Sie sind hier
E-Book

Marschpulver

Eine wahre Geschichte von Korruption, Koks und einer unglaublichen Freundschaft im krassesten Knast der Welt

AutorRusty Young
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783864138362
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
'Im Gefängnis San Pedro wurde man nicht von der Polizei belästigt und hatte leichten Zugang zu billigem, reinem Kokain. Einer der besten Orte in Südamerika, um wilde Partys zu feiern.' Marschpulver ist ein atemberaubender Bericht über das Leben im bolivianischen Gefängnis San Pedro, in dem Insassen ihre Zellen von Maklern kaufen, Shops und Restaurants führen und Hunderte Frauen und Kinder gemeinsam mit verurteilten Familienmitgliedern innerhalb der Gefängnismauern leben. Korrupte Politiker und Drogenbarone wohnen in Luxusappartements, während die ärmsten Insassen Überfällen und Elend ausgesetzt sind. Teile des Gefängnisses, in denen tagsüber Kindergeschrei zu hören ist, beherbergen nachts Boliviens florierendste Drogenlabors. Doch inmitten von Korruption, Gewalt und dem täglichen Kampf ums Überleben ist Marschpulver auch die Geschichte einer ungleichen Freundschaft, entstanden unter kuriosen Umständen, zwischen Thomas, einem Drogenschmuggler, und dem jungen Anwalt Rusty. Dieser besticht die Wachen, lebt drei Monate lang gemeinsam mit Thomas in einer Zelle und schreibt dessen Erlebnisse auf - entstanden ist die zugleich ungewöhnlichste und spannendste Gefängnis-Story aller Zeiten.

Rusty Young wuchs in Sydney, Australien auf, wo er Finanzwissenschaft und Jura an der University of New South Wales studierte. Im Anschluss arbeitete er in verschiedenen Kanzleien und Handelsbanken, bevor er zu einer Backpacking-Tour aufbrach. Für die Recherchen zu diesem Buch verbrachte Rusty drei Monate im San Pedro Prison. Er fand Gefallen an Südamerika und verbrachte die nächsten zehn Jahre in Kolumbien, wo er Kindersoldaten des Bürgerkriegs interviewte und für sein nächstes Buch recherchierte. Rusty Young ist Mitbegründer der Colombian Children's Foundation, die sich um ehemalige Kindersoldaten kümmert und Kinder von der Teilnahme am Kriegsdienst abbringt.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Flughafen El Alto


Als ich mit fünf Kilogramm reinen Kokains durch die automatischen Schiebetüren der Abflughalle des Flughafens El Alto in La Paz ging, erwartete mich eine böse Überraschung. Überall war Polizei. Ein Teil der Beamten waren normale Polizisten in grüner Uniform, aber da waren auch viele Männer in den blauen Uniformen der FELCN, der bolivianischen Drogenpolizei. Kaum hatte ich den Terminal betreten, hoben sie alle den Kopf. Es war, als hätten sie schon auf mich gewartet.

Normalerweise betrachtete ich es als Spiel, irgendwo auf der Welt mit heißer Ware durch eine Abflughalle zu schlendern. Ich versuchte, die vergnügliche Seite der Dinge zu sehen. Wenn man zu viel über die Risiken nachdenkt, wird man nervös und entscheidet sich falsch. Natürlich ist man immer ein bisschen angespannt, aber wenn man das Ganze als Spiel betrachtet, steht einem die Nervosität nicht ins Gesicht geschrieben.

Da ich von so vielen Polizisten umgeben und der Flughafen so klein war, brauchte ich an diesem Tag ein wenig länger, um in den »Spielmodus« zu finden. La Paz ist die größte Stadt Boliviens, weshalb ich einen wirklich internationalen Flughafen erwartet hatte. Aber ich hatte mich geirrt: Der Terminal war winzig. Doch nachdem ich einmal drinnen war, konnte ich nicht einfach umkehren.

Ich holte meinen Kofferträger ein. Er war in den Terminal vorausgeeilt und wartete jetzt auf mich, damit ich ihm sagte, mit welcher Fluglinie ich reisen würde. Ich holte mein Ticket hervor und tat so, als wäre ich überrascht, weil ich so spät dran war. Wir studierten das Ticket gemeinsam und suchten nach dem richtigen Schalter – dabei ließ ich ständig meinen Blick schweifen, um mich mit dem Sicherheitssystem des Flughafens vertraut zu machen. Da er so klein war, hätte ich die Information auf Anhieb sammeln können, aber ich nahm mir Zeit, ohne mein Interesse zu verbergen. Der erste Fehler von Amateurdrogenschmugglern ist, dass sie glauben, weniger Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem sie so tun, als würden sie sich für nichts interessieren. Aber man sollte genau das Gegenteil tun: Warum sollte jemand, der nichts zu verbergen hat, kein Interesse für seine Umgebung haben? Der typische Flugreisende betritt den Terminal und bleibt vor einer Anzeigetafel stehen, um nach seinem Flug zu suchen. Dann spricht er andere Leute an, um sich zurechtzufinden, sucht nach dem richtigen Schalter und sieht sich dabei die ganze Zeit um. Vielleicht hebt er sogar den Blick zur Decke und bemerkt die Überwachungskameras.

Ich entspannte mich langsam und schaltete in den Spielmodus. Mittlerweile starrten mich die Polizisten nicht mehr an, und alles, was ich beobachtete, bestätigte meine früheren Erfahrungen mit den bolivianischen Sicherheitsvorkehrungen: Es würde ein Kinderspiel sein, unbemerkt durch dieses System zu gelangen. Abgesehen von der geringen Größe sah der Flughafen ganz normal aus. Der Boden war mit schimmernden, naturweißen Fliesen ausgelegt, wie ich sie von Flughäfen in aller Welt kannte. Die Zementdecke schien seit einigen Jahren nicht mehr gestrichen worden zu sein. Ich bemerkte sofort, dass dort keine versteckten Kameras hingen. Dasselbe galt für die Wände. Es schien keine hinter Werbetafeln versteckten Beobachtungsräume zu geben. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich die Check-in-Schalter. Die meisten gehörten zur nationalen Fluglinie Lloyd Aero Boliviano.

Obwohl es noch früh war, hätte man an einem internationalen Flughafen wie La Paz ein einigermaßen hektisches Treiben erwarten sollen. Alle Schalter hätten mit Personal besetzt sein sollen, und überall hätten Mitarbeiter des Flughafens herumlaufen sollen. Doch ich sah nur vier Mitarbeiter, die den gesamten Check-in erledigten. Trotzdem war ich nicht beunruhigt, weil ich bereits gesehen hatte, dass keine Spezialisten in der Nähe waren.

Als »Spezialisten« bezeichne ich das Sicherheitspersonal an Flughäfen, dessen Aufgabe es ist, Drogenschmuggler aufzuspüren. Man kann nie mit Gewissheit sagen, wer ein Spezialist ist oder welche Personen die Spezialisten unterstützen. Es könnte ein als Passagier verkleideter Drogenermittler, ein Angestellter am Schalter oder eine harmlos wirkende Putzkraft sein. Ich habe schon von einer Stewardess gehört, die im Auftrag eines Spezialisten alle Passagiere notierte, die während des Flugs nichts aßen – dies kann ein Hinweis darauf sein, dass jemand Drogen geschluckt hat. Natürlich kann geringer Appetit während eines Flugs auch etwas über die Qualität des Essens aussagen, und diese Stewardess zeigte mit dem Finger auf Hunderte unschuldige Fluggäste, bis der Spezialist aufhörte, sie zu bezahlen.

Über die regulären Polizeieinheiten und Soldaten machte ich mir nie Sorgen, egal, wie viele es waren. Im Gegenteil: Je mehr, desto besser. Wenn sie zahlreich sind, entspannen sie sich, da es genug Kollegen gibt, die die Verantwortung übernehmen können. Aber nach den Spezialisten muss man Ausschau halten: Sie verlassen sich nie auf die Unterstützung von Mitarbeitern, die womöglich faul oder inkompetent sind. Sie arbeiten allein und ernten allein das Lob für einen Fang. Selbst wenn sie dich erwischen, geben sie sich nur ungern zu erkennen, sondern halten sich im Hintergrund und machen sich gleich auf die Jagd nach dem nächsten Schmuggler. Viele ertappte Drogenhändler erfahren nie, dass sie von einem Spezialisten geschnappt wurden. Sie denken, dass ihnen ein Drogenhund oder ein Zufallsfund zum Verhängnis geworden ist oder dass jemand den Behörden einen Tipp gegeben hat. In Wahrheit war es ein Spezialist, der am Flughafen auf sie aufmerksam wurde.

Die normalen Polizisten und Zollbeamten machen einfach die Arbeit, für die sie jeden Monat ein Gehalt bekommen. Die gut ausgebildeten Spezialisten hingegen haben tatsächlich Spaß an ihrer Arbeit. Ihr Job ist jedes Mal von Neuem eine Herausforderung, und es gefällt ihnen, Drogenschmuggler zur Strecke zu bringen. Nur mit Disziplin schaffen sie es unter die Besten auf ihrem Gebiet. Viele von ihnen machen ihren Job mit ebenso großer Leidenschaft wie ich. Wir sind im selben Geschäft tätig, wenn auch nicht auf derselben Seite. Der Spezialist ist mein direkter Gegner am Flughafen. Es ist wie auf dem Sportplatz: Um ihn zu besiegen, muss ich seine Schwachstellen kennen und wissen, wie ich sie ausnutzen kann. Man wird keinen Erfolg haben, wenn man nicht besser ist als der Widersacher. Gute Spezialisten und gute Drogenschmuggler denken ähnlich. Die Spezialisten halten Ausschau nach mir, und ich halte Ausschau nach ihnen.

Zum Glück bin ich schlauer als sie und noch nie erwischt worden. Gut, da war dieses eine Mal in Nairobi, wo sie mich mit Heroin hochnahmen, aber ich weiß bis heute nicht, ob es ein Spezialist war, der mir auf die Schliche kam. Jedenfalls gelang es mir damals, mich aus der Affäre zu ziehen.

Normalerweise durchschaute ich ihre Tarnung mühelos, obwohl sich einige sehr geschickt verstellten. Oft erkannte ich die Spezialisten daran, dass sie zu unauffällig waren und sich zu sehr bemühten, in der Menge unterzutauchen. Aber nur weil ich wusste, wer die Spezialisten waren, hatte ich noch nicht gewonnen. Tatsächlich wäre ich verloren, wenn sie bemerkten, dass ich sie bemerkt hatte, denn nur ein Drogenschmuggler würde nach ihnen Ausschau halten. Auf der anderen Seite hätte ich mich auch verdächtig gemacht, wenn ich mich auf einem Flughafen überhaupt nicht umgesehen hätte.

Ich wusste so viel über dieses Geschäft, dass ich darüber nachdachte, mich irgendwann aus dem Drogenhandel zurückzuziehen und selbst ein Spezialist zu werden. Ich glaube, die beste Tarnung für einen Spezialisten wäre es, sich als Drogenschmuggler auszugeben. Zumindest sollte er auffällige Kleidung tragen und extrovertiert sein. Dann würde kein Schmuggler Verdacht schöpfen – wer hat je von einem verdeckten Ermittler gehört, der Aufmerksamkeit zu erregen versucht?

Das meine ich natürlich im Scherz, aber ich möchte damit etwas verdeutlichen: Wenn ich meinem Geschäft nachging, betrachtete ich es als Katz-und-Maus-Spiel. Und ein Spiel muss Spaß machen, gleichgültig, ob es das Drogenspiel oder irgendein anderes ist. Doch die Spezialisten haben keinen Sinn für Humor. Sie nehmen ihre Aufgabe viel zu ernst. Deshalb gelang es mir jedes Mal, ihnen durch die Lappen zu gehen.

Aber an diesem Tag brauchte ich mir keine Gedanken über sie zu machen. Am Flughafen von La Paz gab es keine Spezialisten.

Ich bezahlte den Träger und gab meine Koffer am Schalter auf.

»Sie müssen sich beeilen, Sir«, sagte die junge Frau und deutete in Richtung der Flugsteige. »Sie sind sehr spät dran.«

»Ich weiß. Demonstranten haben die Autobahn blockiert.«

»Ja, Sir, wir wurden darüber informiert. Deshalb wurde der Start um ein paar Minuten verschoben. Aber Sie müssen sich beeilen.«

Um den Zollbeamten weniger Zeit zu geben, sich mit mir zu beschäftigen, ging ich noch in den Duty-free-Shop und kaufte...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Arzneimittel Zeitung

Arzneimittel Zeitung

Die Arneimittel Zeitung ist die Zeitung für Entscheider und Mitarbeiter in der Pharmabranche. Sie informiert branchenspezifisch über Gesundheits- und Arzneimittelpolitik, über Unternehmen und ...

arznei-telegramm

arznei-telegramm

Das arznei-telegramm® informiert bereits im 53. Jahrgang Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Das arznei-telegramm®  ist neutral und ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

DGIP-intern

DGIP-intern

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) für ihre Mitglieder Die Mitglieder der DGIP erhalten viermal jährlich das Mitteilungsblatt „DGIP-intern“ ...

e-commerce magazin

e-commerce magazin

PFLICHTLEKTÜRE – Seit zwei Jahrzehnten begleitet das e-commerce magazin das sich ständig ändernde Geschäftsfeld des Online- handels. Um den Durchblick zu behalten, teilen hier renommierte ...

EineWelt

EineWelt

Lebendige Reportagen, spannende Interviews, interessante Meldungen, informative Hintergrundberichte. Lesen Sie in der Zeitschrift „EineWelt“, was Menschen in Mission und Kirche bewegt Man kann ...