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E-Book

Mädchen und Jungen in Schule und Unterricht

AutorLeonie Herwartz-Emden, Verena Schurt, Wiebke Waburg
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl138 Seiten
ISBN9783170235427
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Im aktuellen, auf Jungen als sogenannte ''Bildungsverlierer'' ausgerichteten gesellschaftlichen Diskurs bleiben Mädchen meist außen vor. Dieses Lehrbuch widmet sich im Gegensatz dazu aus wissenschaftlicher Sicht der Situation beider Geschlechter im schulischen Kontext und fragt danach, wie es gelingen kann, Schülerinnen und Schüler - auch und gerade hinsichtlich der kulturellen und sprachlichen Heterogenität - angemessen zu fördern. Auf Basis aktueller Daten und Studien liefert der Band Analysen zur schulischen Situation von Mädchen und Jungen und zeigt Potenziale zur Förderung von Heranwachsenden in einer geschlechtergerechten und interkulturellen Schule auf.

Prof. Dr. Leonie Herwartz-Emden ist Universitätsprofessorin für die Pädagogik der Kindheit und Jugend an der Universität Augsburg, Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät, und Geschäftsführende Direktorin des Zentralinstituts für Didaktische Forschung und Lehre. Dr. Verena Schurt und Dr. Wiebke Waburg sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut bzw. im Fachgebiet.

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Leseprobe

2 Bildungskarrieren und formale Qualifikation


Im Zentrum dieses Kapitels steht die Frage danach, wie sich – vor dem Hintergrund der aktuellen Datenlage – die Situation von Mädchen und Jungen, jungen Frauen und Männern in der Schule, im Ausbildungsbereich und an der Schwelle zum Berufsleben gestaltet, welche Risiken an den Übergängen zwischen den Bildungsphasen bestehen und welcher Art die Einschränkungen in den Verwirklichungschancen sind (vgl. dazu auch BMFSFJ, 2011). Zunächst gehen wir auf Geschlechterunterschiede im Verlauf von Schulkarrieren (Kap. 2.1), in Qualifikationen, d. h. Bildungsbeteiligung und Schulabschlüssen (Kap. 2.2) sowie Leistungen, Kompetenzen und motivationalen Merkmalen (Kap. 2.3) ein. Anschließend richtet sich der Blick auf die Bildungswege von jungen Frauen und Männern nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule, und hier insbesondere auf den Übergang in eine Berufsausbildung bzw. in ein Studium (Kap. 2.4). Der fünfte und letzte Unterpunkt ist einem nicht zu vernachlässigenden Aspekt gewidmet, der in vielschichtiger Weise mit Geschlecht verwoben ist – dem Migrationshintergrund (Kap. 2.5).

Mit der für die Darstellung gewählten Perspektive konzentriert sich die Aufmerksamkeit besonders auf geschlechtsbezogene Differenzen. Allerdings ist angesichts der relativ unbestimmten und groben Unterscheidung zwischen „den“ Mädchen/Frauen und „den“ Jungen/Männern, wie auch wir sie aufgrund der vorliegenden Daten1 letztlich treffen, zugleich die Warnung vor vorschnellen und zu kurz greifenden Schlussfolgerungen verbunden. Bildungsverläufe resultieren aus einem multiplen Zusammenspiel verschiedenster und auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelter Einflussfaktoren, wie z. B. Barbara Rendtorff (2011) betont (und was in Kap. 3 weiter ausgeführt wird). Das heißt, das komplexe Wirkungsgeflecht, in das die nachfolgend dargestellten Eckdaten eingebettet sind, ist prinzipiell immer mitzudenken – auch wenn die Ausführungen im Endeffekt durch eine „gender only“-Perspektive gekennzeichnet sind, da in dem zugrundeliegenden Datenmaterial, das überwiegend aus statistischen Berichten und Auswertungen besteht, die Dimensionen der Geschlechterdifferenz und der sozialen Ungleichheit nur vereinzelt ausgewiesen werden.

2.1 Verlauf von Schulkarrieren


Wir wenden uns zunächst dem Verlauf von Schulkarrieren zu, wobei ein Schwerpunkt auf der Übergangspassage vom Elementar- in den Primarbereich bzw. von der Primar- in die Sekundarstufe I liegt. In diesem Zusammenhang besonders interessant sind die Zeitpunkte der Einschulung, die Übertrittsempfehlungen und die Klassenwiederholungen.

2.1.1 (Nicht-)Einschulungen


In Deutschland setzt die Schulpflicht für Kinder in der Regel in dem Jahr ein, in dem sie das sechste Lebensjahr an einem bestimmten, bundeslandspezifisch festgelegten Stichtag vollendet haben (KMK, 2011). Die Einschulung, das heißt, die Aufnahme in die erste Jahrgangsstufe der überwiegend vier- bzw. in Berlin und Brandenburg sechsjährigen Grund-/Primarschule, kann fristgemäß, aber auch vorzeitig (bei nach dem jeweiligen Datum Geborenen) oder verspätet (bei vor dem Regelstichtag Geborenen) erfolgen. Eigentlich schulpflichtige Kinder werden dann zurückgestellt und erst im darauffolgenden Schuljahr eingeschult, wenn sie als noch nicht „schulfähig“ gelten (ebd.; Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2008). Offensichtlich bestehen dabei, was den Zeitpunkt der Einschulung anbelangt, Unterschiede in der Geschlechterverteilung (vgl. Tab. 2.1).

Tab. 2.1: (Nicht-)Einschulungen im Schuljahr 2010/2011 nach Geschlecht (Statistisches Bundesamt, 2011b)

(Nicht-)Einschulungen

Verteilung nach Geschlecht

Verteilung in der jeweiligen Gruppe

Einschulungen

insgesamt*

Jungen*

Mädchen*

Jungen*

Mädchen*

insgesamt

100,0**

51,5

48,5

100,0**

100,0**

vorzeitig

4,5

40,3

59,7

3,5

5,6

fristgemäß

87,3

51,2

48,8

86,7

88,0

verspätet

7,5

61,9

38,1

8,9

5,9

Nichteinschulungen

insgesamt*

Jungen*

Mädchen*

Jungen*

Mädchen*

insgesamt

100,0**

63,9

36,1

100,0

100,0

Rückstellungen

99,8

63,9

36,1

99,8

99,7

Befreiungen

0,2

56,2

43,8

0,2

0,3

* alle Angaben in %; ** Abweichungen zu 100 % aufgrund fehlender Werte („keine Angabe“; „sonstige“)

Von den 707 458 bundesweit verzeichneten Einschulungen im Schuljahr 2010/2011 sind 4,5 % vorzeitig, 87,3 % fristgerecht und 7,5 % verspätet erfolgt (Statistisches Bundesamt, 2011b). Wird der Fokus auf die Häufigkeitsverteilungen entlang der Geschlechtszugehörigkeit gelegt, gibt es unter den 31 895 vorzeitig eingeschulten Erstklässler(inne)n mehr Mädchen (59,7 %) als Jungen (40,3 %), während sich die 52 727 „verspäteten“ Anfänger/innen in einen größeren Teil männliche (61,9 %) und einen kleineren Teil weibliche (38,1 %) Grundschüler/innen untergliedern. Hinsichtlich der 617 787 fristgemäßen Aufnahmen ist das Verhältnis (mit 51,2 % Jungen und 48,8 % Mädchen) dagegen relativ ausgewogen. Betrachtet man die jeweiligen eingeschulten Gruppen, sind von den 342 794 Schülerinnen 5,6 % vorzeitig, 88,0 % fristgerecht und 5,9 % verspätet sowie von den 364 664 Schülern 3,5 % vorzeitig, 86,7 % fristgerecht und 8,9 % verspätet in die erste Jahrgangsstufe aufgenommen worden. Das heißt, im Bereich der vorzeitigen Einschulungen zeichnet sich eine leichte Überrepräsentanz von Mädchen, auf Ebene der verspäteten Einschulungen dagegen ein Überhang an Jungen ab (ebd.).

In Bezug auf die 41 837 Nichteinschulungen aufgrund von Rückstellungen und Befreiungen ist dementsprechend eine umgekehrte Tendenz festzustellen: Hier übersteigt der Anteil an männlichen Kindern (63,9 %) den an weiblichen Kindern (36,1 %). Richtet sich das Augenmerk auf die jeweiligen nicht eingeschulten Gruppen, sind allerdings in etwa gleich viele Heranwachsende von einer Zurückstellung (99,7 % der Mädchen und 99,8 % der Jungen) bzw. von einer Befreiung (0,3 % der Mädchen und 0,2 % der Jungen) betroffen. Dieser für Gesamtdeutschland dargestellte Trend zeigt sich in allen Bundesländern, allerdings in zum Teil sehr unterschiedlichem Ausmaß (vgl. ausführlicher dazu Statistisches Bundesamt, 2011b).

Die Beobachtung, dass diejenigen, die zu einem frühen Zeitpunkt in die Grundschule starten, überwiegend Mädchen sind, während ein etwas größerer Teil der Jungen seine schulische Karriere mit einjähriger Verspätung beginnt, ist kein neues Phänomen, sondern bereits seit längerer Zeit zu registrieren und lässt sich mit den Daten des Statistischen Bundesamtes zumindest bis zu den Anfängen der 1990er Jahre zurückverfolgen. Dabei lagen von 1992 bis 2010 der Mädchenüberhang unter den vorzeitig Eingeschulten und der Jungenüberhang unter den verspätet Eingeschulten zwischen 1 % und 4 % (ebd.).

2.1.2 Übertrittsempfehlungen


Nicht nur beim Eintritt in das bundesdeutsche Schulsystem sind tendenzielle Ungleichheiten zwischen...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Inhalt8
Geleitwort6
Vorwort10
Einleitung12
1 Schule und Geschlecht in Deutschland – Eckpunkte der Debatte16
1.1 Koedukation – Koinstruktion oder Geschlechtergerechtigkeit?17
1.2 Koedukation in der Kritik – der anfängliche Blick auf Mädchen17
1.3 Schule und Geschlecht im Fokus der nachfolgenden Forschung18
1.4 Koedukation in der Kritik – die gegenwärtige Fokussierung auf Jungen19
1.5 Monoedukation – (k)eine Alternative?20
1.6 Aktuelle Zugangsweisen in der Forschung21
2 Bildungskarrieren und formale Qualifikation22
2.1 Verlauf von Schulkarrieren23
2.2 Qualifikationen – Bildungsbeteiligung und Schulabschlüsse28
2.3 Leistungen, Kompetenzen und motivationale Merkmale32
2.4 Ausbildung und Studium41
2.5 Exkurs: Migrantinnen und Migranten in der Schule53
3 Kritische Diskussion: Was trägt zu Qualifikationen bei?56
3.1 Mehr als Qualifikationen, Zertifikate und Leistungen – Personalkompetenz, Wohlbefinden und Lernemotionen56
3.2 Gewinnerinnen und Verlierer?64
4 Entstehungszusammenhänge: Geschlechtsbezogene Sozialisation68
4.1 Sozialisationsbezogene Ansatzpunkte69
4.2 Die interaktive Herstellung von Geschlecht in Schule und Unterricht72
4.3 Jungensozialisation und Konstruktion von Männlichkeit: doing masculinity76
4.4 Mädchensozialisation und MINT-Fächer: doing discipline78
4.5 Feminisierung der Pädagogik82
5 Mädchen- und Jungenförderung85
5.1 Genderkompetenz von Lehrenden und Lernenden87
5.2 Gendersensible Didaktik und Methodik im Zusammenhang mit reflexiver Koedukation und Monoedukation91
5.3 Allgemeines zur Mädchen- und Jungenförderung97
5.4 Mädchenförderung in den MINT-Fächern98
5.5 Jungenförderung104
5.6 Umgang mit Heterogenität, Vielfalt, Diversität115
Literatur120
Stichwortverzeichnis136

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