Wissenschaftler der Organisationsforschung haben in der jüngsten Vergangenheit auf die Forschungsmethode der Inhaltsanalyse zurückgegriffen, um schwierig zu erfassende latente Konstrukte mit einer akzeptablen Konstruktvalidität messen zu können (Duriau et al., 2007). Dies ist insofern zu betonen, da die Konstruktvalidität weiterhin eine Herausforderung in der Organisationsforschung darstellt (Short et al., 2010). Die Inhaltsanalyse konnte strategischen Managementforschern bereits dabei helfen, beispielsweise Unternehmensstrategien (Bowman, 1978), die Ressourcen von Organisationen (Mishina, Pollock, & Porac, 2004) und Strategiegruppen (Osborne, Stubbart, & Ramaprasad, 2001) zu analysieren. Auch die neuartige Messmethode für MO von Zachary und Kollegen (2011) stellt eine Art der Inhaltsanalyse dar.
Basierend auf einer umfassenden Analyse von sechs wesentlichen Definitionen des Begriffs Inhaltsanalyse, definieren Shapiro und Markoff (1997) eine Inhaltsanalyse als „[…]any methodological measurement applied to text (or other symbolic materials) for social science purpose” (Shapiro & Markoff, 1997 : 14). Die vorliegende Arbeit übernimmt diese weitgefasste und gleichzeitig minimalistische Definition, da sie eine akzeptable konzeptuelle Grundlage für die weitere Arbeit darstellt.
Konkreter gesagt, stellt die Inhaltsanalyse eine Forschungsmethode dar, die objektiv und systematisch eine Reihe an Prozessen anwendet, um valide Schlüsse durch die Analyse ausgewählter Texte ziehen zu können (z. B.: Neuendorf, 2002; Krippendorff, 2004; Holsti, 1969). Im Mittelpunkt einer Inhaltsanalyse steht dabei die Anerkennung der Wichtigkeit der Sprache in der menschlichen Kognition (Sapir, 1944; Whorf, 1956). Denn die Schlüssel-annahme einer solchen Analyse ist, dass Wissenschaftler durch die Analyse von Texten die kognitiven Schemata von Personen verstehen können (Huff, 1990; Woodrum, 1984). Beispielweise wird die Häufigkeit von bestimmten Wörtern, die eine Person zu einer gewissen Thematik verwendet, als ein Indikator der Wichtigkeit angesehen (Abrahamson & Hambrick, 1997). Außerdem nimmt eine Inhaltsanalyse an, dass unterschiedliche Gruppen von Wörtern existieren, die zugrunde liegende Thematiken aufzeigen können (Weber, 1990). Daher ist die zentrale Idee einer Inhaltsanalyse die Einordung von Wörtern eines Textes in wenige Inhaltskategorien, welche jeweils aus einem, mehreren oder vielen Wörter bestehen können. Hierbei werden Wörter mit einer ähnlichen Bedeutung in dieselbe Kategorie eingeordnet und anschließend wird durch eine Frequenzzählung die relative Wichtigkeit jeder Inhaltskategorie in einem Text festgestellt (Weber, 1990). Daher werden vor der eigentlichen Inhaltsanalyse Wörterbücher bzw. Wörterlisten für unterschiedliche Inhaltskategorien konzipiert.
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im Folgenden nur auf die später angewandte Methode der Inhaltsanalyse (computergestützte Textanalyse), da ein kompletter Überblick über die verschiedenen Formen der Inhaltsanalyse außerhalb des Fokus dieser Arbeit liegt.[4] Die für die spätere Messung von MO verwendete computergestützte Textanalyse (engl. Computer-Aided Text Analysis) (CATA) stellt eine Form der Inhaltsanalyse dar, die weiterhin die bereits genannte zentrale Idee der Inhaltsanalyse verfolgt und durch einen Einsatz von Computer Software die Analyse von Texten erleichtert (Duriau et al., 2007). CATA vereinfacht die Analyse insofern, da eine höhere Reliabilität bei geringeren Kosten und einer höheren Geschwindigkeit im Vergleich zu einer traditionellen Inhaltsanalyse durch Personen erreicht wird (Neuendorf, 2002).
In CATA stellen generierte Wörterlisten, die für einzelne Inhaltskategorien konzipiert wurden, die Instrumente zur Messung von Konstrukten dar. Im Allgemeinen kann zwischen zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen bei CATA differenziert werden, abhängig von dem Ursprung dieser Wörterlisten. Wissenschaftler können bei ihren Studien entweder auf bereits existierende und etablierte Wörterbücher bestimmter Konstrukte zurückgreifen oder sie konstruieren für die zu untersuchenden Konstrukte eigene Wörterlisten (Pollach, 2012). Die spätere Messung von MO mittels CATA greift auf das von Zachary und Kollegen (2011) selbst-konzipierte Wörterbuch zurück, welches sowohl deduktiv von der Theorie als auch induktiv durch die Analyse der Textkörper hergeleitet wurde. Ihre Vorgehensweise bei der Konzipierung dieses Wörterbuches wird in Abschnitt 3.4.1 genauer vorgestellt. Finale Wörterlisten werden anschließend in eine Inhaltsanalysesoftware, wie beispielsweise DICTION, hochgeladen, die die ausgewählten Texte hinsichtlich der Häufigkeit dieser Wörter und Ausdrücke, die zu den einzelnen Inhaltskategorien gehören, analysiert. Durch diese zunächst einmal absolute Zählung an Wörtern kann später die relative Wichtigkeit jeder Inhaltskategorie in einem Text festgestellt werden (Weber, 1990). Außerdem ist zu erwähnen, dass die Software jedes Textmedium mit den gleichen Kodierungsschemata untersuchen wird, sobald die Wörterbücher implementiert wurden (Brigham, Lumpkin, Payne, & Zachary, 2014).
Bei CATA können Forscher des strategischen Managements jede Quelle an Kommunikation von Unternehmen, wie beispielsweise Aktionärsbriefe, Interviews oder Abschriften von aufgenommenen Vorträgen, als Datenquelle verwenden, solange die ausgewählte Datenquelle für die Forschungsfrage und für die entwickelten Wörterbücher geeignet ist (Short & Palmer, 2008). Generell hat die strategische Managementforschung primär auf textgebundene Kommunikation, besonders auf Aktionärsbriefe vom Geschäftsführer (engl. Letter to the Shareholder) (LtS) und auf jährliche Geschäftsberichte von Unternehmen bei einer Inhaltsanalyse zurückgegriffen (Duriau et al., 2007). Zum Beispiel hat CATA bei einer Analyse von LtS unter Beweis gestellt, dass es strategische Konstrukte, wie beispielsweise eine SO eines Unternehmens, direkt auf der Organisationsebene valide messen kann (z. B.: Short et al., 2010).
Im Allgemeinen ist CATA besonders nützlich, da es reichhaltige qualitative Datenquellen wie LtS mit der Vielseitigkeit von quantitativen Analysen kombiniert (Short & Palmer, 2008). Ferner existieren einige methodische und praktische Vorteile bei der Anwendung von CATA. Diese stellt eine sichere Methode dar, da das Kodierungsschema ohne Probleme korrigiert werden kann, wenn Fehler innerhalb des Forschungsprozesses erkannt werden (Woodrum, 1984). Außerdem sind die Kodierungsregeln bei CATA eindeutig, was eine nahezu perfekte Reliabilität und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Texte sicherstellt (Duriau et al., 2007). Zusätzlich reduziert CATA die Kosten und die Dauer eines Forschungsprojekts (Mossholder, Settoon, Harris, & Armenakis, 1995).
Abgesehen von diesen Vorzügen kann CATA angesichts mehrerer Gründe zur Messung von latenten Konstrukten, wie beispielweise MO, der traditionellen Fragebogenmethodik bevorzugt werden. Erstens stellt die textgebundene Kommunikation von Organisationen eine wertvolle Quelle dar, um gewisse Konstrukte direkt auf der Organisationsebene messen zu können (Duriau et al., 2007). Zweitens hat die Organisationsforschung generell eine relativ niedrige Rücklaufquote von Fragebögen (Bartholomew & Smith, 2006), welches die Kraft dieser Methode reduziert und Wissenschaftler von Längsschnittstudien abhält. Im Vergleich dazu sind gegenwärtige und historische Unternehmenstexte, wie zum Beispiel Geschäftsberichte, üblicherweise auf den Internetseiten der Firmen erhältlich und in einer Datenbanksoftware von Drittanbietern archiviert. Dies ermöglicht Wissenschaftlern größere und repräsentativere Stichproben schnell zu erfassen und es erleichtert somit auch die Durchführung von Längsschnittstudien. Darüber hinaus ist das Sammeln von Organisationstexten im Vergleich zur Fragebogenmethodik unaufdringlich und es ist ausgeschlossen, dass Verzerrungen, wie beispielsweise die Erinnerungsverzerrung (engl. recall bias), vorliegen (Barr, Stimpert, & Huff, 1992). Des Weiteren kann der in Abschnitt 2.3 erwähnte systematische Messfehler CMB bei dieser Methodik ausgeschlossen werden, wenn CATA entweder nur exogene oder nur endogene Variablen misst (Short et al., 2010). In der hier vorliegenden Untersuchung wird mit Hilfe von CATA nur das MO-Konstrukt gemessen; daher kann ein CMB ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass CATA besonders nützlich für Wissenschaftler im strategischen Management ist, da durch die Analyse von Organisationstexten die unaufdringliche Untersuchung von Vorstellungen und Kognitionen oberer Führungskräften eines Unternehmens ermöglicht wird, die ansonsten aufgrund des limitierten Zugangs schwer zu messen und zu analysieren sind (Morris, 1994). Hierbei wird angenommen, dass CATA durch die Präsenz, die Abwesenheit, und die Häufigkeit von gewissen Inhaltskategorien innerhalb eines Textes Einblicke in die psychischen Muster bzw. mentalen Modelle der Autoren bekommen kann (Carley, 1997).
Jedoch weist diese Methodik nicht nur Vorteile, sondern auch Limitationen auf. Denn unter Anderem stellt sich für die Wissenschaftler im strategischen Management die elementare Frage, wer den ausgewählten Text verfasst hat und wessen Sichtweisen in diesem widergespiegelt...