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E-Book

Liebe, Sexualität und Matriarchat. Beiträge zur Geschlechterfrage

AutorErich Fromm
VerlagEdition Erich Fromm
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl139 Seiten
ISBN9783959121286
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Der Sammelband 'Liebe, Sexualität und Matriarchat' versammelt die wichtigsten Beiträge Erich Fromms zur Genderfrage. Tatsächlich ist Erich Fromm mit seinen Arbeiten zum Mutterrecht und mit seiner Kritik an der Vorherrschaft des Mannes ein wichtiger Vordenker des Feminismus und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Fromm interessiert nicht so sehr die Tatsache des anatomischen und biologischen Unterschieds der Geschlechter, auch nicht die überlebenswichtige Funktion der Sexualität, sondern vielmehr die Funktionalisierung der Genderfrage im Laufe der Menschheitsgeschichte. Die sexuelle Anziehungskraft des jeweils anderen Geschlechts hat dabei offensichtlich nur eine sehr begrenzte Bedeutung und konnte den Menschen nicht daran hindern, den Geschlechtsunterschied zur Ausübung von Herrschaft zu benutzen. Den Sozialpsychologen Fromm interessiert dabei vor allem die Frage, wie sich die gesellschaftlich geprägte Genderfrage in der psychischen Strukturbildung (Charakter) widerspiegelt und wie sie die Liebesfähigkeit und die Funktion der Sexualität beeinflusst. Über all dies gibt dieser Sammelband umfassend Auskunft. Aus dem Inhalt - Bachofens Entdeckung des Mutterrechts - Die sozialpsychologische Bedeutung der Mutterrechtstheorie - Die männliche Schöpfung - Robert Briffaults Werk über das Mutterrecht - Die Bedeutung der Mutterrechtstheorie für die Gegenwart - Geschlecht und Charakter - Mann und Frau - Sexualität und Charakter. Psychoanalytische Bemerkungen zum Kinsey-Report - Selbstsucht und Selbstliebe - Die Faszination der Gewalt und die Liebe zum Leben

Erich Fromm, Psychoanalytiker, Sozialpsychologe und Autor zahlreicher aufsehenerregender Werke, wurde 1900 in Frankfurt am Main geboren. Der promovierte Soziologe und praktizierende Psychoanalytiker widmete sich zeitlebens der Frage, was Menschen ähnlich denken, fühlen und handeln lässt. Er verband soziologisches und psychologisches Denken. Anfang der Dreißiger Jahre war er mit seinen Theorien zum autoritären Charakter der wichtigste Ideengeber der sogenannten 'Frankfurter Schule' um Max Horkheimer. 1934 emigrierte Fromm in die USA. Dort hatte er verschiedene Professuren inne und wurde 1941 mit seinem Buch 'Die Furcht vor der Freiheit' weltbekannt. Von 1950 bis 1973 lebte und lehrte er in Mexiko, von wo aus er nicht nur das Buch 'Die Kunst des Liebens' schrieb, sondern auch das Buch 'Wege aus einer kranken Gesellschaft'. Immer stärker nahm der humanistische Denker Fromm auf die Politik der Vereinigten Staaten Einfluss und engagierte sich in der Friedensbewegung. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er in Locarno in der Schweiz. Dort entstand das Buch 'Haben oder Sein'. In ihm resümierte Fromm seine Erkenntnisse über die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Am 18. März 1980 ist Fromm in Locarno gestorben.

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Leseprobe

Mann und Frau


(Man – Woman)

(1951b)[52]

Die Beziehung zwischen Mann und Frau[53] ist offensichtlich ein äußerst schwieriges Problem, sonst würden nicht so viele Menschen mit ihr Schwierigkeiten haben. Ich will deshalb zunächst einige Fragen stellen, die diese Beziehung betreffen. Wenn ich meine Leser durch diese Fragen zu eigenem Nachdenken veranlassen kann, können sie vielleicht aus eigener Erfahrung einige Antworten beisteuern.

Die erste Frage, die ich stellen möchte, lautet: Ist nicht im Thema selbst bereits ein Trugschluss enthalten? Es scheint zu implizieren, dass die Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen Mann und Frau ihrem Wesen nach durch den Geschlechtsunterschied bedingt sind. Das trifft aber nicht zu. Bei der Beziehung zwischen Mann und Frau – zwischen Männern und Frauen – handelt es sich im wesentlichen um eine Beziehung zwischen Menschen. Alles, was in der Beziehung zwischen einem menschlichen Wesen und einem anderen gut ist, ist auch gut in der Beziehung zwischen Mann und Frau, und alles, was in menschlichen Beziehungen schlecht ist, ist auch schlecht in der Beziehung zwischen Mann und Frau.

Die besonderen Mängel in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind zum größten Teil nicht ihren männlichen oder weiblichen Charaktermerkmalen zuzuschreiben, sondern ihren zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ich werde gleich noch auf dieses Problem zurückkommen, doch möchte ich zuvor noch eine weitere Qualifizierung des Gesamtthemas vornehmen. Bei der Beziehung zwischen Männern und Frauen handelt es sich um eine Beziehung zwischen einer siegreichen und einer besiegten Gruppe. Das mag im Jahre 1949 in den Vereinigten Staaten sonderbar und merkwürdig klingen; aber wir müssen die Geschichte der Beziehung zwischen Männern und Frauen in den vergangenen fünftausend Jahren berücksichtigen, wenn wir verstehen wollen, wie die Geschichte die heutige Situation und die heutige Einstellung der Geschlechter zueinander und das, was sie voneinander wissen und füreinander fühlen, noch immer beeinflusst. Nur dann können wir an die Frage herangehen, in welcher spezifischen Weise sich Männer und Frauen voneinander unterscheiden, was für die Beziehung zwischen Männern und Frauen kennzeichnend ist, was ein Problem sui generis ist und nicht ein Problem der menschlichen Beziehungen. [VIII-388]

Beginnen wir mit dieser zweiten Frage und definieren wir die Beziehung zwischen Männern und Frauen als die Beziehung zwischen einer siegreichen und einer besiegten Gruppe. Ich sagte bereits, dass dies heutzutage in den Vereinigten Staaten merkwürdig klingt, weil dort – besonders in den großen Städten – die Frauen offensichtlich nicht wie eine besiegte Gruppe wirken, sich auch nicht so fühlen und benehmen.

Es ist viel darüber diskutiert worden – und zwar nicht ohne Grund –, wer nun in unserer gegenwärtigen städtischen Kultur das stärkere Geschlecht sei. Ich halte das Problem jedoch keineswegs für gelöst, wenn man einfach feststellt, die Frauen Amerikas hätten ihre Emanzipation erreicht und stünden daher mit den Männern auf gleicher Stufe. Meiner Ansicht nach spürt man den vieltausendjährigen Kampf noch an der besonderen Art der Beziehung zwischen Männern und Frauen in unserer heutigen Kultur.

Es gibt einige gute Beweise für die Annahme, dass die patriarchalische Gesellschaft, wie sie in China und Indien und in Europa und Amerika während der vergangenen fünf- bis sechstausend Jahre bestanden hat, nicht die einzige Form ist, in der die beiden Geschlechter ihr Leben organisiert haben. Vieles spricht dafür, dass – wenn nicht überall, dann doch vielerorts – den von Männern beherrschten patriarchalischen Gesellschaften matriarchalische vorausgingen. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass die Frauen und Mütter der Mittelpunkt der Familie und der Gesellschaft waren.

Die Frau nahm im Gesellschafts- und Familiensystem die beherrschende Stellung ein. Man findet in den verschiedenen Religionen noch heute Spuren ihrer Vorherrschaft. Spuren der alten Organisation finden sich sogar noch in einem Dokument, mit dem wir alle vertraut sind: im Alten Testament.

Wenn man versucht, die Geschichte von Adam und Eva mit einiger Objektivität zu lesen, dann findet man, dass gegen Eva und indirekt gegen Adam ein Fluch ausgesprochen wird; denn andere zu beherrschen, ist nicht viel besser, als von ihnen beherrscht zu werden. Als Strafe für Evas Sünde soll der Mann über sie herrschen, während sie nach ihm verlangt. (Vgl. Gen 3,17.)

Wenn die Herrschaft der Männer über die Frauen als ein neues Prinzip aufgestellt wird, dann muss es zuvor eine Zeit gegeben haben, wo das nicht so war, und wir besitzen tatsächlich Dokumente, aus denen dies hervorgeht. Wenn wir den babylonischen Schöpfungsbericht mit der biblischen Geschichte vergleichen, so finden wir, dass in dieser babylonischen Geschichte, die der biblischen zeitlich vorangeht, die Situation eine völlig andere ist. Im Mittelpunkt des babylonischen Berichts finden wir keinen männlichen Gott, sondern Tiamat, eine weibliche Gottheit. Ihre Söhne versuchen gegen sie aufzubegehren und besiegen sie schließlich, worauf sie die Herrschaft männlicher Gottheiten unter der Führung des großen babylonischen Gottes Marduk errichten.[54]

Marduk muss in einer Prüfung seine Macht beweisen, dass er in der Lage ist, den Kampf gegen die weibliche Gottheit zu gewinnen. Er muss vorführen, dass er kraft seines Wortes ein Kleid zerstören und wiedererschaffen kann. Vielleicht kommt uns dieser Test etwas töricht vor, doch berührt er etwas Wesentliches. Die Frauen waren in einer matriarchalischen Gesellschaft den Männern in einer Hinsicht deutlich überlegen: Sie konnten Kinder zur Welt bringen, was die Männer nicht konnten. Der [VIII-389] Versuch der Männer, die Frauen zu entthronen, stand im Zusammenhang mit ihrem Anspruch, ebenfalls Dinge schaffen und zerstören zu können – nicht auf natürliche Weise, wie die Frauen, sondern durch das Wort und den Geist.

Die biblische Schöpfungsgeschichte beginnt dort, wo die babylonische Geschichte endet. Gott schafft die Welt mit seinem Wort, und um die Überlegenheit der patriarchalischen über die matriarchalische Kultur nachdrücklich zu betonen, berichtet uns die biblische Geschichte, Eva sei aus einem Mann und nicht der Mann aus einer Frau geboren.

Die patriarchalische Kultur – die Kultur, in der Männer dazu bestimmt scheinen, über Frauen zu herrschen, das stärkere Geschlecht zu sein – hat sich auf der ganzen Welt erhalten. Tatsächlich finden wir heute nur in kleinen primitiven Völkerschaften gewisse Überreste der älteren matriarchalischen Form. Erst in jüngster Zeit beginnt die Herrschaft des Mannes über die Frau zusammenzubrechen.

In einer patriarchalischen Gesellschaft existieren alle typischen Ideologien und Vorurteile, wie sie stets die herrschende Gruppe denen gegenüber entwickelt, die sie beherrscht: etwa dass die Frauen von ihren Gefühlen beherrscht würden und eitel seien, dass sie wie Kinder, keine guten Organisatoren, nicht so stark wie die Männer seien, dafür aber reizend.

Und dennoch widersprechen diese in den patriarchalischen Gesellschaften entwickelten Ideen vom Wesen der Frau ganz offensichtlich der Wirklichkeit. Woher kommt eigentlich die Idee, Frauen seien eitler als Männer? Ich glaube, dass jeder, der ein wenig genauer hinsieht, vor allem von den Männern sagen kann, dass sie eitel sind. Tatsächlich gibt es kaum etwas, bei dem nicht ihre Eitelkeit, anderen imponieren zu können, eine Rolle spielt.

Frauen sind weit weniger eitel als Männer. Freilich sind sie bisweilen gezwungen, eine gewisse Eitelkeit zur Schau zu tragen, weil sie sich als sogenanntes schwächeres Geschlecht die Gunst der Männer erringen müssen oder mussten. Das Märchen, dass die Frauen eitler seien als die Männer, lässt sich aber bei unvoreingenommener Betrachtung nicht aufrechterhalten.

Nehmen wir ein anderes Vorurteil: Angeblich sollen Männer härter sein als Frauen. Jede Krankenschwester wird bestätigen, dass weit mehr Männer als Frauen bei einer Injektion oder Blutentnahme ohnmächtig werden, dass Frauen weit besser Schmerzen ertragen können, während sich die Männer wie kleine Kinder benehmen, die zu ihrer Mutter laufen wollen. Dennoch ist es den Männern im Laufe der Jahrhunderte – oder besser der Jahrtausende – gelungen, die Meinung zu verbreiten, sie seien das stärkere und härtere Geschlecht.

Daran ist weiter nichts Erstaunliches. Es ist eine jener Ideologien, die für jene Gruppe von Menschen typisch ist, die ihr Recht zur Herrschaft beweisen muss. Wenn man nicht die Mehrheit bildet, sondern fast genau die Hälfte der Menschheit ausmacht und jahrtausendelang behauptet hat, man habe das Recht, über die andere Hälfte zu herrschen, dann muss man sich einleuchtende Ideologien ausdenken, um die anderen – und sich selbst – von diesem Anspruch zu überzeugen.

Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert wurde dann das Problem der Gleichberechtigung von Männern und Frauen tatsächlich akut. Während dieser Zeit [VIII-390] entwickelte sich ein sehr interessantes Phänomen, dass nämlich diejenigen, die behaupteten, die Frauen sollten die gleichen Rechte wie die Männer bekommen, zugleich behaupteten, es bestehe psychologisch kein Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern. Die Franzosen formulierten das so, dass die Seele geschlechtslos sei und dass es daher überhaupt keine psychologischen Unterschiede gebe. Diejenigen, die gegen die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen waren, betonten mit oft sehr gescheiten und spitzfindigen Argumenten, wie stark sich Frauen psychologisch von Männern unterschieden....

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