1.1 Kommerzielle Marketingorientierung als Indiz für das Marketingverständnis deutscher Parteien
Parteien und Politiker müssen sich heutzutage allen Wählern - ähnlich wie auf einem freien Markt - anbieten. 1 Die Entwicklung von Massenmedien wie z.B. Fernsehen und Radio bricht bisherige Informationsbarrieren auf. In Verbindung mit der heutigen Informationstechnologie kann, weit über die bisherigen Zielgruppen hinaus, eine größere Zahl an Wählern gezielt angesprochen werden. Die Parteien sind im Rahmen ihrer Wahlforschung mittlerweile in der Lage, umfassend Daten über Wählerpräferenzen zu sammeln. Somit ist die politische Führung in der Lage auf diese Wählerwünsche und -bedürfnisse durch Marktsegmentierung einzugehen. 2 In einer Zeit stark abnehmender Parteibindung, eines steigenden Wechselwähleranteils, einer rasanten technologischen Entwicklung und generellen Ökonomisierung der Gesellschaft wird ein solches Politikmarketing als unerlässliche Aufgabe der Parteien gesehen. 3 Es ist aufgrund dessen zu einem wesentlichen Bestandteil der heutigen Politikwissenschaft geworden:
„Political marketing is a growing phenomenon, as organisations such as legislatures, interest-groups, the media, health services, political parties and educational institutions are applying marketing concepts and techniques to help them achieve their goals.“ 4
Als populäres Schlagwort taucht Politikmarketing immer wieder im Kontext von Themen auf, die sich mit Wahlkampf, Parteimanagement und politischer Kommunikation im Umbruch der politischen Landschaft des 21. Jahrhunderts auseinandersetzen: Amerikanisierung, Mediatisierung der Politik, Negative-Campaigning, Personalisierung, Symbolische Politik, Politikmarken oder Spin-Doctoring. In diesen aktuellen Kontexten weist die wissenschaftliche Beschäftigung mit Politikmarketing starke Schnittstellen mit der Politik- und der
Kommunikationswissenschaft auf. Mit der Politikwissenschaft verbindet das Politikmarketing das gemeinsame Verlangen, die zugrunde liegenden Prozesse zu verstehen und daraus Erklärungsmodelle für Wähler- und Parteiverhalten zu konstruieren. Mit der Kommunikationswissenschaft teilt sich das Politikmarketing das Interesse an der Kunst des Überzeugens. 5 Aufgrund dessen ist die Beschäftigung mit Politikmarketing zu einem interdisziplinären Phänomen geworden, das in einer Vielzahl wissenschaftlicher Zusammenhänge vorzufinden ist.
Der Alltag von politischen Parteien in Deutschland wird heute von der Zusammenarbeit mit Agenturen bestimmt, die originär für klassisch kommerzielle Unternehmen werben. So betreut McCann-Erickson, die Hausagentur der CDU, bspw. auch Coca-Cola, Microsoft und L’Oréal. Eine Partei, die ohne Werbeagentur einen Wahlkampf durchführt, ist mittlerweile undenkbar, wenn auch vor gar nicht langer Zeit noch gängige Praxis. Der Blick auf den angloamerikanischen Sprachraum, insbesondere auf die USA, zeigt ein frühes Interesse an Politikmarketing und dessen Vorläufern: Das Fernsehduell zwischen den Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy und Richard M. Nixon läutete eine Phase ein, in der es erstmals über politische Argumente hinaus auch auf Telegenität ankam, um ein positives Image bei der Wählerschaft zu erzeugen. 6 Gerhard Schröder war im Jahre 2002 der erste Bundeskanzler, der ein Fernsehduell mit seinem Konkurrenten Edmund Stoiber bestritt. Darüber hinaus sorgte die SPD im Bundestagswahlkampf 1998 mit ihrer Wahlkampfzentrale Kampa für einen Schritt von bloßer politischer Kommunikation und Kampagnenplanung hin zu einem strategischen Konzept zur Zielerreichung. Als dessen Vorbilder sind die zentral gesteuerten Wahlkämpfe 1992 von Bill Clinton in den USA und 1997 von Tony Blair in Großbritannien zu erkennen. Der hohe Stellenwert, der dieser Form des Politikmarketings in Deutschland zugemessen wird, ist neben gestiegenen Wahlkampfbudgets und einem Boom in der Branche der Politikberater 7 auch an der steigenden Zahl der themenspezifischen Fachkongresse ablesbar. 8
Die Häufigkeit, mit welcher der Begriff Marketing in den oben beschriebenen - doch recht verschiedenen - politischen Kontexten benutzt wird, verdeutlicht wie unterschiedlich die Bedeutungen sein können, die dem Marketing-Begriff zugewiesen werden. Der sich daraus ergebende Spielraum für Interpretationen ist groß, so dass bspw. O’Shaughnessy urteilt:
„The term ‚political marketing’ can be used too loosely, to refer to anything from rhetoric to spin doctoring […].“ 9
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die empirische Bestandsaufnahme, inwieweit die Auswahl und der Einsatz von Marketinginstrumenten bei Parteien von deren Marketingverständnis abhängt.
Der entsprechende Nachweis der verschiedenen Marketingverständnisse durch diese Arbeit ist aus zwei Gründen bedeutend:
• Zum einen soll nachgewiesen werden, dass die Notwendigkeit besteht, eine einheitliche Sprache des Marketings zu verstehen und zu sprechen. Als interdisziplinäre Schnittstelle zwischen Politik-, Marketing- und Kommunikationswissenschaft kann nur ein einheitliches Vokabular für ein reibungsfreies Verständnis von Politikmarketing sorgen.
• Zum anderen führt die Kenntnis über die Uneinheitlichkeit des Marketingverständnisses zu einem besseren Verständnis des Verhaltens und der Einstellungen von Politikern. Dieser Erkenntnisgewinn ist nur über eine interdisziplinäre Öffnung der politikwissenschaftlichen Forschung möglich, die über die Existenz von unterschiedlichen Marketingverständnissen Kenntnis hat. Die i.d.R. deskriptiv ausgelegt politikwissenschaftliche Forschung wird um die Beobachtung der marketingwissenschaftlichen Ausgestaltung vom Politikmarketing erweitert. Eine beschreibende Analyse des Wählerverhaltens ist somit eine neue Basis der Entscheidungen des Marketing-Managements einer Partei. 10
Innerhalb der Marketingwissenschaft finden sich Konzepte, die unterschiedliche Auffassungen des Marketing-Begriffs beschreiben. Unter dem Oberbegriff
(Veranstalter: Politikverlag Helios GmbH, 24.-25. November 2003, nächster Termin: 29.-30.
November 2004), Politik als Marke (Veranstalter: Politikfabrik, 26. April 2004).
Marketingorientierung spiegeln sich die grundlegenden Verständnisunterschiede des Marketingbegriffes wider. Insbesondere drei Marketingorientierungen sind zu nennen, die jeweils die Art des Marketings von Unternehmungen, Organisationen oder Personen charakterisieren, denen ein ähnliches Marketingverständnis zugrunde liegt. Es sind
• die Produktorientierung,
• die Verkaufsorientierung und
• die Marktorientierung. Die Erweiterung der Marketingwissenschaft in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch den Ansatz des generic marketing 11 oder das broadening 12 ermöglichte erstmals eine Ausweitung des Marketing-Gedankens auch auf die politische Sphäre und beeinflusste somit auch das Marketingverständnis von Parteien.
Angewendet auf politische Parteien bietet das Konzept der Marketingorientierung neuartige Erkenntnismöglichkeiten bezüglich der Art und Weise, auf die Politik heute betrieben wird: 13
• Durch ihre ökonomische Rationalität bietet es neue Einsichten in strategische Optionen und das Parteiverhalten.
• Es ermöglicht die Enthüllung der Geheimnisse und Besonderheiten von aktuellen und vergangenen Führungsstilen von Politikern.
• Es erweitert den Fokus der Betrachtung vom reinen Campaigning zur hohen Politik des Regierens und des Parteimanagements. Autoren wie z.B. Avraham Shama, Bruce Newman, Jennifer Lees-Marshment oder Robert Ormrod stehen als Pioniere für eine Übertragung der Marketingorientierungen in das Politikmarketing. 14 Allerdings ist ihr Transfer durch Isomorphieprobleme nur teilweise gelungen und zudem sind einige Modelle nur eingeschränkt auf das deutsche Parteiensystem übertragbar. Die Isomorphieprobleme treten in zweierlei Hinsicht auf: Einerseits wurden die einzelnen Marketingorientierungen lückenhaft konzeptualisiert. Die Ursachen hierfür liegen zum einen in ebenfalls lückenhaften
Konzeptualisierungen von Marketingorientierungen im kommerziellen Marketing, die als Vorlage für eine Übertragung in das Politikmarketing dienen, zum anderen in der unbewusst eingenommenen subjektiven Perspektive der Autoren, welche die Marketingverständnisse untersuchten. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Fokussierung vieler Autoren auf nur eine dominierende Marketingorientierung, so dass keine umfassende Abbildung alternativer Marketingorientierungen politischer Parteien möglich war.
Andererseits liegt der zweite Schwachpunkt der Übertragungen in einem speziellen Forschungsdefizit in Deutschland. Während im angloamerikanischen Sprachraum erste Analogieversuche vorliegen, wurden Marketingorientierungen bei politischen...