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Luther

Reformator wider Willen

AutorHeinz Zahrnt
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783492976961
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Wir sollen Luther weder als Kirchenvater, als ?ewigen Deutschen?, als Vorkämpfer für moderne Geistesfreiheit oder als Schöpfer der deutschen Schriftsprache verehren noch ihn als Erzketzer, Glaubensspalter oder Fürstenknecht verachten lassen. Was wir brauchen ist ein Luther ohne Legende.« Mit diesen Sätzen umreißt Heinz Zahrnt das Anliegen seines Luther-Buches. Er will den Reformator in seiner Zeit zeigen und damit den Blick freigeben auf einen Luther für unsere Zeit. Die einsamen, ganz und gar persönlichen Kämpfe des unbekannten Augustinermönchs in seiner Zelle haben in einzigartigen Weise »Geschichte gemacht«. Sie haben nicht nur die Kirche erneuert, sie haben das Gesicht der Welt verwandelt. Zum Reformationsjubiläumsjahr 2017 wieder bei Piper Edition erhältlich.

Heinz Zahrnt, geboren 1915 in Kiel und 2003 gestorben, galt als der große alte Mann der protestantischen Theologie. Er war von 1948 bis 2000 theologischer Chefredakteur des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts und seit 1960 im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor.

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Leseprobe

Durchbruch zur reformatorischen Erkenntnis


Martin Luther hat sein Leben in Eisleben begonnen und beendet. Er ist dort am 10. November 1483 geboren und am 18. Februar 1546 gestorben. Beide Male war sein Aufenthalt nur von kurzer Dauer, fast zufällig. Bei seiner Geburt hatten seine Eltern, auf der Suche nach einem besseren Auskommen, in Eisleben nur Zwischenstation gemacht und waren schon im folgenden Frühjahr nach Mansfeld übergesiedelt. Vor seinem Tod aber war Luther nur nach Eisleben gekommen, um einen Erbstreit zwischen den Grafen von Mansfeld schlichten zu helfen, diesmal hochgefeiert und ehrenvoll eingeholt von über 100 Reitern.

Ein sozialer Aufsteiger


In den dazwischenliegenden 62 Jahren hatte Luther es zu etwas gebracht – wie sein Vater es sich gewünscht, so jedoch nicht gedacht hatte. Er hatte nicht fleißig die Rechte studiert und war kein gutsituierter Beamter geworden, sondern hatte leidenschaftlich nach der Rechtfertigung des Menschen vor Gott gefragt und dadurch einen festen Grund für sein eigenes Leben gefunden und gleichzeitig eine gründliche Änderung der Welt bewirkt. Luther hat selbst später darüber gesagt:

»Daß ich Baccalaureus und Magister wurde, dann das braune Barett ablegte, andern überließ und Mönch wurde, damit freilich Schande einlegte, was meinen Vater bitter verdroß –, und daß ich dann trotzdem dem Papst in die Haare geriet und er mir wieder, daß ich eine entlaufene Nonne zum Weibe nahm–, wer hat das in den Sternen gelesen? Wer hätte mir das vorausgesagt?«

Heute würden wir Luther als sozialen Aufsteiger bezeichnen — der erste »Akademiker« in seiner Familie. Er selbst hat gern betont, daß er einem alten Bauerngeschlecht entstamme und eines Bauern Sohn sei, aber genaugenommen ist er bereits ein Bürgersohn gewesen und hat sein ganzes Leben in städtischer Umgebung zugebracht. Weit stärker als seine Herkunft hat ihn sein Beruf geprägt: das Kloster, die Universität und die Kirche.

Luthers Vater, als älterer Sohn nach geltendem Recht nicht erbberechtigt, hat vom väterlichen Erbzinshof abziehen müssen und ist in den Kupferbergbau gegangen, das damals modernste Gewerbe. Durch Fleiß und Sparsamkeit hat er sich im Mansfeldischen vom einfachen, armen Hauer allmählich zum Kleinunternehmer emporgearbeitet und ist dabei, nicht ohne Rückschläge, zu mäßigem Wohlstand gelangt. Bei seiner Immatrikulation an der Erfurter Universität wurde Luther als »vermögend« (in habendo) eingestuft, und zur Primiz seines Sohnes erschien der Vater mit 20 Reitern in Erfurt und stiftete 20 Gulden für die Klosterküche. Nach seinem Tod hinterließ Hans Luther 1250 Goldgulden, was etwa dem Wert von zwei kleineren Bauernhöfen entsprach.

Dieser mühevolle wirtschaftliche und soziale Aufstieg des Vaters hat die Atmosphäre in Martin Luthers Elternhaus geprägt. Es ging in ihm rechtschaffen, bescheiden und sparsam zu. Zwar herrschte keine Armut, aber ein nüchterner Erwerbssinn. Immerhin galt es insgesamt neun Kinder durchzubringen. Dafür mußten Mann und Frau schon hart arbeiten, zumal wenn man vorankommen wollte. Luther über seine Eltern:

»Mein Vater ist in seiner Jugend ein armer Häuer gewesen. Die Mutter hat all ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen. So haben sie uns erzogen. Sie haben harte Mühsal ausgestanden, wie sie die Welt heute nicht mehr ertragen wollte.«

Die Erziehung war streng, »bis zur Verschüchterung«, wie Luther sich erinnert. Er wurde von seiner Mutter einmal um einer einzigen Nuß willen geprügelt, »bis Blut floß«, und von seinem Vater ein andermal so sehr, daß er »vor ihm floh und ihm bange war«. Aber dies waren nur die üblichen Erziehungsmethoden der Zeit, im Hause der Luthers nicht strenger als anderswo. Ihre Maxime lautete: Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es – wie Gott es mit den Menschen tut.

Dennoch hat die These, daß Luthers lebenslanges Ringen mit Gott in seiner Vaterbeziehung begründet gewesen sei, er also nur seine Angst vor dem leiblichen Vater auf Gott übertragen habe, keinen zureichenden biographischen Grund. Es war eben allgemein eine patriarchalische Zeit, in der der »Vater« herrschte – im Himmel wie auf Erden. Da konnten der irdische und der himmlische Vater wohl aneinanderrücken, ohne jedoch deckungsgleich zu werden. Wahrscheinlich haben es später manche Pastorensöhne schwerer gehabt als Martin Luther, ihren leiblichen Vater auf der Kanzel und den von diesem verkündigten himmlischen Vater auseinanderzuhalten. Als Luther infolge seines Mönchsgelübdes in Konflikt mit seinem Vater geriet, da hat er sich bewußt gegen den Vater, für Gott entschieden und gerade dadurch seine Identität gefunden.

In Luthers Elternhaus herrschte eine durchschnittliche Religiosität. Man hielt sich zur Kirche, wie wir heute sagen würden, aber man war nicht besonders fromm. Eher noch fürchtete man sich unter den Bergleuten vor allerlei heidnischem Spuk, vor bösen Geistern, Kobolden, Hexen, besonders aber vor dem Teufel. Dieser heidnische Aberglaube verband sich mit einer aufs Praktische gerichteten Lebenshaltung. Beides sollte Luther sein Leben lang beibehalten, die Angst vor dem Teufel und die Vorliebe für praktische Spruchweisheit.

Dem tüchtigen, aufstrebenden Sinn des Vaters entsprach es, daß er für eine gute Ausbildung seines ältesten Sohnes Martin Sorge trug – er sollte später im Leben einmal eine gute Stellung erreichen. Schon früh, mit sieben oder gar schon fünf Jahren, hat Luther die Schule besucht, zunächst sieben Jahre daheim in Mansfeld, sodann ein Jahr in Magdeburg und schließlich drei bis vier Jahre in Eisenach. Die mittelalterlichen Schulen waren vor allem Lateinschulen mit einem handfesten Drill. Der Wissensstoff wurde durch Auswendiglernen eingepaukt – und dies mit vielen Prügeln. Luther erinnerte sich später daran als an »Hölle und Fegfeuer«, mit »viel Zittern, Angst und Jammer«:

»Ein Teil der Lehrer war grausam wie die Henker. So wurde ich einmal vor Mittag fünfzehnmal gestrichen ohne alle Schuld, denn ich sollte deklinieren und konjugieren und hatte es doch noch nicht gelernt.«

Was Luther der Schule vor allem verdankte, war das Erlernen eines flüssig gesprochenen Lateins – für ein Studium damals die unerläßliche Voraussetzung. Alles in allem blieb, was die Schule Luther mitgab, im Horizont der mittelalterlichen Bildung.

Mindestens so wichtig wurde während seiner Schulzeit für Luthers Entwicklung, was er außerhalb der Schule lernte: die erste Begegnung mit einer warmherzigen, lebendigen Frömmigkeit. In Magdeburg waren es die »Nullbrüder«, das heißt die »Brüder vom gemeinsamen Leben«, deren verinnerlichte, auf die religiöse Praxis gerichtete Laienfrömmigkeit ihn beeinflußte. Zudem beeindruckte ihn dort, freilich eher in die gegenteilige Richtung weisend, die ausgemergelte Gestalt des Fürsten von Anhalt, der als Barfüßermönch mit dem Bettelsack auf dem Rücken durch die Straßen ging: »Wer ihn ansah, der schmatzte vor Andacht und mußte sich seines [eigenen] Standes schämen.«

In Eisenach fand Luther Unterkunft und Freitisch bei den miteinander verwandten Patrizierfamilien Schalbe und Cotta, die dem jungen Scholaren vermittelten, was er in seinem Elternhaus nur wenig empfangen hatte: häusliche Wärme, heitere Geselligkeit und vor allem eine lebendige Frömmigkeit. Zudem nahm sich der freundliche Stiftsvikar Johannes Braun seiner an, der eine Art Schülerbibelkreis um sich scharte. An seine Zeit in Eisenach hat Luther stets gern zurückgedacht. Wie andere Schüler, und zwar nicht nur die ärmeren, hat auch er dort als »Partekenhengst« um Brot vor den Häusern der Bürger gesungen:

»Ich bin auch ein solcher Partekenhengst gewesen und habe das Brot vor den Häusern genommen, besonders zu Eisenach, in meiner lieben Stadt, obwohl mich später mein lieber Vater mit aller Liebe und Treue auf der Hohen Schule zu Erfurt versorgte und mir durch seinen sauren Schweiß und Arbeit dahin geholfen hat, wohin ich gekommen bin. Trotzdem bin ich ein Partekenhengst gewesen.«

Alles in allem hat Luther eine normale Kindheit und Schulzeit verlebt, in der nichts auf Außerordentliches hindeutet, weder auf besonders große Ängste noch auf religiöse Übertreibungen, schon gar nichts auf Krankhaftes. Er mag sensibel gewesen sein, aber er war normal, überdies gut vorbereitet auf das vom Vater für ihn vorgesehene Studium.

Im Frühjahr 1501 bezog Luther die Universität Erfurt. Über zehn Jahre seines Lebens, 1501–12, hat Luther, nur mit kurzen Unterbrechungen, in Erfurt verbracht, aber im Gegensatz zu Eisenach hat er die Stadt nie geliebt. Warum er gerade die Universität Erfurt gewählt oder sein Vater sie für ihn ausgesucht hat, ob wegen der geographischen Nähe zu Mansfeld oder wegen ihrer berühmten juristischen...

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