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Von Magdeburg bis Königsberg

AutorKarl Rosenkranz
VerlagHenricus - Edition Deutsche Klassik
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl488 Seiten
ISBN9783847813507
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Rosenkranz, Karl: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig: Erich Koschny (L. Heimann's Verlag), 1878. Erstdruck: Leipzig (Erich Koschny / L. Heimann´s Verlag), 1878.

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Leseprobe

I.

Neustadt Magdeburg. Die Colonie der Reformirten. Das Paradies der Kindheit. Die Wunderfamilie Favreau.

In der nördlichen Vorstadt Magdeburgs, die Neustadt geheißen, bin ich am 23. April 1805 geboren.

Mein Vater bekleidete damals das Amt eines Steuersecretairs am Packhof. Er war am 6. December 1757 in der Gemeinde Buchholz bei Rostock in Mecklenburg geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Leinweber gewesen, der ein eigen Haus mit einem großen Garten befaß. Mein Vater war der einzige Sohn. Bis zu seinem siebenten Jahr hatte er sehr einsam auf dem Gehöft zugebracht. Ein großer, schwarzer Hund war sein vornehmlicher Spielgefährte gewesen, denn das Haus lag auf einem weitumschauenden Hügel, wie das Vorwerk eines Gutes, sehr allein. Mit dem siebenten Jahr mußte mein Vater in die nächste Dorfschule einen langen Weg wandern, weshalb ihn seine Eltern bald in die Stadt Rostock zu einem Geistlichen in die Pension gaben, wo er in allen Schulwissenschaften Unterricht empfing. Dieser Geistliche gehörte zu den strengsten Pietisten. Täglich wurde mehrmals gebetet. Jeder Hausgenosse hatte einen lederüberzogenen Stuhl, vor dem er hinkniete und auf welchem Bibel und Gesangbuch lag. Der Gottesdienst wurde mit peinlicher Regelmäßigkeit besucht und die Selbsterforschung der Sündhaftigkeit mit finsterm Ernst betrieben.

Die Mutter wünschte, daß mein Vater sich einer Wissenschaft oder wenigstens einem nicht handwerksmäßigen Erwerb widmen möchte und wußte es zu veranstalten, daß er nach seiner frühzeitig erfolgten Confirmation zu einem Advocaten als Schreiber kam. Allein mein Großvater war ihr entgegen und bestand darauf, daß der Sohn das Leinweberhandwerk erlernen müsse, weshalb mein Vater im fünfzehnten Jahr Rostock verließ und in das einsame Haus mit dem schönen Garten zurückkehrte.

Hier aber hatte sich viel verändert. Mein Großvater hatte sich mit heruntergekommenen Candidaten, mit Alchymisten und Schatzgräbern eingelassen und mit ihnen sein Vermögen allmälig in unsinnigem Streben verbracht. Mein Vater mußte mit ihm eine Reise nach Hamburg machen, allerlei mystische, höllenzwingende Bücher bei Antiquaren aufzusuchen. Durch eben diese Reise, sowie durch die immer sichtlicher werdende Zerrüttung seines sonstigen Wohlstandes ward man auf sein unglückseliges Treiben aufmerksam und das Consistorium setzte ihn wegen Schatzgräberei und Geisterbeschwörung in Anklagezustand.

Die Mutter, von Entsetzen ergriffen, glaubte es recht klug zu machen, wenn sie den Sohn überredete, die Schuld auf sich zu nehmen und nach Hamburg zu fliehen. Achtzehn Jahr alt, übernahm es mein Vater, den seinigen in dieser Weise zu retten. Dem Consistorium sollte vorgespiegelt werden, nicht der alte, sondern der junge Rosenkranz habe die Schatzgräberei betrieben und die Hamburger Reise des Alten habe sich bei diesem auf die Linnenfabrikation bezogen.

Aus Furcht, in Hamburg reclamirt zu werden, hielt mein Vater sich sehr still und wagte sich Niemandem anzuvertrauen. Er miethete sich bei einem Schneider ein und schlenderte am Tage in den Straßen umher, hoffend, der Sturm, der ihm, dem Schuldlosen, in der Heimath drohte, werde nun an dem getäuschten, abergläubischen Vater vorübergehen und dann in einiger Zeit auch seine völlige Nichtbetheiligung an diesen Dingen sich ergeben, so daß er vielleicht nach mehreren Jahren würde zurückkehren können. Allein allmälig wurde diese Aussicht zweifelhaft. Das Geld, welches die Mutter ihm mitgegeben und einige Male schon nachgesandt, zehrte sich auf. Mit der immer größeren Beschränkung, die er sich auferlegen mußte, schwand sein Muth, und in solch niedergeschlagener Stimmung fiel er eines Tages preußischen Werbern in die Hände, die ihn von Hamburg wegführten. So geschah es, daß er am 26. Oktober 1776 in Crossen bei dem Arnstedt'schen, vom General von Natalis commandirten Regiment zur Fahne schwor.

Während er hier nun in Garnison stand, entwickelten sich die Folgen seiner künstlichen Flucht. Die Mutter, den Sohn durch ihren Rath zu Hause mit einem in damaliger Zeit sehr gefährlichen Proceß bedroht, auswärts aber ihn der preußischen Armee einverleibt und so wie so des einzigen Kindes sich beraubt sehend, starb bald, und der Vater folgte gebrochenen Herzens ihr rasch nach, so daß die Gerichte die Hinterlassenschaft der Eltern versteigerten.

Als das Arnstedt'sche Regiment 1788 aufgelöst wurde, kam mein Vater zum Regiment von Braunschweig und blieb bei demselben, bis er 1793 in dem Städtchen Burg bei Magdeburg als Kreiscontroleur angestellt ward. Hier heirathete er, allein die Ehe war kinderlos und, wie es scheint, durch Schuld der Frau unglücklich, so daß sie mit dem Ablauf des Jahrhunderts getrennt werden mußte. Sehr willkommen war es daher meinem Vater, 1799 nach Magdeburg als Steuerbeamter versetzt zu werden.

Er hatte noch vom Regiment her einen Kameraden, der Feldscheer gewesen war und nunmehr eine Anstellung als Packhofsinspector in Magdeburg erhalten hatte. Dieser Mann war in vielen Stücken das gerade Gegentheil meines Vaters. War dieser ein ernster, stiller, einfacher, aufrichtiger, bis zur höchsten Aufopferung pflichttreuer, fleißiger und bescheidener Mensch, so war jener ein lebenslustiger, jovialer, pompliebender, jähzorniger, zur Intrigue geneigter, dünkelhafter Mann, dabei jedoch äußerst gastfrei, gefällig und beredt. Durch diese Gegensätze des Charakters erklärt sich wohl ihre Zuneigung. Sie bedurften einander. Der lockere Lebemann erholte sich in dienstlichen und geschäftlichen Verlegenheiten Raths bei meinem Vater, während dieser sich durch ihn zum Genuß des Lebens anfeuern, durch seine übertreibende Geschwätzigkeit unterhalten ließ. Sie nannten sich Herr Bruder, redeten sich immer mit Ihr an und luden sich zuweilen ein. Mein Vater besuchte jedoch das Haus seines Kameraden und Collegen nur bis zum Tode von dessen Frau. Als Feldscheer nämlich hatte derselbe noch immer eine stille und sehr gesuchte Praxis, nicht nur im Verbinden von offenen Schäden, im Behandeln frischer Wunden, sondern vornehmlich in der Kur geheimer Krankheiten. Er hatte sich gerade für diese einen besonderen Ruf zu erwerben gewußt und fand an den Handlungsgehülfen des Packhofs und den vielen damals durch Magdeburg ziehenden Offizieren ein großes und dankbares Publikum, so daß er ein bedeutendes Vermögen erwarb.

Von großer, schöner Statur, mit feurigem Blick, edlen Zügen, galantem Betragen, wußte er sich bei den Frauen sehr beliebt zu machen, zumal er auch ein ebenso geschickter als leidenschaftlicher Jäger war, dessen Geschenke von Hafen und Rebhühnern den Wirthinnen stets angenehm erschienen. Nach dem Tode seiner Frau verstrickten ihn eben diese chevaleresken und persönlich liebenswürdigen Eigenschaften in verderbliche Verhältnisse, die wohl der Grund sein mochten, weshalb mein Vater den Besuch seines Hauses vermied. Er hatte mehrere Kinder. Mit diesen bestand zwischen mir und meiner Schwester ein steter Verkehr. Wir Kinder begriffen die eigenthümlichen Beziehungen unserer Eltern nicht und lernten sie erst in reiferem Alter verstehen.

Mit jenem Kameraden nun besuchte mein Vater in Magdeburg häufig die Gaststube eines großen Brauhauses an der Ecke des breiten Weges und der Domstraße der Neustadt gelegen, »Das rothe Haus« genannt. Hier lernte er meine Mutter, Marie Katharine, die Tochter des Eigenthümers, Grüson, kennen. Dieser gehörte zur wallonisch-reformirten Gemeinde, deren Mitglieder vorzüglich in der Neustadt wohnten, und dort als Brauherren, als Oelpresser, als Holzhändler unter den Privilegien der preußischen Könige zu bedeutendem Vermögen und Ansehen gelangt waren. In der Altstadt Magdeburg wohnten mehr die Fabrikanten der Réfugiés, wie man die nichtdeutschen Reformirten damals noch zu nennen pflegte. Diese Fabrikanten waren meistentheils reine Franzosen und betrieben vorzüglich die Seidenstrumpfwirkerei, die Hutmacherei und Zuckerraffinerie. Die wallonischen und französischen Gemeinden unterschieden sich wenig, außer daß in letzterer eine größere Feinheit der Sprache und des Umgangs herrschte. Jede Gemeinde hatte in der Altstadt eine besondere Kirche. Neben diesen beiden reformirten Gemeinden existirte in Magdeburg noch eine dritte deutsche, von der ich später Erwähnung zu thun habe.

Als mein Vater heirathete, trat er, ursprünglich lutherischer Confession, zur reformirten über. Da meine Großmutter mütterlicherseits schon todt war und meine Mutter dem Großvater die Wirthschaft geführt hatte, so setzte sich derselbe nunmehr zur Ruhe, verkaufte das rothe Haus und zog zu meinen Eltern, die in der Neustadt am breiten Wege, nicht zu fern von der hohen Pforte der Altstadt, ein reizendes, sehr geschmackvoll gebautes Haus besaßen. In demselben bewohnte der Großvater im oberen Stockwerk nach dem Hof hinaus eine Stube und Kammer. Er war ein schlichter, würdiger Mann, der mit der Mutter gewöhnlich in einem patoisartigen Französisch sprach. Im Hause trug er eine schwere Sammtkappe, eine große dunkelbraune Schooßjacke, schwarze Manchesterhosen, Kniestiefel und eine weiße Schürze. Er war sehr geschickt in Holzarbeiten, weil er für den bessern Betrieb des Braugewerks es für räthlich erachtet hatte, auch das Böttcherhandwerk zu erlernen. In einem Hintergebäude des Hofes hatte er eine vollständig eingerichtete Werkstatt, worin er zu seinem Vergnügen alle in der Wirthschaft vorkommenden Holzgefäße, wie Eimer, Bütten, Zober, aber auch künstlichere Arbeiten fertigte. Er stand früh auf, als der Erste im Hause, kam die Treppe herunter und ging in das gemeinschaftliche, nach vorn gelegene Wohnzimmer, worin von der ganzen Familie das Frühstück genommen wurde. Bis wir uns nun Alle versammelten, spazierte er...

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