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E-Book

Liebe mit Siebzig

Wie Frauen die Lust neu entdecken

AutorVanna Vannuccini
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641092702
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Das letzte Tabu: Liebe und Erotik im Alter
Schmetterlinge im Bauch mit über siebzig? Sex im Alter? Bei Männern ganz normal. Bei Frauen zählt dagegen jede Falte - Liebe im Alter ist für sie immer noch ein Tabu. Doch es beginnt sich etwas zu verändern: Noch nie waren Frauen so unabhängig und selbstbewusst wie die Generation der heute Siebzigjährigen. Und viele von ihnen nehmen längst auch ihr Liebesleben in die eigene Hand. Vanna Vannuccini schreibt kenntnisreich, klug und mit großer persönlicher Begeisterung über diese neue Entwicklung. Sie berichtet von Frauen, die sich im Alter noch einmal neu verlieben und zeigt, dass Sexualität im Alter oft sogar als intensiver und schöner angesehen wird als in der Jugend.
Ein ermutigendes, überzeugendes Plädoyer für die Entdeckung der Lust im Alter. Denn die Schmetterlinge im Bauch können mit siebzig ebenso heftig flattern wie mit siebzehn.

Vanna Vannuccini, 72 Jahre alt, war 1973 eine der Gründerinnen des ersten feministischen Frauenmagazins Italiens 'Effe', der 'Emma' Italiens. In den 90er Jahren lebte sie viele Jahre in Bonn, wo sie als Auslandskorrespondentin der italienischen Tageszeitung 'La Repubblica' arbeitete. 2004 veröffentlichte sie das Buch 'Kleine Reise in die deutsche Seele'. Seit 1997 berichtet sie als Reporterin vor allem aus dem Iran, über den sie ebenfalls ein Buch veröffentlicht hat.

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Leseprobe

1
Siebzig zu sein ist keine Sünde

Nicht Lenz noch Sonnenschönheit strahlt so licht
Wie ich sie sah in einem Herbstgesicht

John Donne, Herbst-Elegie

Nobody sees you, when you’re on cloud nine, sang John Lennon. Von diesem Song leitet sich der Titel her, den Regisseur Andreas Dresen für seinen in Deutschland außerordentlich erfolgreichen Film Wolke Neun gewählt hat. Er erzählt eine ganz alltägliche Geschichte: Zwei Menschen lieben sich, leben seit Jahren zusammen, es gibt Kinder, Enkel und ein gemeinsames Leben, eine Wohnung voller Erinnerungen. Bis eine neue Liebe hereinbricht. Es folgen Untreue, Eifersucht, Krisen, sogar ein Selbstmord. All das kennt man, nicht nur aus dem Kino. Neu an Dresens Film ist das Alter der drei Protagonisten. Die Frau nähert sich der siebzig, ihr Freund ist ein paar Jahre älter. Ihre Tochter ist fassungslos, sie kann sich nicht vorstellen, dass es sich in diesem Alter um Liebe handelt. Sie beschwört die Mutter, ihren Mann nicht zu belügen und ihm ihre neue Liebe zu gestehen. Die Folgen sind tragisch.

Wie alt muss man für die Liebe sein? Im Kino, das unsere Mythen über Beziehungen immer noch wie kein anderes Medium beeinflusst, haben sich seit jeher reife Männer mit jungen oder blutjungen Frauen zusammengetan. In dieser unserer gefährlichen Welt braucht eine junge Frau einen Mann, am besten einen etwas älteren, der sie beschützen kann, lautet die Botschaft. Topmanager heiraten Topmodels. Torschlusspanik treibt berühmte Schriftsteller wie Philip Roth oder Martin Walser dazu, immer jüngere Verehrerinnen aufzugabeln. Filme, in denen reife Frauen mit Sexappeal zu sehen sind, gibt es dagegen selten, ganz zu schweigen von Paaren, bei denen der Mann jünger ist als die Frau. In solchen Fällen ist die Warnung an die Männer klar: Hütet euch vor Gefühlsabenteuern mit einer reifen Frau, zumal hier auch noch die Gefahr besteht, dass ihr sie jederzeit einer viel Jüngeren wegen verlasst. Warum sollte ein Mann überhaupt mit einer Frau ins Bett gehen, die so alt ist wie seine Mutter, wenn er mit Leichtigkeit eine auftun kann, die so alt ist wie seine Tochter? Die Jahre stempeln eine Frau ab. Zu keiner Zeit galt es als Zeichen guter Kinderstube, andere nach ihrem Alter zu fragen; einer Frau gegenüber war und ist diese Frage absolut tabu.

Den Protagonisten von Dresens Film fehlt es bewusst an Glamour. Es sind normale Großelterntypen, ohne geliftete Gesichter und faszinierende Berufe. Inge ist eine impulsive Frau, die ihre Rente mit Schneiderarbeiten aufbessert, ihr Mann Werner ist pensionierter Eisenbahner. Die Nackt- und Sexszenen haben nichts Peinliches, obwohl sie genau so sind wie im wirklichen Leben: mit all den Altersflecken, den Falten, der Angst, die Erektion nicht halten zu können, den Verlegenheiten. Aber auch mit dem befreienden Lachen, der erlösenden Fröhlichkeit. Der Film demaskiert eine Gesellschaft, die vorgibt, frei und aufgeklärt zu sein, tatsächlich aber vom Spießertum geprägt ist, nicht nur, was unsere Körper, sondern mehr noch, was unsere Denkweise betrifft.

Filme wie Andreas Dresens Wolke Neun, Late Bloomers mit Isabella Rossellini oder Liebe auf den zweiten Blick mit Dustin Hoffman belegen, welch tiefgreifender Wandel sich zurzeit in unserer Gesellschaft vollzieht. Es wandelt sich der Prozess des Älterwerdens, es wandeln sich die Beziehungen zwischen Mann und Frau, ja, es wandelt sich das Alter selbst. Das Leben wird länger, aber es ist nicht wie ein Seil, an dessen Ende ein Stück angefügt wird, sondern vielmehr wie ein Gummiband, das sich spannt und dabei alle Bezugspunkte verschiebt. Es heißt, die Sechziger seien die neuen Vierziger, die Siebziger die neuen Fünfziger. Die Frauen sehen heute jünger aus, sind gesünder und aktiver als die der Generationen vor ihnen. Im Vergleich zu ihren Müttern sind die meisten der heute Siebzigjährigen finanziell unabhängiger, besser gebildet, fähiger, zu ihren Gefühlen zu stehen, und aufrichtiger im Ausdruck ihrer Emotionen. Vor allem sind sie weniger geneigt, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, die ihren Sinn verloren hat. Aus Untersuchungen geht hervor, dass sie auch sexuell aktiver sind oder sich jedenfalls wünschen, es bei sich bietender Gelegenheit zu sein. Viele behaupten, Sex und Liebe seien in diesem Alter befriedigender als in jüngeren Jahren. Sie nutzen ihre Erfahrung und müssen ihre Identität mittlerweile nicht mehr von der »Anerkennung« eines Mannes abhängig machen.

Der grüne Blitz

Die Frauen, die jetzt in die Siebziger kommen, waren die Ersten, die sich für ein Universitätsstudium und eine Berufstätigkeit entscheiden und sich damit ihre eigene Identität in Bereichen aufbauen konnten, die früher den Männern vorbehalten waren. Deshalb beschließen viele, wieder als Single zu leben, wenn ihre Ehe nicht mehr funktioniert; sie bleiben lieber allein als in einer Paarbeziehung, in der sie, wenn die Jugend vorbei ist, nur noch eine »mütterliche« Rolle gegenüber ihrem Mann einnehmen (der sie auf dem Gipfel seiner beruflichen Laufbahn oft ohnehin wegen einer Jüngeren verlässt).

Die Krise um die vierzig haben sie, ohne mit der Wimper zu zucken, hinter sich gebracht und sich den Fünfzigern gestellt, ohne sich von der Menopause traumatisieren zu lassen und ohne über das »leere Nest« zu weinen. Jetzt liegen zehn, zwanzig Jahre eines Lebens vor ihnen, das völlig anders sein könnte als das ihrer Mütter und Großmütter. Neue Aktivitäten, vielleicht neue Liebschaften – es erwartet sie nicht zwangsläufig ein zweitklassiges Leben am Rande der Gesellschaft, wie es noch bis vor Kurzem für ältere Frauen üblich war.

Im Seniorenalter sind viele von ihnen mit Gelassenheit angekommen, weil sie sich allen Hindernissen zum Trotz und dank eines Berufs, den sie engagiert ausgeübt haben, eine eigene Identität schaffen konnten. Die erotischen und emotionalen Irrungen und Wirrungen der Jugend haben sie nach und nach hinter sich gelassen; viel mehr als die Erinnerung ist davon nicht geblieben. Das alles ohne allzu großes Bedauern. In dem Bewusstsein, dass eine älter werdende Frau keine Sehnsüchte mehr äußern darf, haben sie nur jene zur Kenntnis genommen, die sie sich leisten konnten. Jetzt aber erleben viele von ihnen plötzlich ein Wiedererwachen sexueller Spannung, eine Schwärmerei, eine physische Anziehungskraft, die ebenso stark ist wie bei einer Heranwachsenden. Manche verspüren diese Gefühle auch gegenüber jüngeren Männern.

Ruhestand und Leidenschaft, Enkel und Träume, Falten und Sex. Viele ältere Frauen haben romantische Erlebnisse, sprechen offen über ihre erotischen Entdeckungen, haben andersgeartete Beziehungen mit Männern als früher, Beziehungen, in denen Sex manchmal die Hauptrolle spielt. Sie machen einen Bogen um neue Ehen und schrecken sogar vor einem bloßen Zusammenleben zurück; sie haben gelernt, dass Monogamie keine Pflicht ist. Sie können besser zwischen ihren realen Möglichkeiten und ihren Illusionen unterscheiden. Vor allem aber scheinen sie sich vom Blick des anderen befreit zu haben.

Sie sind die Ersten, die darüber staunen. Sicher, Schmetterlinge im Bauch hat es immer und in jedem Lebensalter gegeben. Seit undenklichen Zeiten jedoch haben Tabus, Vorurteile, Hemmungen und die Gesellschaft selbst dafür gesorgt, dass Liebschaften und sexuelle Beziehungen im höheren Alter schon im Keim erstickt wurden. Man muss mindestens bis ins 17. und 18. Jahrhundert zurückgehen, um positive Beispiele zu finden. Eine Ninon de Lanclos hatte zeitlebens jüngere Liebhaber. Ebenso Madame de Warens, deren bekanntester Liebhaber der damals noch blutjunge Jean-Jacques Rousseau war. Doch Persönlichkeiten wie sie traf man in den nachfolgenden Jahrhunderten immer seltener an. Schuld daran waren zum einen das kleinbürgerliche Denken des 19. Jahrhunderts und zum anderen die Haltung der Kirche, die Sex einzig mit Fortpflanzung in Verbindung brachte und deshalb die sexuelle Aktivität von Frauen im reifen Alter als Perversion verurteilte. Auf dem Konzil von Trient hatte die katholische Kirche das Mindestalter der Pfarrhaushälterinnen – also der einzigen Frauen, die mit einem Priester unter einem Dach wohnen durften – auf vierzig Jahre festgelegt, ein Alter, in dem damals die Menopause einsetzte. Jenseits davon war jede Gefahr gebannt, sexuelle Verwirrungen waren undenkbar.

Sexualität und Lust sind für Frauen im fortgeschrittenen Alter nach wie vor ein Tabu, und noch heute übersteigt der Gedanke, dass ihre Großeltern ein Sexualleben haben könnten, das Vorstellungsvermögen der meisten jungen Leute.

Zum zweiten Mal in ihrem Leben dringt nun diese Generation in eine Terra incognita vor. Beim ersten Mal hatten die Pille und der Feminismus die Schranken eingerissen, die die Frauen bis dahin daran gehindert hatten, eine volle Existenz zu leben, mehr Gleichberechtigung zu erreichen und berufliche Karrieren zu verfolgen. Die Pille eröffnete den Frauen einerseits großartige Perspektiven, stellte aber andererseits auch eine Herausforderung dar, die ihr Leben und das der Gesellschaft insgesamt veränderte. Heute steht dieselbe Generation erneut vor unerforschtem Terrain. Wird sie auch diese letzte Barriere überwinden? Vorurteile bestehen nach wie vor, doch es bilden sich auch neue Paarbeziehungen heraus. Der ablaufenden Zeit wegen sind sie naturgemäß von kurzer Dauer, werden dafür aber auch sehr intensiv gelebt. Solche Beziehungen erinnern an das Phänomen des grünen Blitzes, jener Naturerscheinung, die am oberen Rand der Sonne einen nur wenige Sekunden sichtbaren Streifen gleißenden Lichts entstehen lässt, bevor die Sonne...

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