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Märchen: Theorie, Didaktik und Lernziele im Fremdsprachenunterricht

AutorJoanna Rurainski
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl105 Seiten
ISBN9783638244619
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Didaktik - Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, Note: 1,3, Universität Leipzig (Herder-Institut), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Notwendigkeit, Fremdsprachen zu erlernen, wird immer größer. Wir stehen als Menschheit am Beginn eines unendlichen Prozesses der intensivierten interkulturellen Kommunikation. Engere Kontakte zwischen den Kulturen sind aber nur dann möglich, wenn auch die Sprache und Kultur des Ziellandes kennengelernt wird. Der heutige Fremdsprachenunterricht (FSU) steht nun vor der schwierigen Aufgabe, einerseits die fremde Sprache, andererseits zugleich aber auch einen Einblick in die Kultur des Zielsprachenlandes zu vermitteln. Er sollte die kommunikative Kompetenz fördern und dazu beitragen, dass der Schüler die ihm im Unterricht begegnende fremde Welt besser versteht. Von daher ist es sehr wichtig, im fremdsprachigen Unterricht Themen zu besprechen, die an die Lebenserfahrungen der Lernenden anknüpfen. Von Bedeutung ist die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz durch freies und eigenes Sprechen und die Entwicklung der Lese- und Verstehensdidaktik. Eine Möglichkeit dies zu erreichen, bietet der Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht. Von diesen Grundgedanken ausgehend möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit mit dem Einsatz von Märchen und modernen Märchenbearbeitungen im Fremdsprachenunterricht beschäftigen. Um dies zu erreichen, möchte ich im ersten Teil meiner Arbeit zunächst herausarbeiten, was wir unter einem Märchen verstehen, wie wir es definieren und welche Märchentypen existieren. Als ein Beispiel dieser Volkserzählungen werde ich in diesem Teil das Märchen 'Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich' auf Inhalt, Form und Stilistik hin analysieren. Im folgenden Kapitel stelle ich dar, auf welche Resonanz die Grimmschen Märchen heute stoßen. An konkreten Beispielen bekannter, gegenwärtiger Autoren wie Rolf Krenzer und Janosch möchte ich aufzeigen, wodurch sich diese Parodien und Neubearbeitungen von der Grimmschen Fassung unterscheiden und worin Ähnlichkeiten bestehen. Im zweiten Teil meiner Arbeit möchte ich mich mit dem Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht von methodischer Seite her beschäftigen und die durch den Einsatz von Märchen im FSU zu erreichenden Ziele darstellen. Im sich daran anschließenden dritten (praktischen) Teil möchte ich einige Didaktisierungsvorschläge zum Märchen 'Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich' und dessen modernen Bearbeitungen bieten.

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Leseprobe

2 Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht


 

2.1 Pragmatisch- funktionale Konzept


 

In den letzten hundert Jahren spielte Literatur im Fremdsprachenunterricht (im folgenden FSU) nur eine untergeordnete Rolle. Noch in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, in denen das pragmatisch-funktionale Konzept Anwendung fand, waren Alltagstexte diejenige Textsorten, welche im Unterricht besprochen wurden, z.B.: Anzeigen, Formulare (Kast 1994: 5). So gewinnt in den letzten Jahren der Einsatz von Literatur im immer mehr an Bedeutung. (Stern 1985: 11)

 

Im Zentrum jedes fremdsprachlichen Unterrichts stand vor allem die mündliche Kommunikation. Die Fähigkeit, sich in Alltagssituationen zurechtfinden zu können, war das eigentliche Ziel des FSU. Ingrid Doderer vertritt die Meinung, daß diese Fähigkeit tatsächlich Grundlage der Kommunikation und insofern jeglichen FSU sein sollte. Sie unterstreicht aber zugleich, daß die wichtige Fähigkeit des Lesens in diesem Konzept vernachläßigt wurde. Seit etwa 20 Jahren gelangen die Wissenschaftler immer mehr zu der Überzeugung, daß:

 

„[...] durch die allzu einseitige Schulung der Sprechfähigkeit in einer Fremdsprache für den Lernenden alle anderen Möglichkeiten, in eine fremde Kultur einzudringen, in den Hintergrund gerückt werden” (Doderer 1991: 10).

 

Hans Hunfeld ist der Ansicht, daß Alltagstexte zwar fiktionale Texte sind, aber keine literarischen Texte im eigentlichen Sinne. Sie sind trivial und langweilig (Brusch: 1985: 53f.). Die allzu einseitige Orientierung an „Alltagssituationen” und „Alltagsthemen” wurde kritisiert, da die Lernenden keinen unmittelbaren Zugang zu solchen Situationen haben. Ein anderes Problem war, daß die eigenkulturellen Rahmenbedingungen des Lernens, wie z.B. Klima und Schulsystem, kulturspezifische Lerntraditionen und Wertorientierungen bzw. Tabu-Themen nicht genügend oder gar nicht berücksichtigt wurden (Neuner/Hunfeld 1993: 106).

 

2.2 Paradigmenwechsel in der Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik


 

Der Literatureinsatz ist im modernen kommunikativen FSU zu einem wichtigen Bestandteil geworden. Man kann sogar behaupten, daß ohne Literatur ein sinnvoller FSU unmöglich ist. Das Interesse an fremdsprachiger Literatur ist in den letzten Jahren immer größer geworden.

 

Eine besonders große Rolle bei der Anerkennung der Funktion der Literatur im FSU spielten die Rezeptionstheorie in der Bundesrepublik und die „Response theory“ in den USA. Beide Theorien bewiesen, daß literarische Texte, insbesondere das Lesen und Schreiben literarischer Texte, eine wichtige Funktion im FSU erfüllen können (Bredella 1985: 354). Die Ansätze gehen beim Verstehen literarischer Texte von einer fremdkulturellen Perspektive aus. Die von der Rezeptionsästhetik inspirierten neuen Herangehensweisen in der Literaturdidaktik ermöglichen es, die Beförderung kommunikativer Kompetenz mit literarischer Textarbeit zu verbinden (Jakubowska 1994: 141).

 

In der letzten Zeit wird oft von der Rezeptionsforschung und Wiederentdeckung des Lesers gesprochen. Einen entscheidenden Anstoß erhielt die Rezeptionsästhetik in Deutschland durch die Arbeiten „Literaturgeschichte als Provokation“ von Hans Robert Jauß (1992) und den „Akt des Lesens“ von Wolfgang Iser (1994) sowie durch die „Response Theory“ von Stanley Fish in den USA (1980).

 

2.2.1 Märchen aus der Perspektive der Rezeptionsforschung (Fremdkulturelle Kontextperspektive)


 

Im „Akt des Lesens“ wird vom entdeckenden literarischen Konzept gesprochen, nach dem literarische Texte immer wieder neu interpretiert werden können. Wobei es Texte gibt, die sich nie bis ins letzte Detail interpretieren lassen, denn es werden immer wieder neue Aspekte gefunden. Dazu meint Iser: „Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert“ (Iser zitiert nach Onderdelinden 1987: 13).

 

Grundlage jeder literaturwissenschaftlichen, also auch literaturdidaktischen Beschäftigung mit Literatur muß der Lesevorgang und die Kommunikationsorientierung sein. Des Weiteren vertritt er die Ansicht, daß die Intention eines literarischen Textes nie zu Ende formuliert ist und glaubt:

 

„[...], daß literarische Texte wohl in erster Linie nicht deshalb als geschichtsresistent erscheinen, weil sie ewige Werte darstellen, die vermeintlicherweise der Zeit entrückt sind, sondern eher deshalb, weil ihre Strukturen es dem Leser immer wieder von neuem erlauben, sich auf das fiktive Geschehen einzulassen“ (ebd. 14).

 

Der Text besitzt „offene Stellen“ und Aufgabe des Lesers ist es, sie auszufüllen. Iser weist damit auch auf die schöpferische Rolle des Lesers im Textverarbeitungsprozeß hin (ebd. 14). Chrzastowska unterscheidet persönliche und wissenschaftliche Kontexte, die beim Erfüllen der „offenen Stellen“ im fremdsprachigen Text eine große Rolle spielen, d.h. sie beeinflußen das Füllen der „offenen Stellen”. Unter dem persönlichen Kontext versteht sie Lebenserfahrung, Lesehorizont und Welteinstellung.

 

Als wissenschaftlichen Kontext bezeichnet sie den Texthintergrund, zu dem die Biographie des (Text)Autors gehört. In diesem Zusammenhang betont sie, daß literarische Texte als Teil der Literaturgeschichte, als Ausdruck oder Beispiel bestimmter Stile, im Zusammenhang mit ihren Gattungsmerkmalen, in ihrem Verhältnis zu historischer oder sozialer Wirklichkeit betrachtet werden können (Chrzastowska 1987: 56).

 

„Außerdem kommt nicht nur die Leser-Individualität als solche zur Sprache, sondern auch ihre sozio-historische Bedingtheit. Die gesamte literarische Kultur mit ihren charakteristischen Präferenzen, Normen, mit ihrem Geschmack und dem Lesecode gestaltet persönliche Kontexte des Rezipienten, die beim Lesen abgerufen werden” (ebd. 57).

 

Das Dilemma besteht in der Frage, ob „persönliche” oder „wissenschaftliche” Kontexte im fremdsprachigen Literaturunterricht größere Bedeutung haben sollten (ebd. 76). Um diesen Zwiespalt zu lösen, geht die fremdsprachige Literaturdidaktik von der Rezeptionslage eines fremdkulturellen Lesers aus. Diesem fällt es schwer, die historischen, sozialen und kulturellen Zusammenhänge eines Kontexts herzustellen. Ein weiteres Problem bei der fremdsprachigen Lektüre stellt die mangelnde Vertrautheit mit den stilistischen, gattungsbezogenen, thematischen und soziokulturellen Traditionen dar. Ebenso erschwert auch die Fremdheit des fremdsprachigen Textes den Verstehensprozeß. Aber zugleich sollte der Schüler durch die Lektüre der fremdsprachigen literarischen Texte etwas über die Kultur des Zielsprachenlandes erfahren (Jakubowska 1994: 64).

 

„Als Lösung werden Texte vorgeschlagen, die einerseits die Fremde in sich tragen, die eine große Distanzerfahrung möglich machen, die andererseits den fremdkulturellen Lesern doch eine gute Chance bieten, diese Fremde für sich zu entdecken, sie im Leseakt zu realisieren” (Krusche 1985a: 418 ff.).

 

Wenn der Schüler die Möglichkeit hat, bei der Lektüre in der Fremdsprache eigene Erfahrungen einzubringen, können dadurch elementare Mißverständnisse vermieden werden, ohne daß ein Aufwand an Zusatzinformationen nötig wäre (Neuner 1986: 17).

 

Mecklenburg ist folgender Auffassung:

 

„In der ästhetischen vermittelten Alterität muß immer etwas Nicht-Fremdes vorhanden sein, sonst bricht die Kommunikation zusammen” (Mecklenburg 1987: 580).

 

Am Beispiel von Märchen sehen wir, daß nicht viele Vorausinformationen notwendig sind, um Texte zu verstehen. Einerseits ist für den fremdsprachigen Leser die altertümliche Sprache fremd, andererseits enthalten diese Texte ein nicht-fremdes Element, d.h. die Vertrautheit der Schüler mit Märchen, die die Lektüre in der Fremdsprache erleichtert.

 

Diese Texte sind vermittelbar, ohne daß:

 

„[...] die lernenden Leser sich vom Lehrer bevormundet fühlen müßten, ohne daß zusätzliche Informationen zum Text unerfreulich helfend und unabweisbar autoritativ hinzutreten müßten” (Kruche 1985: 471).

 

Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen stehen die Untersuchungen von Hans Robert Jauß, der 1969 das Phänomen des Paradigmenwechsels, welches im Rahmen der Naturwissenschaften untersucht wurde, auf die Literaturwissenschaft übertrug. Seit dieser Zeit nennt man die Umorientierung in der Literatur  Paradigmenwechsel. Dieser wiederum wurde von Malte Dahrendorf als die „kopernikanische Wende“ bezeichnet (Dahrendorf zitiert nach Kast 1984: 22). Die zentrale Annahme lautet:

 

„[...] daß ein literarischer Text nicht „an sich“ existiert und als solches Selbständigkeit besitzt, sondern nur als rezipierter, das heißt während des Leseaktes immer neu entsteht. Jede Aussage über einen Text ist deshalb auch keine Aussage über den Text „an sich“, sondern eine Aussage über dessen je unterschiedliche Rezeption“ (Kast...

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