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E-Book

Martin Buber - seine Herausforderung an das Christentum

AutorKarl-Josef Kuschel
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl363 Seiten
ISBN9783641165376
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Martin Buber - der Streiter für eine eigenständige jüdische Identität
Mehr als andere Denker des 20. Jahrhunderts hat Martin Buber den »Dialog« geübt und theoretisch durchdacht. Bei allen Anregungen von außen dachte und glaubte er bewusst nur aus den Quellen des Judentums heraus. Überblickt man Bubers ganze Geschichte, erlebt man einen Mann, der sich entschieden abzugrenzen versteht von christlichen Bekenntnissen und deutsch-christlichen Zumutungen. Karl-Josef Kuschel stellt den Kämpfer Buber vor, der für eine eigenständige jüdische Identität streitet und gerade dadurch für Christen ein bleibend interessanter, aber auch unbequemer Gesprächspartner ist.
  • Jüdische Anfragen an das Christentum - der bleibend unbequeme Buber.
  • Zum 50. Todestag Bubers am 13. Juni 2015


Karl-Josef Kuschel, geboren 1948, Dr.theol., war von 1995 - 2013 Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Tübingen und zugleich Ko-Direktor des Instituts für ökumenische und interreligiöse Forschung. Autor viel beachteter Bücher auf dem Grenzgebiet von Literatur und Religion sowie zum Dialog der Religionen. Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Zuletzt erschienen im Gütersloher Verlagshaus: »Rilke und der Buddha. Die Geschichte eines einzigartigen Dialogs« (2010); »Börsen, Banken, Spekulanten. Spiegelungen in der Literatur - Konsequenzen für Ethos, Wirtschaft und Recht« (zusammen mit H.-D. Assmann, 2011) und »Martin Buber - seine Herausforderung an das Christentum«.

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Leseprobe

I. VON »VERGEGNUNG« UND »FREMDANDACHT«

Worte können Schall und Rauch sein, verwehen im Winde, sobald sie gesprochen sind. Aber es gibt auch Worte, die Widerhaken besitzen. Klettengleich haften sie an, wenn sie einen treffen. So ist es mir mit einem Wort ergangen, das ich nicht mehr vergesse, seit es mich zum ersten Mal trifft. Ich bin auf der Suche nach autobiographischen Aufzeichnungen Bubers und greife zu dem Bändchen »Begegnung Autobiographische Fragmente«, das der Altgewordene fünf Jahre vor seinem Tod 1960 erstmals veröffentlicht hat.

1. Ein Trauma: Das Verschwinden der Mutter

Ein Text daraus handelt von der Beziehung des Kindes zu seiner Mutter. Früh hatten die Eltern sich getrennt. Buber ist zu diesem Zeitpunkt keine vier Jahre alt und wächst ab jetzt bei seinen Großeltern väterlicherseits in Lemberg auf, der Hauptstadt des damaligen österreichischen Kronlandes Galizien. Heute heißt der Ort L’viv und gehört zur Ukraine. Großvater Salomon Buber (1827-1906) ist nicht nur ein erfolgreicher und wohlhabender Geschäftsmann, Großgrundbesitzer und Bankier, sondern auch ein großer Gelehrter, ein leidenschaftlicher wissenschaftlicher Autodidakt. Er sammelt wie kaum ein anderer Handschriften von rabbinischen Bibelauslegungen (»Midraschim«) und ediert diese Texte auf eigene Kosten, »diese«, wie Buber in der Rückschau schreibt, »keinem anderen Schrifttum vergleichbaren, an Sagen, Sprüchen und edlen Gleichnissen überreichen Bücher der Bibeldeutung, in denen sich, zerstreut in tausend Fragmenten, eine zweite Bibel, die Bibel des Exils, verbirgt.« (Werke Bd. 3, 1963, S. 965 = W III, 965)

Eine unverwechselbare Gestalt dieser Großvater. Ihren Eindruck auf den Enkel verfehlt sie nicht. Er beherrscht das uralte Hebräisch, hat internationale Forschungskontakte, und wenn er, wie häufig, Gäste aus fernen Ländern empfängt, klingt das »wie die Rede eines aus der Verbannung heimgekehrten Fürsten«, erinnert sich Buber. Ein solcher Mann macht sich keine Gedanken über das Judentum, »es wohnte in ihm« (Ebd., 966). Will sagen: Er ist es ganz. Dabei ist er gar kein Mann der rabbinischen Orthodoxie, der peinlich genau nach der Halacha gelebt hätte, der religionsgesetzlichen Ordnung des Judentums. Er ist eher ein Mann der Haskala, der jüdischen Aufklärung im Geiste von Moses Mendelssohn (1729-1786) und Leopold Zunz (1794-1886), weltzugewandt, bildungsbeflissen, wissenschaftsbegeistert. Buber erinnert nicht zufällig daran, als er 1906 im Todesjahr des Großvaters seine erste chassidische Publikation vorlegt und sie »dem Gedächtnis« seines »Großvaters Salomon Buber« widmet, »des letzten Meisters der Haskala«. Noch im Alter wird er mit Stolz bekennen: »Ich bin ein polnischer Jude« aus einer »Familie von Aufklärern« (W III, 1259). Für Salomon wie Martin Buber gilt also, was man mit dem Buber-Biographen Gerhard Wehr so umschreiben kann: »Der jüdischen Orthodoxie mit ihrer sprichwörtlichen Gesetzestreue, die sich bis in die strenge Beachtung der Gebetsriten und der alltäglichen Reinigungs- und Speisevorschriften erstreckt, entsagen beide. So ist die Buber-Familie, die ältere und die jüngere, den Rechtgläubigen suspekt. Martin wird das zeit seines Lebens zu spüren bekommen, insbesondere in Israel.« (1991, 22)

Und die Mutter? Elise Buber? Ihre Trennung von der Familie ist eine traumatische Wunde. Zu brennen begonnen hat sie in dem Moment, als der Knabe einmal ein älteres Mädchen, das auf ihn Acht zu geben hatte, das Wort sagen hört: »Nein, sie kommt niemals zurück«, die Mutter des kleinen Martin. »Niemals zurück«! Das unbedachte Wort bleibt in der Seele des Kindes haften, es »verhaftet« sich, so Buber, »von Jahr zu Jahr immer mehr in meinem Herzen«. Und ein Wort bildet sich heraus, das diese traumatische Erfahrung zusammenfasst: »Später einmal habe ich mir das Wort ›Vergegnung‹ zurechtgemacht«, notiert Buber, »womit etwa das Verfehlen einer wirklichen Begegnung zwischen Menschen bezeichnet war. Als ich nach weiteren 20 Jahren meine Mutter wiedersah, die aus der Ferne mich, meine Frau und meine Kinder besuchen gekommen war, konnte ich in ihre noch immer zum Erstaunen schönen Augen nicht blicken, ohne irgendwoher das Wort ›Vergegnung‹, als ein zu mir gesprochenes Wort, zu vernehmen. Ich vermute, daß alles, was ich im Laufe meines Lebens von der echten Begegnung erfuhr, in jener Stunde seinen ersten Ursprung hatte.« (Begegnung, 3. Aufl. 1978, 10f.) In jener Stunde also, als dem Kindermädchen das fatale Wort entfährt: »Niemals zurück«!

In der Tat wird Buber später zu dem Philosophen des Dialogs werden und uns wie kein anderer lehren, dass »Dialog« im Tiefsten nicht aus dem bloßen Austausch von Informationen besteht, aus flüchtigen Kontakten, sondern auf Momenten der Begegnung, die, ungeplant und unverfügbar, wie sie sind, einen Menschen ergreifen, verwandeln, verändern können. In seiner später berühmten Schrift »Ich und Du« von 1923 wird er den Satz niederlegen: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung«. »Das dialogische Prinzip« also, es ist »sein« Prinzip, mit seinem Namen unverwechselbar verbunden. Mehr als andere Denker des 20. Jahrhunderts hat er »Dialog« theoretisch durchdacht und gelebt, gerade auch, weil er – bei allen Anregungen von außen – aus nichts anderem denn aus den Quellen des Judentums heraus denken und glauben wollte. Was aber verstand er unter »Dialog«? Wie praktizierte er ihn in einer Welt, die für ihn nun einmal vom Christentum geprägt ist? Viele haben ein harmonisierendes Bild von Bubers Beziehung zum Christentum im Kopf. Man erinnert sich gerne an ein Wort von ihm über Jesus, den er, Buber, stets als seinen »großen Bruder« empfunden habe, ein Wort, das umso schwerer zu wiegen scheint, als es 1950, nach der Schoah, veröffentlicht wurde und zwar in Bubers zusammenfassendem Werk zum Christentum: »Zwei Glaubensweisen«. Man glaubt, sich als Christ in seinem Glauben an Jesus Christus aufs Schönste bestätigt, wenn »selbst ein Jude« so positiv über Jesus sprechen kann. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Wir müssen und werden darauf zu sprechen kommen (s. Teil XI, 5).

Denn überblickt man Bubers ganze Geschichte, erlebt man einen Mann, der sich auch entschieden abzugrenzen weiß von christlichen Bekenntnissen und deutsch-christlichen Zumutungen. Die Bekenntnisse betreffen fundamentale Glaubensdifferenzen zwischen Juden und Christen. Die Zumutungen betreffen Zugriffe auf die gesellschaftliche Stellung von Juden in der deutsch-christlichen Mehrheitsgesellschaft. Von beidem muss die Rede sein. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Wir müssen aber zuerst den Kämpfer Buber kennenlernen, der für eine eigenständige und authentische jüdische Identität streitet, bevor wir den Dialogiker wahrnehmen können.

2. Die Kälte der Christen

»Vergegnung«: so hat es auch im Verhältnis zu Christen angefangen, wie uns eine Erinnerung Bubers an seine Schulzeit in Lemberg verrät. Wenig wissen wir über diese Zeit. Umso kostbarer ein Dokument, das Buber in denselben »autobiographischen Fragmenten« preisgibt. »Die Schule«, so der Titel. Ein bemerkenswertes Signal nach einem ereignisreichen Leben und jahrzehntelangen Bemühungen um einen Dialog mit Christen. Der Altgewordene will offenbar der Öffentlichkeit noch einmal signalisieren, wo er herkommt und welche Erstbegegnung mit der christlichen Welt sein Leben geprägt hat.

Die Szene spielt im Kaiser-Franz-Joseph-Gymnasium zu Lemberg, das Buber in den Jahren 1888 bis 1896 besucht. Bis zu seinem 10. Lebensjahr hatte er im Haus der Großeltern Privatunterricht erhalten. Die Unterrichtssprache ist Polnisch, sind doch die Mitschüler zum größten Teil Polen katholischer Konfession. Juden sind nur als kleine Minderheit präsent. Persönlich kommen die Schüler gut miteinander aus, aber beide Gemeinschaften wissen »fast nichts voneinander«, schreibt Buber. Ein Nebeneinander im Miteinander:

»Vor 8 Uhr morgens mußten alle Schüler versammelt sein. Um 8 Uhr ertönte das Klingelzeichen; einer der Lehrer trat ein und bestieg das Katheder, über dem an der Wand sich ein großes Kruzifix erhob. Im selben Augenblick standen alle Schüler in ihren Bänken auf. Der Lehrer und die polnischen Schüler bekreuzigten sich, er sprach die Dreifaltigkeitsformel und sie sprachen sie ihm nach, dann beteten sie laut mitsammen. Bis man sich wieder setzen durfte, standen wir Juden unbeweglich da, die Augen gesenkt.

Ich habe schon angedeutet, daß es in unserer Schule keinen spürbaren Judenhaß gab; ich kann mich kaum an einen Lehrer erinnern, der nicht tolerant war oder doch als tolerant gelten wollte. Aber auf mich wirkte das pflichtmäßige tägliche Stehen im tönenden Raum der Fremdandacht schlimmer, als ein Akt der Unduldsamkeit hätte wirken können. Gezwungene Gäste; als Ding teilnehmen müssen an einem sakralen Vorgang, an dem kein Quentchen meiner Person teilnehmen konnte und wollte; und dies acht Jahre lang Morgen um Morgen: das hat sich der Lebenssubstanz des Knaben eingeprägt.

Es ist nie ein Versuch unternommen worden, einen von uns jüdischen Schülern zu bekehren; und doch wurzelt in den Erfahrungen jener Zeit mein Widerwille gegen alle Mission. Nicht bloß etwa gegen die christliche Judenmission, sondern gegen alles Missionieren unter Menschen, die einen eigenständigen Glauben haben. Vergebens hat noch Franz Rosenzweig mich für den Gedanken einer jüdischen Mission unter Nichtjuden zu gewinnen gesucht.« (Begegnung, 1978, 20f.)

Eine kleine Szene zwar, aber sie ist von geradezu obsessiver...

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