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E-Book

Manipulation

Zur Theorie und Ethik einer Form der Beeinflussung

AutorAlexander Fischer
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl265 Seiten
ISBN9783518754429
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR

In seinem glasklar geschriebenen Buch widmet sich Alexander Fischer einem faszinierenden Phänomen, das in seiner alltäglichen Bedeutung kaum zu überschätzen ist: der Manipulation. Diese wird von ihm zunächst begrifflich gefasst, dann handlungstheoretisch eingebettet und schließlich in ihren konkreten psychologischen Erscheinungsformen untersucht. Fischer schließt mit dem Entwurf einer Ethik der Manipulation, die das Phänomen durch eine kritische Betrachtung der paradigmatischen Trias von Rationalität, Freiheit und Würde neu zu sehen lehrt.



<p>Alexander Fischer ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Universität Basel. Zuvor promovierte er an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.</p>

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Leseprobe

13Vorwort


Wir beeinflussen einander stetig und in vielfältiger Weise. Hierbei gibt es einerseits ethisch eher unproblematische Formen der Beeinflussung – etwa wenn wir jemanden in rational argumentierender Art von etwas überzeugen wollen –, andererseits aber auch solche, die wir sofort als problematisch identifizieren: Gewalt, Erpressung, Nötigung oder Drohung, allgemeiner gesagt: Formen, die uns gewaltsam zu etwas bringen, uns letztlich zu etwas zwingen. Als problematisch gelten diese Formen in der Regel, weil sie uns in unserer Freiheit einschränken und auf eine Weise behandeln, die wir für grundsätzlich falsch halten und die oft nicht nur unseren Körper, sondern auch unsere Würde verletzen. Historisch lag der Fokus ethischer Untersuchungen auf diesen Formen der Beeinflussung. Doch wie steht es um Beeinflussungsweisen, die sich weder primär der Rationalität bedienen[1] noch auch Zwang oder Gewalt ausüben? 14Es gibt Formen der Beeinflussung, die sich weitgehend unbewusste Mechanismen zunutze machen und mittels unserer Affekte[2] zu wirken vermögen. Eine dieser Formen ist die Manipulation.

Manipulation finden wir in vielen Bereichen – in der Werbung, der Politik und in Partnerschaften oder sonstigen Beziehungen. Die Assoziationen, die dabei alltäglich mit dem Begriff einhergehen, lassen so manchen erschaudern. Verschiedene unethische Behandlungsweisen und ein defizitäres Menschenbild scheinen damit verbunden. Dieses defizitäre Bild des Menschen ist ganz ähnlich dem des Psychologen B. F. Skinner, einem der Väter des Behaviorismus, der in den frühen 1970er Jahren mit seinen Vorschlägen der Manipulation, so fürchteten seine Widersacher, Tür und Tor öffnete. Skinner wagte es, in seinem Buch Beyond Freedom and Dignity die These vorzubringen, dass nur mit der Verabschiedung der Konzepte von Freiheit[3] und Würde all die übergroß erscheinenden und 15vom Menschen verursachten Probleme in der Welt gelöst werden könnten.[4] Seine Erkenntnisse sollten dafür weiterentwickelt und es sollte eine neue »Verhaltenstechnologie« kreiert werden. Zur endgültigen Lösung unserer Probleme müsse man über Freiheit und Würde hinausgehen, da unsere kulturellen Konzepte von Freiheit und Würde nicht viel mit einem »wissenschaftlichen« Verständnis des Menschen zu tun hätten. Nach dem geforderten Schritt ließen sich dann andere Mittel für dessen Lenkung in Erwägung ziehen, da es das rational geleitete, freiheitlich agierende und aus diesen Fähigkeiten heraus so würdevolle Wesen Mensch eben gar nicht gäbe. Wir hätten uns – polemisch gesprochen – bloß in ein Traumbild unserer selbst verguckt[5] und seien letztlich doch vielmehr eine von der Macht der Affekte und Automatismen eingenommene Horde Affen (zudem noch im Angesicht einer dunklen Wolke des Unbewussten, auch wenn dieses für Skinner eigentlich keine Rolle spielt). Gut, wir seien zwar etwas elaborierter als unsere noch haarigeren Kollegen, aber darauf dürfe der Mensch sich nicht viel einbilden – was er aber dennoch seit jeher tut. Ernest Gellner stellt Jahrzehnte später fest, dass der Traum von der dominanten Rationalität als menschlicher Wesenheit in unserer sogenannten westlichen Kultur lang und mit einiger Sorgfalt gepflegt wurde. Die Philosophie, selbst »im wesentlichen Theorie der Rationalität«,[6] habe von Be16ginn an am rationalen, freien und würdevollen Menschen gebaut, die Aufklärung diese Existenz zementiert und den Schlussstein von Freiheit und Würde, den die Autonomie ermöglichende Rationalität darstellt, als regelrechten »life-style« etabliert, an den eigentlich alle unserer heutigen Strukturen (politisch, wissenschaftlich, privat – und natürlich nicht zuletzt ökonomisch) angepasst seien.[7] Nach Skinner ist genau dieser life-style die Wurzel der gefährlichen modernen Situation, aus der nur ein Weg führt: Die Ersetzung der Konzeption rationaler Akteure durch das »wissenschaftliche« Verständnis des Menschen als biologisch und psychologisch aufschlüsselbarem Organismus voller Irrationalitäten (das heißt nicht zwingend den Gesetzen der Rationalität folgend, auch wenn dies unter Umständen auch wiederum rational sein kann), also Affekten und Automatismen, der verlässlich auf Beeinflussungen reagiert und so effizient zu seinem eigenen Besten manipuliert werden kann.[8] Dies sei eine logische Konsequenz der Feststellung, dass Individuen eben schlicht nie die Architekten ihrer eigenen Schicksale seien.[9]

Skinner wirft hier wichtige Aspekte auf, die für die Diskussion im Folgenden interessant sind. Allerdings ist sein anthropologisch-psychologischer Gegenentwurf selbst hochproblematisch und kann letztlich die Komplexität des Wesens Mensch (wie auf der Gegenseite auch gängige Rational-Choice-Modelle) lediglich ungenügend erfassen und daher nur bedingt Licht ins Dunkel des Ablaufs unseres Handelns bringen. Die Betrachtung umfassenderer Modelle wird für ein angemesseneres Verständnis des Menschen im weiteren Verlauf dieses Buches unbedingt nötig sein, doch für den Moment können uns die von ihm aufgeworfenen Fragen als Ausgangspunkt dienen. Schließlich votiert Skinner vor dem Hintergrund seiner modifizierten Vorstellung des Menschen dafür, diesen weder rational überzeugend (das sei zu ineffizient) noch gewalttätig (das wiederrum sei zu brutal) dazu zu bringen, so zu handeln, wie 17es die Gesellschaft braucht und es für sein eigenes Wohl gut ist. Manipulation wäre hierfür ein probates Mittel[10] – aber auch ein wünschenswertes?

Das bleibt zunächst zumindest unklar; mancher mag sich unverzüglich an George Orwells Dystopie 1984 und Vorwürfe von möglicherweise täuschender Absicht, fatalen Konsequenzen und respektloser, paternalistischer Bevormundung erinnert fühlen. Schließlich rechtfertigt auch Orwells Figur O’Brien die Politik seiner Partei, die beständigen Manipulationen, Zwänge und Drohungen, gegenüber dem Protagonisten Winston so:

Er wußte im voraus, was O’Brien sagen würde. Daß die Partei nicht selbstsüchtig nach der Macht strebte, sondern nur zum Wohle der Mehrheit. Daß sie nach der Macht griff, weil die Menschen in der Masse schwache, feige Kreaturen waren, die weder Freiheit ertragen noch der Wahrheit ins Gesicht blicken konnten und deswegen von anderen, die stärker waren als sie, beherrscht und systematisch betrogen werden mußten. Daß die Menschheit die Wahl zwischen Freiheit und Glück hatte und daß, für die Masse der Menschheit, Glück besser sei. Daß die Partei die ewige Beschützerin der Schwachen war […].[11]

In 1984 zeichnet Orwell also genau das von Skinners Gegnern gefürchtete Horrorszenario. Menschen sind hier zerbrechliche, ängstliche, schwache und damit allzeit manipulierbare Kreaturen, die jede Würde verloren haben und keine echten Freiheiten mehr besitzen können oder, schlimmer noch, aufgrund der im Laufe der Zeit verkümmerten rationalen Handlungsleitung und mangels funktionierender Selbstwahrnehmung überhaupt nicht mehr zur Freiheit fähig sind. Die Probleme, die Skinners Opponenten hatten, sind von zweifacher Art: Sie hielten die Aufgabe so wesentlicher Werte wie der Freiheit und Würde für gefährlich, denn dies würde (1) dazu führen, dass sich ethisch problematische Methoden wie die Manipulation problemlos etablieren könnten und (2) die Menschen dann eben nicht mehr wie rationale, freie und würdevolle Wesen behandelt würden.[12] Solcherlei Vorwürfe beschreiben den 18Kern eines Unbehagens gegenüber Beeinflussungsmethoden wie der Manipulation, die sich abseits der lichten Rationalität bewege, Freiheit einschränke und Würde unterminiere. Doch es bleibt unklar, ob diese Vorwürfe tatsächlich haltbar sind.

Dies wird nicht nur zur Frage, wenn wir uns die Vagheit des Begriffes »Manipulation« vergegenwärtigen, sondern auch, wenn wir die im Hintergrund befindlichen Prämissen der Vorwürfe betrachten. Was durch Skinners Forschungen markiert wird und im Phänomen der Manipulation kulminiert, ist kein Kampf zweier Kulturen, sondern zweier Menschenbilder, auf denen auch wesentliche gestalterische Impulse für unsere Zivilisation fußen: Wir finden den rationalen, freien Menschen, dessen Würde hierin wurzelt, auf der einen und das manipulierbare Wesen, irrational, unfrei und geradezu tierisch, auf der anderen Seite. Zunächst stemmten sich die Verteidiger der Rationalität wirkungsvoll gegen die Forderung, den Menschen und die Gesellschaft psychologisch zu lenken. Skinner selbst legte keine starken moralischen Argumente zur Verfolgung seiner Vision vor (wahrscheinlich hielt er sie eben für rein wissenschaftlich), sondern schrieb den Roman Walden Two, der, vielleicht selbst manipulativ, seine Leserschaft zu Befürwortern seiner schönen neuen Welt machen sollte.[13] Der Kampf zwischen Verteidigern von Rationalität, Freiheit und Würde und denjenigen, die sie aufgeben oder zumindest neu konzipieren wollen, war damit aber nicht beendet – und so bleibt auch die Diskussion um die Manipulation weiter am Leben.

In jüngerer Vergangenheit finden sich (im weitesten Sinne) Nachfolger Skinners, die zumindest Teilen seiner Ideen weiter anhängen. So erweitert beispielsweise die relativ neue Disziplin der Verhaltensökonomie tatsächlich, wie von Skinner selbst gefordert, seine Erkenntnisse und entwickelt Ansätze, die unter anderem gesellschaftliche Probleme lösen sollen, indem man sich die Beeinflussbarkeit des Menschen, seine Irrationalitäten und seine Sensibilität für manche Stimuli zunutze macht. Berühmt geworden sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse Daniel Kahnemans und Amos...

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