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E-Book

Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft

Wissenschaftliche Grundlagen und politische Fehldeutungen

AutorHorst Friedrich Wünsche
VerlagLau-Verlag & Handel KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl460 Seiten
ISBN9783957681362
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
In diesem Buch wird die Soziale Marktwirtschaft erstmals aus der Sicht ihres Begründers, Ludwig Erhard, beschrieben. Das Buch führt in das politisch-ethische Denken ein, das Erhards Sozialer Marktwirtschaft zugrunde liegt, und zeigt, wie unzureichend die gegenwärtige Politik bedacht und begründet ist. Grundlage von Erhards politischer Konzeption waren das Leitbild einer würdevollen, selbstbewussten Lebensführung, die von Bevormundungen und Gängelungen frei ist. Aus diesem Leitbild waren wirtschafts- und sozialpolitische Grundziele abgeleitet, die Erhard erreicht hat: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit durch 'Wohlstand für alle' und eigenverantwortliche Vorsorge sowie Stabilität und schuldenfreie öffentliche Haushalte. Die Politiken der vergangenen Jahre sind von Erhards Konzeption abgewichen und können weder Wohlstand für alle noch soziale Gerechtigkeit, weder Stabilität noch eine solide Finanzpolitik garantieren.

Dr. Horst Friedrich Wünsche hat nach einer Handwerkslehre und Tätigkeiten in Industrie und Handel in Freiburg/Breisgau Volkswirtschaftslehre studiert. Von 1973 an war er bis zu Erhards Tod dessen einziger wissenschaftlicher Mitarbeiter, danach Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung in Bonn. Er hat die Vierteljahreszeitschrift 'Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik' gegründet und als Chefredakteur geleitet sowie Grundtexte, Bibliographien und Anthologien zur Sozialen Marktwirtschaft herausgegeben.

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Leseprobe

KAPITEL I


Die jahrzehntelange Banalisierung von Erhards Politik


OFFENKUNDIGE BEFUNDE


1.Das aktuelle Meinungsspektrum

a) Gegensätzliche Urteile

Viele Jahre lang galt die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland als viel versprechende Politik. Man glaubte, mit ihr könnten relativ leicht der Wohlstand des Volkes gemehrt und soziale Sicherheit garantiert werden. Vor einem Vierteljahrhundert, als die Berliner Mauer geöffnet und der Einigungsvertrag geschlossen wurde, galt sie vielen sogar als Patentrezept, mit dem im bisher sozialistischen Teil Deutschlands ohne weiteres hohes Wirtschaftswachstum erreicht, Beschäftigung und Einkommen gesichert, eine international wettbewerbsfähige Wirtschaft aufgebaut und jedem Bürger Existenzsicherheit geboten werden können.

Die großen Erwartungen, die mit dem Einheitsprozess verbunden waren, wurden enttäuscht. Aber dem Ruf der Sozialen Marktwirtschaft hat das kaum geschadet. Es war bekannt, dass die Methoden der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in Ost und West grundverschieden waren und statistischen Ausweisen ohnehin nicht getraut werden durfte. Offensichtlich war die ehemalige DDR weitaus stärker heruntergewirtschaftet, als die veröffentlichten Zahlen vermuten ließen. So wurde zwar bedauert, dass die Wirtschaftsexperten einer Fehleinschätzung erlegen waren. Aber Bevölkerung und Politiker nahmen es hin, dass der Aufholprozess der neuen Bundesländer wahrscheinlich mühsamer sein und länger dauern wird, als ursprünglich erwartet wurde.

Die Überzeugung, dass mit der Sozialen Marktwirtschaft große und auch größere Herausforderungen glänzend bewältigt werden können, blieb zunächst unerschüttert. Doch im Lauf der Zeit hat sich dieser Optimismus verflüchtigt – verständlicherweise, denn auch im dritten Jahrzehnt der deutschen Einheit gibt es noch immer keinen überzeugenden Beleg für die angenommene überlegene Leistungskraft der Sozialen Marktwirtschaft.

In ihren Berichten zum Stand der deutschen Einheit stellt die Bundesregierung zwar alljährlich fest, dass es deutliche Anzeichen für einen Aufschwung in den östlichen Bundesländern gibt. So wurde beispielsweise 2013 hervorgehoben, dass immer weniger junge Menschen von Ost nach West übersiedeln, weil sie einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz im Osten finden.1 Aber die Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer mussten und müssen dennoch fortlaufend eingestehen, dass das Hauptziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik der 1990er Jahre noch immer nicht erreicht ist:

„Die neuen Länder sind auch heute noch durch viele gemeinsame strukturelle Merkmale und Herausforderungen gekennzeichnet, die ein noch fortbestehendes Defizit im Hinblick auf die Angleichung an die westdeutschen Bundesländer dokumentieren.“2

Im jüngsten Jahresbericht wird der Rückstand der ostdeutschen hinter den westdeutschen Regionen bei den wichtigsten Indikatoren für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit 20 bis 30 Prozent beziffert3 und festgestellt:

„Die Bilanz zeigt, dass inzwischen zahlreiche wirtschaftliche und soziale Verbesserungen erreicht werden konnten. Vor allem hinsichtlich der Lebensqualität und der Infrastruktur sind heute zwischen neuen und alten Ländern kaum mehr Unterschiede festzustellen. Indes wurden gerade in den ersten Jahren des gesellschaftlichen Umbruchs viele Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht. Insbesondere die Arbeitslosigkeit war und ist immer noch ein drückendes Problem, obwohl sie inzwischen auch in Ostdeutschland deutlich gesunken ist. Auch die Wirtschaftsstrukturen und die damit verbundene Wirtschaftskraft unterscheiden sich in Ost- und Westdeutschland noch erheblich.“4

Das lange Zeit so unbeirrt positive Urteil über die Soziale Marktwirtschaft wurde auch durch die seit der Jahrtausendwende aufgekommenen wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Schwierigkeiten erschüttert. Angesichts dieser Schwierigkeiten vermuten nun viele, dass die wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen sind, so dass sie sich nicht mehr so, wie es früher der Fall gewesen sei, mit der Sozialen Marktwirtschaft bewältigen lassen. Immer mehr Menschen folgern daraus, dass der Staat jetzt viel entschlossener eingreifen müsse als früher – entweder, um die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft zu verbessern, oder, um die Probleme unmittelbar zu lösen, die in der Marktwirtschaft ungelöst bleiben. Freilich fragen dabei auch manche, was von einer Marktwirtschaft übrig bleibt, wenn sich der Staat in marktwirtschaftliche Prozesse einklinkt oder wenn die Marktwirtschaft für politisch festgesetzte Ziele instrumentalisiert wird. Einige verweisen zudem darauf, dass staatliche Eingriffe häufig wirkungslos und manchmal sogar die Ursache von Fehlentwicklungen waren.

Der Stand der Debatte lässt sich so zusammenfassen: Derzeit herrschen in Deutschland sowohl gegenüber der Marktwirtschaft als auch gegenüber staatlichen Interventionen Vorbehalte. Im Konkreten heißt das: Die Bevölkerung ist gespalten. Einerseits gibt es viele Vertreter der Marktwirtschaft. Deren Plädoyers für mehr Marktwirtschaft werden jedoch in der Regel mit Hinweisen auf vermeintliche Schwächen der Marktmechanismen zurückgewiesen. Andererseits gibt es viele, die stärkere Staatseingriffe verlangen. Aber auch deren Vorschläge werden meistens als nicht Erfolg versprechend abgelehnt. – Einige vertrauen mehr dem Markt, andere mehr dem Staat. Die meisten davon und viele andere vertrauen keinem vorbehaltlos, weil beide die Erwartungen enttäuscht haben, die in sie gesetzt wurden.

b) Fragwürdige Maßstäbe

Unentschlossenheit und permanentes Zweifeln sind die Hauptkennzeichen der gegenwärtigen Debatten um die Wirtschaftsordnung in Deutschland. Viele meinen, dieses Schwanken könne nur durch den ernsthaften Versuch überwunden werden, die Aufgabenverteilung zwischen Markt und Staat angesichts der aktuellen politischen Herausforderungen neu zu bestimmen. Es müsse ermittelt werden, worin die Überlegenheit der Marktwirtschaft in der gegenwärtigen Situation eigentlich noch besteht und wo die Schwächen der Marktwirtschaft liegen. Und dort, wo solche Schwächen festgestellt werden, müsse geklärt werden, ob und inwieweit sie durch staatliche Maßnahmen ausgeglichen werden können.

Diese Fragen lassen sich aber nicht so einfach beantworten, denn nötig wäre hierfür ein wirklichkeitsnahes Verständnis vom Wesen und der Funktion der Marktwirtschaft. Das heißt vor allem: Feststellungen, die sich aus der weithin üblichen Gegenüberstellung von freier Markt- und staatlicher Planwirtschaft ergeben, sind hierfür ungeeignet, denn bei diesem Denkansatz wird von der Wirtschaftswirklichkeit abstrahiert und auf der einen Seite unterstellt, dass es sich bei jeder realisierten Marktwirtschaft um ein idealtypisches System handelt: um ein System, das in jedweder Situation lehrbuchgemäß, das heißt, ohne jede Regulierung durch den Staat perfekt funktioniert. Auf der anderen Seite – für die Planwirtschaft – wird entsprechend angenommen, dass auch der Staat idealtypisch handelt, indem er seine Planziele mit Gesetzen, Verordnungen, Kontrollen und Strafen durchzusetzen sucht.

In der Wirklichkeit waren und sind diese Idealtypen nirgendwo anzutreffen. Markt und Staat sind in der Wirklichkeit immer eng miteinander verwoben. Selbst dort, wo eine Marktwirtschaft neu eingeführt wird, werden oft staatliche Maßnahmen beschlossen, die dem marktwirtschaftlichen Ideal widersprechen. So geschah es beispielsweise Anfang der 1990er Jahre bei der Vereinigung Deutschlands, als der Fonds Deutsche Einheit geschaffen und sein Volumen alsbald drastisch erhöht wurde5 und als angesichts der wachsenden Furcht vor einer lange Zeit fortbestehenden, enttäuschenden Entwicklung in den neuen Bundesländern der Plan „Aufbau Ost“6 entworfen wurde, mit dem der Staat Sanierungsprojekte ausgeschrieben, die erforderlichen Arbeiten vergeben und sie überwiegend aus neu erhobenen Steuern finanziert hat.

Dieses Verfahren, bei dem der Staat geplant und die Wirtschaft die ihr zugedachten Aufgaben übernommen und durchgeführt hat, war ohne Zweifel eine Art Aufgabenverteilung zwischen Markt und Staat. Optimal konnte sie nicht gewesen sein, denn – wie schon gesagt – der erwartete Erfolg blieb bis zum heutigen Tage aus. Zudem geschahen beklagenswerte Pannen. Viele waren auf Fehleinschätzungen der Treuhandanstalt zurückzuführen, die beispielsweise lebensfähige Betriebe an Investoren verkauft – besser gesagt: Interessenten übergeben hat, denen nur daran lag, die Konkurrenten „platt zu machen“.7 Zur Rechtfertigung solcher Pannen konnte oft nur auf die immense Größe der Aufgabe, auf die schwierigen Umstände und auf die...

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