Im vorherigen Kapitel wurden Verwertungslösungen im Rahmen einer Insolvenz diskutiert und damit in erster Linie die Phase der Post-Insolvenz betrachtet. Der Debt-Equity-Swap wird jedoch vorrangig zur Bilanzsanierung vor Eintritt in die Insolvenz eingesetzt, um eine Überschuldung zu vermeiden. Diese Tatsache sowie weitere Aspekte der Pre-Insolvenz werden nun im Hauptteil dieser Arbeit behandelt. Für den Debt-Equity-Swap als Finanzierungsquelle in der Krise wird im Folgenden eine finanztheoretische Untersuchung vorgenommen und Möglichkeiten einer kostenoptimalen Aufteilung von Fremd- und Eigenkapital diskutiert.
Bei verschiedenen Ansätzen zur Bestimmung der optimalen Kapitalstruktur von Unternehmen ist die Frage relevant, ob bei gegebenem Kapitalvolumen etwa durch Veränderung des Verschuldungsgrades die gewichteten Gesamtkapitalkapitalkosten (WACC) verringert und damit ceteris paribus der Marktwert des Unternehmens erhöht werden kann. Eng damit verbunden ist der Gedanke, ob Finanzierungsentscheidungen, die das Kapitalvolumen verändern, derart getroffen werden können, dass sich die Kapitalkosten insgesamt verringern und der Unternehmenswert gesteigert werden kann. In einer vielbeachteten Arbeit zeigen Modigliani und Miller (1958) mit Hilfe eines Arbitrage-Arguments, dass die Wahl der Kapitalstruktur keinen Einfluss auf den Marktwert eines Unternehmens hat, und eine Steigerung des Unternehmenswertes nur durch Dispositionen im leistungswirtschaftlichen Bereich erfolgen kann[64]. Allerdings lässt sich diese Irrelevanz der Kapitalstruktur nur unter den sehr restriktiven Annahmen eines vollkommenen Kapitalmarktes ableiten.
Vor diesem Hintergrund hat sich die sog. statische Trade-Off-Theorie der Kapitalstruktur entwickelt, welche zusätzlich Marktunvollkommenheiten modelliert. In der Literatur häufig thematisierte Einflussgrößen sind zusätzliche Auszahlungen an Dritte wie z.B. Steuerzahlungen auf Unternehmens- (Modigliani und Miller, 1963) und Investorenebene (Miller (1977); De Angelo/ Masulis (1980)), Insolvenzkosten (Scott (1976)) oder Transaktionskosten (Fischer/ Heinkel/ Zechner (1989)). Im Hinblick auf die Durchführung des Debt-Equity-Swaps werden an dieser Stelle die Steuereffekte zwar angeschnitten, jedoch der Fokus auf die Untersuchung von Insolvenzkosten gelegt. Diese werden zudem in den meisten Studien zur Beurteilung des Sanierungserfolgs als vorrangiges Erfolgsmaß verwendet.
Die Trade-Off-Theorie nimmt an, dass sich durch die entgegengesetzten Auswirkungen von Steuereffekten und Insolvenzkosten eine optimale Kapitalstruktur ergibt. Dies basiert auf der Überlegung, dass zu versteuernde Gewinne um Fremdkapitalzinsen reduziert werden und der Unternehmenswert maximiert wird, wenn jene Kapitalstruktur realisiert ist, die den geringsten Steuerabfluss nach sich zieht. Zugleich erhöht ein steigender Verschuldungsgrad die Wahrscheinlichkeit, dass eine Situation mit finanziellen Schwierigkeiten oder gar eine Insolvenz eintritt, wobei nicht das Insolvenzrisiko als solches, sondern die mit einer möglichen Insolvenz verbundenen Kosten als Mittelabflüsse für die Kapitalgeber den Steuerwirkungen gegenübergestellt werden[65]. Diese beiden gegenläufigen Effekte können zu einer optimalen Kapitalstruktur führen, im Rahmen derer die gewichteten Gesamtkapitalkosten minimiert werden und der Unternehmenswert maximiert wird (Abb. 3.1). In der Praxis lässt sich ein solcher Zielverschuldungsgrad i.d.R. nur als Intervall und nicht als genau definierter Punkt bestimmen[66].
Abb. 3.1: Trade-Off-Theorie der optimalen Kapitalstruktur[67]
Vor diesem finanztheoretischen Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein erfolgreicher Einsatz des Debt-Equity-Swaps im Zuge der Neuordnung der Kapitalstruktur dazu beiträgt, die Insolvenzkosten in hohem Maße bzw. vollständig zu vermeiden und durch einen gewählten geeigneten Verschuldungsgrad den Unternehmenswert zu steigern. Hierfür werden im Folgenden die Insolvenzkosten und deren Auswirkungen auf die Kapitalstruktur untersucht.
Die Insolvenzkosten setzen sich aus zwei wesentlichen Faktoren zusammen: einerseits aus der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenzsituation und andererseits aus der Höhe der bei Insolvenz anfallenden Kosten. Für erstgenannten Faktor ist die Ermittlung von präzisen Insolvenzprognosen für Eigentümer, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Wirtschaftsprüfer, sonstige Geschäftspartner eines Unternehmens und vor allem für Banken von hoher Bedeutung, da sie bei Unternehmensinsolvenzen regelmäßig erhebliche Schäden zu verzeichnen haben.
Insolvenzprognoseverfahren bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Unternehmen innerhalb eines festgelegten Zeithorizonts – typischerweise innerhalb eines Jahres – insolvent gehen. Aus Sicht einer Volkswirtschaft werden leistungsfähige Insolvenzprognoseverfahren sowohl als wichtige Voraussetzung für die Stabilität des Bankensystems gesehen als auch dafür, mit risikoadäquaten Kreditkonditionen Kreditnehmer zu einem anreizkompatiblen, risikobewussten Verhalten zu motivieren[68]. Der Stand der Wissenschaft in der Insolvenzprognoseforschung ist durch eine außerordentliche Methodenvielfalt gekennzeichnet, wobei der Hauptgrund dafür im Fehlen eines derzeit allgemein akzeptierten, umfassenden theoretischen Fundaments zur Erklärung von Unternehmensinsolvenzen liegen dürfte[69]. Ferner kommt hinzu, dass im Vorhinein keines und im Nachhinein nur wenige der Verfahren - die sich häufig bereits in anderen Kontexten als der Insolvenzprognose bewährt haben - als definitiv ungeeignet oder unterlegen verworfen werden können.
Es lassen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Datenquellen und Datenarten für die Zwecke der Insolvenzprognose heranziehen, deren Aggregation zum Teil unterschiedliche Verfahren bedingen bzw. aus statistisch-technischen Gründen als zweckmäßig erscheinen lassen[70]. Die für die Prognosen relevanten Datenquellen lassen sich einerseits nach der Objektivität ihrer Erhebung (Personen- und Methodenabhängigkeit bzw. objektive und subjektive Ermittlung) sowie danach unterscheiden, ob die entsprechenden Daten originär metrisch skaliert sind oder nicht („quantitative“ vs. „qualitative“ Daten), unterscheiden[71]. In der Praxis beschränken sich viele in wissenschaftlichen Studien vorgestellte Insolvenzprognosemodelle von vornherein ausschließlich auf die Analyse von aus Jahresabschlüssen gewonnenen Kennzahlen. Besonders Ratingverfahren von Banken basieren typischerweise zu erheblichen Teilen auf der statistischen Analyse objektiver quantitativer Informationen[72].
Der zweite bereits erwähnte Einflussfaktor zur Bestimmung der Insolvenzkosten im Sinne der Trade-Off-Theorie stellt die Höhe der Insolvenzkosten dar. Hier kann man die direkten von den indirekten Kosten unterscheiden. Die direkten Insolvenzkosten sind vereinfacht gesagt Verfahrenskosten im Rahmen der Insolvenzabwicklung oder der Liquidation. Hauptbestandteil sind dabei die Gebühren für Insolvenzverwalter, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Investmentbanker, Gutachter, Aktuare. Diese Akteure berechnen die Kosten ihrer Leistungen meist über Stundensätze und am Wert orientiert, den sie im Unternehmen schaffen können. In einer Notlage ist dieser Wert für ein Unternehmen ungleich höher als in einer entspannten Marktsituation, was sich durch steigende Gebühren in der Krise oder schon kurz zuvor negativ bemerkbar macht[73].
Die indirekten Kosten umfassen sowohl die durch die angespannte Lage des Unternehmens ausgelösten negativen Auswirkungen auf Institutionen und Anspruchsgruppen als auch entstehende Opportunitätskosten für das Unternehmen im weiteren Geschäftsverlauf. Die Stakeholder erleiden durch die Notsituation des Unternehmens Verluste aufgrund dreier wesentlicher Gründe: Erstens verlieren ihre Ansprüche oder Wertpapiere wie z.B. Aktien durch den gesunkenen Unternehmenswert meist ebenfalls an Wert. Zweitens geht mit dem gesunkenen Wert der Ansprüche eine reduzierte Verkehrsfähigkeit einher, was den Verkauf erschwert, unattraktiv oder zeitweise komplett unmöglich macht. Der dritte Grund resultiert aus den beiden vorangegangen. Wertverfall der Papiere, verschlechterte Verkaufsaussichten oder veränderte Zahlungsfristen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stimmen nicht mehr mit den ursprünglichen Halteabsichten der Stakeholder bei Investition in ein gesundes Unternehmen überein. Das führt zu erhöhten Transaktionskosten oder Abschlägen beim Verkauf oder einer Behinderung der Geschäftstätigkeit bspw. bei Zulieferern, die kurzfristig Lieferantenkredite gewährt haben und diese nur langfristig getilgt werden können[74]. Weitere indirekte Kosten für das Unternehmen in Notlage entstehen ferner durch erhöhte Refinanzierungskosten durch eine schlechtere Bonitätsbeurteilung seitens der Ratingagenturen bzw. der Kreditinstitute. Außerdem macht sich regelmäßig ein Vertrauensverlust bei Kunden und generell bei Investoren noch Jahre nach der eigentlichen Insolvenz negativ bemerkbar[75]. Diese...