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Martin Heidegger und seine Kritik am Transhumanismus. Wohin führt die technische Optimierung des Menschen?

AutorMarkus Zizler
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl77 Seiten
ISBN9783960955788
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Ist der Mensch bereits am Ende seiner Entwicklung angekommen? Oder können wir uns und unseren Körper mit technischen Mitteln noch verbessern? Der sogenannte Transhumanismus hat sich der Optimierung des Menschen verschrieben. Seine Vertreter gehen davon aus, dass der gegenwärtige Mensch überwunden werden kann. Wie Dr. Markus Zizler in seiner Publikation aufzeigt, hat Martin Heidegger diese technische Entwicklung bereits nach dem Zweiten Weltkrieg vorausgesehen. Anhand seines Spätwerks sowie dem Text 'Sein und Zeit' arbeitet Dr. Zizler heraus, wie Heidegger die transhumanistische Verbesserung des Menschen kritisch hinterfragt. Denn letztlich haben alle Technologien vom Textverarbeitungsprogramm bis zur gentechnischen Optimierung eines gemeinsam: Sie können nicht mehr zurückgenommen werden. Damit ist nichts darüber gesagt, ob eine bestimmte Technik gut oder schlecht ist. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama bezeichnet den Transhumanismus dennoch als gefährlichste Idee der Welt. Aus dem Inhalt: - Fortschritt; - Fortschrittsglaube; - Selbstoptimierung; - Kybernetik; - Philosophie; - Wissenschaftskritik

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Leseprobe

2 Transhumanismus


 

If you’re tired of the ills of the flesh, then get rid of the flesh: we can do that now. If the universe isn’t good enough for you, then remake it, from the ground up.[5]

 

Der Transhumanismus ist keine eindeutig definierte geistige Strömung, sondern besteht in mehreren Ausprägungen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Zum einen liegt dies in der Natur einer Bewegung, die noch am Anfang ihrer Entwicklung steht; zum anderen besitzt jede philosophische Strömung verschiedene Vertreter mit mehr oder weniger großen Differenzen. Dennoch ist ein Kernelement aller Richtungen auszumachen, nämlich die Verbesserung des Menschen mit technischen und wissenschaftlichen Mitteln. Das Ziel ist die Überwindung des gegenwärtigen Menschen hin auf einen zunächst trans- und schließlich posthumanen Zustand. So wird im Oxford Dictionary der Transhumanismus wie folgt definiert: „The belief or theory that the human race can evolve beyond its current physical and mental limitations, especially by means of science and technology.“[6]

 

Über das Ziel des transhumanen Zustands hinaus wird es jedoch schwieriger, Überschneidungen aller Ausprägungen zu finden. Erstens ist unklar, welche Eigenschaften am Menschen verbessert werden sollen; zweitens sind die potenziellen technischen Mittel vielseitig und zum Teil zwar theoretisch anwendbar, aber in der Praxis noch unerforscht. Schließlich bleibt offen, wann der trans- und posthumane Zustand erreicht ist. Eine detaillierte Definition des Transhumanismus und deren Analyse wird in Abschnitt 2.3 über die philosophischen Grundlagen gegeben. Zunächst ist es aber sinnvoll, den historischen Verlauf der transhumanistischen Entwicklung zu skizzieren.

 

2.1 Geschichtliche Entwicklung


 

Transhumanistische Ideen im Sinne einer Verbesserung oder Ersetzung des Menschen lassen sich bereits auf die ersten Zeugnisse menschlicher Kultur zurückführen. So können etwa Rituale und Zeremonien der Urvölker zur individuellen und kollektiven Stärkung - etwa zum Schutz vor Umweltgefahren - als Urform transhumanistischer Gedanken angesehen werden. Konkretere Ideen zur Schaffung verbesserter und neuer Menschen haben sich z.B. materialisiert in Form des Golems als menschenähnlichem Wesen mit besonderer Kraft, des Homunculus als künstlich geschaffenem Menschen in der alchemistischen Theorie oder der mechanischen Androiden im 17. / 18. Jahrhundert.

 

Die Evolutionstheorie von Ch. Darwin in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat nicht nur die Erkenntnis gebracht, dass alle Organismen und auch der Mensch durch Variation und natürliche Selektion entstanden sind, sondern in der Folge auch die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass der Mensch durch genetische Methoden weiterentwickelt werden kann. So waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eugenische Überlegungen in vielen Ländern verbreitet und wurden auch praktisch umgesetzt. J. Huxley (1887-1975), als einer zu jener Zeit bekannten Eugeniker, hat vor diesem Hintergrund den Begriff des Transhumanismus als einer der ersten[7] in den 1950er Jahren verwendet und definiert als: „man remaining man, but transcending himself, by realizing new possibilities of and for his human nature.“[8] Damit hatte J. Huxley noch ein anderes Verständnis des Transhumanismus als es heute in seinen verschiedenen Formen der Fall ist: Der Mensch bleibt Mensch und realisiert darauf aufbauend neue Möglichkeiten. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hat jedoch weitere spektakuläre technische Errungenschaften und damit neue Möglichkeiten für eine transhumanistische Überschreitung des Menschen hervorgebracht. So haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Nutzbarmachung der Atomenergie, die Entwicklung der Raumfahrt, die Erfindung des modernen Computers oder die Fortschritte in der Biotechnologie den Boden bereitet für das größtenteils unbedingte Vertrauen in den (natur-) wissen­schaftlichen Fortschritt.

 

Mit der Beschleunigung des technischen Fortschritts haben sich zunehmend transhumanistische Ideen entwickelt. Ein erster Grundstein des modernen Transhumanismus ist mit R. Ettingers Werk Man into Superman (1972) gelegt, worin mögliche technologische Verbesserungen des Menschen diskutiert werden. Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Transhumanismus ist das Werk Engines of Creation (1986, E. Drexler) im Bereich Nanotechnologie, welches die Umgestaltung der Materie mit Kleinst-Robotern in der Größenordnung von Nanometern thematisiert; mit dieser Technologie werden dem Menschen grenzenlose Möglichkeiten zur materiellen Transformation seiner Umwelt in Aussicht gestellt. Humanoide Roboter, die den nächsten Evolutionsschritt nach dem Menschen darstellen könnten, werden diskutiert in dem Buch Mind Children (1988, H.P. Moravec) aus dem Bereich Künstlicher Intelligenz und Robotik. Are you a transhuman? (1989, FM-2030) wartet schließlich auf mit einer ersten Darstellung transhumaner Eigenschaften.

 

Die bis dahin getrennt voneinander bestehenden Beiträge wurden Anfang der 1990er mit der Gründung der transhumanistischen Strömung der Extropianer konsolidiert.[9] Damit wurde dem Transhumanismus durch M. More und T. Morrow - neben einer detaillierten Definition - erstmals eine Organisation (Extropy Institute) zugeordnet und auf diese Weise eine Plattform für den trans­humanistischen Gedankenaustausch geschaffen. Bereits in dieser Bewegung wird das elementare Merkmal des Transhumanismus ersichtlich: Die Verbesserung des Menschen und seiner Lebensbedingungen. Der Begriff Extropy ist eine Wortneuschöpfung und wird verwendet als Gegenbegriff zur Entropie, die ein Maß für die Zahl der Zustände eines thermodynamischen Systems darstellt. Anschaulich ist die Entropie ein Maß für die Unordnung. Die Extropianer wollen gewissermaßen der Unordnung im menschlichen System durch technische Entwicklung entgegenwirken.

 

Das Extropy Institute wurde 2006 geschlossen und von der World Transhumanist Association (WTA) als zentraler transhumanistischer Organisation abgelöst. Die WTA wurde bereits 1998 von N. Bostrom und D. Pearce gegründet und firmiert heute unter dem Namen Humanity+. Auch diese Organisation propagiert die Agenda der Veränderung des Menschen mit technischen und wissenschaftlichen Mitteln auf seine transhumane Form hin. Nichtsdestotrotz ist der Transhumanismus bis dato keine einheitliche Philosophie, sondern beinhaltet eine Vielzahl teils sehr unterschiedlicher Ausprägungen.

 

Von manchen Autoren wird der Transhumanismus auch als Posthumanismus bezeichnet, weil es erklärtes Ziel ist, den Menschen auf eine posthumane Form hin zu überwinden. Auch wenn dies eine sinnvolle Begriffsbildung ist, soll dem aus Gründen der Eindeutigkeit nicht gefolgt werden. Der Grund liegt darin, dass mit dem Posthumanismus auch eine weniger technisch geprägte Strömung in geisteswissenschaftlicher Tradition verbunden ist, die sich in erster Linie mit der Problematik vorhandener Menschenbilder auseinandersetzt und diese zu dekonstruieren versucht. Zwar wird diese Strömung zunehmend auch vom technisch bedingten Veränderungspotenzial beeinflusst, weil sich nicht nur viele Vorstellungen vom Menschen als falsch erwiesen haben, sondern der Mensch auch in seiner körperlichen Form verändert werden könnte. Dennoch geht es hauptsächlich um die Frage, wer oder was der Mensch ganz grundsätzlich ist. Der Transhumanismus oder technische Posthumanismus glaubt hingegen relativ genau zu wissen, was der Mensch ist: Nämlich ein wissenschaftlich definierbarer Gegenstand, der durch technische Mittel verbessert werden soll und muss. Ausgehend von diesem Hintergrund soll im Folgenden der Begriff des Transhumanismus zunächst über seine verschiedenen Arten genauer eingegrenzt werden.

 

2.2 Arten des Transhumanismus


 

Im Grunde lassen sich so viele Transhumanismen angeben wie es technologisch unterschiedliche Arten von möglichen Verbesserungen der menschlichen Natur gibt. So spannt sich zwischen der evolutionär-eugenischen Weiterentwicklung bis hin zur Kolonialisierung des Universums mit menschlicher Computerintelligenz ein weites Gebiet transhumanistischer Szenarien. Die Spitze wird durch die Singularitarier um R. Kurzweil gebildet und stellt ihrerseits bereits eine Synthese von mehreren Techniken und transhumanistischen Visionen dar. Endgültiges Ziel der Singularitarier ist die Verschmelzung des menschlichen Geistes mit intelligenten Robotern und die Besiedlung des Universums mit (ursprünglich) menschlicher Intelligenz.

 

Darin sind bereits zwei Transhumanismen verarbeitet: Zum einen die Entwicklung von superintelligenten Maschinen im Rahmen der künstlichen Intelligenz und zum anderen die atomare Umgestaltung der Materie durch Nanotechnologie. Die Ablösung des Menschen durch intelligente Roboter wurde bereits von H. Moravec u.a. prognostiziert, die Entwicklung von molekülgroßen Assemblern zur beliebigen materiellen Analyse und Synthese durch E. Drexler in Aussicht gestellt. Kurzweil verwendet beide Ideen, indem er das menschliche Gehirn durch Nanoroboter analysieren und eine Kopie davon schließlich auf einem leistungsfähigen Computer implementieren will, um die jeweilige Person in einem Computer wieder­auferstehen zu lassen, und zwar mit praktisch omnipotenten Fähigkeiten.

 

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