheine. So entwarf er für Daniel kein Spezialprogramm, wenn er bei ihm in den Ferien war, sondern er nahm ihn einfach überallhin mit, in die Kellerei, zu Geschäftsessen, ins Büro oder in den Rebhang zur Ernte. Diese Erfahrungen hätten seinem Sohn geholfen, mit den verschiedensten Leuten umzugehen, ist der Vater überzeugt. Daniel zeige keine Scheu gegenüber Reichen, Gebildeten, Prominenten, und er zeige absolut keinen Dünkel gegenüber Bedürftigen oder weniger gebildeten Menschen. »Je anpassungsfähiger jemand ist, desto freier ist er zu tun, was er will«, sagt Dirk Niepoort, und dass er das seinen Kindern immer habe klarmachen wollen. Er glaube, dass Daniel sehr anpassungsfähig sei und in diesem Sinne frei.

Vielleicht lag es an der Freiheit, die er verspürte. Auf jeden Fall war es für Daniel Niepoort nicht einfach herauszufinden, was er beruflich machen wollte. Eine Winzerlehre war naheliegend. Er war oft mit seinem Vater im Douro unterwegs gewesen, und er hatte dessen Leidenschaft für Wein früh vermittelt bekommen. Doch obwohl nie Druck auf ihn ausgeübt worden war, trug er lange eine Frage mit sich herum: »Würde ich das nur für meinen Vater tun oder wirklich für mich?«

Als er sich endlich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte und sie dem Vater eröffnete, reagierte dieser zunächst gar nicht. Sie waren im Auto unterwegs nach Frankreich, und sein Vater schwieg einfach.

Nach einer Weile fragte Daniel Niepoort: »Papi, hast du gehört? Ich will Winzer werden. W I N Z E R! Verstehst du?«

Der Vater sagte nur: »Daniel, ich werde dir nicht helfen.«

Darauf Daniel Niepoort: »Bist du denn nicht glücklich?«

Der Vater wiederholte nochmals, dass er ihm nicht helfen werde.

»Irgendwann fing ich an zu weinen. Dass er so abweisend reagieren würde, hatte ich ja nun wirklich nicht erwartet.« Und erst da, nach seinen Tränen, habe sein Vater Emotionen gezeigt und gesagt: »Daniel, ich bin der glücklichste Vater der Welt, aber ich darf es dir nicht zeigen.«

Er wisse nicht, sagt Daniel Niepoort, ob er diesen Satz damals verstanden habe. Er wisse nur, dass er ihn niemals vergessen werde.

Dirk Niepoort freute sich auf jeden Fall, als er erfuhr, dass sein Erstgeborener sein Metier erlernen wollte. Und drei Jahre später freute er sich nochmals, als auch der zweite Sohn diesen Weg einschlug: »Denn mit Wein zu arbeiten ist ja wirklich etwas Schönes.«

Er wollte Daniel allerdings klarmachen, dass er sich nicht darauf verlassen durfte, bei Niepoort Vinhos ein sicheres Unterkommen zu haben. Er wollte, dass er sich bewusst wird, dass er nicht alleine ist. Daniel hat zwei Geschwister, und außerdem hat Dirk Niepoort eine Schwester, die ebenfalls zwei Kinder hat. Es sind also fünf Personen, die eines Tages klären müssen, wie sie sich organisieren und das Unternehmen untereinander aufteilen wollen. In seiner Generation ist er der Hauptverantwortliche für die Entscheidungen, die gefällt werden, aber seine Schwester will mitreden. Schon zu zweit ist es nicht einfach, sich einigen zu können. Zu fünft wird diese Aufgabe nicht leichter.

Auch darum wollte Dirk Niepoort ganz sicher sein, dass Daniel wirklich das tut, was er tun will. Er wünschte sich keinen Sohn, der sich als Erfüllungsgehilfe von vermeintlich väterlichen Erwartungen zu etwas zwinge, was nicht seins ist. Daraus entstehe nichts Gutes. »Du kannst, wenn du wirklich willst«, an diesen Satz glaubt Dirk Niepoort aufgrund eigener Erfahrung. Voraussetzung für die Bewahrheitung dieses Satzes sei allerdings, dass man wisse, was man wolle. Wie oft war er als Spinner verschrien worden, weil er neue Wege beschritt, sei es im Marketing, sei es in der Produktion, sei es, als er das Douro-Gebiet nicht nur als Portwein-Gegend, sondern auch als Anbaugebiet für trockenen Weiß- und Rotwein bekannt machen wollte. Starke Anfechtungen könne man nur mit starken Überzeugungen kontern, sagt er. Und deshalb also, um den Willen seines Sohnes zu prüfen und zu festigen, habe er ihn anfangs ganz bewusst weder moralisch bestärkt noch sonst unterstützt. Er habe ihm keine Türen geöffnet und keine Beziehungen...

Blick ins Buch

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