Um mit dem griechischen Historiker Herodot zu sprechen: Die Ägäis hat „den schönsten Himmel und das beste Klima“ der Welt. Ein vom Wind zersauster einsamer Norden, die betriebsame, quirlige Mitte rund um İzmir und das mondäne Bodrum im Süden, das sind die groben Orientierungsmarken. Die vorgelagerten griechischen und türkischen Inseln garantieren reizvolle Entdeckungen.
Während die Mittelmeerküste in der Gegend von Antalya mit ihren weitläufigen Stränden und Feriendörfern eher Pauschaltouristen anspricht, lockt die Westküste Individualisten an. Denn hier werden Sie nur wenige kilometerlange Sandstrände finden, das Meer ist oft aufgewühlt und etwas kühler als weiter südlich, auch wenn unzählige Buchten zum Baden verführen. Olivenbäume, ein „ägäisblaues“ Meer und antike Stätten, die in interessante Freiluftmuseen umgewandelt wurden, prägen den Landstrich. In den Olivenhügeln entlang der Küste verstecken sich die klangvollen Namen der Antike – Troja, Pergamon, Milet, Ephesos – und trotzdem ist die türkische Ägäisküste kein Museum, sondern ein Erlebnisraum für Naturliebhaber. Von den einsamen Stränden im Norden über die trendigen Buchten rund um İzmir bis hin zu Bodrum, dem türkischen St. Tropez im Süden, ist für jeden etwas dabei.
Was von einer Legende übrig blieb: Säulenreste in Troja
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Die griechischen Inseln sind nur wenige Seemeilen entfernt
Das antike Griechenland ist hier überall präsent. Die meisten Siedlungen an der türkischen Westküste waren einmal auch von Griechen bewohnt. Die Menschen der zerfurchten und durch Flüsse üppig bewässerten Region pflegten jahrhundertelang einen regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit den vorgelagerten griechischen Inseln. Diese sind zum Teil nur wenige Seemeilen von der türkischen Küste entfernt, weshalb sich hier auch die Flüchtlingsströme der letzten Jahre konzentrierten: Die drittgrößte griechische Insel Lesbos (türkischer Name: Midilli) trennt vom gegenüberliegenden Golf von Edremit eine Meerenge, die an ihrer engsten Stelle nur 5,5 km misst, die Insel Kos (türkisch İstanköy) liegt 4 km vor Bodrum. Und ein enger Pass von nur 1,6 km (0,99 Seemeilen) trennt Samos (türkisch Sisam) von Marmaris. Der Reiseverkehr zwischen küstennahen griechischen Inseln und der Türkei hat sich seit 2015 insgesamt stark intensiviert. Nach Visaerleichterungen im kleinen Grenzverkehr fahren seit 2013 auch wieder mehr Türken zu den griechischen Inseln. Und aufgrund ihrer Wirtschaftsprobleme empfangen die Griechen ihre einstigen „Erzfeinde“ nunmehr mit offenen Armen – zwischen beiden Ufern der Ägäis findet heute ein neuer, echter Austausch statt. Überraschend sind dabei für viele die kulturellen Ähnlichkeiten.
Zeugen der Vergangenheit: Olivenbäume
Westanatolien ist die Wiege zahlreicher Zivilisationen von den Lykiern bis zu den Byzantinern und Osmanen. Davon zeugen vor allem die – oft jahrhundertealten – Olivenbäume, die zu den ältesten Kulturpflanzen gehören. In bizarren, verschlungenen Formen wachsen sie an der gesamten Küste, vom Marmarameer bis hinab in den Süden. Die fruchtbaren Täler der großen Flüsse Menderes und Gediz und der vielen kleineren Gewässer, die in den Bergen des Hinterlandes ihre Quellen haben, machen die Erde ertragreich. In großen Gewächshäusern, die sich in den Tälern wie lauter kleine Seen ausbreiten, wachsen das ganze Jahr über Tomaten, Paprika oder Auberginen. Die Landwirtschaft ist nach dem Tourismus die größte Einnahmequelle der Egeli, der Bewohner der Ägäisküste der Türkei.
Glanzvolle Antike, schwierige Gegenwart
Am regionalen Wohlstand hat der internationale Tourismus einen großen Anteil – umso problematischer, dass in jüngster Zeit die politischen Entwicklungen nicht gerade förderlich waren: Nachrichten über Kämpfe der Regierung gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK, der Krieg gegen den IS, die daraus resultierenden Flüchtlingsströme und nicht zuletzt die Vorgänge um den gescheiterten Putschversuch der Armee gegen die Erdoğan-Regierung im Sommer 2016 haben dem Tourismus sehr geschadet. Wer trotzdem an die türkische Riviera reist, den erwarten nach wie vor klangvolle Namen wie Troja, Pergamon und Ephesos. Letzteres war zur Zeit des Römischen Reiches eine der größten Städte der Welt. Es reflektiert heute, nach glanzvoller Restaurierung, nicht nur den materiellen, sondern auch den ideellen Reichtum der ionischen Kultur. Weiter südlich liegt Priene, das sich durch seinen von Hippodamus aus Milet geschaffenen geometrischen Grundriss auszeichnet. Milet war ein kulturelles Zentrum mit wichtigen kommerziellen und religiösen Bauten, deren schönste Teile heute im Berliner Pergamon-Museum zu besichtigen sind. Das benachbarte Didyma ist berühmt wegen seines einmaligen, dem Apollo geweihten Tempels.
Ein großer Sonnenhut gehört zu den wichtigsten Reiseutensilien, samt Schleife zum Befestigen, denn die Ägäis ist windig. Die Luftströmungen vom Norden und Südosten prallen vor allem auf die beiden Inseln Gökçeada (griech. Imbros) und Bozcaada (griech. Tenedos) am Ausgang der Dardanellen. Hinter der Großstadt İzmir lassen die Winde nach, in Bodrum nehmen sie wieder zu. Segler und Surfer mögen das: Ab İzmir südwärts, vor allem unterhalb der Halbinsel Didyma, gibt es die besten Segelreviere der Türkei. Die riesige Bucht von Gökova zwischen Bodrum und Marmaris ist ein Paradies für Wassersportler. Hier gibt es viele versteckte Plätzchen, die auf dem Landweg nicht erreichbar sind. Das Wasser ist so klar und sauber, dass Sie gar nicht wieder an Land gehen möchten.
Die Metropole İzmir ist das Ballungsgebiet der Küste. Die Stadt liegt an einer tiefen Bucht, die dank erfolgreicher Reinigungsmaßnahmen keine unangenehmen Düfte mehr verbreitet. Ölraffinerien und Fabriken sowie ein reger kommerzieller Hafenbetrieb machen İzmir zu einer Industriestadt. Trotzdem lohnt sich ein kurzer Aufenthalt hier, vielleicht zum Fischessen an der schönen Promenade, dem Kordon, auf den die İzmirer so stolz sind. Palmengesäumte Alleen mit alten Häusern im mediterranen Stil sind ein typisches Merkmal İzmirs. Ein weiterer guter Grund für einen Besuch ist für alle, die sich fürs Altertum interessieren, das Archäologische Museum, das eine sehr gute Kollektion antiker Werke beherbergt.
Ort der Entspannung für gestresste Städter: Alaçatı
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Die türkische Riviera im Süden ist fest in der Hand ausländischer Touristen, aber die Ägäis gehört stellenweise noch ganz den Türken. Vor allem der nördliche Teil der Küste, bis İzmir, ist touristisch nicht besonders erschlossen. Wegen seiner Nähe zu İstanbul, İzmir, Bursa oder Balıkesir ist dieser Küstenabschnitt bei wohlhabenden Städtern beliebt. Während die Ehemänner und Väter wochentags ins Büro oder die Fabrik arbeiten gehen müssen, residiert der Rest der Familie in den dreimonatigen Sommerferien am Strand. So musste mancher Olivenhain oder Obstgarten mehr schlecht als recht gebauten Sommerhäusern weichen.
„Blaue Reise“ oder lieber Jeepsafari?
Wo so viel zu besichtigen ist, gibt es vielfältige Möglichkeiten für Tagesreisen. Gute Hotels organisieren Jeepsafaris in das gebirgige Hinterland, mit schönen Holzbooten können Sie von den touristischen Zentren aus Ausflüge machen. Solche Touren schließen in der Regel Mittagspausen mit Fisch und Wein sowie mehrstündige Badeaufenthalte an besonders schönen Stellen ein. Auch die dicht an der Küste liegenden griechischen Inseln sind relativ gut erreichbar: Kos ist von Bodrum, Rhodos von Datça nur einen Katzensprung entfernt. Sie können aber auch ein typisches türkisches Segelboot aus Holz samt Kapitän und Crew chartern und sich tage- oder gar wochenlang auf sanften Wellen von einer Bucht zur anderen schaukeln lassen: Die zauberhafte „Blaue Reise“ durch die Ägäis kann süchtig machen. Und wer weiß, vielleicht finden Sie ein Boot mit netter Besatzung, das Sie künftig jedes Jahr für ein paar Wochen Meeresabenteuer reservieren wollen?
70 000–80 000 v. Chr.
Älteste Jägerkulturen in Anatolien
Um 6000 v. Chr.
Übergang zur Agrargesellschaft
3700 v. Chr.–400 n. Chr.
Trojas zehn Kulturstufen
6. Jh. v. Chr.
Hochblüte der Kultur in Milet
Nach 131 v. Chr.
Pergamon und Westanatolien werden zur Provincia Asia des Römischen Reiches
395
Teilung des Römischen Reiches in Westrom und Ostrom (Byzanz)
6. Jh.
Das...