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Lob den Lehrer*innen

Wer Beziehungen stärkt, macht Schule gut. Ein Weckruf

AutorUlrike Kegler
VerlagBeltz
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783407865403
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Was läuft falsch, wenn so viel Unzufriedenheit bei Lehrer*innen herrscht? So viel Frust bei Schüler*innen und Eltern? Wir brauchen eine neue Beziehungskultur an den Schulen: Lehrer, Eltern und Politiker, die an einem Strang ziehen und aufhören, sich gegenseitig zu blockieren. Steigen wir endlich vom toten Pferd ab und hören auf mit dem Lehrer-Bashing! Ulrike Kegler weist eine Fülle von Wegen, um Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen. Auf sie kommt es an, wenn wir Schule erfolgreich machen wollen. Denn wo die Erwachsenen gemeinsam an den Beziehungen arbeiten, nehmen sie die Kinder und Jugendlichen mit. Schule, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, fördert Empathie statt Instant-Fachwissen. Neue Raum- und Zeitstrukturen helfen dabei, ebenso wie Modifikationen des herkömmlichen Fachunterrichts. Theater, Handwerk und Kunst bringen alle Akteure an der Schule näher zusammen. »Vieles ist heute schon Realität«, so Ulrike Kegler, »nur meist in Einzelteilen, an verschiedenen Orten und zufällig. Setzen wir gemeinsam diese Teile jetzt zusammen und bieten sie flächendeckend allen Lehrerinnen und Lehrern, allen Kindern und Jugendlichen an.« Ohne die Risiken zu verschweigen sieht Ulrike Kegler auch große Chancen in der zunehmenden Zahl von Quereinsteigern und Experten, die als Lehrkräfte in die Schulen strömen und diese nachhaltig verändern werden. So bietet der gegenwärtige Lehrermangel die Chance, die alte Trutzburg Schule in eine zeitgemäße Institution zu verwandeln. Legen wir los!

Ulrike Kegler ist eine der bekanntesten Protagonistinnen der »neuen Schule«. Sie ist Lehrerin und Leiterin der Montessori Oberschule in Potsdam, die als eine der erfolgreichsten Schulen in Deutschland gilt. Die Zeit nannte sie »eine Schule zum Verlieben«. Jährlich kommen über 600 Besucher*innen, um sich inspirieren zu lassen. Zudem ist sie Mitglied der Deutschen Schulakademie. Aufgrund ihrer Initiative entsteht in Potsdam eine weitere staatliche Modellschule. Ulrike Kegler ist Mutter von drei erwachsenen Söhnen und lebt mit ihrem Mann in Berlin.

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Leseprobe

Einleitung


Schule ist Beziehung! Diese Erkenntnis nährt sich aus meiner vierzigjährigen Berufstätigkeit in der Schule, zuerst als Lehrerin und später als Schulleiterin. Auch wenn immer noch der Stoff und die Leistungen, also die Ergebnisse, im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, so sind es letztlich die Beziehungen unter den tätigen Menschen, die entscheiden, ob die Schule zu einem guten und damit auch erfolgreichen Ort für alle Beteiligten wird.

Für das Gelingen dieser Beziehungen sind wir Erwachsenen verantwortlich. Wir haben die Macht und die Aufgabe, die Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen und unter uns selbst zu gestalten. Darum stehen in diesem Buch die verantwortlichen Erwachsenen in der Schule, also wir Lehrer*innen, im Mittelpunkt. Denn wir können die Schule gestalten, davon bin ich nach mehr als einem Vierteljahrhundert Schulentwicklung überzeugt.

Angefangen mit veränderten Räumen und Zeiträumen, mit der Zusammenarbeit unter den Lehrer*innen und mit aktiven Eltern und Expert*innen haben wir an unserer Schule in Potsdam eine Lernkultur sowohl für die Schüler*innen als auch für uns Erwachsene geschaffen. Eine Lernkultur, die allen guttut, den Kindern und Jugendlichen und uns Erwachsenen. Sichere Zeichen dafür sind der große Zustrom und die geringe Abwanderung, sind die vielen Besucher und die wachsende Akzeptanz in der Umgebung. Es geht uns allen besser, wenn wir die Schule zu einem lebendigen Ort machen, an dem die Menschen im Mittelpunkt stehen – diese Erkenntnis verbreitet sich allmählich.

Der Schulleiter einer Grundschule, an der ich als junge Lehrerin arbeitete, hatte einmal auf meine Veränderungsbemühungen mit der Aussage reagiert: »Was wollen Sie eigentlich, Frau Kegler, die Schule läuft doch.« Dieser Satz zu einer Schule, in der so unterrichtet wurde, wie sie aussah, wilhelminisch, streng und ohne gemeinsame Ziele im Kollegium, hat mich damals schockiert. Auch der gut gemeinte Ratschlag einer älteren Kollegin, auch ich würde schon noch ruhig werden, bewirkte genau das Gegenteil. Ich wollte nicht ruhig werden und in einer Schule arbeiten, die »läuft«. Ich ließ mich für ein Jahr ohne Bezüge beurlauben und suchte nach einer Alternative.

Dass genau zu diesem Zeitpunkt – 1993 – in der ehemaligen DDR ein neues Schulsystem aufgebaut werden musste, man mich im nahe gelegenen Potsdam mit offenen Armen und der Idee empfing, an einer staatlichen Schule eine Montessori-Klasse aufzumachen, und ich dann nach Potsdam ausgetauscht wurde, ist kein Zufall, sondern ein Zusammentreffen der richtigen Idee mit dem richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Die dann folgende Geschichte konnte nur entstehen, weil einige und später viele Menschen ihre Ideen, Wünsche und Kraft in dieses Projekt gegeben haben. Heute ist die Montessori-Schule Potsdam bei Menschen bekannt, die Schulen zu lebendigen Orten machen wollen und die nicht länger hinnehmen können, wie ungerecht unser Bildungssystem auch heute noch ist.

Dies schreibe ich in einem Alpengasthof in Südtirol mit herrlichem Blick auf die Brenta-Berge. Beim Frühstück habe ich eine Abteilungsleiterin eines großen deutschen Energiekonzerns zu ihren Einstellungen zur Lehrerarbeit gefragt. Erstaunlich war schon die erste Antwort, nämlich, dass sie zwar wisse, dass es durchaus Lehrer*innen gäbe, die nachmittags nicht frei hätten, sondern dann ihren Unterricht vorbereiten würden. Aber die meisten würden in ihren Stunden doch sowieso immer nur das Gleiche machen. So denkt man also über uns! Andererseits weiß sie aber auch von vielen freundlichen Lehrer*innen zu berichten und ist gerne zur Schule gegangen (»Das war eben eine ›heile Welt‹ bei uns in Hamburg-Blankenese.«). Beeindruckend fand sie vor allem diejenigen, die ihre Sache mit Leidenschaft machten, und die, die Humor hatten.

Sie frage sich allerdings, wie die Kinder, die heute noch in eine traditionelle Schule mit einem gefächerten Stundenplan gehen, die Kreativität aufbringen sollen, den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gewachsen zu sein. In ihrer Abteilung fangen Sitzungen mit einer Kurzmeditation an, es wird in Projekten gearbeitet, Flexibilität und Kooperation sind die wichtigsten »Tools«.

Dies ist nur eine Einzelmeinung. Wir wissen aber, dass viele Menschen Vorurteile nicht nur über die Arbeitszeit der Lehrer*innen haben. »Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei!« Wäre es nicht an der Zeit, diesem Klischee etwas entgegenzusetzen? Durch eine zeitgemäße verlässliche Präsenz und Ansprechbarkeit ließe es sich leicht entkräften. Wäre es nicht an der Zeit, auch den weiteren gängigen Klischees unsere Praxis, unsere Erfahrung, unser Bemühen, dass Schule gelingt, entgegenzusetzen? So würden wir die ebenfalls oft gehörte Meinung zu unserer Arbeit, nämlich, dass sie höchst anspruchsvoll und verantwortungsvoll ist, ohne Rechtfertigungsnot in den Vordergrund rücken.

Damit wir diese anspruchsvolle Arbeit, so gut es geht, machen können, brauchen wir Lehrer*innen eine hohe gesellschaftliche Anerkennung. Dafür aber sind ein neues Verständnis und eine neue Praxis von Arbeitszeit und Kooperation unerlässlich.

Stellen wir uns einmal vor, wie die Schule der Zukunft in einer Gesellschaft aussehen könnte, in der es längst nicht mehr für alle Arbeit geben wird und die Menschen sich anderweitig sinnvoll beschäftigen müssen. Dazu braucht es viel Kreativität und so etwas wie einen individuellen »Studienplan«. Ersetzen wir doch den Stundenplan durch einen Studienplan. Dann kommen wir unserer Vision von einer Schule im ursprünglichen griechischen Wortsinn wieder näher. Scholé heißt dort »Muße«. Dass die Schule für Schüler*innen und Lehrer*innen ein Mußeplatz wäre, ist eine Vision, die ich mir gerne vorstelle. Aber auch ein avantgardistischer Ort, ein Thinktank, in dem neue Ideen an altes Wissen anknüpfen. Dies aber geht nicht im Stundentakt der alten Klosterschule!

Wir wollen, dass die Schule als Ort der Gemeinschaftsbildung erhalten bleibt. Wir wollen aber auch, dass sie »Avantgarde« ist, dass hier neue und gegenwärtige Vorstellungen und Gedanken mit der Vergangenheit und der Zukunft in Kontakt gebracht werden. Wir wollen, dass sie ein lebendiger und gestalteter Raum wird, den Kinder, Jugendliche und Lehrer*innen gerne aufsuchen. Der gegenwärtige Lehrer*innenmangel bietet die Chance, die alte Trutzburg Schule in eine zeitgemäße staatliche Institution zu verwandeln. Aus der Not eine Tugend zu machen war nicht selten der Ausgangspunkt für Schulentwicklung. Viele Schulen, auch Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises, haben sich aus der Not entwickelt. Häufig war ein Mangel (oft an Schüler*innen) der Auslöser für Innovation und Verwandlung. Dieses Mal könnte der Mangel an Lehrer*innen der Ausgangspunkt einer überfälligen Entwicklung sein.

Er führt zu einer zunehmenden Zahl von Quereinsteiger*innen und Expert*innen, die als Lehrkräfte in unsere Schulen strömen. Diese Frauen und Männer werden die Schule verändern, doch braucht diese große Veränderung einen Rahmen. Alle Lehrer*innen, die »Gelernten« und die »Ungelernten«, könnten einen neuen Weg beschreiten. Eine nachhaltige Anreicherung der Schule durch Expertenwissen und Berufserfahrung geschieht vor allem bei einer Umstellung der alten Raum-Zeit-Struktur. Experten, die wieder nur »Lehrer spielen« und frontal und belehrend »vor der Klasse stehen«, wären eine vertane Chance. Gemeinsam könnten wir an einem praxisrelevanten, theoriebasierten und produktorientierten1 Unterrichtskonzept arbeiten, in dem die verschiedenen Kompetenzen von Pädagog*innen und »Externen« zusammenfließen.

Unsere Schule, die staatliche Montessori-Schule Potsdam, ist ein Beispiel dafür, wie Erwachsene interdisziplinär und mit unterschiedlicher Expertise zusammenarbeiten können. Seit 25 Jahren ist es alltägliche Praxis geworden, dass Lehrer*innen und Erwachsene aus anderen Berufen ihr Wissen und ihre Erfahrung für einen handlungsorientierten Unterricht austauschen und verbinden. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass ohne diesen permanenten Austausch und Abgleich unter Lehrer*innen und Expert*innen die »Entschulung« der Schule, das heißt die Auflösung erstarrter Formen, kaum gelungen wäre. Die Öffnung der Schule zur Welt braucht verschiedene Professionen, die diesen schwierigen Prozess begleiten. An unserer Schule waren und sind dies Handwerker*innen, Landwirt*innen, Imker*innen, Schäfer*innen, Kunstschaffende, Designer*innen, Schauspieler*innen, Autor*innen, Wissenschaftler*innen.... Sie alle haben dazu beigetragen, dass unsere Lehrkräfte nicht länger in der Rolle der »Alleswisser« verharren mussten, sondern sich ihrer eigentlichen Profession, der pädagogischen Gestaltung von...

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