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E-Book

Mal Lachen - Mal Weinen

AutorChrista Müller
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783743169111
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Die Autorin schwelgt in ihren Erinnerungen, Lebenserfahrungen und Weisheiten, die sowohl heitere als auch nachdenkliche Momente festhalten. 'Die Zeit bleibt nicht stehen und wo sind die achtundsiebzig Jahre eigentlich geblieben', die ihr diese vielen Erinnerungen gegeben haben. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ist die Zeit des Schreibens schnell vorübergegangen, was nicht immer der Fall war, wenn sie z.B. an den zu kurz geratenen Aufsatz in ihrer Schulzeit dachte. Doch das hat sich inzwischen geändert. Jetzt sind die 'Aufsätze' beträchtlich länger geworden ...

Christa Müller wurde 1938 im Sudetenland geboren. 1945 Vertreibung nach Thüringen. Im Mai 1952 Umzug mit der Familie von Thüringen nach Nürnberg in Bayern. 1952-1954 besuchte sie eine private Handels- und Sprachenschule mit Abschluss und ab Juli 1954 war sie bis zum Jahre 1992 in verschiedenen Positionen im Büro tätig, davon 25 Jahre als Exportkauffrau. 1965-1967 Aufenthalt in Kanada. Im Juni 2009 schrieb sie ihre Biografie, die als Buch mit dem Titel 'Über wiegend heiter, nur leicht bewölkt' veröffentlicht wurde.

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Leseprobe

Lauf der Zeit


Der Lauf der Zeit bringt es mit sich, dass man zu den Menschen, die man im Laufe seines Lebens getroffen hat, eine ganz bestimmte Einstellung gewinnt. Dazu gehören zum Beispiel meine verschiedensten Begegnungen mit russischen Menschen, ihren Liedern und Tänzen und natürlich auch ein bisschen mit ihrer Sprache.

Mein erstes Zusammentreffen mit einem Russen, ich bezeichne ihn für mich immer als einen »Menschen der besonderen Art«, ereignete sich am 8. Mai 1945, also zum Zeitpunkt der deutschen Kapitulation und damit dem Kriegsende. Ich war damals knapp über sieben Jahre, also alt genug, um mich zu erinnern. Den russischen Truppen eilten die schrecklichsten Meldungen voraus, und wir hatten große Angst. Es hieß, wenn es vom Erzgebirge her krachte, kämen die Russen. Und so geschah es auch. Am späten Nachmittag schickten unsere Eltern meine Schwester Erika und mich zum Bierholen ins Gasthaus »Zum Hirschen« unweit unserer Wohnung. Auf halbem Wege kam uns die Patentante unserer jüngsten Schwester Gerdi entgegen. Sie rief schon von Weitem: »Die Russen kommen!«

Wir machten auf der Stelle kehrt und rannten nach Hause. Dabei zerbrachen die leeren Bierkrüge. Schon hörten wir die ersten Panzerschüsse aus Richtung Rotenhaus. Einige Unverbesserliche wollten unbedingt die Bevölkerung vor der russischen Übermacht retten, was natürlich unmöglich war. Wir flüchteten zusammen mit den anderen Hausbewohnern in den Keller und dort zitterten wir gemeinsam vor dem, was eventuell auf uns zukommen würde.

Als nichts passierte, gingen wir wieder in die Wohnungen zurück. Unsere Mama, voll angezogen, nahm uns drei kleinen Mädchen mit ins Ehebett, während unser Papa mit einem Freund, der sich auf dem Weg in seine bayerische Heimat befand, am Küchentisch saß, zwischen den beiden stand eine große Flasche Schnaps.

In der Nacht kamen sie dann doch, die gefürchteten Russen. Einer von ihnen betrat das Schlafzimmer und stöberte in allen Schränken. Nach seiner erfolglosen Suche blickte er lange auf unsere Mama, die uns Kinder zitternd in ihren Armen hielt.

Auf mich machte dieser Soldat mit der Pelzmütze einen gepflegten Eindruck, und ich nannte ihn für mich den russischen Offizier. In diesen Sekunden entschied sich das Schicksal – Gott sei’s gedankt – zu unseren Gunsten. Der Offizier verließ wortlos den Raum. Gott sei Dank passierte auch unserem Papa nichts.

Erst viele Jahre später kam mir der Gedanke, dass dieser Offizier beim Anblick unserer Mama vielleicht an seine eigene Frau und sein Kind in der Heimat dachte und deshalb unserer Mama nichts antat. Andere Frauen in der Stadt hatten nicht dieses Glück, und als solches bezeichne ich es immer wieder, wenn mir diese Momente durch den Kopf gehen. Jedenfalls verbrachte unsere Mama zusammen mit ein paar Nachbarinnen die folgenden Nächte sicherheitshalber in einem Hühnerstall. Dort handelten sich diese Frauen unangenehmes Ungeziefer ein, aber das war mit Wasser und Seife wieder abzuwaschen.

Meine nächsten russischen Erinnerungen setzen erst wieder in Ummerstadt in Thüringen ein, wohin es uns nach einer Irrfahrt durch Sachsen und Thüringen verschlagen hatte. Die Einwohner von Ummerstadt empfingen uns freundlich und großzügig, soweit es ihnen in dieser schlechten Nachkriegszeit möglich war. Dieses kleine Städtchen, übrigens das kleinste in Thüringen, bestand überwiegend aus landwirtschaftlichen Betrieben, so boten sich für die arbeitswilligen Vertriebenen viele Möglichkeiten mitzuarbeiten, da die Männer sich zum Teil noch in Gefangenschaft befanden und ihre Frauen für jede hilfreiche Hand dankbar waren.

Aufgrund der Grenznähe, ringsum nur zwei Kilometer zur Grenze nach Bayern, waren auch hier Russen stationiert. Wir mussten alle mehr oder weniger in friedlicher Koexistenz mit ihnen leben und auskommen, was auch klappte. Wir hielten uns viel im Wald auf, um Holz, Beeren oder Pilze zu sammeln, und da war diese friedliche Koexistenz auch notwendig.

Zumindest habe ich das so in Erinnerung.

Langsam normalisierte sich das Leben, auch die Schule konnte wieder besucht werden. Von der ersten Klasse nach meiner Einschulung im September 1944 in Görkau hatte ich aufgrund von Kinderkrankheiten und dem vielen Fliegeralarm nicht viel mitbekommen. Ab September 1945 ging ich in die zweite Klasse. Im Jahre 1951, ich war in der achten Klasse, wurde es Pflicht, die russische Sprache in Wort und Schrift zu erlernen. Das bereitete mir überhaupt keine Schwierigkeiten, im Gegenteil, ich hatte Spaß daran.

Mein Vater fungierte bis zu seiner Flucht im Dezember 1951 u. a. als VEB-Betriebsleiter und Filmvorführer in Ummerstadt und zwei weiteren Orten in der näheren Umgebung. Das brachte es selbstverständlich mit sich, dass wir viele russische Filme zu sehen bekamen, weshalb ich anfing, mich für russische Lieder und Tänze zu interessieren. In der Schule lernten wir auch das eine oder andere russische Volkslied, aber in deutscher Sprache. Nur das berühmte Glöckchenlied kann ich heute noch auf Russisch singen, worauf ich nach vielen Jahrzehnten, inzwischen sind es 63 Jahre, ein bisschen stolz bin. Damit war es aber Ende Mai 1952 vorbei, denn da ging meine Mutter mit uns Mädchen über die Grenze nach Nürnberg zu unserem Papa, endlich! Durch unseren Umzug war es dann erst mal vorbei mit russisch, und ich musste mich in der Handelsschule auf die englische Sprache konzentrieren.

Ja, und letztendlich flog ich mit meinem ersten Mann Hubert am 13. Oktober 1977, genau an dem Tag, als die Lufthansa-Maschine Landshut nach Mogadischu entführt wurde, mit KLM zu einem neuntägigen Urlaub nach Westberlin. An einem dieser Tage machten wir pflichtgemäß auch eine Stadtrundfahrt nach Ostberlin. Im Park von Treptow sah ich nach Jahren wieder russische Soldaten mit ihren großen Mützen. In diesem Park befindet sich ein großes Ehrenmal für die ruhmreiche russische Armee. Ich habe mir so meine eigenen Gedanken darüber gemacht.

Im Jahre 1984 lernte ich meinen zweiten Mann Carl Müller kennen, einen gebürtigen Ostpreußen aus Rehfeld – heute Borovoje – im Kreis Insterburg – heute Tschernjakowsk. Damals war der russische Teil Ostpreußens nahezu noch unerreichbar, was sich im Laufe der Jahre jedoch geändert hat.

Diese Reisefreiheit nutzten wir im Frühjahr 1993 zusammen mit Carls Cousin Heinz, der direkt aus Insterburg stammte, und seiner Frau Elfriede zu einer Reise nach Ostpreußen.

Carl war schon Wochen vor Reiseantritt total aus dem Häuschen, immerhin sollte er seine alte Heimat wiedersehen. Ich nannte ihn sowieso immer meinen Edelpreußen, da er auch nach Jahrzehnten sehr an seiner früheren Heimat hing. Er war zum Zeitpunkt der Flucht im Januar 1945 bereits zwölf Jahre alt gewesen und hatte aufgrund seines phänomenalen Gedächtnisses viele Erinnerungen, leider nicht nur gute.

Wir flogen von Hannover nach Memel/Litauen, wo wir in einen Bus umstiegen und über die Kurische Nehrung nach Königsberg – heute Kaliningrad – fuhren. Bei der Grenzkontrolle zwischen Litauen und Russland mussten wir sage und schreibe eine gute Stunde warten, bis unsere Reiseleiterin Irina mit unseren Pässen aus der Kommandantur zurückkam.

Während dieser Wartezeit war es im Bus total still, wohl deshalb, weil die meisten Mitreisenden ihren Gedanken und Erinnerungen nachhingen, die nicht alle nur gut waren. Man hätte während dieser Stunde eine Feder fallen hören können. Als ich dann noch einige angetrunkene Grenzbeamte entdeckte, breitete sich ein flaues Gefühl in meiner Magengegend aus. Seit dem 8. Mai 1945 war ich gegen betrunkene Russen allergisch.

Endlich kam Irina zusammen mit einem Russen in den Bus zurück, und dieser hat sich erst bei uns mit ins Genick geschobener Mütze für die Wartezeit entschuldigt und danach breit grinsend erklärt, dass dieser Tag der »Tag der Grenztruppen« sei, was natürlich gefeiert werden müsse.

Dann ging es endlich weiter in Richtung Königsberg. Wir verbrachten dort eine Woche, sowohl mit offiziellen Führungen als auch mit privaten Unternehmungen, u. a. mit einem Taxifahrer namens Yuri, der uns auch nach Rehfeld fuhr. Vom dortigen Bahnhof aus – ungefähr einen Kilometer vom eigentlichen früheren Ort entfernt – sah Carl durch das Fernglas, dass nur noch ein einziges Haus von ehemals 18 Anwesen stand. Er drehte um und wollte wieder wegfahren, aber Yuri bestand darauf, dass wir nach Rehfeld zu Fuß weitergingen. Er war der festen Meinung, dass Carl sonst immer das Gefühl haben würde, er wäre nicht zu Hause gewesen.

Damit hatte dieser Mann zweifelsfrei recht.

Aufgrund dieses Besuches in Rehfeld, wo wir ein älteres russisches Ehepaar antrafen, fanden wir im Laufe der nächsten Monate nach intensiver Suche und auf vielen Umwegen auch seinen Kinder- und Jugendfreund Konrad Pientka wieder. Konrad war einer der Söhne vom Gut Kreiwutschen, wo Carls Eltern früher als Instleute gearbeitet hatten. Auf dem Gut hatte Carl auch seine große Liebe zu Pferden entdeckt.

Als wir uns mit Heinz und Elfriede auf einem Rundgang durch Königsberg befanden, setzten wir uns vor dem...

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