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Linke und Gewalt

Pazifismus, Tyrannenmord, Befreiungskampf

AutorErich Mühsam, Gustav La, Johann Most, Mao Zedong, Pierre Ramus, Wera Figner, Wladimir Iljitsch Lenin
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783853718216
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
'Linke und Gewalt' dokumentiert Diskussionen der vergangenen 150 Jahre über die Rolle von Gewalt bei der Veränderung von politischen und sozialen Herrschaftsverhältnissen. Können auf staatlichen Gewaltmonopolen beruhende Systeme mit friedlichen Mitteln gestürzt werden oder ist Gewalt notwendig? Wenn ja, welche Formen sind in Bezug auf die Ziele zu rechtfertigen und welche nicht? Wie steht es mit Sabotage und 'Tyrannenmord'? Wann wird der Revolutionär zum Terroristen bzw. der Guerillero zum Mörder?

Felix Wemheuer, Jahrgang 1977, lebt in Wien und veröffentlichte bisher in der 'Edition Linke Klassiker' bei Promedia 'Maoismus. Ideengeschichte und revolutionärer Geist' (2009) sowie (gemeinsam mit Barbara Eder) 'Die Linke und der Sex. Klassische Texte zum wichtigsten Thema' (2011). Außerdem verfasste er eine Biographie über Mao Zedong. Wemheuer ist regelmäßiger Mitarbeiter der Wochenzeitschrift 'Jungle World'.

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Leseprobe

Felix Wemheuer
Linke und Gewalt in den revolutionären Zyklen des 20. Jahrhunderts


„Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen (…).“
Karl Marx (1844)

„Danton: Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.
Robespierre: Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab.“
Georg Büchner, „Dantons Tod“ (1835)

„Furchtbar ist es, zu töten.
Aber nicht andere nur, auch uns töten wir, wenn es nottut
Da doch nur mit Gewalt diese tötende
Welt zu ändern ist, wie
Jeder Lebende weiß.“
„Die vier Agitatoren“, in: Bertolt Brecht, „Die Maßnahme“ (1930)

Gewalt kennt viele Formen und hat viele Namen. Dieses Buch dokumentiert einige der hitzigen Debatten innerhalb der globalen Linken im Zeitraum von den 1880er bis zu den 1980er Jahren um die Frage der Ausübung von Gewalt zur sozialrevolutionären Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Der Schwerpunkt liegt auf den Diskussionen über den bewaffneten Kampf: Kann auf Gewalt beruhende Herrschaft mit friedlichen Mitteln gestürzt werden oder ist Gegengewalt notwendig? Wenn ja, welche Formen sind in Bezug auf die Ziele zu rechtfertigen und welche nicht? Wie steht es mit Sabotage, „Tyrannenmord“ oder gar Geiselerschießungen? Wie verändert die Gewaltausübung den Revolutionär? Kann man überhaupt verhindern, daß man seinen Gegnern immer ähnlicher wird? Welche Auswirkungen hat der bewaffnete Kampf auf Subalterne in Kolonien und „Ghettos“ oder auf die Geschlechterverhältnisse?

Um die Breite der Debatten zu diesen Fragen darzustellen, wurden für diesen Band Texte von Kommunisten, (pazifistischen) Anarchisten, russischen Sozialrevolutionären, schwarzen Bürgerrechtlern, Theoretikern des Partisanenkrieges und der „Stadtguerilla“ sowie deren Kritikern ausgewählt. Der Begriff „Linke“ wird großzügig verwendet und umfaßt so unterschiedliche Akteure wie Martin Luther King oder die Rote Armee Fraktion (RAF). Die Teilnahme am Kampf für eine andere Gesellschaft hat ihren Preis. Fast alle der 18 Autoren und Autorinnen dieses Buches saßen im Gefängnis oder mußten aus ihrer Heimat fliehen. Erich Mühsam, Gustav Landauer, Rosa Luxemburg, Leo Trotzki und Martin Luther King wurden von ihren politischen Gegnern ermordet.

Historische Verortung


Um die Texte und die Gewaltfrage in einen historischen Kontext zu stellen, sollen die zentralen globalen Revolutionszyklen1 des 20. Jahrhunderts thesenhaft kurz periodisiert werden. „Globaler Zyklus“ bedeutet eine Gleichzeitigkeit von revolutionären Bewegungen, die in einem bestimmten Zeitraum ausbrechen und dann wieder abflauen. Damit ist nicht gesagt, daß die revolutionären Bewegungen in den Ländern, wo der Aufruhr konzentriert war, immer direkt miteinander zusammenhingen. Die Akteure fühlten sich jedoch als Teil eines globalen Moments und bezogen sich in ihren Kämpfen aufeinander.

Auf jedes revolutionäre Aufbrechen der Verhältnisse folgten konterrevolutionäre Gegenbewegungen wie der „weiße Terror“ nach dem Ersten Weltkrieg, der Faschismus oder die „Aufstandsbekämpfung“ der Kolonialmächte und der USA seit den 1950er Jahren. Diskurse der sozialrevolutionären Gewalt kann man nur verstehen, wenn man sie in Interaktion mit der konterrevolutionären Gewalt betrachtet.

Der erste Zyklus: „Den Krieg in den Bürgerkrieg umwandeln“ (1917–1923)

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 läutete das Ende der Sozialdemokratie als internationalistische Bewegung ein, da so gut wie alle Arbeiterparteien in Europa ihre eigenen Regierungen in der großen Massenschlächterei unterstützten. Aus der Opposition gegen diesen Krieg, deren prominenteste Vertreter die russischen Bolschewiki stellten, sollte einige Jahre später die kommunistische Weltbewegung entstehen. Auch die anarchistische Bewegung erlebte in den Nachkriegsjahren in einigen Ländern Europas und Asiens einen bedeutenden Aufschwung.

Die erste Welle der Revolutionen in Europa zwischen den Jahren 1917 und 1919 war eine unmittelbare Folge des Krieges. Die Massenmobilisierung brachte die Verhältnisse zum Tanzen, da Millionen Menschen als Soldaten aus ihren gewohnten sozialen Verhältnissen gerissen worden waren. Um alle Ressourcen in den Dienst des Krieges zu stellen, griff der Staat in einem nicht gekannten Ausmaß in die Wirtschaft ein und übernahm in vielen Ländern in Form eines Rationierungssystems die Versorgung der Soldaten und weiterer Teile der Bevölkerung. Im zaristischen Rußland, dem deutschem Kaiserreich und Österreich-Ungarn führten Versorgungskrisen im zweiten bzw. dritten Kriegsjahr zu Massenprotesten und Streiks. Revolutionen wurden möglich, da Soldaten revoltierten und sich den Aufständen anschlossen. In Rußland desertierten vor allem die bäuerlichen Soldaten in Massen. Die neue Provisorische Regierung, die durch die Februarrevolution von 1917 an die Macht kam, beging schwere Fehler, als sie weder eine Landreform in Gang brachte, noch den Krieg beendete. Dadurch bot sich den revolutionären Bolschewiki, gestützt auf Teile der Arbeiterklasse, im Oktober 1917 die Chance die Macht zu ergreifen. Der Aufruf der neuen bolschewistischen Regierung für einen sofortigen Friedensschluß ohne Annexionen machte die Oktoberrevolution für viele Arbeiter in ganz Europa zum Vorbild. In Deutschland, Österreich und Ungarn entwickelte sich im Folgejahr eine ähnliche Dialektik zwischen Krieg und Revolution. Es kam zur Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten, die zeitweise die Macht in Teilen des Landes übernahmen.

Als Reaktion auf die revolutionären Unruhen der roten Arbeiter und Soldaten folgte eine Welle des „weißes Terrors“ in Deutschland, Ungarn und Italien, der mit der Ermordung von tausenden Revolutionären und aktivistischen Arbeitern einherging. In Ungarn, Italien, Bulgarien und Spanien wurden in den Nachkriegsjahren rechte bzw. faschistische Diktaturen errichtet. In Deutschland behielt die Sozialdemokratie im Bündnis mit den alten Kräften des preußischen Militarismus, rechten Paramilitärs und Teilen des Bürgertums die Oberhand. Die Bolschewiki konnten die neue Ordnung in einem besonders opferreichen Bürgerkrieg (1918–1921) gegen innere und äußere Feinde verteidigen. Dabei kam es in der Ukraine gegen die anarchistischen Machno-Partisanen und die Nationalisten zu Bürgerkriegen im Bürgerkrieg. Ein Export der Oktoberrevolution nach Westen scheiterte, wie auch die revolutionären Arbeiteraufstände in Deutschland und Italien. Aus den konterrevolutionären Bewegungen gegen die Revolten der ersten Nachkriegsjahre ging der Faschismus hervor, der in Europa der Arbeiterbewegung sowie der liberalen Demokratie den Krieg erklärte.

Der zweite Zyklus: Im Abwehrkampf gegen den Faschismus (1936–1945)

Weder den Machtantritt des Faschismus in Italien (1922) noch des Nationalsozialismus in Deutschland (1933) konnte die Arbeiterbewegung verhindern. Man sollte nicht vergessen, daß die Kommunisten zu den ersten Opfern des nationalsozialistischen Terrors gehörten. In Österreich kam es im Februar 1934 zum bewaffneten Arbeiteraufstand gegen den Faschismus. Doch einen neuen Aufschwung der Linken löste erst der Widerstand gegen den rechten Putschversuch unter General Franco aus, der 1936 die Volksfrontregierung in Spanien stürzen wollte. Der Putsch konnte vorerst von Arbeitermilizen und der republikanischen Regierung abgewehrt werden. Besonders in der Provinz Katalonien setzte die anarchistische Bewegung weitgehende Sozialisierungen von Industriebetrieben durch und gründete landwirtschaftliche Kollektivbetriebe im republikanischen Spanien. Mit Hilfe Deutschlands und Italiens konnten jedoch die Putschisten einen langwierigen Bürgerkrieg mit dem republikanischen Lager aufnehmen. Tausende Kommunisten, Anarchisten und Sozialdemokraten kamen aus der ganzen Welt nach Spanien, um die Republik zu verteidigen.

Ungefähr zur gleichen Zeit bildete sich in China die zweite Einheitsfront zwischen den Nationalisten (Guomindang, GMD) und der Kommunistischen Partei heraus, die sich der schrittweisen Okkupation Chinas durch Japan entgegenstellte und den „Anti-japanischen Widerstandskrieg“ eröffnete.

Mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 wurde der „europäische Bürgerkrieg“ der Nachkriegsjahre nun in Form eines Krieges zwischen zwei Staaten auf eine neue Stufe gehoben. Das deutsche Kriegsziel war die vollständige Vernichtung des sogenannten „jüdischen Bolschewismus“. Die nationalsozialistische Führung plante, die Bewohner der sowjetischen Städte verhungern zu lassen. In seiner ersten öffentlichen Ansprache nach dem deutschen Angriff rief Josef Stalin am 3. Juli 1941 die Bevölkerung zum Partisanenkrieg auf. Im Zug des Kampfs gegen den Faschismus entstanden auch in Italien, Frankreich, Jugoslawien, Albanien und Griechenland starke Partisanenbewegungen, in denen die Kommunisten eine zentrale Rolle spielten.

Der zweite globale Zyklus besaß dennoch einen ganz anderen Charakter als die Welle der Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg, da es sich in erster Linie um einen Abwehrkampf gegen die Vernichtung durch den Faschismus handelte. Die Dialektik von drohender Kriegsniederlage und Revolution wie 1917/18 kam nicht zum Tragen. In keinem Land stürzten revolutionäre Arbeiter und...

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