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Magersucht: Ursachen, Hintergründe und Therapieansätze für Anorexia Nervosa anhand von Fallbeispielen

AutorRegine Brand
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl88 Seiten
ISBN9783836645560
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
"In den letzten Jahrzehnten ist das Problemfeld Ess-Störungen in unserer Gesellschaft mehr denn je präsent: Laut der Shell-Studie Jugend 2006 empfindet sich ein Drittel aller befragten Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren als ein wenig oder viel zu dick, obwohl sie normal- oder untergewichtig sind.
Die Bereitschaft, dem vermeintlichen Übergewicht mit Diäten entgegenzuwirken ist groß und damit auch die Gefahr, eine Ess-Störung zu entwickeln.
2007 stellte das Robert Koch-Institut in seiner über drei Jahre angelegten KiGGS- Studie fest, dass insgesamt 21,9% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Alter von 11-17 Jahren Symptome einer Ess-Störung zeigen.
2008 ging die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt davon aus, dass in unserem Land ca. 600.000 Menschen im Alter zwischen 15 bis 35 Jahren unterernährt sind.
Das Model Kate Moss antwortete unlängst auf die Frage nach ihrem Lebensmotto: ""Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt"". Alarmierende Zahlen und falsche Signale von Menschen mit Vorbildfunktion.
Und ein Grund mehr, diese Thematik immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.
In diesem Buch werden bis heute gültige Therapieansätze der 80er Jahre (Hilde Bruch, Mara Selvini Palazzoli, Salvador Minuchin) kritisch reflektiert.
Anhand narrativer Interviews mit Betroffenen und Angehörigen werden Ursachen und Hintergründe der Magersucht qualitativ dargelegt. Das Verfahren des narrativen Interviews hat den Vorteil, dass eine Erzählung eigenerlebter Geschichten zustande kommt, also ein natürlicher Charakter während des Interviews gewahrt bleiben kann. Die Interviewpartner wurden aufgefordert, ihre Krankheitsgeschichte bzw. die (Mit)- Leidensgeschichte eines Angehörigen zu erzählen und wurden dabei nicht vom Interviewer durch Zwischenfragen unterbrochen. So entstand ein sehr beeindruckendes, umfangreiches Material, das im vorliegenden Buch in zahlreichen Zitaten zum Ausdruck kommt."

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel IV, Anorexia nervosa als psychosomatische Krankheit: 1. Die Krankheitsveranlassung: Dass die Anorexia nervosa eine psychosomatische Krankheit ist, wurde eingangs erwähnt. Im folgenden soll versucht werden, die Genesis dieser Krankheit auch anhand der Fallbeispiele, näher zu untersuchen. Helmut Thomä hält es für zweckmäßig, die Frage der Krankheitsveranlassung zu erörtern, 'weil die Anorexia nervosa in typischer Weise ausgelöst wird'. Er unterscheidet hier vier hauptsächliche Krankheitsveranlassungen nach der Lehre Sigmund Freuds (vgl. ebd., S. 256 ff): - Die Erkrankung an einem Erlebnis: In diesem Fall wird die Aufgabe gestellt, auf Befriedigung zu verzichten, und das Individuum erkrankt an seiner Widerstandsunfähigkeit. - Die Erkrankung an einem Entwicklungsvorgang: Hier soll eine Art Befriedigung gegen eine andere vertauscht werden. Die Person scheitert dabei an ihrer Starrheit. Hier ist der Konflikt zwischen dem Bestreben, so zu verharren, wie man ist, und dem Bemühen, sich nach neuen Absichten und neuen Realforderungen zu verändern, von vornherein gegeben. - Die Erkrankung durch eine Entwicklungshemmung: Es handelt sich hier um Personen, die erkranken, sobald sie das unverantwortliche Kindesalter überschreiten. - Die Erkrankung an biologischen Veränderungen: Es gibt Menschen, die bisher gesund waren, an die kein neues Erlebnis herangetreten ist, deren Relation zur Außenwelt keine Änderung erfahren hat, so dass ihre Erkrankung den Eindruck des Spontanen machen muss. Nach näherer Betrachtung kam Freud jedoch zu dem Schluss, dass sich eine Veränderung vollzogen hat, die als höchst bedeutend für die Krankheitsveranlassung gesehen werden muss. Infolge des Erreichens eines gewissen Lebensabschnitts und im Anschluss an gesetzmäßige biologische Vorgänge hat nach Freud die Quantität der Libido in ihrem seelischen Haushalt eine Steigerung erfahren, welche allein schon genügt, das Gleichgewicht der Gesundheit zu stören, und die Bedingungen einer Neurose herzustellen. Thomä stellte bei eigenen Untersuchungen fest, dass fast alle seine Patientinnen nach Erkrankungsveranlassung 2,3 und 4 erkrankten und nur ein minimaler Teil nach einem dramatischen Ereignis. In der Regel geraten Magersüchtige in dem Jahr vor Ausbruch der Krankheit in soziale Isolation. Auch Jutta hat diese Entwicklung durchgemacht (S.23, Z.26-29; S.24, Z.1-3, Z.9/10): '(...) Ich weiß gar nicht mehr wieso, aber das halbe Jahr war ich also echt ganz komisch drauf. Im Winter, dann lief das so mit dieser Clique, das war alles immer sone Hängerei. (...) Nach nen paar Monaten hab ich mir gedacht, was soll das überhaupt. Dann habe ich irgendwie versucht, erst mal versucht, alleine was zu machen. (...) Letztes Jahr so gegen Sommer wurde es dann halt auch wieder besser'. Freuds Theorie der Krankheitsveranlassungen soll nun anhand von Beobachtungen Bruchs und der narrativen Interviews verdeutlicht werden. Viele Mädchen erinnern sich an ein bestimmtes Ereignis oder eine besondere Bemerkung, die ihnen das Gefühl eingaben, fett zu sein. So erinnerte sich Angelika ( S.4, Z.20-26, Z.31-37): '(...) Also, wie das angefangen hat, das weiß ich noch. Das war nämlich in den Sommerferien, und ich saß vorher schon immer in der Klasse und habe gedacht, Mensch die J., die finde ich aber dick. Und dann habe ich irgendwann mal gemerkt, Moment, Du bist ja noch dicker als die. Da war ich nämlich pummelig geworden.(...) Da müssen wohl auch mal Leute zu mir gesagt haben oder irgendwie die Bemerkung: Du bist ja dick. Und da wollte ich dünner werden. Ich weiß nicht, zu der Zeit hatte ich dann irgendwann mal mitgekriegt, irgendwann kriegst Du mal Deine Regel'. Allerdings, merkt Hilde Bruch an, gingen der Magersucht meist sorgenvolle Gedanken über das Selbstgefühl voraus; das Fass werde durch bestimmte Lebensereignisse nur zum Überlaufen gebracht. Häufig setzt die Beschäftigung mit Fragen des Gewichts und der Diät ein, wenn diese jungen Mädchen mit neuen Erfahrungen konfrontiert werden; zum Beispiel bei einem Schulwechsel oder beim Studienanfang, wenn sie vom Elternhaus getrennt werden. Die Angst davor, zu dick zu sein, hat viele verschiedene Bedeutungen. Das scheinbar plötzliche Fasten ist keine einfache Reaktion auf veränderte Lebensumstände, sondern hat seine Ursprünge auch in der Adoleszenz. In einem Fall Bruchs ging der Magersucht die Angst vor biologischen Entwicklungen voraus. Die Menstruation wurde mit dem Gefühl besetzt, außerstande zu sein, die damit verbundenen Verantwortlichkeiten zu übernehmen. Durch einen in der Schule gezeigten Film über Sexualentwicklung wurde diese Angst verstärkt. So war der Beginn der Magersucht die Folge. 'Bei anderen Mädchen kann das Erreichen der Pubertät das Ende eines geheimen Traumes bedeuten, schließlich doch noch ein Junge zu werden'. Der Krankheitsverlauf: Die Krankheitsveranlassung und der Krankheitsausbruch stehen im unmittelbaren Zusammenhang. In der Regel beginnt die Anorexia nervosa mit einer normalen Diät, die oft von aufreibenden sportlichen Aktivitäten begleitet wird. '(...) Auf jeden Fall waren dann diese Sommerferien und ich war immer im Freibad und hab nichts gegessen. Ich bin ins Freibad, hab geschwommen. Ich erinnere mich noch, dass ein Mädchen mal Weintrauben mit hatte. ich hab mich also richtig überwinden müssen, nur weil die es mir anbot und ich vor den anderen nicht so komisch dastehen wollte, zwei Weintrauben zu nehmen. Und dachte nachher, um Gottes willen, diese zwei Weintrauben, wie viel Kalorien hatten die wohl? Ich weiß auch nicht mehr, ob mir das am Anfang schwergefallen ist. ich bin da glaube ich unheimlich schnell reingekommen. Ich bin da geschwommen, ich hab da nen Programm aufgestellt, das war tierisch. Und hab dann morgens ganz wenig, hab nen Knäckebrot mit Quark - um Gottes willen nicht mit Butter! Da war ich immer schon froh, dass ich damals schon Kaffee getrunken habe, denn Kaffee hat ja keine Kalorien. Gleichzeitig habe ich dann immer, im Freibad ist mir das nicht so aufgefallen, da dachte ich immer, also gleich ist wieder Mittag. Um Gottes willen, gleich ist wieder Mittag. Du darfst wieder essen, ei, Du musst dann aber wieder essen. Dann ging ich wieder in die Schule. Die Leute: Um Gottes willen, wie siehst Du denn aus! Ich glaube, zu dem Zeitpunkt habe ich dann 34 Kilo gewogen. Hab also 11 Kilo abgenommen. (...) Du siehst ja aus, wie ein Skelett. Ich hab mich total angegriffen gefühlt. Ich fand mich toll, ich fand mich schön. Ich hab in den Spiegel geguckt, ich sah nicht aus wie ein Skelett. Ich hab ich einfach nicht mehr objektiv gesehen'(Angelika, S.5.Z.1-19, Z.22-29, Z. 33-37, S. 6, Z.1-10; Z. 14/15)'. In diesem Auszug aus Angelikas Interview wird Bruchs Beobachtung eindeutig bestätigt. Diese und andere Symptome, die bei der Anorexia nervosa zu beobachten sind - einige sind schon in dem Interviewauszug vorhanden - sollen im folgenden eingehender untersucht werden.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort3
Inhaltsverzeichnis4
I. Einleitung8
II. Fallbeispiele - eine Zusammenfassung der narrativen Interviews11
1. Angelika S. (Januar 1983)11
2. Walter S., Vater von Angelika (Juli 1984)14
3. Jutta R. (Juni 1984)16
4. Sandra P. (Januar 1983)20
III. Der analytische Background21
1. Auf der Suche nach einer Art spezifischen Psychodynamik der Anorexia nervosa21
2. Andere analytische Ansätze zur Erforschung der Anorexia nervosa24
2.1. Auswirkungen der Mutter-Kindbeziehung auf die Magersucht25
2.2. Die anorektische Familie26
2.3. Die analytisch-feministische Deutung der Anorexia nervosa27
2.4. Der verhaltenstheoretische Ansatz29
2.5. Die Daseinsanalyse29
IV. Anorexia nervosa als psychosomatische Krankheit30
1. Die Krankheitsveranlassung30
2. Der Krankheitsverlauf33
2.1. Diät und die Beziehung zur Nahrung33
2.2. Hyperaktivität34
2.3. Body - Image und Wahrnehmungsstörungen Magersüchtiger35
2.4. Die Reinigung des Körpers vom Essen36
2.4.1. Obstipation und Abführmittelmissbrauch36
2.4.2. Heißhungeranfälle und Erbrechen37
2.5. Amenorrhoe40
2.6. Ordnungs- und Waschzwang40
2.7. Sinneserfahrungen41
2.8. Isolation41
V. Die Sozialisation Magersüchtiger - Magersüchtige und ihre Umwelt43
1. Kindheit und Familie44
2. Schule und Beruf51
3. Freundeskreis und Sexualität54
4. Exkurs: Depression und Selbstaufgabe58
VI. Therapie und Therapieerfolg60
1. Therapieformen60
1.1. Insulinbehandlung60
1.2. Künstliche Ernährung durch Magensonden und intravenöse Hyperalimentation61
1.3.Verhaltensmodifikation61
1.4. Elektroschocktherapie62
1.5. Die psychoanalytische Methode62
1.6. Familientherapie63
1.7. Klientenzentrierte Psychotherapie65
1.8. Selbsthilfegruppen66
1.9. Andere Formen der Individualtherapie67
1.10. Der Therapieansatz von E. und H.A. Klessmann - Ein Fazit nach 13 Jahren ambulanter Therapie68
2. Therapieerfolg69
3. Therapieerfahrungen der Interviewpartner72
4. Perspektiven der Interviewpartner81
VII. Schlussbemerkung83
VIII. Literatur84
Autorenprofil87

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