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E-Book

Männerbilder

Theologisch-praktische Quartalschrift

VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783791761367
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Diese Ausgabe - Heft 2/2018 - begibt sich auf die Suche nach existierenden, wünschenswerten oder zu überwindenden Männerbildern in Kirche und Gesellschaft. Denn es wird um neue Sichtweisen auf und Lebensformen von 'Männlichkeit' gerungen.

Mit Beiträgen von Erich Lehner, Ines Weber, Josef Pichler, Wolfgang Beck, Andreas Rufing, Alexander Yendell und Christoph Theoobald SJ.

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Leseprobe

Erich Lehner

Ringen um Identität: Männlichkeit(en) im Visier


♦ Wenn nach heutigem Forschungsstand „Männlichkeit“ biologisch nicht mehr so eindeutig definierbar ist, sondern auch soziale und kulturelle Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, dann hängt – wie der Autor dieses Beitrags aufzeigt – viel davon ab, in welche Richtung Männlichkeit entwickelt wird, sodass eine Gleichstellung von Mann und Frau gefördert wird. (Redaktion)

Die Geschlechtergeschichte im Allgemeinen und die Geschichtsforschung der Männlichkeit im Speziellen1 zeigt eine Vielfalt von unterschiedlichen Formen das Mannsein zu leben auf. Diese Erkenntnisse haben wesentlich dazu beigetragen, „die Vorstellung stabiler und homogener [Geschlechts- E.L.] Identitäten zu verabschieden und den Blick stattdessen auf Prozesse der subjektiven wie kulturellen Identifikation zu lenken, die instabil, variabel und historisch zu denken sind“2. Die Autoren halten fest, dass „die Veränderlichkeit identitärer Kategorien“ diese „nicht weniger machtvoll“ macht, „da sie die Positionierung von Menschen in einem soziokulturellen Feld, deren Ein- und Ausschlüsse, Hegemonialisierungen und Marginalisierungen beeinflussen“3.

1 Männlichkeit, Muster geschlechtlicher Handlungspraxis


Die Erkenntnisse zu einer Vielfältigkeit gelebter Männlichkeiten stellen essenzialistische Konzepte von Geschlecht zutiefst in Frage. Die Annahme einer naturhaft gesehenen Differenz zwischen den Geschlechtern im Fühlen, Denken und Handeln hält einer kritischen Überprüfung nicht stand.4 Janet S. Hyde unternimmt eine kritische Durchsicht der wichtigsten Meta-Analysen zu den psychologischen Variablen in Bezug auf die Geschlechterdifferenzen und kommt zu dem Schluss: „The striking result is that 30 % of the effect sizes are in the close-to-zero range, and an additional 48 % are in the small range. That is, 78 % of gender differences are small or close to zero.“5 Im Gegensatz zu der gängigen Annahme der Verschiedenheit der Geschlechter ist eher von Ähnlichkeiten der Geschlechter – mit Janet Hyde von einer „Gender Similarities Hypothesis“6 – auszugehen. Darüber hinaus zeigen Menschen mit einem intergeschlechtlichen Körper, dass es selbst auf biologischer Ebene keine Eindeutigkeit in Bezug auf eine Festlegung auf (nur) zwei Geschlechter im Sinne von Mann und Frau gibt. Diesen Personen ist gemeinsam, dass sie einen nicht den „Geschlechternormen“ entsprechenden Körper oder Chromosomensatz haben, sondern in sich Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter in unterschiedlicher Ausprägung vereinen. Anne Fausto-Sterling7 konnte plausibel aufzeigen, dass die Zellen mit den Genen, Chromosomen, Hormonen etc. allein nicht ausreichen, um eine männliche oder weibliche Entwicklung eindeutig vorherzubestimmen. Jedes Gen in einer Zelle braucht für seine Wirkung die systemische Kooperation mit anderen Genen im Rahmen des Organismus. Dieser wiederum ist verbunden mit der Psyche und beide sind eingebettet in menschliche Interaktionen, auf die Kultur und Geschichte einwirken. Anne Fausto-Sterling verwendet für dieses komplexe Zusammenspiel das Bild der russischen Puppe. Die Zelle, der Organismus, die Psyche, die Interaktion, die Kultur und die Geschichte stellen dann jeweils eine einzelne Puppe dar, die wie in einer russischen Puppe aufs engste miteinander verbunden sind und wechselseitig aufeinander einwirken. Sigrid Schmitz8 hält deshalb fest, dass es zwischen Sex und Gender keine Ursache-Wirkungs-Beziehung, sondern nur ein gegenseitiges Wechselspiel gibt. Beide sind untrennbar miteinander verwoben, bedingen und beeinflussen sich gegenseitig und unterliegen beständig wechselseitigen Veränderungsprozessen. Geschlecht, so lässt sich festhalten, ist in diesem Sinn als eine soziale Konstruktion zu verstehen. In ihr kommt der Biologie eine wesentliche, jedoch keine ursächliche Bedeutung zu. Anne Fausto-Sterling sagt: „Sexuality is a somatic fact created by a cultural effect.“9

Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Todd W. Reeser formulieren, dass „Männer nicht aufgrund genetischer Disposition oder einer Veranlagung im Blut männlich [agieren], sondern größtenteils, weil ihre gendered acts Handlungen zitieren oder evozieren, die bereits andere vollführt haben – Handlungen, die im Augenblick Autorität, Bedeutung und Stabilität versprechen“10. Den Bezugsrahmen, in dem diese Handlungen vollführt werden, gibt das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ der australischen Männerforscherin Reawyn Connell ab.11 Sie begreift Männlichkeit als „configuration of gender practice“12.

2 Hegemoniale Männlichkeit


Nach Connell gibt es in unterschiedlichen Kulturen, aber auch in unterschiedlichen Gruppen und Settings einer Kultur vielfältige Formen, Mannsein zu erlernen und zu leben.13 Allerdings, wie Connell betont, gelten diese verschiedenen Formen innerhalb einer Gesellschaft nicht als gleichberechtigt. Sie werden bewertet und sind hierarchisch untereinander verbunden. In Anlehnung an Antonio Gramsci nennt Connell jene Form von Männlichkeit eine „hegemonic masculinity“, die „the dominant position of man und the subordination of women“14 garantiert. Diese hegemoniale Männlichkeit dominiert gleichzeitig auch andere Formen der Männlichkeit, die untergeordnet – beispielsweise homosexuelle Männlichkeiten – oder marginalisiert – beispielsweise ethnische Männlichkeiten – sind.15 Eine weitere Form der Männlichkeit wird als „complicit masculinity“ bezeichnet. Sie erfüllt zwar nicht die Standards einer hegemonialen Männlichkeit, profitiert aber von ihr durch die „patriarchale Dividende“ und stützt sie.16 Ein Beispiel dafür wäre eine männliche Karriere, die dadurch zustande kommt, weil weibliche Mitbewerberinnen aufgrund der Möglichkeit, Kinder zu bekommen, von Vorgesetzten nicht berücksichtigt werden. Ein Großteil der Männer verkörpert diese Form der Männlichkeit.

Michael Meuser verbindet das Konzept der hegemonialen Männlichkeit mit dem Habituskonzept Pierre Bourdieus. Nach Bourdieu werden die Männlichkeitskonstruktionen habituell „konstruiert und vollendet […] in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen“17. In modernen Gesellschaften stellen Ökonomie, Politik, Wissenschaft, religiöse Institutionen, Militär, aber auch Vereine, Clubs, Freundeskreise etc.18 jene den Männern vorbehaltene Räume des Wettbewerbs dar. „Hegemoniale Männlichkeit“ ist nach Meuser „Erzeugungsprinzip eines vom männlichen Habitus bestimmten doing gender bzw. doing masculinity (Hervorhebung im Original)“19. Macht, Dominanz, Wettbewerb, Konkurrenz und Hierarchie werden so zu prägenden Elementen von Männlichkeit. Eine Eigenart männlicher Konkurrenz unter Männern ist jedoch, dass sie nicht nur trennt, sondern auch verbindet. Die Gleichzeitigkeit von Wettbewerb und Solidarität ist ein entscheidendes Kennzeichen männlicher Lebensweise.20 Nach Pierre Bourdieu drückt sich diese paradoxe Form der männlichen Bezogenheit im Gegensatzpaar „Partner – Gegner“21 aus. Zu ergänzen ist noch ein weiteres wichtiges Kennzeichen aktueller Männlichkeitskonstruktionen: männliche Berufstätigkeit. Bezahlte Erwerbsarbeit stellt ein zentrales Element für die Herausbildung männlicher Geschlechtsidentität dar.22

Männlichkeit umfasst in unterschiedlichen Bereichen eine Vielzahl von Formen, Mannsein zu verkörpern. Sie ist keine Eigenschaft individueller Personen. Sie ist vielmehr Handlungspraxis, die in sozialen Interaktionen zwischen Männern und Frauen und unter Männern (re)produziert wird und sich in Institutionen verfestigt.23 Hegemoniale Männlichkeit ist kulturelles Orientierungsmuster, das dem doing gender der meisten Männer zugrunde liegt und die Gestaltung der Beziehung zu Frauen und zu anderen Männern prägt. Männlichkeit ist vor allem als Relation zu sehen. Sie „wird konstruiert und reproduziert in einer Abgrenzung sowohl gegenüber Frauen als auch gegenüber anderen Männern“24. Michael Meuser bezeichnet dies als jene „doppelte Distinktions- und Dominanzlogik“25, auf der die soziale Konstruktion von Männlichkeit basiert.

Männliche Identitätsbildung stellt den einzelnen Mann in einen komplexen Entwicklungsprozess innerhalb eines vielfältigen Beziehungsgeflechts. Männlichkeit wird weder biologisch determiniert noch einfach von Bezugspersonen (Eltern, LehrerInnen …) anerzogen. Carrie Paechter sieht die Konstruktion einer Geschlechtsidentität von Kindern und Jugendlichen vielmehr als Ergebnis von Gruppenprozessen.26 Sie schreibt: „This process of learning to be male or female takes place within loose, overlapping, local communities of masculinity and feminity practice“27. Für Kinder und Jugendliche betont sie die Bedeutung der Familie (die hier...

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