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Marianne von Werefkin

Die Russin aus dem Kreis des Blauen Reiters

AutorBrigitte Roßbeck
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641156046
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Entdeckung einer wichtigen Künstlerin und faszinierenden Frau
Dass sich die bildende Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts fundamental wandelte, ist bekannt. Doch nur wenige kennen Marianne von Werefkin (1860-1938) - Malerin und Salonière, Mitstreiterin und Vordenkerin des Blauen Reiters. Endlich gibt es eine spannend erzählte Biographie - für alle die sich für die Kunst des Expressionismus und dessen Protagonisten interessieren.

»Kunst ist Emotion« - Marianne von Werefkins Credo bestimmte ihr Werk. Sie war eine der Schlüsselfiguren der Avantgarde des Expressionismus. Als Schülerin des berühmten Ilja Repin feierte die Malerin frühe Erfolge, bevor sie Alexej Jawlensky kennenlernte, den sie protegierte, liebte und hasste. Mit ihm ging die reiche Russin nach München, wo in ihrem Salon Blauer-Reiter-Geschichte geschrieben wurde. Im regen Austausch mit Kandinsky, Marc und Münter war Werefkin deren Mitstreiterin und Vordenkerin.
Basierend auf umfangreicher Forschung sowie einer Fülle bislang unbekannter Quellen erzählt Brigitte Roßbeck in dieser ersten umfassenden Biographie das Leben einer kämpferischen, leidenschaftlichen und geistreichen Frau, die viel wagte und sich dabei immer treu blieb.

Brigitte Roßbeck (1944-2022) war Historikerin, freie Journalistin und Autorin zahlreicher Biographien, darunter 'Zum Trotz glücklich. Caroline Schlegel-Schelling' (Siedler 2008) und 'Marianne von Werefkin. Die Russin aus dem Kreis des Blauen Reiters' (Siedler 2010). Zuletzt erschien 'Franz Marc. Die Träume und das Leben' (Siedler 2015).

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Leseprobe

KAPITEL I


1860–1879 Prägung


Und ich träume, dass, wenn ich hingehe, aufrecht und rein, ich eine unbekannte Blume finden werde …

Und wenn das Leben gar zu hart ist, berge ich meine Augen in meinen Händen, die den Duft der Blume bewahren.1

 

DAS KIND WAR GERADE EIN HALBES JAHR ALT, als Zar Alexander II. einem Drittel seiner Untertanen die persönliche Freiheit schenkte. Nur wurde mit der Aufhebung der Leibeigenschaft die Not der kleinen Leute kaum geringer.

Mariamna Wladimirowna Werefkina2 (für uns Marianne Werefkin, bis sie selbst, angepasst an die Gepflogenheiten der westeuropäischen Noblesse, das von zwischen ihren Vor- und Familiennamen setzte) kam am 29. August 1860 in einem Palast zur Welt, dem Amtssitz ihres Großvaters mütterlicherseits. Legt man den Gregorianischen Kalender3 zugrunde, dann fiel ihr Geburtstag auf den 11. September. Mariannes Geburtsort ist Tula, eine zentralrussische Bezirkshauptstadt.

Schon im äußeren Erscheinungsbild des Prachtbaues, in dem der Großvater Peter Michailowitsch Daragan (1800–1875) residierte und in dem seine Manjuscha oder Manja gerufene Enkelin ihren ersten Schrei tat, kam der politische und gesellschaftliche Rang eines Gouverneurs zum Ausdruck. Die Daragans zählten zur eng mit dem kaiserlichen Hof verbundenen Hocharistokratie. Dies traf auch auf die Vorfahren von Mariannes Großmutter Anna Daragan geborene Balugiansky (1806–1877), zu. Die kluge und couragierte Tochter des kaiserlich russischen Staatsrats Michail Andrejewitsch Balugiansky (1769–1847), einst Mitbegründer und Rektor der Universität von Sankt Petersburg, zählte in ihrem Heimatland zu den weiblichen Ausnahmeerscheinungen. Anna Daragan tat sich als Reformpädagogin hervor. Ihr didaktisch wegweisendes Unterrichtswerk Das Alphabet mit Lesebeispielen für Fortgeschrittene erreichte zehn Auflagen. Noch größere Verbreitung fand ein kleines Werk mit dem Titel Der Weihnachtsbaum; obgleich unverkennbar religiöser Natur, hatte die Verfasserin dieser Kinderfibel auf die üblichen frömmlerischen Phrasen bewusst verzichtet. Und bevor sie ans Schreiben eines in Russland weit verbreiteten Lesebuchs mit Tiergeschichten gegangen war, hatte Anna Daragan zoologische Forschungsberichte studiert. In Zarin Alexandra Fjodorowna (ursprünglich Friederike Luise Charlotte Wilhelmine von Preußen, älteste Tochter Friedrich Wilhelms III. und der legendären Königin Luise) fand sie eine einflussreiche Förderin. Zunächst wurde ihr die Leitung einer Lehranstalt in Moskau übertragen, danach eines Petersburger Waisenhauses und zuletzt einer Ausbildungsstätte in Tula. Mit der Herausgabe ihrer 1862 erschienenen Anleitung für Kindergärten nach Friedrich Fröbel rückte Anna Daragan die Methoden des deutschen reformpädagogischen Vordenkers ins Blickfeld beklagenswert rückständiger russischer Erzieher. Ein folgenschwerer Fehler unterlief der fortschrittlichen Erzieherin dennoch. Die Bemerkung, Marianne sei zu wenig hübsch, verzieh ihr die Enkelin nie.

Und wie stellt sich uns die Mutter dar?

Elisabeth Werefkin geborene Daragan, Jahrgang 1834, war zum Zeitpunkt ihrer ersten Niederkunft sechsundzwanzig und seit zwei Jahren Ehefrau. Sie sprach mehrere Sprachen, kannte sich aus in der europäischen Literatur und war eine begabte Malerin. Im frühen Stadium der Schwangerschaft hatte sie, als Abschiedstour von der geschätzten Ungebundenheit vielleicht, eine Bildungsreise unternommen, sich in Deutschland, England und Frankreich umgesehen, am längsten aber in Rom, dem Traumziel aller Kunstenthusiasten. Ihr Begleiter und Lehrer, der Maler Carl Timoleon Neff, war in Russland ein hoch angesehener Mann. Zuständig für die Pflege und Instandsetzung aller Exponate der Eremitage führte er auch Aufsicht über das Inventar jeglicher zaristischer Schlösser. Neff malte die Sankt Petersburger Isaaks-Kathedrale aus. Ein weiteres Hauptwerk des Künstlers schmückte einst die Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale.4 Er schuf Bildnisse für die russisch-orthodoxen Gotteshäuser von Nizza und Wiesbaden – beide Kirchen gehörten nachweislich zu Elisabeth Werefkins Besichtigungsprogramm im Verlaufe der ersten Monate des Jahres 1860.

Carl Timoleon Neff war zudem ein gefragter Porträtist, und auch seine Genrebilder5 waren überaus beliebt; berühmt machten ihn biblische Darstellungen. Wie er schuf auch seine Vorzugsschülerin eine Vielzahl von Ikonen und Ikonostasen. Und wie er sah Elisabeth Werefkin in den Werken der Nazarener ihre Vorbilder. Ursprünglich ein Spottname für junge Aussteiger des frühen 19. Jahrhunderts, wurde die Bezeichnung für jene religiös gestimmten Romantiker mit den überschulterlangen Haaren und den Jesusgewändern zu einem Markennamen. In ihrem Wunsch nach Abstand und Erneuerung hatten fünf Studenten der Wiener Kunstakademie den Rücken gekehrt, sich im verlassenen römischen Kloster St. Isidor niedergelassen und den Bund der Lukasbrüder6 mit strengen Lebens- und Arbeitsregeln gegründet. Viel später einmal wird Elisabeth Werefkins Erstgeborene von dem, wenn man so sagen kann, Ordensnamen Gebrauch für eigene Zwecke machen.

Marianne Werefkin im Alter von drei Jahren – mit Mutter und jüngerem Bruder Peter

Zweifellos ging die kreative Kraft ihrer Mutter auf Marianne über. »Sie sagte«, erinnerte die Tochter, »dass ihr schönstes Vermächtnis meine Kunst sei«,7 habe aber auch warnend den Finger gehoben: »L’art … est une maîtresse exigeante, elle demande tout son homme!« Nun, es sei ihr leichtgefallen, dieser strengen Herrin zu dienen, sollte Marianne eines fernen Tages resümieren.8

So sehr sie im Umgang mit ihrer Mutter die Wohltat liebevoller Körpergesten und bedingungsloser Anerkennung vermisst haben mag, so sicher ging Marianne von besten Erziehungsabsichten aus. »Maman wollte mich schützen vor Selbstmitleid und Sentimentalität. Sie wünschte mir alles Glück, das sie nicht hatte« – künstlerische Freiheit und persönliche Unabhängigkeit –, »damit ich im Manne nicht den Meister fühlen sollte.«9

Dabei entsprach Elisabeth Werefkins Gatte, 1821 geboren, somit dreizehn Jahre älter als sie, gleichfalls aus dem russischen Hochadel, durchaus nicht dem Urtyp eines Furcht einflößenden Patriarchen. Marianne war ihrem Vater »unendlich dankbar« für seine Herzensgüte. »Papa ließ mich die Süße des Lebens spüren, er allein auf der Welt war zärtlich zu mir.«10 Dankbar war sie ihm auch für die »fröhliche, mutige, ausgelassene Jugend, die er mich ungehindert genießen ließ«.11

Wladimir Nikolajewitsch Werefkin begann seine militärische Laufbahn als Fähnrich in der Leibgarde des Ismailowski-Regiments. Mit ihm zog er 1849 gegen die Ungarn ins Feld. Im Alter von fünfunddreißig Jahren wurde er zum Kommandeur des in Tula stationierten Jekaterinenburgischen Infanterieregiments ernannt. Die Befehlsübernahme erfolgte, als der entsetzlich verlustreiche Krimkrieg um die Vorherrschaft auf dem Balkan und am Schwarzen Meer eigentlich schon verloren war. Trotzdem gelang es Wladimir Werefkin, den Belagerungsring um den Militärstützpunkt Sewastopol, Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte, zu sprengen, sodass die halb verhungerten Soldaten flüchten konnten. Von zwei gegnerischen Kugeln getroffen und erheblich verletzt, bekam der landesweit gefeierte Held den Kaiserlichen Orden des Heiligen und Siegreichen Großmärtyrers Georg angeheftet sowie den Kaiserlichen Orden der Heiligen Anna und denjenigen des Heiligen und Apostelgleichen Großfürsten Wladimir.

Wladimir Nikolajewitsch Werefkin, um 1895

Ab Mai 1863 bekleidete er, zum Generalmajor befördert und nach Witebsk versetzt, das Amt eines Militär- und Zivilgouverneurs. Als solcher einerseits oberster Truppenbefehlshaber und andererseits oberster Gerichtsherr, erwartete ihn in dem Gebiet ständiger politischer Unruhen eine denkbar schwierige und in letzter Konsequenz das Gewissen belastende Aufgabe. Doch wusste er, was ihm bevorstand, und auch, was von ihm erwartet wurde.

Im Zusammenhang mit der Ersten Teilung Polens 1772 waren Witebsk und sein Umland zwangsweise an das Russische Reich gefallen, anfangs in die Statthalterschaft Weißrussland eingegliedert, später als ein eigenes Gouvernement. Bewohnt wurde es mehrheitlich von Menschen polnischer Zunge, die mit dem Mut der Verzweiflung für die Wiedererlangung ihrer nationalen Souveränität kämpfend ihr Leben aufs Spiel setzten. Auch der Aufstand kurz vor Generalmajor Wladimir Werefkins Amtsantritt war von der russischen Militärpolizei mit Gewalt niedergeschlagen worden. Außerdem hatte der Zar über das Witebsker Gouvernement das Kriegsrecht verhängt und ferner die unbarmherzige Verfolgung und Bestrafung aller Freischärler angeordnet. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit musste Mariannes Vater seine Unterschrift unter Todesurteile und Hinrichtungsbefehle setzen. Als die Werefkins nach Witebsk übersiedelten, waren sie bereits zu viert.

Ihrem 1862 geborenen, somit zwei Jahre jüngeren Bruder Peter, Petja gerufen, sollte sich Marianne zeit ihres Lebens sehr verbunden fühlen. 1872 kam als Letzter der Geschwister Vsevolod auf die Welt. In seiner Jugend nannte Marianne den Nachkömmling, trotz mancher beklagenswerter Nichtsnutzigkeiten, einen »guten Jungen«.12 Das Glück verließ Wolja, so dessen Kosename, erst im Erwachsenenalter.

Fraglos standen die gewöhnlichen Wohnverhältnisse in einem krassen...

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