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Macht die Diagnose einer psychischen Erkrankung krank? - Auswirkungen der Diagnose: Selbstbild, Fremdwahrnehmung sowie private und berufliche Konsequenzen

AutorCharlotte Fritsch
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl59 Seiten
ISBN9783958205529
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Macht die Diagnose einer 'psychischen Erkrankung' den Betroffenen erst krank, indem sie ihn für 'krank' erklärt? Wie wirkt sich eine solche Diagnose auf das Selbstbild, auf die Art und Weise, wie andere einen wahrnehmen und behandeln, aus? Zu welchen privaten und beruflichen Konsequenzen kann sie führen? Wird durch sie aus einem vorübergehenden Zustand eine 'chronische Erkrankung' gemacht? - Mit jenen spannenden Fragen setzt sich dieses Buch auseinander, das sich auf zwei offene Interviews mit einer Mutter und ihrem Sohn, die beide im jungen Erwachsenenalter als 'bipolar' diagnostiziert worden sind, stützt. Unter Einbezug des Labeling Approach ('Etikettierungsansatz'), der sozial-konstruktivistischen und systemischen Sichtweise und der Annahme, dass Stigmatisierung zu Selbststigmatisierung führen kann, erfolgt eine hypothesengeleitete Interpretation der Interviewergebnisse. Deutlich wird, dass eine psychiatrische Diagnose mehr Probleme schaffen als lösen kann; führt sie dazu, dass die von ihr Betroffenen nur noch an die Prognose ihrer Diagnose und nicht mehr an sich selbst glauben können.

Charlotte Fritsch wurde 1991 in Weimar geboren. Aufbauend auf ihren Bachelor in Förderpädagogik und Germanistik studiert sie derzeit im Magister Lehramt-Förderpädagogik an der Universität Erfurt. Die Autorin absolvierte bereits 12 Praktika im sozialen, ps

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 2.4, Die Diagnose einer 'psychischen Erkrankung' aus personenbezogener Sicht: 'Personenbezogene Menschenbilder und personenbezogene Erklärungsmodelle menschlichen Verhaltens lokalisieren die Gründe für eine bestimmte Verhaltensweise immer in der Person, die dieses spezifische Verhalten zeigt' (Palmowski 2007, 45). Ein Beispiel für eine stark personenbezogene Sichtweise ist die medizinische, die 'psychische Erkrankungen' häufig mit einer Störung des Gehirnstoffwechsels in Zusammenhang bringt. Aussagen, wie 'Der Signalbotenstoff (Neurotransmitter) Dopamin kommt bei ADHS-Betroffenen seltener im Gehirn vor' (Onmeda-Redaktion 2012) oder 'Bei Depressiven funktioniert der Gehirnstoffwechsel nicht so, wie er funktionieren sollte, was unter anderem dazu führt, dass es am Glückshormon Serotonin mangelt' (Dr. Georg Psota, in Stehrer 2011) demonstrieren diese Sichtweise. Genetische Faktoren würden zur Entstehung 'affektiver Störungen maßgeblich beitragen [...] Familienstudien zeigen eine familiäre Häufung der Erkrankungen, Zwillings- und Adoptionsstudien weisen auf genetische Faktoren als Ursache des familiären Auftretens hin' (Nöthen u.a. 2004, 1). Schenkt man solchen Studien und wissenschaftlichen Untersuchungen - die regelrecht nach Zusammenhängen zwischen 'psychischen Erkrankungen' und einer 'genetischen Vorbelastung' suchen - Vertrauen, so wäre die Chance sich völlig 'normal' zu entwickeln für jemanden der aus einer Familie stammt, in der 'psychische Erkrankungen' bzw. die Diagnose dieser bereits aufgetreten sind, von Geburt an gemindert. Liegt die Störung im Menschen - in der medizinischen Sichtweise im Gehirnstoffwechsel - so kann sie auch nur dort behoben werden (vgl. Palmowski 2007, 47). Nach dieser Logik stellt die Diagnose einer 'psychischen Erkrankung' in vielen Fällen den Ausgangspunkt für eine medikamentöse Behandlung dar - wobei diese dem von der Diagnose Betroffenen kaum andere Optionen lässt, selbst etwas an seinem Zustand zu ändern. Dem ICD-10 - dem Klassifikationssystem, das die Grundlage für die psychologische Diagnostik darstellt - liegen ebenfalls personenbezogene Sichtweisen zugrunde. Anhand von aufgelisteten Symptomen - Defiziten - werden verschiedene 'Krankheitsbilder' beschrieben. Erkennt der Diagnostiker mehrere dieser Symptome bei dem, der von ihm diagnostiziert wird, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass dieser mit der entsprechenden Diagnose versehen wird. Aussagen wie 'Persönlichkeitsstörungen treten meist in der Kindheit oder in der Adoleszenz in Erscheinung und bestehen während des Erwachsenenalters weiter' (ICD-10 2013, F60) oder 'die meisten affektiven Störungen neigen zu Rückfällen' (ebd., F30-F39) suggerieren, dass der Mensch bestimmte Eigenschaften, Veranlagungen oder eine bestimmte Persönlichkeit hat, anhand derer man Prognosen für den weiteren Verlauf erstellen könne, und wenn er diese - isoliert betrachtet - besitzt, bedeutet dies auch, dass seine Möglichkeiten, sich zu verändern begrenzt sind (vgl. Palmowski 2007, 188). Der ICD-10 soll dazu dienen, eine 'psychische Erkrankung' anhand gezeigter Symptome möglichst genau bestimmen zu können, da die Diagnose die Grundlage für die Finanzierung weiterer Hilfsangebote ist - 'Psychotherapeuten, Ärzte und Kliniken müssen gegenüber den Krankenkassen eine ICD-10-Diagnose angeben, damit die Behandlungskosten übernommen werden' (Psychenet 2011). Auch sollen Diagnosen dazu dienen, die Erscheinungsform, Verursachung und Auslösung eines bestimmten Zustandes zu beschreiben, um ein geeignetes Behandlungsprogramm aufzubauen, mit dessen Hilfe Normalität angestrebt werden soll (vgl. Amelang; Schmidt-Atzert 2006, 2) - denn 'um eine psychische Erkrankung behandeln zu können, ist eine genaue Diagnose erforderlich' (Landschaftsverband Rheinland). In jedem Falle stellt die Diagnose einer 'psychischen Erkrankung' in personenbezogenen Theorien den Ausgangspunkt für eine Veränderung des von der Diagnose betroffenen Menschen dar: in kognitiven Therapien durch eine Veränderung der Denkweisen, der Glaubenssätze und Bewertungen; in behavioristischen Therapien durch gezielte Veränderungen des Verhaltens; in psychoanalytischen Therapien durch das Erkennen und die Aufarbeitung des Unbewussten und Verdrängten; in medizinischen Sichtweisen i.d.R. durch eine medikamentöse Behandlung (vgl. Palmowski 2007, 54 ff). 2.5, Die Diagnose einer 'psychischen Erkrankung' aus systemischer Sicht: Anders als bei personenbezogenen Sichtweisen wird im Systemischen nicht davon ausgegangen, dass ein Mensch bestimmte festgelegte Eigenschaften und Charakterzüge oder die eine Identität hat; auch nicht davon, dass er sich in jeder Situation gleich verhält oder gar verhalten muss (vgl. Eggert 1997, 81). Nach diesem Ansatz ist der Mensch nicht so, wie er ist, sondern so, 'wie es die jeweilige Situation, der jeweilige Kontext für [ihn] funktional erscheinen lassen' (Palmowski 2011, 30). Weil davon ausgegangen wird, dass jedes Verhalten in einem sozialen Kontext gelernt wird, so müsse es auch für symptomatisches Verhalten einen Kontext geben, in dem dieses eine Ressource war oder ist (vgl. Hubrig/Peter 2010, 105). Nach dieser Ansicht wäre es wenig sinnvoll, ein auffälliges Verhalten - ein 'Symptom' - isoliert zu betrachten und den, der es zeigt als 'psychisch krank' zu diagnostizieren, denn im systemischen Denken werden Symptome nicht dem Einzelnen zugeordnet, sondern als Beziehungsphänomene gesehen (vgl. Lehrmann 2006, 2). Ebenso wird davon ausgegangen, dass ein Mensch nie total von seinen Problemen beherrscht wird, sondern dass es immer auch Situationen gibt, in denen er sich kompetent verhält, nicht belastet ist (oder von anderen als Belastung empfunden wird) (vgl. Hubrig/Peter 2010, 103). Durch eine Diagnose, die besagt, dass der Mensch 'krank' ist, könnte schnell der Eindruck entstehen, dass dies für alle Lebensbereiche und alle Situationen gilt, weil eine solche Aussage als statisch, als seine Eigenschaft zu verstehen ist. Wird im ICD-10 bspw. als Symptom der 'emotional instabilen Persönlichkeit' angegeben, dass diese 'eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen' hat (ICD-10 2013, F60.3), so würde man im Systemischen fragen, in welchen Situationen, gegenüber welchen Personen sich dieser Mensch 'streitsüchtig' zeigt und welche Rolle dieses Verhalten innerhalb dieses Beziehungskomplexes spielt, welche Regelkreise und impliziten Spielregeln diesem Verhalten zugrunde liegen könnten (vgl. Palmowski 2011, 33). Würden Probleme nur in bestimmten Kontexten auftreten, so würden diese auch überflüssig werden, wenn sich die belastenden Kontexte - und nicht nur der Einzelne - ändern. Eine Diagnose könnte in diesem Fall immer nur für den jeweiligen Kontext gestellt werden, in dem sich als 'krank' oder 'unangemessen' verstandene Verhaltensweisen zeigen (vgl. Palmowski 2011, 103/ 2007, 188). Gesucht wird in systemischen Theorien also nicht nach einem Etikett, das versucht die Symptome, die ein Mensch vielleicht zeigt, auf einen Begriff zu reduzieren; sondern nach Bedingungen, die diese Symptome aufrechterhalten (vgl. ebd. 2007, 176). Erinnert man sich an den 'Labeling Approach', so könnte die Diagnose selbst eine aufrechterhaltende Bedingung darstellen. Ein Grund dafür, dass 'psychiatrische Diagnosen und Klassifikationen wie DMS, ICD und MAS [...] von vielen systemischen Therapeuten als für Menschen und Therapie schädlich empfunden und daher abgelehnt [werden]', wie Winfried Palmowski Spitczok von Brisinski (1999, 43) zitiert (2007, 190).
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