Zur Anwendung kommt in dieser Arbeit eine qualitative Methode, da diese in einem komplexen Thema völlig neuartige Einsichten ermöglicht (Mayring, 2008). Sie ist induktiv und eignet sich so primär zur Exploration und Hypothesenentwicklung (ebd.). Durch die Anwendung von „Laddering-Interviews“ sollen die Markenwerte herausgearbeitet werden, die einer Markendisidentifikation zu Grunde liegen. Im Folgenden werden dasMethodendesign und die Stichprobe dargestellt. Weiterhin wird die Auswertung der Laddering-Interviews aufgezeigt, die in einer Ergebnisdarstellung und -diskussion münden. Zunächst werden jedoch das Erkenntnisinteresse und die Forschungsfragen erörtert.
Die zu untersuchende Markendisidentifikation soll nicht nur den Bezug zu einer vom Autor beliebig ausgewählten Marke haben. Deswegen wird in dieser Arbeit mehr als eine Marke untersucht. Gleichzeitig schränkt die Limitation dieser Arbeit die Auswahl auf drei relevante Marken ein. Somit wird zunächst in einer Vorstudie geklärt werden, welche Marken sich besonders zur Untersuchung von Disidentifikation eignen. Ziel der Arbeit ist es, zu klären, ob es generalisierbare Markenwerte gibt, die einer Marken-disidentifikation zugrunde liegen. Dazu muss zunächst geklärt werden, welche Attribute, Konsequenzen und Markenwerte der jeweiligen Marke zugeschrieben werden. Die Means-End-Chain Analyse ermöglicht, dass den Marken konkrete Attribute zugeschrieben werden und darüber zu den Konsequenzen und dahinterliegenden Werten zu gelangen. Die Means-End-Chains erlauben es, den zahlreichen Attributen über den Konsequenzen wenige gemeinsame Werte zuzuordnen. Die Ergebnis-darstellung der drei unter-suchten Marken erfolgt in Hierarchical Value Maps.
Tabelle 3 - Forschungsfrage
Der Markenwert der relevanten Marken wird wahrscheinlich für jeden Proband ein anderer sein und ist somit schwer über einen standardisierten Fragebogen erfassbar. Antwortkategorien, die nicht vorgegeben werden, können bei dieser Methode unerfahren bleiben. (Diekmann, 2007)Für das Erkenntnisinteresse bietet sich hier eine spezielle Form der qualitativen Befragung an: das „Laddering-Interview“, das auf dem Means-End-Ansatz basiert. Diese Interviews sind qualitativ, die im Anschluss quantitativ ausgewertet werden. Als Ergebnis dient die Visualisierung in einer Hierarchical Value Map. Diese stellt Attribute, Nutzen und Markenwerte aufeinander aufbauend dar. Die Ermittlung der zu untersuchenden und relevanten Marken erfolgt in einer quantitativen Vorstudie.
In den 30er Jahren wurde von dem Sozialpsychologen Tolman die Grund-lagen für den Means-End-Ansatz gelegt, indem er auf die Zielorientierung des individuellen Verhaltens hinwies. Durch einen Informationsprozess hat ein Individuum eine Vorstellung über ein betrachtetes Bezugsobjekt (Mittel bzw. „means“), das zur Erfüllung eines bestimmten Wunsches (Ziel bzw. „end“) geeignet ist. (Tolman, 1932, S. 18ff.; Herrmann, 1996, S. 7ff.)
In den 80er Jahren entwickelten Reynolds und Gutman ein Means-End-Modell, das Eigenschaften („attributes“), Nutzenkomponenten („consequences“) und persönlichen Werthaltungen („values“) als Bedeutungsebenen aufweist. (Gutman, 1982; Reynolds & Gutman, 1988, S. 14ff.) Bei den Eigenschaften handelt es sich um die unterste Hierarchiestufe des Means-End-Modells, die aber Wissen über das Bezugsobjekt voraussetzt, was folgendes Zitat darlegt:
„The lower levels of a means-end hierarchy contain relatively concrete knowledge about product attributes and their perceived linkages to the functional consequences of product use” (Olson, 1995, S. 189).
Aufbauend auf dem Means-End-Modell identifiziert die anschließende Laddering Technik häufig genannte Means-End-Elemente (Reynolds & Whitlark, 1995, S. 9ff.). Diese Elemente sind die Grundlage für die Means-End-Chains, die als „Hierarchie von Zielen“ (Gutman, 1997, S. 558) definiert werden und deren Ketten in einer Hierarchical Value Map grafisch dargestellt werden können (Herrmann, 1996, S. 11). Wobei die Means-End-Leiter ein individuelles Gefüge von Means-End-Elementen beschreibt und die Means-End-Chain eine für mehrere Probanden gültige Verknüpfung darstellt (Herrmann, 1996, S. 74). Die Ziele haben sowohl erwünschte und angenehme, als auch unerwünschte und unangenehme Konsequenzen (Gutman, 1982, S. 61, 1997, S. 558). Nach Olson und Reynolds basiert der Means-End-Chain Ansatz auf mehreren fundamentalen Annahmen. Wie bereits in Kapitel 2.3.7 angedeutet, ist die Marke eine Problemlösung, die Ziele, Bedürfnisse oder Defizite verursachen kann. Der Fokus liegt auf den Konsequenzen einer Entscheidung, die man mit der Marke erfahren hat. Diese Konsequenzen sehen Olson und Reynolds wie auch Gutman mit positiver und negativer Ausprägung, die hier aber eine persönliche und relevante Abwägung von Alternativen darstellt, mit den entsprechenden Nutzen oder Risiken. Die Konsequenzen werden unterschieden in zwei Typen, zum einem in der funktionalen und zum anderen in der psychosozialen Konsequenz. Die funktionalen Konsequenzen treten meist unmittelbar nach der Erfahrung mit der Marke auf („Ich hatte keinen Hunger mehr, nachdem ich den Schokoriegel gegessen hatte“). Die psychosozialen Konsequenzen sind für das Selbst relevant und eher emotionaler und sozialer Natur. Sie können auch noch lange nach der Erfahrung mit der Marke auftreten („Die Leute beachten immer noch mein fünf Jahre altes Auto“). Entscheidend für den Means‐End‐Chain Ansatz sind die Verbindungen zwischen den Bedeutungsebenen (Attributen, Konsequenzen, Werten), da hier der Großteil der Bedeutung transportiert wird. Die funktionalen und psychosozialen Konsequenzen sind von hoher persönlicher Relevanz und haben Ver-bindungen zu den wichtigen „Kernwerten“ oder auch Lebenszielen eines Menschen. Wenn die Entscheidung für oder gegen eine Marke bewusst ist, kann mit dem Means‐End‐Chain Ansatz diese Kette modelliert werden. Das ist auch möglich, selbst wenn die Entscheidung in der Vergangenheit liegt, automatisiert abläuft und inzwischen unbewusst ist. Im Means‐End‐Chain Modell werden dann tangible und konkrete Eigenschaften einer Marke mit intangiblen, abstrakten, emotionalen und persönlichen Werten durch eine Kette verbunden. (Olson & Reynolds, 2001, S. 9ff.)
Die, bereits dargestellten, terminalen und instrumentalen Werte nach Rokeach (Siehe Anlage A.1 und Kapitel 2.3.3 - Markenwerte) werden in dieser Arbeit als Grundlage genutzt. Die Vor- und Nachteile, die die Werte mindern oder mehren, bilden die Markenwerte. Das heißt die Markenwerte in dieser Arbeit wurden deduktiv, also auf „Grundlage eines theoretischen Ansatzes“ (Kuckartz, 2010, S. 201) heraus entwickelt. Im Gegensatz zu den Eigenschaften und Konsequenzen, die induktiv, das heißt „aus dem Material heraus“ (ebd.), entwickelt wurden. Um eine Aussage treffen zu können, ob die Marke einen persönlicher Wert „erfüllt“ (mehrt) oder „verletzt“ (gemindert) hat, wurden die positiven Werte von Rokeach zusätzlich negiert und angepasst, um diese später richtig kodieren zu können. Wie zum Beispiel der terminale Wert „Pleasure“, was man als Vergnügen, Freude, Genuss oder Lust übersetzen könnte und zusammenfassend als „Wohlbefinden“ kodiert wurde. Die Verletzung des terminalen Werts „Wohlbefinden“ entspricht dem „Stress“ oder auch „kein Wohlbefinden“. „Stress“ und „kein Wohlbefinden“ sind hier somit nicht als eigenständige terminale Werte zu verstehen, sondern als ein Markenwert, der den terminalen Wert „Wohlbefinden“ verletzt. Ebenso verhält es sich mit dem terminalen Wert „Innere Harmonie“ („Inner Harmony“) dessen Verletzung als „Ärger“ kodiert wurde. Die Verletzung des instrumentalen Wertes „Verantwortungsbewusstsein“ („Responsable“) wurde um die Subkategorien Verletzung der ökonomischen-, ökologischen- und sozialen Verantwortung erweitert. Die tatsächlich kodierten Kategorien sind in Anhang A.10 erfasst. Zusammenfassend wird in Abbildung 7 dargestellt, wie die Bedeutungsebenen des Means‐End‐Chain Modells weiter in unterschiedliche Ebenen unterteilt werden (Herrmann, 1996, S. 72ff.; Reynolds & Gutman, 1988). Die Attribute wurden nicht weiter unterteilt, da das als ausreichende Differen-zierung angesehen wird (Olson & Reynolds, 2001, S. 13). Die Means‐End‐Chain bildet einen Ausschnitt der Wissensstruktur über eine Marke ab. Eine Aktivierung, wie zum Beispiel die Kaufabsicht, führt zunächst von den konkreten Attributen zu den abstrakten Attributen (Herrmann, 1996, S. 73f.). Danach „breitet sich dieser Impuls auf die funktionalen […] und sozialen bzw. psychischen […] Nutzenkomponenten aus, bevor er schließlich die instrumentale […] und terminale […] Werthaltung erreicht“ (Herrmann, 1996, S. 74).
Abbildung 7 – Bedeutungsebenen des Means‐End‐Chain Modells
Zur Operationalisierung des Means-End-Ansatzes bietet sich das...