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Linke und Nation

Klassische Texte zu einer brisanten Frage

AutorAugust Bebel, Friedrich Engels, Jo, Karl Kautsky, Karl Marx, Rosa Luxemburg, Wladimir Iljitsch Lenin
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783853718445
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Die Linke war und ist stolz darauf, internationalistisch zu sein. Ihr Leitspruch war immer 'Proletarier aller Ländern, vereinigt Euch!? Und doch stritten Linke auch darum, ob und wie nationale Befreiungskämpfe zu unterstützen seien, ob die Einheit der Nation auch ihr Anliegen sein dürfe. Mehr als einmal wurden sie überrascht, wenn nationale, ja chauvinistische Parolen Arbeiter und Unterdrücker im Kampf gegen andere Chauvinisten vereinten. Der vorliegende Band der 'Edition Linke Klassiker' bietet eine auch aktuell wichtige Durchsicht linker theoretischer Texte, die sich mit der nationalen Frage beschäftigt haben. Erläuterungen des Herausgebers, Quellenangaben und weiterführende Literaturhinweise machen das Buch zu einer Fundgrube für alle, die in Zeiten von Ethnisierung und nationalen Wahnvorstellungen einen analytisch kühlen Kopf bewahren wollen.

Stefan Bollinger, Jahrgang 1954, studierte Philosophie und Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin/DDR. 1986 habilitierte er sich zum Thema der Neuen Sozialen Bewegungen. Nach dem Anschluß an die Bundesrepublik ist er einer der Mitorganisatoren einer Zweiten Wissenschaftskultur in Ostdeutschland und arbeitet zu linken Alternativen in Geschichte und Zukunft. Er lebt in Berlin. Zuletzt gab er in der Reihe 'Edition Linke Klassiker' im Promedia Verlag heraus: 'Imperialismustheorien. Historische Grundlagen für eine aktuelle Kritik' und 'Lenin. Träumer und Realist'.

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Leseprobe

Stefan Bollinger
Die Linke und die Dauerfragen Nation und Nationalismus


Ein Blick auf die Welt und auf Europa erinnert daran, wie offene nationale Fragen, ethnische Konflikte, religiös motivierte Verfolgungen, wie Nationalismus und Rassismus nach dem Ende der Blockkonfrontation vor 20 Jahren präsent wie schon lange nicht mehr sind. Lüftet man irgendein Zipfelchen dieser Konflikte, vertieft man den Blick auf Losungen, Mythen und geschichtliche Vorgänge, muß man auch einen kaum entwirrbaren Wust von Theorien, Historien, ideologischen Konstrukten und Vorurteilen freilegen.

Die großen linken Debatten zu Nation, Nationalismus und dem Zusammenhang von sozialistischen Zielen und nationalen Kämpfen sind lange vorbei. Ging es Mitte des 19. Jahrhunderts für die gerade entstehende deutsche Arbeiterbewegung in der Revolution von 1848/49 darum, ihren Platz in einer Revolution für Demokratie und Nationalstaat zu bestimmen, in der die Bourgeoisie die Führungsrolle hätte übernehmen müssen, so wurde dies durch den Sieg der Reaktion alsbald obsolet. Für Friedrich Engels war „eine der wirklichen Aufgaben der Revolution von 48 (und die wirklichen, nicht illusorischen Aufgaben einer Revolution werden immer infolge dieser Revolution gelöst) (…) die Herstellung der unterdrückten und zersplitterten Nationalitäten Mitteleuropas, soweit diese überhaupt lebensfähig und speziell zur Unabhängigkeit reif waren“1, wobei letztere Überlegung bei ihm nicht allzu differenziert ausfiel.

Entscheidend an dieser ersten Auseinandersetzung aber war, daß die Vordenker der Arbeiterbewegung Friedrich Engels, Karl Marx und August Bebel Position beziehen mußten und dabei den internationalistischen Charakter einer jeden sozialistischen Bewegung festschrieben. Die Debatte fand ihre Fortsetzung angesichts einer neuen Weltordnung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert unter den Vorzeichen des Imperialismus, seiner Konflikte und der anstehenden Revolutionen. Die zweite große Diskussion u.a. mit Otto Bauer, Karl Renner, Rosa Luxemburg, Wladimir Iljitsch Lenin und Josef Wissarionowitsch Stalin dokumentiert der vorliegende Sammelband schwerpunktmäßig.

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, der ersten sich sozialistisch verstehenden Revolutionen und Revolutionsversuche, des Zerfalls der Vielvölkerreiche und der nicht eingelösten Versprechungen von der Freiheit der Kolonien trat die Diskussion in eine dritte, eher praktische Phase ein. In den Kolonien und abhängigen Ländern entstanden nationale Befreiungsbewegungen und die Kommunisten wollten sie als Bündnispartner gewinnen. Lenin suchte nach dem Ausbleiben der Revolution im Westen nun auch Verbündete im Osten: „Auf die Periode des Erwachens des Ostens folgt in der gegenwärtigen Revolution die Periode, in der alle Völker des Ostens die Geschicke der ganzen Welt mitentscheiden, in der sie aufhören, nur ein Objekt der Bereicherung zu sein. Die Völker des Ostens erwachen, um praktisch zu handeln und damit jedes Volk das Schicksal der ganzen Menschheit mitbestimmt.“2 Texte von Ho Chi Minh und Mao Zedong im vorliegenden Band repräsentieren diese Auseinandersetzungen.

Zugleich standen die Kommunisten in Deutschland, Italien und anderen Staaten im harten Abwehrkampf gegen einen nach dem Ersten Weltkrieg wiederum aufschäumenden Nationalismus und Chauvinismus, der sich gegen andere Völker ebenso richtete wie gegen die radikale innere linke Bedrohung des Kapitalismus. Der Faschismus in seinen verschiedenen Ausprägungen, am radikalsten verkörpert durch den deutschen Nazismus, war die Speerspitze eines derart gewandelten Nationalismus – und Rassismus. Der Sieg über diese Ausgeburten des Nationalismus, über die deutschen und japanischen Imperialisten, leitete eine vierte, nun erst recht nicht mehr theoretische Etappe ein. In Befreiungskriegen mit zivilem Ungehorsam und angesichts einer von den traditionellen westlichen Kolonialmächten nicht mehr aufrechtzuerhaltenden Repression gewannen zwischen 1947 und Mitte der 1960er Jahre die meisten Kolonien und abhängigen Gebiete ihre staatliche Unabhängigkeit. Die Einbettung in die Blockkonfrontation ließ sie schnell in neue Abhängigkeiten geraten. In Afrika, Lateinamerika und Asien gerieten die neuen Nationen nicht selten zu Schauplätzen von Stellvertreterkriegen der beiden Supermächte. Die Kolonialherren förderten in diesen Staaten zudem religiöse, ethnische und Stammeskonflikte.

In den 1960er und 1970er Jahren kam fünftens nochmals eine Diskussion hoch, die diese Länder und Bewegungen aus linker Sicht als Vorhut im antiimperialistischen Kampf und gegen die USA als der wichtigsten imperialistischen Macht verstand. Die Realitäten der Auseinandersetzung, der Verlust des emanzipatorischen Charakters nicht weniger dieser an die Macht gekommenen nationalen Befreiungsbewegungen und -kämpfer brachten schnell Ernüchterung. Schon damals wurde „das große historische Versagen des Marxismus“3 in Bezug auf den Nationalismus unterstellt. Die heutige, sechste, kaum als Diskussionsphase zu bezeichnende Etappe nach dem Ende der Blockkonfrontation ist bei so manchen Linken gekennzeichnet durch eine Abkehr von den einstigen internationalistischen Positionen und der Anerkennung des nationalen Befreiungskampfes. In den vormaligen Ostblockländern mauserten sich „Kommunisten“ über Nacht zu veritablen Nationalisten, die auch vor Gewalt und Krieg nicht zurückschrecken. Andere Linke entdeckten die „eine Welt“ für sich, in der Nationalstaatlichkeit, nationale Fragen und Unterdrückung keine Rolle spielen würden und die Zukunft für eine vielleicht sozialistische Perspektive in Globalisierung oder Europäischer Union oder beiden liegen soll.

Wie sieht der heutige Diskussionsstand aus? Nur wenige aktuellere Veröffentlichungen, so von Michael Löwy, versuchen – wie in unserem Band – den historischen Diskussionen der Linken, der Marxisten nachzuspüren und zu prüfen, wie aktuell diese heute noch sind.4 Mit den Arbeiten von Eric Hobsbawm5 und Étienne Balibar6 liegen wichtige marxistisch geprägte neuere Untersuchungen zum Platz von Nation und Nationalismus in der Geschichte vor. In der DDR wurde mit den Arbeiten von Alfred Kosing7 ein eigenständiger, wenn auch die Mehrzahl der Bürger nicht überzeugender Ansatz zur Ausbildung einer eigenen DDR-Nation entwickelt. Aus der Erbmasse der marxistischen Diskussion in der DDR sind nach 1989/90, mit durchaus differenzierten theoretischen Ansätzen, Beiträge entstanden, die sich gegen die eher westdeutsche „anti-deutsche“ und „anti-nationale“ Diskussion wenden.8 In der westdeutschen Diskussion der Linken dominierte und dominiert die Abwehr des deutschen Nationalismus, Chauvinismus und Faschismus. Prägend war hier der Faschismusforscher Reinhard Kühnl9. Am linken Flügel der sozialen Bewegungen hielten wenige Sozialdemokraten wie Peter Brandt10 an einem positiven Bezug zur Nation auch für linke Politik fest.

In den Mainstream brachte Karl W. Deutsch11 wichtige neue Aspekte ein, in neuerer Zeit bietet Hans-Ulrich Wehler12 einen knappen Überblick über Theorien zu Nation und Nationalismus. Darüber hinaus existieren eine Vielzahl lesenswerter Studien zu den Mechanismen der Nations- und Nationalismuserfindung.13. Sie sind oft inspiriert durch das von Benedict Anderson14 und Ernest Gellner15 entwickelte Konzept der „erfundenen Nationen“: „Es ist der Nationalismus, der die Nationen hervorbringt und nicht umgekehrt.“16 Hinzu kommen zahlreiche empirische Untersuchungen und Darstellungen vor dem Hintergrund der Mainstream-Konzepte.17 Besonders die osteuropäische Entwicklung nach dem Zusammenbruch des Ostblocks bot Forschern ein umfassendes Feld zu Untersuchung und Diskussion.18

Die Wiederkehr des Nationalismus


Das Scheitern des Realsozialismus bedeutete auch für das Problem der Nationen eine Zäsur. Der französische Soziologe Alain Minc sah 1992 „mit dem Verschwinden der sozialen Frage (…) die nationale Frage wieder offen“. Denn „Wirtschaftswachstum und Wohlfahrtsstaat haben von den beiden Extremen, den Ausgeschlossenen und den Überpriviligierten abgesehen, eine riesige Mittelschicht mit gleicher Lebensweise und gleichen Wünschen geschaffen“, „große soziale Kämpfe“ gäbe es nicht mehr und mit dem Ende Osteuropas „ist die soziale Frage hinweggefegt; es bleiben einzelne soziale Probleme“. Die Gesellschaft sei frei von der einigenden Kraft von Utopien und sozialen Kämpfen, sodaß sie auch nicht mehr strukturiert würde. Vielmehr ist sie nun „den ökonomischen Doktrinen, den Interessengruppen ausgeliefert“, verstreuten und übrigens veränderlichen Gruppierungen, ohne daß es noch ein integrierendes Leitbild gäbe. „Die soziale Frage hatte das Jahrhundert beherrscht, mit ihm verschwindet sie, und die nationale Frage, ihr Doppelgänger, den sie endlich hatte...

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